Freitag, 7. Juli 2017

„Split“ - M. Night Shyamalans neuer Film übertrifft alle Erwartungen

„Split“ hielt drei Wochen lang an der Spitze der US-Charts – das war M. Night Shyamalan zuletzt vor 18 Jahren mit „The Sixth Sense“ gelungen. Der in Indien geborene US-amerikanische Regisseur und Erfinder genuiner Plot Twists hat mit dem Psychothriller um eine Person mit 23+1 Identitäten offenbar einen Volltreffer gelandet. „Split“ hat das 30-fache seiner Kosten eingespielt. Erschwerend kommt hinzu, dass „Split“ auch ein sehr guter Film geworden ist. Und am Ende taucht sogar Bruce Willis auf.
 

Der Plot von „The Split“ ist denkbar einfach. Die drei Teenies Claire, Marcia und Casey werden von einem Fremden entführt und in die unterirdischen Katakomben eines unbekannten Gebäudes verschleppt. Verstörend für die Drei ist allerdings der Umstand, dass sich ihr Entführer ständig umzieht und offenbar verschiedene Rollen spielt. Mal heißt er Dennis, dann taucht er als Patricia in Stöckelschuhen bei den Kids auf. Restlos verzweifeln lässt die Mädchen dann aber der neunjährige Junge Hedwig, der richtig nett ist und gerne tanzt.
 Gespielt werden alle Rollen von James McAvoy. 


Darstellerische Glanzleistung

Dies geschieht wirklich aufsehenerregend, eine darstellerische Glanzleistung ohne bekanntes Vorbild, sieht man einmal vom literarischen und oft verfilmten Vorbild des Dr. Jekyll & Mr. Hyde ab, und natürlich von Klassikern wie „Psycho“, „Fight Club“ und Serien wie „Mr. Robot“ und der herrlich überdrehten Bilderorgie in „Legion“. Der in Schottland geborene James McAvoy sollte eigentlich nicht weniger als den OSCAR für seine Performance bekommen. Das wird wohl nicht geschehen, denn die Academy wüsste wohl nicht, für welche Rolle und für welche Figur die Auszeichnung am besten passen würde. 
Hätten die drei Mädchen, von denen zwei zu Tode erschreckt sind und eine seltsam angepasst auf die Situation reagiert, in ihrer Freizeit etwas häufiger ein gutes Buch gelesen oder einen der genannten Filme gesehen, dann wüssten sie, wer ihnen gegenübersteht. Dennis, Patricia, Hedwig, Barry, Orwell, Jade und all die anderen sind Viele in Einem und die Person mit dem bürgerlichen Namen Kevin Wendell Crumb und den vielen anderen Namen leidet an einer multiplen Persönlichkeitsstörung.

M. Night Shyamalan hätte aus dem Stoff einen Genrefilm mit heftigen Gore-Anteilen drehen können. Das tat er nicht, auf explizite Gewaltdarstellungen wird dezent verzichtet. Stattdessen dreht Shyamalan anders an der Spannungsschraube. Offenbar hat ihn die Persönlichkeitsstörung, die offiziell als Dissoziative Identitätsstörung klassifiziert wird, besonders in Hinsicht auf die emotionalen Nöte der Hauptfigur interessiert. Und die ist in jungen Jahren an eine besonders sadistische Mutter geraten.
Aber nicht nur Kevin Wendell Crumb, der vorübergehend zur Räson gebracht werden kann, wenn man seinen Namen ausspricht, hat einiges zu verdrängen. Auch die verschlossene Casey (Anya Taylor-Joy bekam 2016 den Gotham Award als Beste Nachwuchsdarstellerin in „The Witch“, 2015) trägt ihr eigenes Kreuz. Shyamalan erzählt nämlich in einer parallelen Geschichte von einem kleinen Mädchen, das von Vater und Onkel oft zur Jagd mitgenommen wird. Leider muss das Kind, wenn Papa gerade nicht da ist, mit dem Onkel ein Tierspiel spielen. Und Tiere tragen nun mal keiner Kleider. 

Das lässt einen beim Hinsehen würgen, auch wenn Shyamalans Film dort auf die Vorstellungskraft des Zuschauers setzt und auf explizite Bilder verzichtet. Und so schleicht sich das Grauen auch auf andere Weise in „Split“ ein, denn man muss nicht viel Phantasie besitzen, um zu ahnen, wer das kleine Mädchen über zehn Jahre später ist.
 

Das Grauen in „Split“ trägt auch einen weiteren Namen und den erfahren die drei entführten Mädchen von einigen der vielen Persönlichkeiten in Kevin Wendells Körper. Es ist die „Bestie“ und überhaupt wird ihre baldige Ankunft in dem unterirdischen Verließ als notwendiges und blutiges Finale angekündigt.

Reibungslos geht die Verwandlung der Hauptfigur(en) in die Bestie allerdings nicht über die Bühne. Als „Dennis“ offenbart sich ein etwas umgänglicherer Persönlichkeitsanteil der Psychiaterin Dr. Fletcher (Betty Buckley), die sich auf multiple Persönlichkeiten spezialisiert hat. Die Medizinerin ahnt Böses, als sie immer wieder E-Mails mit versteckten Hilferufen erhält, weiß dann aber nicht mehr so recht, wem sie in den Sitzungen eigentlich gegenübersitzt.
Fletcher hat aber ein ganz spezielles Interesse an dem Fall: Sie ist überzeugt davon, dass multiple Persönlichkeiten unterschiedliche physiologische Reaktionen und Zustände hervorrufen können. Während eine Persönlichkeit Diabetes hat, ist eine andere völlig gesund – fehlende Symptome eingeschlossen. Und als die Bestie von Kevin Wendells Persönlichkeiten, die er als „Die Horde“ bezeichnet, als neue Spezies sui generis und damit als neuer, autonomer Evolutionsschritt angekündigt wird, ahnt man als Zuschauer, dass Shyamalan in „Split“ ohne einen gewaltigen Schuss Fantasy nicht auskommen wird.


Mehr Empathie als in anderen Filmen mit dem gleichen Thema

Night M. Shyamalan musste für „Split“ Kritik von Betroffenen einstecken. So schrieb die selbst von dieser Krankheit betroffene Psychologin Dr. Michelle Stevens im „Hollywood Reporter“: „People who suffer from dissociative identity disorder (…) aren’t kidnappers who lock teenage girls in basements, and we certainly aren’t murderers. Instead, we are husbands and wives, fathers and mothers, friends and neighbors who silently suffer from a painful, scary, often debilitating condition in which our sense of who we are feels divided into fragmented parts (…) I’m not a monster, Mr. Shyamalan!“
 

Dies muss respektiert werden. Nur sollte dabei nicht übersehen werden, dass viele andere Filme die Dissoziative Identitätsstörung als narrativen Trick verwenden, um einen saftigen finalen Plot Twist zu servieren.
Dies tut Shyamalan auch. Zuvor aber ist nur schwer zu übersehen, dass sich neue alte Master of Suspense seriös und auch emotional unter die Haut gehend mit dieser Krankheit auseinandersetzt.
Inhaltlich und visuell stimmt eigentlich alles in dem Film: es gibt eine Hauptperson, die immer wieder von sogenannten „Innenpersonen“ abgelöst wird. Dieser „Switch“ realisiert einen Teil der Amnesie, mit der die Betroffenen ihre brutalen Traumata verdrängen. Übergroß zeichnet Shyamalan die Auslöser nach: grausame Formen sexualisierter Gewalt in frühsten Kinderjahren, das Zerbrechen der Gequälten – Erregung, Erstarren, Aufgeben heißen die Schritte, die am Ende der Kernperson erlauben, die ihr zugefügten Qualen von einer anderen „Person“ erleben lassen. 

In „Split“ endet dies damit, dass die „Bestie“ am Ende nicht in der Lage ist, nach vielen Toten auch noch Casey zu töten. Sie zeigt dem ‚Monster‘ ihren geschundenen, vernarbten Körper und die Bestie erkennt, dass auch sie eine „Gebrochene“ ist. Und die tötet er nicht, nur jene, die kein Leid erlitten haben.
Dies ist mehr Einfühlungsvermögen, als man von anderen Genrefilmen mit einem ähnlichen Thema bislang erwarten durfte. Dass Betroffene darauf insistieren, keine Bestien zu sein, ist berechtigt – die Geschichte der Vorurteile ist traurig und lang. Wenn man genauer hinschaut, wird man aber einen Film sehen, der wie kein anderer mir bekannter präzise in Hinblick auf die Pathogenese und emotional ehrlich in der Visualisierung einer bizarren Krankheit ist. Dies zeigt auch der Blick in den Kleiderschrank.


Auch kommerziell ein Erfolg

Interessant an dem kammerspielartigen „Split“ ist das Budget von 9 Mio. US-$. Das ist in etwa die Summe, mit denen Regisseure von Independent Movies auskommen müssen. M. Night Shyamalan scheint dies gut bekommen zu sein, denn die ihm in den letzten Jahren zugeschriebene Schaffenskrise hatte nicht nur mit der fehlenden Qualität seiner Filme zu tun. Offenbar hatte Shyamalan auch Probleme mit Blockbustern.
„Die Legende von Aang“ (Budget 150 Mio.) spielte zwar über 300 Mio. ein und wurde dritterfolgreichster Film des Regisseurs, wurde aber von den Kritiker zerfetzt, nicht zuletzt auch wegen der technischen Mängel der 3D-Fassung. Sogar explizite Rassismus-Vorwürfe musste Shyamalan über sich ergehen lassen.

„After Earth“ (2013, 130 Mio.) floppte trotz eines akzeptablen weltweiten Einspielergebnisses (244 Mio.) bei der Kritik. In Deutschland wollten ihn nur 500.000 Zuschauer sehen. „The Sixth Sense“ hatte noch über vier Millionen Neugierige in die deutschen Kinopaläste gelockt.


Dass man mit dem Shyamalan kein Geld mehr verdienen kann, ist natürlich Unsinn. Über 4 Mrd. US-$ haben die amerikanischen Studios mit dem Horror- und Fantasy-Spezialisten verdient, während gleichzeitig das Shyamalan-Bashing in den US-Gazetten und Mediendiensten wie Rotten Tomatoes den künstlerischen Niedergang mit anderen, sehr grausamen Zahlen belegte. Aus dem gefeierten Regiestar und Jahrhunderttalent war jemand geworden, der zuletzt bei Zustimmungswerten zwischen 6 und 11% aufgeschlagen war.


Der mit eigenem Geld gedrehte Horrorfilm „The Visit“ (2105) sollte in dieser Situation dann Shyamalans Relaunch werden. Shyamalan, der mit diesem Projekt seine künstlerischen Freiheiten zurückerhalten wollte, landete einen Volltreffer: der Gruselfilm spielte das 20-fache seiner Kosten ein. Shyamalan, der bereits mit der FOX-Serie „Wayward Pines“ einen Teil der Kritiker besänftigen konnte, wiederholte dieses Kunststück mit „Split“ dann auf sensationelle Weise: aus den Produktionskosten von 9 Mio. US-Dollar machte der Thriller bislang an den Kinokassen 277 Mio. Dollar und Shyamalan erreichte bei Rotten Tomatoes mit 75% das zweitbeste Ergebnis seit „The Sixth Sense“. Auch vor diesem Hintergrund gehört „Split“ zu den wichtigsten Filmen des vergangenen Kinojahres.


Noten: Melonie, BigDoc = 2


Split – USA 2016 – Laufzeit: 118 Minuten – FSK 16 – Buch und Regie: Night M. Shyamalan – D.: James McAvoy (als Dennis, Patricia, Hedwig, Barry, Orwell, Jade,Kevin Wendell Crumb und „Die Bestie“), Anya Taylor-Joy, Betty Buckley, Haley Lu Richardson, Jessica Sula, Brad William Henke, Sebastian Arcelus, M. Night Shyamalan, Bruce Willis.