Samstag, 10. Oktober 2020

Pandemie

Trash kann beglückend sein. Man gönnt sich ja sonst nichts, brabbelt man vor sich hin, obwohl Verzicht in unserer hedonistischen Spaßgesellschaft nur selten der Fall ist. Auch nicht in einer Krise, die man sich sorgenbefreit wegphantasiert, mit Argumenten, die von Köchen und Schlagersängern geliefert werden.
In diesen Zeiten könnte also ein Film, der so richtig abledert in Sachen Pandemie, richtig befreiend wirken, wenn die Macher ein Szenario ausbreiten, in dem das maximale Grauen herrscht. Das geschieht in „Pandemie“ (The Flu), einem Katastrophenfilm des südkoreanischen Regisseurs Kim Sung-su. Aber das Vergnügen am Trash lässt schnell nach, denn „Pandemie“ verbreitet epischen Wahnsinn.


Viren schweben durch die Luft

Kim Sung-su bedient in seinem Film nicht nur Genres wie den Horrorfilm oder die romantische Liebeskomödie, sondern ziemlich prophetisch auch zwei Perspektiven, die uns bekannt sein dürften: „Seht her, das kann passieren, wenn man nicht entschlossen genug gegen das Virus vorgeht!“ und „Seht her, das machen korrupte Politiker mit unseren Grundrechten, wenn man sie nicht aufhält!“
Nach über zwei Stunden Trash sinkt man dann erschöpft auf dem Sofa zusammen und weiß endgültig, was man an Steven Soderberghs „Contagion“ (2011) hatte. Nämlich einen sorgfältig recherchierten Film, der auch eine Menge Grauen erzeugte, aber solide über die Mechanismen einer weltweiten Pandemie informierte. „Pandemie“ ist dagegen purer Trash.

Die Katastrophe beginnt im koreanischen Bundang, nur einen Steinwurf entfernt von Seoul. Kriminelle schleusen in einem Container illegale Einwanderer ein, doch als man den Container öffnet, sind fast alle Illegalen tot. Hingerafft von einer mysteriösen Krankheit, einem Virus, das die Container offenbar mutiert ist. Ein junger Mann hat überlebt, Dutzende von Ratten auch, aber Mensch und Tiere können fliehen. Das Unheil nimmt seinen Lauf.
Kim Sung-su zeigt danach sehr anschaulich, wie die Viren durch die Luft schweben und von einem Menschen zum nächsten springen. Ja, da haben unsere Politiker versagt. Es ist ihnen nicht gelungen, das Corona-Virus für das bloße Auge sichtbar zu machen. Deshalb können nun einige behaupten, dass es das Virus nicht gäbe: Ich glaube nur, was ich sehe.

In „Pandemie“ sollte man das besser nicht tun. Bundang wird auf jeden Fall in Nullkommanix zu einem Ort, den sich so ähnlich auch Dante Aligheri (1265-1321) hätte ausdenken können, würde er noch unter uns weilen. Das Virus, ein mutierter H5N1-Erreger aus der Familie der Grippeviren, führt bei 50% der Infizierten 36 Stunden nach der Infektion zum Tod. Es ist ein Inferno, es ist die Hölle.


Keiner hört auf die Virologen

Die Verantwortlichen erweisen sich in dieser Krise als überfordert: entweder sind sie karrieregeil oder auf rigide Weise nationalistisch, auf jeden Fall hören sie nicht auf ihre Virologen und sind bereit, die Kranken zu opfern, um ein Überspringen des Virus auf ganz Korea zu verhindern. Eine Eindämmung der Pandemie wird dank geballter Inkompetenz verhindert. Das dürfte unsere Corona-Leugner freuen.

Auch sonst lässt Kim Sung-su keine Chance verstreichen, um epischen Wahnsinn in schauderhaften Bildern zu zeigen. Die Infizierten werden durch das Virus entstellt. Einem Ausschlag folgt der Zusammenbruch, die dem Tode Geweihten erbrechen Blut und nach 36 Stunden ist alles vorbei. Derweil kappen die Politiker die Smartphone-Netzwerke („Jugendliche verbreiten Unwahrheiten in den Social Media“), verbreiten im TV miserable Propaganda in eigener Sache und pferchen alle Infizierten der Millionenstadt in einem Quarantäne-Zentrum zusammen, wo sie sich natürlich alle gegenseitig anstecken.

Es ist die Stunde der Helden, denn natürlich muss „Pandemie“ zu einem guten Ende geführt werden. Im Mittelpunkt des Films steht daher – wen wundert’s – eine rührselige Liebesgeschichte. Da ist der Rettungssanitäter Kang Ji-koo (gespielt vom Rapper und Schauspieler Jang Hyuk) und die Ärztin und Virologin Dr. Kim In-Hae (Soo Ae), die gleich zu Beginn von Ji-koo aus einer lebensgefährlichen Lage befreit wird. Große Dankbarkeit zeigt die arrogante Ärztin nicht und es ist durchaus interessant, wie Kim Sung-su in seinem Film en passant zeigt, wie zerbrechlich eine Gesellschaft werden kann, wenn man einen Rettungssanitäter für einen Dienstleister hält und nicht für einen Menschen, der bereit ist, sein Leben für das Gemeinwohl zu opfern. 

„Pandemie“ zeigt uns, wovon Dante nur dichten konnte

Die Wege der Rettungssanitäters und der Ärztin werden sich immer wieder kreuzen, denn natürlich hat sich Ji-koo auf der Stelle in die Widerspenstige verliebt. Das liegt aber auch an ihrer kleinen Tochter Kim (brillant und liebreizend gespielt von der damals sechsjährigen Park Min-ha, zweifellos der Höhepunkt der Films), die sich ebenfalls infiziert und natürlich nur gerettet werden kann, wenn es ihrer Mutter gelingt, in allerkürzester Zeit ein Serum zu entwickeln. Dazu braucht sie allerdings die Anti-Körper des einzigen Überlebenden aus dem Container.
Selbstverständlich gelingt auch dies (da können sich unsere weltweit emsig forschenden Pharmakonzerne eine Scheibe abschneiden), aber trotzdem landen Ji-koo und In-hae in dem Quarantäne-Zentrum IQZ, werden von Kim aber getrennt. Es beginnt ein brutaler Überlebenskampf, denn das Testen ist eine einzige Lüge der Regierung. Niemand denkt daran, die Gesunden nach 48 Stunden zu entlassen, wenn die PCR-Tests negativ sind. Aha, die gab es also schon. Christian Drosten muss in Bundang unterwegs gewesen sein, um Millionen mit einem Test zu scheffeln, der gar nicht funktioniert, weil er nur eine Trefferquote von 99% besitzt.

Bevor aber die Welt vor dem neuen H5N1-Erreger gerettet werden kann, müssen wir in der letzten halben Stunde des Films das Inferno im IQZ überstehen, wo Soldaten – so munkeln einige Verschwörungstheoretiker - in schalldichten Kellerräumen die Menschen der Reihe nach erschießen. Davon kann nicht die Rede sein. Tatsächlich werden die Infizierten, ob lebend oder bereits tot, in Plastik gehüllt, mit riesigen Schaufelbaggern auf eine Müllhalde geschmissen und verbrannt. Diese menschlichen Müllberge und die Flammenwerfer sehen so aus, wie man sich Dantes „Inferno“ vorstellt. „Pandemie“ hat also endgültig seinen Platz im Genre des Horrorfilms gefunden.

Natürlich landet die süße Kim dort, wo die Leichen vor sich hin kokeln, und natürlich rettet Ji-koo die Kleine im allerletzten Moment. Allerdings gibt es noch einen Helden, aber dazu muss man ein wenig über das schwierige Verhältnis zwischen Südkorea und den USA wissen. Hier kann sich Kim Sung-su, der auch am Script mitgeschrieben hat, nicht einen kräftigen Seitenhieb verkneifen. Er zeigt, dass Südkorea nicht nur unter der Fuchtel der Weltgesundheitsorganisation WHO, sondern auch unter der noch kräftigeren der USA zu leiden hat. Und so ist es nur der moralischen Strahlkraft des südkoreanischen Präsidenten (Cha In-pyo) zu verdanken, dass er seinen dem alliierten Partner ergebenen Premierminister (Kim Ki-hyeon) und den arroganten Repräsentanten der USA davon abhalten kann, Bundang unter einem Bombenteppich verschwinden zu lassen. Der eine oder andere Südkoreaner wird sicher begeistert gewesen sein, als er im Kino sehen konnte, dass den US-Kampffliegern erfolgreich mit dem Abschuss durch die südkoreanische Luftabwehr gedroht wird. Patriotisch ist „Pandemie“ also auch.
Aber es geht gut aus, Kim wird gerettet, der Wahnsinn kann aufgehalten werden, ein Serum ist auf dem Wege und man fragt sich am Ende nur, warum sich Liebende in einem südkoreanischen Film am Ende nicht küssen dürfen. Wenigstens dürfen sich der Rettungssanitäter und seine Widerspenstige am Ende vielsagend anlächeln.


Klischees tropfen aus jedem Bild

So kann am Ende jeder etwas aus dem Film mitnehmen. Egal, ob Covidioten, kritische Bürger und Querdenker, aber auch Ängstliche und passionierte Fans von Dr. Karl Lauterbach werden nicht mit leeren Händen dastehen. Trotzdem ist „Pandemie“ Trash, Klischees und Pathos tropfen aus jedem Bild, die Figuren sind stereotype Abziehbilder.
Millionen Südkoreaner haben den Film für knapp 20 Mio. US-Dollar produzierten Film vor sieben Jahren gesehen, aber die Kritik hat in Südkorea verhalten auf den Virus-Trash reagiert. Das konnte nicht verhindern, dass der deutsche Filmkritiker Rüdiger Suchsland querdenkend davon fabulierte: „So realistisch ist alles hier, so sehr erinnert es uns an unsere unmittelbare Gegenwart und die Vergangenheit der letzten Monate.“

Nein, so ist es nicht. In unserem Land werden die Infizierten nicht zusammengetrieben und verbrannt, auch die Herstellung eines Serums wird nicht konsequent hintertrieben, und last but not least werden auch nicht die Grundrechte der Menschen beschnitten, auch wenn dies neo-liberale Kritiker und von YouTube-Hobbyvirologen verführte Menschen gebetsmühlenartig behaupten. Auch
deutsche Großstädte werden nicht in Schutt und Asche gelegt und die Bundeswehr hat keinesfalls alle Polizeiaufgaben übernemmen. Suchsland hat also entweder den falschen Film gesehen oder einen Heidenspaß an einer neuen Spielart der Ironie gefunden, die ich selbst noch gar nicht kenne. Immerhin entdeckt er die „hanebüchene Geschichte“, die uns Kim Sung-su nun mit siebenjähriger Verspätung auf DVD und Bluray erzählen kann.
Manchmal ist Trash aber nicht die schlechteste Lösung, weil man hinter der grellen Überspitzung die eigentlichen Probleme erkennen kann, die uns im Moment viel Kopfzerbrechen bereiten: die zweite Welle, die man am liebsten anders nennen würde, die völlig Verblödeten, die feiern, als ob es kein Morgen gäbe, die von pandemischen Zahlen getriebenen Politiker, die uns erzählen, dass diese Zahlen nichts zu sagen haben und es keinen neuen Lockdown geben wird, die Paranoia der Leugner mit ihren Verschwörungstheorien, aber auch die apokalyptischen Warnungen einiger Virologen.
Recht wird post mortem nur derjenige erhalten, dessen düstere Prognosen gestimmt haben. Vielleicht wird es auch Jens Spahn sein, der sich nicht geirrt hat. So oder so: wir wissen nicht, was noch passieren kann. Am schlimmsten wäre es, wenn sich zeigt, dass Kim Sung-su in einer Dekade nicht als Trashfilmer, sondern als großer Realist gefeiert wird, als Balzac der globalen Pandemie. Dann leben wir alle selbst im Trash.


Note: BigDoc = 4 

Pandemie (Flu) - Südkorea 2013 – Laufzeit: 121 Minuten – Regie: Kim Sung-su – D.: Soo Ae, Jang Hyuk, Park Min-ha, Kim Ki-hyeon u.a.


Kritiken: 

„Pandemie“: Faszination Katastrophenfilm (von Rüdiger Suchsland)