Montag, 5. Oktober 2020

The Walking Dead: World Beyond

Noch ein Spin-off. Während die Mutterserie nach der nächsten Staffel beendet wird, sollen weitere Ableger auch in Zukunft dafür sorgen, dass die Untoten im TWD-Serienkosmos ihr Unwesen treiben können. Fans und erst recht Aussteiger fragen sich, ob das sein muss. 

Die Antwort ist einfach.


Es geht um die Wirtschaft, Dummkopf

Sie lautet: „It’s the economy, stupid!”
Erfunden hatte den Slogan das Wahlkampfteam von Bill Clinton. Aufmerksamkeit wird gefordert, und zwar für den Faktor, der die größte Bedeutung besitzt oder das größte Problem darstellt. Angeblich soll Clinton 1992 dank dieses Slogans die Wahl gewonnen haben.
Seither ist „Es geht um die Wirtschaft, Dummkopf“ endlos variiert worden. Und auch AMC dürfte sich diese Erkenntnis eingeprägt haben, denn „The Walking Dead“ war ein Jahrzehnt lang der Dukatenesel für das Network. Anders formuliert: AMC machte richtig viel Geld mit den wandelnden Toten, wohl mehr als mit
„Breaking Bad“, „Mad Men“ und „Better Call Saul“. Und wenn schon mit dem Ende der Mutterserie das Rückgrat des TWD-Franchise gebrochen wird, so bedeutet dies nicht, dass man die Geschäftsidee vollständig aufgibt. Es gibt schließlich Video Games, Webisodes, Brett- und Kartenspiele und vieles andere mehr. Und überhaupt: Geldverdienen ist schließlich keine Schande.

Nun also „World Beyond“. AMC hat mit dem Start des Spin-offs gleich die Karten auf den Tisch gelegt: in zwei Staffeln mit insgesamt 20 Episoden soll die neue Geschichte erzählt werden. Weiterhin steht ein Daryl und Carol-Spin-off für 2023 auf dem Programm und irgendwann gibt es nach Corona wohl auch die angekündigten Rick Grimes-Kinofilme. AMC hat schließlich ehrgeizige Umsatzziele, expandiert im Medienmarkt, kauft sich ein, zieht Joint Ventures auf oder steckt sich gleich ganze Unternehmen in die Tasche: „It’s the economy, stupid!”

Das Clinton-Team hatte aber noch einen weiteren Spruch auf Lager: „Change vs. more of the same.“ Bei Clinton war Wandel angesagt. Bei AMC werden sich die Macher gefragt haben, ob dies wirklich die richtige Idee ist.

Um es vorwegzunehmen: „World Beyond“ will beide Fliegen mit einer Klatsche erledigen. Für die Auftaktepisode hat man sich einige grafische Gimmicks ausgedacht, mit denen die Alpträume der jungen Iris Benett (Alyah Royale) mit einer Strichmännchen-Ästhetik skizziert werden. Das ist originell. Ansonsten klimpert das Klavier immer dann, wenn es traurig wird oder Bedeutsames gesagt wird. Und das ist mehr vom Gleichen. In die Kunstfilmbranche ist AMC also nicht übergelaufen. „It’s more of the same, stupid!“


Wie erzählt man zielgruppengerecht eine politisch korrekte Serie?

More of the same: Das muss ja nicht schlecht sein. Wie gesagt: Geld zu verdienen ist keine Schande, wenn das Produkt gut ist. Und die Auftaktepisode des TWD-Spin-offs ist immerhin solide bis vielversprechend. 

Erzählt wird die Geschichte einer Gruppe von Kids, die
10 Jahre nach dem Ausbruch der Zombie-Apokalypse in einer offenbar sehr sicheren Stadt in Nebraska leben. Iris und ihre Schwester Hope (Alexa Mansour) sind ein gemischtfarbiges Geschwisterpaar, das unterschiedlicher nicht sein kann. Iris ist eine rational-moralische Figur, Schulsprecherin, ehrlich, pflichtbewusst, Hope der anarchische Gegenpol, der schon mal kistenweise verbotenen Alkohol produziert und sich auch sonst ungern an Regeln hält. Das Quartett abrunden werden Elton Ortiz (gespielt vom 17-jährien Nicholas Kantu) und der eher schwerfällige Silas Plaskett (gespielt vom 21-jährigen Hal Cumpston, der im richtigen Leben nicht nur Schauspieler, sondern auch Filmproduzent ist). Die Vier werden am Ende von „Brave“, der ersten Episode, aufbrechen, um Iris und Hopes Vater Dr. Leo Benett (Joe Holt) zu suchen.
Der scheint in Schwierigkeiten zu stecken, zumindest deutet er dies mit geheimnisvollen Fax-Nachrichten an, die er seinen Töchtern schickt. Benett arbeitet nämlich im Forschungszentrum des Civic Republic Military (CRM). Offenbar befindet es sich in New York, aber die CRM ist auch Teil eines Bündnisses namens „Drei Ringe“, zu der neben der Campus-Colony mit einigen Tausend Überlebenden auch eine unbekannte Community in Portland gehört. 
Hartgesottene Fans kennen das Logo des CRM, seit Rick Grimes mit einem ihrer Hubschrauber entführt wurde.
In Episode 1 bekommt die mysteriöse Organisation nun ein Gesicht: es ist Lieutenant Colonel Elisabeth Kublek (die mehrfach preisgekrönte Julia Ormond ist bekannt aus Steven Soderbeghs „Traffic – Macht des Kartells“, „Legenden der Leidenschaft“ und „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“). 
Doch Elisabeth Kubleks Auftreten in der Campus-Colony anlässlich der Feier des „Monument Day“ kann das Misstrauen der beiden Geschwister nicht zerstreuen, obwohl sie sich bei den beiden Mädchen anzubiedern versucht. Am Ende werden die vier Kids aufbrechen, um ihren Vater aus den Fängen des CRM zu befreien, darunter zwei Grünschnäbel, von denen Elton zumindest Karate kann. Iris wird am Ende ihren ersten Zombie töten, aber die Vier bekommen nicht mehr mit, warum Elisabeth Kublek im Cliffhanger durch ein Meer aus Leichen watet. Sind es nur Untote oder hat das CRM die Campus-Colony ausgelöscht?


„World Beyond“ erzählt zunächst eine fast zombiefreie Geschichte. Zwar gibt es nach zweieinhalb Minuten beinah pflichtschuldig die Attacke eines Walkers auf die unvorsichtige Hope. Aber tatsächlich hat „Brave“ – abgesehen von einigen Rückblenden – eine zombiefreie Zone etabliert, die noch größer und noch sicherer zu sein scheint als Alexandria in seinen besten Tagen. Die Campus-Colony scheint der Start einer neuen Zivilisation zu sein, wie sie sich Rick Grimes & Co. in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen konnten.
Ansonsten will „World Beyond“ offenbar als politisch korrekte Coming-of-Age-Geschichte eine neue Zielgruppe adressieren, die sich sonst Teenager-Dystopien anschaut. Trendgerecht spielen zwei junge Frauen die weiblichen Hauptrollen, die vermeintliche Antagonistin Elisabeth Kublek ist eine Frau. Auch die toughe Huck (Annet Mahendru) gehört zu den starken Frauen der Serie. Damit liegt die neue AMC-Serie voll im Power Women-Trend. Das zeugt nicht von Mut und Aufbruchsstimmung, aber vom kalkulierten Bedürfnis, eine politisch korrekte Geschichte zu erzählen.
Völlig daneben lag allerdings ein Kritiker, der den Serienmachern vorwarf, dass alle Männer in „World Beyond“ kaum mehr als deppert zu nennen sind. Das gilt vielleicht für den wortkargen Silas, aber nicht für den eher intellektuell skizzierten Elton, der zudem auch Karate kann. Behauptet er jedenfalls. Auch Felix (Nico Tortorella), der Vormund von Iris und Hope, ist alles andere als ein Depp. Zusammen mit Huck wird er sich auf die Fährte der Kids begeben, was den Machern natürlich das obligatorische Cross Cuttung erlaubt.

Also eine interessante Figurenkonstellation. Die weitere Entwicklung der Story wird zeigen, ob sie halten kann, was sie verspricht. Skepsis ist angebracht, denn die Serie setzt zwar auf neue Stilmittel, etwa auf die Off-Monologe von Iris, die die Geschichte etwas zu altklug und pathetisch kommentiert. Aber die Dialoge der von Scott M. Gimple und Matthew Negrete geschriebenen Auftaktepisode sind leider zu oft trivial und humorbefreit, dafür aber voller klischeehafter Kalendersprüche.
Awkwardly", also unbeholfen, beschrieb es der Kritiker Adam Starkey. Das ist ärgerlich und noch schlimmer: es ist mutlos.
Während Hope vom baldigen Ende der Menschheit überzeugt ist, wird ihre Schwester zum optimistischen und zivilcouragierten Gegenpol aufgebaut. Das wirkt konstruiert. Charismatische Figuren wie in der Mutterserie können aber nur dann entstehen, wenn sie sich auf unerwartete Weise entwickeln. Das wird wahrscheinlich noch geschehen, aber zunächst wirkt „World Beyond“ wie ein moralisch aufgeladenes Erziehungsprogramm für brave und für problematische Kids - die Zielgruppe soll geeignete Figuren mit Identifikationspotential geboten bekommen. Aber die sind zunächst nur Typen, keine Charaktere.
Unterm Strich ist dies keineswegs so langweilig wie es sich anhört, denn die Figuren haben Potential – immerhin sind es Nachgeborene, die in einer neuen Welt aufwachsen, ohne die alte zu kennen. Und diese Welt war eine Welt hinter Mauern. Kein Wunder, dass der junge Elton sich den Mädchen anschließt, weil er wissen will, wie die Welt „da draußen“ aussieht.

Auch sonst wird mit mit gedrosselter Risikobereitschaft erzählt. Mit ihrer Story setzten Gimple und Negrete sicherheitsorientiert auf sattsam bekannte Elemente der Postapokalypse. In „Brave“ ist es das Motiv der Traumatisierung, unter der bereits Carol (Melissa McBride) in der Mutterserie zu leiden hat. So erfährt der Zuschauer, dass die beiden Schwestern eine tragische Familiengeschichte verarbeiten müssen. Die Mutter von Iris und Hope wurde vor vielen Jahren von einer schwangeren und ziemlich verzweifelten Frau erschossen, die sich mitten in einer chaotischen Zombie-Attacke das Auto der Bennetts aneignen wollte. Die etwa zehnjährige Hope erschießt daraufhin die Mörderin mit ihrer eigenen Waffe. Eine traumatisierende Erfahrung. 
Iris wird dagegen von Alpträumen gemartert, die auch mit dem Tod der Mutter zu tun haben. Immerhin hört ihr in der Campus-Colony eine (allerdings sterbenskranke) Therapeutin zu (die pathetischen Appelle der Therapeutin machen dramaturgisch daraus die schwächste Szene in "Brave"). Als sie sich nach ihrem Tod natürlich verwandelt, verschwindet der letzte Rückhalt für Hope. Das nächste Kapitel in ihrem Leben kann daher nur heißen: Auf der Suche nach dem verlorenen Vater.


„Auf der Suche nach meiner eigenen Wahrheit“

Dieses Credo von Iris dürfte auch für die gesamte Serie gelten. Interessante Ansätze und Floskelhaftes wechseln sich ab. Interessante Figuren müssen mit schlechten Dialogen kämpfen. Die Serie wird aber mehr bieten müssen, um ihre eigene Wahrheit zu entdecken und dabei auch dauerhaft die Zuschauer zu binden. Das kann klappen, denn immerhin haben die Showrunner Scott M. Gimple, der die Mutterserie nach dem Quotensturz nicht mehr betrauen durfte, und Matthew Negrete genügend Erfahrung, zumal auch mit Robert Kirkman und Gale Anne Hurd sowohl erfolgsverwöhnte als auch leidgeprüfte TWD-Macher mit an Bord sind. Aber wenn es eine Grundstimmung gibt, die von der ersten Folge erzeugt wird, dann ist es das erkennbare Bemühen, nichts falsch zu machen und Neues vorsichtig auszuprobieren.

Insgesamt ist der Auftakt von „World Beyond“ interessant genug, um jene Zuschauer anzusprechen, die sich dem Sujet immer noch verbunden fühlen. Die Kritiker sind es offenbar nicht mehr. Bei Rotten Tomatoes erzielte „Brave“ einen Score von 36%, bei Metacritic wurde lediglich ein Score von 48 aus 100 erzielt. Das ist für eine Light-Version der Mutterserie etwas zu wenig, aber bilanziert wird am Ende.
Der Verfasser dieser Rezension schwankte hin und her zwischen Langeweile und zunehmender Neugier. Besonders hat er sich über die Bildqualität geärgert: alles ist in HiDefinition produziert worden. Anders formuliert: die Bilder sind messerscharf, es gibt kräftige Farben und gesunde Schwarzwerte. Kein Grieseln. Man kann sogar Dinge in großer Entfernung deutlich erkennen! Ironie Ende.
Für die Schmuddellook-Fraktion, die jahrelang mit zäher Verbissenheit die miserablen Blurays verteidigte, mit denen der deutsche Markt penetriert wurde, dürfte dies ein Schock sein. Aber ihnen muss ihr eigenes Argument unter die Nase gerieben werden: Das ist so gewollt! So werden Ideologien durch simple Fakten beseitigt. 


Note: BigDoc = 3


The Walking Dead: World Beyond – AMC Networks 2020 – Showrunner: Scott M. Gimple und Matthew Negrete – 10 Episoden – R.: Magnus Martens – Buch: Scott M. Gimple und Matthew Negrete („Brave“) – D.: Aliyah Royale, Alexa Mansour, Hal Cumpston, Nicolas Cantu, Nico Tortorella, Annet Mahendru, Julia Ormond