Mittwoch, 5. Juli 2017

„Mars“ - visionäre Docufiction von National Geographic

Mit der Miniserie „Mars“ hat „National Geographic“ eine ambitionierte Dokufiction auf die Reise ins Alls geschickt. Im Mittelpunkt steht eine fiktive Landung auf dem Mars im Jahre 2033 – im dokumentarischen Teil wird lebhaft für die Besiedlung des Mars geworben. Eine kontroverse Diskussion lässt „Mars“ nicht zu, die Serie ist parteiisch, aber nicht einseitig. Sie informiert ausgezeichnet über die gewaltigen Probleme eines Menschheitstraums, der längst nicht mehr von allen Erdbewohnern geteilt wird.

Bei Ovid stürzt der übermütige Ikarus ins Meer, während sein Vater Dädalus vor den Gefahren gewarnt hat. Vergeblich.

2033: Nach mehrmonatiger Reise landen sechs Astronauten mit der „Daedalus“ auf dem roten Planeten. Die Probleme beginnen, bevor der erste Mensch seinen Fuß auf den unwirtlichen Planeten gesetzt hat – das Raumschiff verpasst den geplanten Landeplatz um 75 km. Die sechs Crewmitglieder, die in den ersten Monaten nach der Landung noch in ihrem Raumschiff leben sollten, müssen nun das weit entfernte Basislager erreichen. Und sie müssen ihren bei der Landung schwerverletzten Kommandanten Ben Sawyer (Ben Cotton) transportieren. Als der überladene Mars-Rover 16 km vor dem Ziel schlapp macht, muss die 5+1-Crew zu Fuß weiter. Auf einem Planeten, der wie eine Mischung aus Antarktis und Arizona nur tödliche Kälte in endlosen Stein- und Sandwüsten zu bieten hat. Und das rettende Basislager ist eigentlich nur ein Geräteschuppen. Mission Impossible?


Wie bereits in „Genius: Einstein“ haben auch diesmal u.a. Ron Howard und Brian Grazer als Executive Producer die Federführung übernommen. Für die künstlerische Umsetzung der Buchvorlage „How we’ll Live on Mars“ von Stephen Petranek war der mexikanische Produzent und Regisseur Everardo Gout verantwortlich. „Mars“ wurde in 172 Ländern und 43 Sprachversionen distribuiert. Ein zweite Staffel wurde bereits in Auftrag gegeben. „Mars“ gibt es seit Mai auf DVD und Bluray.
„National Geographic“ hat damit ein weiteres Premium-Projekt lanciert. “With Mars, we wanted to stimulate the imagination of audiences and continue to fire the belief that space exploration is an important, inevitable aspect of the human experience, inspiring the next generation of astronauts“, resümierte Ron Howard das Ziel.


„Mars“ hat eine Vision

Damit ist auch hinreichend der Tenor der Serie beschrieben. „Mars“ ist eine enthusiastische „New Frontier“-Erzählung, die nach der politisch gewollten Schrumpfung des NASA-Budgets wieder daran erinnern will, dass die raumfahrenden Nationen kühnere Ziele anstreben sollten als im Orbit stationierte Weltraumstationen wie die ISS oder die chinesische Tiangong 1 und 2. Und auch riskantere als die ohnehin schon seit sechs Jahren beendeten Space Shuttle-Missionen.
Es geht dabei sicher auch um naturwissenschaftliche Forschung, aber letztlich plädiert „Mars“ mit unüberhörbarem Pathos für die Besiedlung des erdnahen Nachbarn. Das ist mittlerweile wieder populär, auch Stephen Hawking rät zum Aufbruch ins All. Wohl eher aufgrund der Erkenntnis, dass wir unser natürliches Öko-System ruinieren und daher schleunigst aufbrechen sollten. Davon will „Mars“ nichts wissen. Die Serie orientiert sich da schon eher am SpaceX-Gründer Elon Musk, dem Milliardär, der PayPal erfand und nun in den nächsten Jahren ein unbemanntes Raumschiff zum Mars schicken will. Jeder Traum ist eben auch ein Investment.

Was uns dabei erwartet, erzählt „Mars“ auf fesselnde Weise. Mitunter erwartet man sogar, dass Matt Damon („The Martian“) auftaucht und den ersten Menschen auf dem Mars ein paar Überlebenstipps gibt.
Die sind auch notwendig, denn im Fiction-Teil der Serie müssen die fünf Überlebenden nach der Beerdigung ihres Kommandanten nicht nur die Luft zum Atmen regenerieren, sondern auch Wasser finden und einen vor der tödlichen Strahlung sicheren Ort, an dem das Wohn- und Forschungslabor aufgebaut werden kann. Und das muss tief unter der Oberfläche in einer der weit verzweigten Hallen und Röhren geschehen, die sich nach dem Erkalten der marsianischen Lava gebildet haben. Die Zeit wird immer knapper.


Indessen ist die Mars-Mission auf dem Heimatplaneten der Erde ein politisches und ökonomisches Wagnis. Alles steht permanent auf dem Prüfstand. Vorangetrieben von dem wohl Elon Musk nachempfundenen Ed Grann (Olivier Martinez), dem ehrgeizigen und charismatischen Milliardär und CEO der Mars Mission Corporation (MMC), darf das Projekt auf keinen Fall scheitern, denn zu den Investoren gehören nicht nur Nationen wie die USA oder China, sondern auch Unternehmen aus dem Wirtschaftssektor. Und die lassen sich nicht von Visionen motivieren. Und tatsächlich steht dann das Projekt nach einigen kleinen und großen Katastrophen in der letzten Episode vor dem Aus. Doch dann macht im letzten Moment eine Exo-Biologin eine sensationelle Entdeckung.


Naturwissenschaftlich hervorragend

Eine kritische Auseinandersetzung über Sinn und Unsinn bemannter Raummissionen ist von „Mars“ nicht zu erwarten. Positive Thinking ist auch das Leitmotiv der dokumentarischen Sequenzen, die den fiktionalen Teil immer wieder unterbrechen und ergänzen. Wer aber genau hinschaut, wird sich trotzdem bald die Frage stellen, ob man nicht KI-Roboter auf solche Reisen schicken sollte. Denn „Mars“ zeigt überdeutlich, wie aufwändig und riskant eine Mars-Mission in der Praxis ausfallen wird.
Geschildert werden in den Doku-Sequenzen nicht nur die Träume und Visionen eines Werner von Braun, der schon immer zum Mars wollte, bevor sich der US-Präsident Richard Nixon stattdessen nach dem Ende der Apollo-Missionen für das Space Shuttle-Projekt entschied. Geschildert werden auch recht gründlich wissenschaftliche und technische Aspekte wie die Notwendigkeit eines wieder verwendbaren Raumschiffs, das der kommerzielle Anbieter Space X entwickeln will. Aber auch die physischen und psychischen Belastungen einer mehrmonatigen Reise in Schwerelosigkeit, wie sie der NASA-Astronaut Scott Kelly auf der ISS getestet hat. 

Andere Themen der dokumentarischen Abschnitte passen sich ebenfalls sehr genau den Problemen an, die im fiktiven Teil nicht nur das erste Team zu bewältigen hat, sondern auch die Teams, die vier Jahre später auf den Mars geschickt werden. Wie man in einer lebensfeindlichen Umgebung auf jedes Detail achten muss, weil jeder Fehler tödlich sein kann, wird bereits in unwirtlichen Survival-Training-Projekten mitten in der Antarktis erprobt. Dass der menschliche Faktor dabei möglicherweise das größte Risiko ist, weil Isolation und das Zusammenleben auf engem Raum zu einer unkalkulierbaren Größe werden, überrascht nicht wirklich. Und so zeigt die 5. Episode „Darkest Day“ den psychischen Kollaps eines Botanikers, der im Wahn die Luftschleusen öffnet und sich und ein Dutzend anderer Crewmitglieder umbringt.

„Mars“ verzichtet erzählerisch, und das ist begründet und überzeugend, auf prätentiöse Gimmicks und Plotentwicklungen. Wer die lächerliche Verfilmung (1979) des Ray Bradbury-Klassikers „The Martian Chronicles“ (1950) kennt, weiß, was gemeint ist. Action ist in der National Geographic-Serie immer das Ergebnis realistischer Fakten, etwa die Suche nach einem Versorgungskabel bei Nacht und mitten in einem Sandsturm, in dem man kaum noch weiter als eine Schrittweite sehen kann. Wer also tentakelbehaftete Monster, Lichtschwerter und glotzäugige Aliens erwartet, sollte sich besser nach geeigneten Alternativen umschauen.

Die darstellerischen Leistungen sind entsprechend unaufgeregt. Ben Cotton vermittelt in seinem Kurzauftritt als Mission Commander sehr glaubwürdig den Enthusiasmus, der ihn bereits als Kind geprägt hat. Die Rocksängerin und Multimedia-Künstlerin Jihae Kim spielt sehr intensiv eine Doppelrolle und verkörpert sowohl die Pilotin und Systemingenieurin Hana Seung, die sich plötzlich in der Rolle der Kommandantin wiederfindet, als auch ihre Schwester Joon Seung, die als Generalsekretärin der International Mars Science Foundation (IMSF) die multi-nationalen Interessen der Investoren auf der Erde zu koordinieren hat. Für etwas comic relief sorgt Alberto Ammann als nöliger und Selbstgespräche führender Geochemiker Javier Delgado. Clementine Poidatz spielt die einfühlsame Missionsärztin Amelie Durand, Robert Foucault den nigerianischen Robotikexperten Sammi Rotibi, der sich glücklicherweise bereits seit seiner Kindheit mit Sandstürmen auskennt. Und Marta Kamen als russische Exobiologin macht schließlich die Entdeckung, die neugierig auf die 2. Staffel macht: Live on Mars.

Ob dies möglich ist oder ob es nicht gar die Menschen sind, die Mikroben bei einer Mars-Mission exportieren, steht buchstäblich in den Sternen. Auch das thematisiert die clevere Miniserie von „National Geographic“. Besonders zu empfehlen ist das umfangreiche Bonusmaterial, das immerhin den einen oder anderen kritischen Punkt beleuchtet und erkennen lässt, dass Idealismus nicht die einzige Triebfeder einer Mars-Mission ist. Immerhin müssen ja Raumschiffe gebaut und verkauft werden. „Mars“ ist also in der Summe trotz viel Enthusiasmus und optimistischem Wissenschaftsverständnis kein distanzloses Plädoyer für neue, riskante Raumfahrtmissionen, sondern entlässt den Zuschauer mit einigen Fragen, aber umfassend gut informiert in die Pause bis zur Fortsetzung der Geschichte.



  • Empfehlenswert ist die Website zur Serie, die weitere Hintergrundinformationen bietet.

Mars – Docufiction USA 2016 – Serie (6 Episoden) – Excutive Producer: Ron Howard, Brian Grazer u.a. – Regie: Everardo Gout – D.: Olivier Martinez, Ben Cotton, Jihae Kim, Clémentine Poidatz, Sammi Rotibi, Alberto Ammann, Anamaria Marinca