Mittwoch, 19. Juli 2017

Live by Night

Finanziell war Ben Afflecks vierte Regiearbeit nach „Gone Baby Gone“, „The Town“ und „Argo“ ein totales Desaster. Der Film spielte nur knapp ein Drittel der Produktionskosten ein, die Kritik zerfetzte ihn – auch in Deutschland. Das Bashing hat Affleck nicht verdient: „Live by Night“ ist eine stimmige Gangster-Ballade über einen Mann, der immer weiß, was er tut, aber erst am Ende begreift, was er will.

Vater-Sohn-Beziehungen interessieren Dennis Lehane besonders. In Ben Afflecks Verfilmung des zweiten Teils von Dennis Lehanes Coughlin-Trilogie ist der stellvertretende Bostoner Polizeichef Thomas Coughlin (Brendan Gleeson) nicht nur das mahnende Gewissen seines Sohns Joe, sondern auch ein kühler Beobachter seines Lebens. Denn Joe (Ben Affleck) gehört zu jenen, die in der Nacht leben und am Tag schlafen. Eine bildhafte Beschreibung für jene, die ihre eigenen Gesetze schaffen und die Mittel besitzen, sie durchzusetzen. Und das passt ganz und gar nicht zum Kodex der Coughlin-Familie.




Joe will aber kein Gangster sein. Jedenfalls will er so nicht genannt werden. Zusammen mit den Bartolo-Brüdern lebt er von Banküberfällen. Bei seinem letzten Coup räumt er mit seiner Bande eine Handvoll pokernder Mobster ab. Die arbeiten allerdings für den berüchtigten irischen Boss Albert White (Robert Glenister). Das gilt auch für die rhetorisch schlagfertige Emma Gould (Sienna Miller), die den Ganoven den Whiskey serviert. Joe stopft ihr erst eine Socke in den Mund, dann verliebt er sich in das Mädchen. Sein Pech, denn Emma ist die Geliebte Albert Whites.
Also Emma und Joe einige Wochen später in einem Nachtklub dinieren, setzt sich Thomas Coughlin zu den beiden und rechnet kalt und höflich mit Emma ab: sie habe Umgang mit Kriminellen und sei nichts für seinen Sohn. Die irischen Coughlins, die sich nicht mehr Cocklin nennen lassen wollen, haben als Polizisten den Sprung ins Establishment geschafft, die Goulds gehören zur Bostoner Ganoven-Unterschicht. Die Klassenschranken im Boston des Jahres 1926 sind gezogen.

Aber Joe ignoriert dies. Der nächste Coup soll der letzte sein, danach will er sich mit Emma an die sonnige Westküste absetzen. Es kommt anders. Der Überfall wird zum Desaster, drei Polizisten kommen ums Leben und Emma, die ihre eigenen Interessen hat, verrät Joe an ihren Geliebten Albert White. Thomas rettet zwar das Leben seines Sohns vor Whites Killern und arrangiert eine kurze Gefängnisstrafe, aber seine eigene Karriere ist ruiniert. Joe verschwindet im Gefängnis von Charlestown hinter hohen Mauern und trauert seiner Geliebten nach, die offenbar nach einem Autounfall ertrunken ist.


Neo-Noir-Drama mit psychologischen Leerstellen

Sexuelle Abhängigkeit, eine Femme Fatale, die nach ihrem Verrat dezent Tränen vergießt, Gangster in weißen Anzügen und brutale Bandenkriege in den Straßen. Mit seinem atmosphärisch dichten Film „Live by Night“ führt Ben Affleck als Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller den Zuschauer nicht nur zurück in die Welt der Prohibitionszeit, sondern rekonstruiert auch mit leichter Hand die legendären Gangsterfilme aus den 1930ern, diskret versetzt mit einem Schuss Neo-Noir.

„Live by Night“ führt auch tief in die Welt des amerikanischen Schriftstellers Dennis Lehane, dessen Romane erfolgreiche Steilvorlagen für Michaël R. Roskams „The Drop“ (2014), Martin Scorseses „Shutter Island“ (2010) und Clint Eastwoods „Mystic River“ (2003) waren. Dennis Dehane erzählt in seinen Romanen immer wieder über Boston und dessen Geschichte. „The Given Day“, der erste Teil der Coughlin-Trilogie, beschreibt den Streik der unterbezahlten Cops im Jahre 1919 und rekonstruiert ein vergessenes Kapitel der amerikanischen Gewerkschaftsgeschichte – auch am Beispiel der irischen Polizistenfamilie Coughlin.

Ben Affleck, der selbst eine zeitlang in Boston gelebt und mit „Gone Baby Gone“ bereits einen Roman von Dennis Lehane verfilmt hat, entschied sich aber gegen den ersten Teil der komplexen Trilogie und deutet in „Live by Night“ die Vorgeschichte der Coughlins nur diskret an. Glücklicherweise entfernt sich Affleck mit seinem Drehbuch dabei nur unwesentlich von der Vorlage, lässt aber im Gegensatz zu Lehanes Roman seine Hauptfigur die Geschichte im Off kommentieren. Dies funktioniert gut und erinnert ein wenig an einige Romane Raymond Chandlers „The Big Sleep“, in denen die Hauptfiguren ebenfalls als lakonischer Ich-Erzähler auftreten, ohne sich psychologisch allzu tief in die Karten blicken zu lassen. 
In den alten Noir-Krimis waren Taten wichtiger als Reflexionen über Gut und Böse.
Auch Ben Afflecks Joe hinterlässt trotz Voice-Over gewaltige Leerstellen. Man weiß nicht so recht, was ihn im Innersten antreibt. Das ist dem Film angelastet worden.
Den Zuschauer lässt Joe als Erzähler einer eigenen Geschichte zwar wissen, dass er nach seinen Erfahrungen in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs ein gewaltiges Autoritätsproblem hat und nach seiner Rückkehr erst rechzt nicht bereit ist, den Bostoner Mafiabossen den Ring zu küssen. Aber Joes Innenleben und seine Kommentare bleiben immer unterkühlt und distanziert. Auf psychologische Deutungen und moralische Kommentare wartet man vergeblich.

Afflecks Spiel erinnert dabei nicht nur äußerlich an den eleganten Paul Muni in Howard Hawkes „Scarface“ (1932). Der wollte genauso wenig ein Star sein wie Joe Coughlin ein Gangster. Auch in „Live by Night“ sitzen die Anzüge korrekt und gelegentlich trägt Joe einen Panama-Hut wie Muni in
„Scarface“, aber Afflecks Version des Gangsters, der keiner sein will, unterscheidet sich durch seine Bildung und Intellektualität von der berühmten und Al Capone nachempfundenen Gangster-Ikone (in Lehanes Roman liest Joe Coughlin übrigens die gesamte Gefängnisbibliothek in Charlestown durch, inklusive Macchiavelli). So entsteht eine Figur, die strategisch bereits den übernächsten Zug kennt, auch vor Mord und Intrigen nicht zurückschreckt, dabei aber seltsam unbeteiligt wirkt. So, als hätte Joe Coughlin etwas verloren, was jegliche Angst vor der Gewalt oder dem eigenen Tod ein für alle Mal aus dem eigenen Leben verschwinden lässt. Doch es wird klar, dass er ein Ziel hat: er will sich an Albert White für Emmas Tod rächen.

Auch der Tod seines Vaters ändert nichts am Lebensstil des eleganten Ganoven. Stattdessen tritt ein andere Figur in sein Leben, die alles andere als ein Vatersersatz ist: der Mafiaboss Maso Pescatore (Remo Girone), dem sich Joe widerwillig anschließt, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Joe wird zusammen mit seinem Buddy Dion Bartolo (Chris Messina) von Pescatore nach Ybor City in der Nähe von Tampa, Florida, geschickt, um das Rum-Imperium des Mobsters auf Vordermann zu bringen. Joe arrangiert die Geschäfte Pescatores neu, unterwirft sich den Drogenhandel und das Glücksspiel und vertreibt seinen Erzrivalen Albert White, der Boston verlassen musste, nun auch aus Tampa.
Im Laufe der Jahre verdient er Millionen für Pescatores Mob.
 In Ybor City lernt Joe auch Graciela Corrales (Zoe Saldana) kennen, die Schwester eines regionalen kubanischen Gangsters. Joe heiratet die Kubanerin. Mit eigenem Verhandlungsgeschick und dem skrupellosen Killer Dion Bartolo an seiner Seite arrangiert sich Joe geschickt mit dem lokalen Polizeichef Irving Figgins. Das beinahe freundschaftliche Verhältnis zu Figgins (Chris Cooper) zerbricht, als Joe Coughlin sich mit dem Ku Klux Klan und Figgins rassistischem Schwager R.D. Pruitt anlegt. Joe zeigt Figgins Fotos seiner Tochter Loretta (Elle Fanning), die von einer Karriere in Hollywood träumte, aber als heroinabhängige Prostituierte endete. Joe hat Loretta in ein Sanatorium gebracht und kündigt Figgins freundlich die baldige Familienzusammenführung, nötigt den Cop damit aber zum Verrat an seinem Verwandten. Joe räumt mit dem Klan auf und eliminiert fast die gesamte Führungsspitze der Rassisten in Florida. 
Auf dem Zenit seiner Macht ahnt Joe dann als einer der wenigen das bevorstehende Ende der Prohibition. Er beschließt, das Geld Pescatores und einiger Investoren in ein Spielcasino zu investieren. Doch zum ersten Mal scheitert der kühle Stratege, denn Loretta Figgins kehrt nach Ybor City zurück und beginnt als evangelikale Heilsbringerin einen erfolgreichen Feldzug gegen Alkohol und Drogen. Das Casinoprojekt scheitert und Joe Goughlin muss sich kurz danach nicht nur mit Maso Pescatore auseinandersetzen, sondern auch mit seinem alten Rivalen Albert White. Als er dann auf einem Foto die vermeintlich tote Emma Gould entdeckt, eskalieren die Ereignisse.

Gelungene Adaption mit grandiosen Bildern und exzellentem Cast

Ben Afflecks Adaption von Dennis Lehanes „Live by Night“ ist ein durchweg sehenswerten Prohibitionsdrama geworden. Dass liegt auch an der historisch recht authentischen literarischen Vorlage. Dennis Lehane arbeitete als Berater und Autor auch für die TV-Serie „Boardwalk Empire“ und kennt sich mit den Goldenen Jahren des illegalen Alkoholhandels aus. Affleck zeichnet diese Ära mitsamt seiner mythischen Gangster und Mobster mit eindrucksvollen Settings nach. Auch dank der grandiosen Bilder von Robert Richardson. Der 62-jährige Kameramann („Wall Street“, „JFK“ (Oscar), „Kill Bill: Vol. 1 &2“, „Aviator“ (Oscar), „Hugo“ (Oscar) „Inglourious Basterds“, „Shutter Island“, „Django Unchained“, „The Hateful Eight“) gehört zu den Besten seiner Zunft und sorgt auch in „Live by Night“ für die klassische Souveränität in der Kadrierung der Dialoge, die elegant gefilmten Ballsälen der Bostoner Obersicht und die lakonisch fotografierten blutigen Gangsterkriege in den Straßen der Stadt. Richardsons Kamera fängt auch die lichtdurchfluteten Schauplätze des Südstaaten-Dramas im zweiten Teil des Films grandios ein. „Live by Night“ verdankt Richardsons Arbeit zweifellos seine atmosphärische und ästhetische Kohärenz.

Das eigentliche Kunststück bestand in der Adaptierung des fast 600 Seiten umfassenden Romans von Dennis Lehane. Ben Affleck hat in seinem Script auf die sehr lange Geschichte Joe Goughlins im Charlestown-Gefängnis verzichtet, die im Roman das Verhältnis Joes zu dem Mafiapaten Maso Pescatore allerdings deutlich differenzierter beschreibt. „Live by Night“ verdichtet einige Episoden, rafft sie in kurzen, aber präzisen Szenen, aber trotz dieser Einschnitte funktioniert Afflecks Kinonarrativ über weite Strecken genauso überzeugend wie Lehanes Roman.

Das liegt auch an den Darstellern. Brendan Gleeson füllt seine kurzen Auftritte in Afflecks Film mit wuchtiger Präsenz. Chris Cooper überzeugt als unbestechlicher Cop, der seelisch an der höflichen, aber eisigen Kälte Joe Coughlins zerbricht. Herausragend ist Elle Fanning als Loretta Figgins zwischen fanatischem christlichen Fundamentalismus und kindlichem Charme. Und Ben Affleck spielt mit reduzierter, knapp dosierter Mimik einen Mann, der weder sich noch den Zuschauern im Voice-over erklären kann, warum aus einem selbsternannten Outlaw mit reichlich naiven Freiheitsträumen ein Mafia-Handlanger wird, dessen Brutalität sorgfältig von ausgesucht höflichen und kultivierten Umgangsformen zugedeckt wird.
Das ist aber keine Schwachstelle des Films. Es hat vielmehr Methode.


Für die Kritiker ein Desaster

„Live by Night“ ist trotzdem von der Kritik zerrissen worden. Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. „Plump und überambitioniert“ sei der Film. Ben Affleck habe zu viel gewollt, aber nichts geliefert. Schon gar nicht einen epischen Gangsterfilm nach dem Vorbild Francis Ford Coppolas oder Sergio Leones. Und schließlich sei „Live by Night“ auch an seinem Hauptdarsteller gescheitert, der nicht imstande war, die moralische Zerrissenheit seiner Figur spürbar zu machen.

Harter Tobak. Überhaupt erstaunt, dass man so gut wie keine Kritik findet, die an Afflecks vierter Regiearbeit überhaupt ein gutes Haar lässt. Abgesehen vom tollen Set-Design, der illustren Kameraarbeit und dem guten Darstellerensemble. Dass der Schauspieler Ben Affleck nicht von jedermann geschätzt wird, ist nicht neu. Erst recht nicht nach seinem Auftritt in „Batman v Superman: Dawn of Justice“. Aber dass Affleck Drehbücher schreiben kann, ist nicht erst seit „Good Will Hunting“ bekannt.

Ben Affleck hat bislang polarisiert. Neben Oscars für „Good Will Hunting“ und „Argo“ regnete es auch „Goldene Himbeeren“, zuletzt für „Batman v Superman“ – eine ‚Ehrung’, die auch Henry Cavill wegstecken musste.
Nun ist nicht jedes Kritiker-Bashing substanzlos, auch wenn es im vorliegenden Fall epidemische Züge besitzt. Und tatsächlich ist Ben Afflecks Rolleninterpretation in „Live by Night“ alles andere als psychologisch motiviert und sicher nicht frei von Manierismen. Nur macht dies die Figur nicht flach, sondern eher spannend. Haben die Kritiker übersehen, dass der Film von Beginn an seine Hauptfigur zwar als desillusionierten, orientierungslosen Mann beschreibt, an weiteren Introspektionen aber nicht interessiert war. Das gilt auch für Joes naive Liebe zu einer Femme Fatale, die sich zu einer schwer zu erklärenden, geradezu masochistischen sexuellen Obsession entpuppt. Reflexiv ist dieser Joe Goughlin also nicht. Er grenzt sich von den Aufstiegsträumen seiner irischen Familie mit Migrationshintergrund genauso ab wie von den seriösen Lebensentwürfen seines Bruders Aiden, der erst als Stuntman und dann als Drehbuchautor in Hollywood reüssiert. Das ‚Leben in der Nacht’ ist vielmehr ein zielloser Gegenentwurf, den Afflecks Figur auch dann nicht reflektieren kann und will, als er zum eiskalten Gangster mutiert, der er nicht sein wollte. Vielmehr sitzt er immer zwischen den Stühlen.

So gesehen ist auch die Implementierung eines Voice-Over-Kommentars ein cleverer Schachzug  gewesen, denn je mehr Joe erzählt und dabei Brücken zwischen den oft durch mehrere Jahren getrennten Episoden herstellt, desto mehr verliert er sich. Beinahe gleichgültig kommentiert Joe Actionszenen, die nach weniger Sekunden vorbei sind, so als seien sie biografische Randnotizen. Die wichtigen Dinge finden woanders statt.
Sichtbar wird dies  in Afflecks penibler Inszenierung einiger Schlüsselszenen. Etwa, wenn Joe sich mit der jungen Loretta in einem Restaurant trifft und beinahe überwältigt wird von dem Charme des kindlichen Mädchens, das ihm beiläufig gesteht, dass es eigentlich nicht weiß, ob es Gott gibt, aber falls doch, sie sich einen gütigen Gott wünsche. Sie lacht kokett und Affleck verbirgt seine Reaktion darauf wie so oft in dem Film hinter ausgesucht distanzierter Freundlichkeit. Der versprochene Himmel warte nicht im Jenseits, sondern sei bereits im Hier und Jetzt präsent, erklärt ihm Loretta. Nur haben es die Menschen halt vermasselt.
Affleck überlässt diese Szene ganz der phantastischen Elle Fanning. Seine eigene Figur verschwindet sprachlos aus der Szene, im Gegensatz zu der entwaffnenden Fähigkeit einer jungen Frau, ganz unverblümt in ihr Innerstes blicken zu lassen. Kurz danach erfährt Joe von Lion Bartolo, dass sich Loretta die Kehle durchgeschnitten hat.
Erst viel später erfährt man, welchen Wert diese Begegnung für
Joe Coughlin gehabt hat. Wie viele klassischen Noir-Figuren verbirgt Joe seine Gedanken hinter seinen Handlungen und wenn er am Ende beinahe alles verloren hat, scheint ihm die Erkenntnis zu dämmern, dass er trotz seiner abgebrühten Cleverness immer ein Getriebener war, dessen Verdienst es nicht war, am Ende die richtige Frau kennengelernt zu haben. 

Tatsächlich ist Joe Coughlin ein Mann der Zwischenräume, ein planvoll agierender Unentschlossener, ein Outlaw in einer Zeit, die Qutlaws keinen Platz einräumt. Ben Affleck findet für diese Figur am Ende die passenden Bilder. Sie wirken stärker nach als das hart am Kitsch vorbeischrammende Ende in Dennis Lehanes Roman.
In „World Gone By“, dem letzten Roman der Coughlin-Trilogie, wird Joe Consigliere einer Mafia-Familie sein – das Bindeglied zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und dem organsierten Verbrechen. Anerkannt und respektiert, aber wieder sitzt er zwischen allen Stühlen. Das passt zu ihm. 


Live by Night - USA 2016 - Buch, Regie: Ben Affleck - Nach dem gleichnamigen Roman von Dennis Lehane - Produktion: Leonardo DiCaprio u.a. - Kamera: Robert Richardson - Laufzeit: 128 Minuten - FSK: ab 16 Jahren - D.: Ben Affleck, Elle Fanning, Brendan Gleeson, Chris Cooper, Zoe Saldana, Chris Messina

Noten: BigDoc, Melonie = 1,5


Kritiken

Vieles in Afflecks vierter Regiearbeit wirkt episodisch, flüchtig und ruft allenfalls Schulterzucken hervor, statt den Zuschauer zu fesseln und mitzureißen. Braucht es Erklärungen für einzelne Entwicklungen, ertönt die Stimme des Protagonisten aus dem Off, was dem Geschehen häufig die Dringlichkeit raubt (C. Diekhaus: artechock).

...die narzisstische Nachsicht des Regisseurs mit seinem Protagonisten lässt anderen Akteuren wenig Spielraum. Nichts, was Joe zustößt oder er selbst zu verantworten hat, spiegelt sich in Afflecks Gesicht wider. Allein im ersten Absatz des Romans, einem Kabinettstück lakonischer Ökonomie, erahnt man mehr über ihn, als in 128 Filmminuten zu erfahren ist. (...) Die Verwerfungen des amerikanischen Traums zerrinnen Regisseur und Hauptdarsteller zwischen den Händen
(Gerhard Midding: epd film).

Das große Problem von „Live by Night“ ist allerdings, dass Regisseur Ben Affleck zu großes Vertrauen in den Schauspieler Ben Affleck setzt. Ein episches Gangster-Sittengemälde, das nicht in der gleichen Liga, aber zumindest in derselben Disziplin wie „Der Pate“ mitspielen will, braucht einen charismatischeren Hauptdarsteller, als es Ben Affleck je sein wird... (Martin Schwickert: Augsburger Allgemeine).

„Live By Night“ schwankt durchweg zwischen den Extremen. Bisweilen meisterhaft, immer wieder aber auch ganz schwach. Dies liegt unter anderem daran, dass Affleck die erstklassige Vorlage erkennbar verehrt, deshalb aber womöglich zu viel Respekt vor ihr hatte. (...) Als Mini-Serie hätte „Live By Night“ das Zeug zum Meisterwerk gehabt, als Kinofilm ist Ben Afflecks Gangster-Action-Drama letztlich nur mittelmäßig (Björn Becher: Filmstarts).

Das in der Prohibitionszeit spielende Nachtleben scheitert kläglich an seinen Ansprüchen, der Oscar-Gewinner («Argo», 2012) hat sich mit Drehbuch, Regie und Hauptrolle schwer übernommen. Bis zum verkitschten Ende, Sonnenauf- oder -untergang inklusive, dauert es zwei geschlagene Stunden (Jürg Zbinden: Neue Zürcher Zeitung)