Dienstag, 25. Juli 2017

Spider-Man: Homecoming

Der 16. MARVEL-Film ist ein Reboot. Tom Holland ist bereits der dritte Spinnenmann in diesem Jahrhundert. „Homecoming“ ist weder bedeutungsschwer noch ein Action-Gewitter, sondern ein Comedy-Feuerwerk geworden. Die Geschichte, die Regisseur Jon Watts erzählt, ist zwar ein wenig klamaukig, über weite Strecken flott und ziemlich witzig. Ein vielversprechender Auftritt von Kid Spider-Man.

In einem Cold Open wird häufig ein Feuerwerk abgebrannt, mit dem der Schurke bombastisch eingeführt wird. Wie man das macht, hat Christopher Nolan mit dem Joker-Intro in „The Dark Knight“ gezeigt. In „Homecoming“ wird vor den Opening Credits auch ein Schurke gezeigt, aber der ist eher ein Sozialfall. Michael Keaton spielt den mittelständischen Unternehmer Adrian Toomes, der kurz nach dem Angriff der Chitauri in „The Avengers“ (2012) die Bergungsarbeiten in N.Y. durchführen soll - mit einem städtischen Vertrag in der Tasche. Die US-Regierung kümmert dies nicht, Toomes wird trotz umfangreicher Vorleistungen der Job gekündigt.



Um die drohende Pleite abzuwenden, verwendet der Elektronik-Experte bereits geborgene Alien-Technologie, um die Kriminellen der Stadt mit Power-Waffen zu versorgen. Acht Jahre später ist aus dem seriösen Mittelständler ein diskret im Untergrund agierender Waffendealer geworden, der nicht den geringsten Unterschied zwischen seinen innovativen Produkten und denen von Stark Industries erkennen kann. Für die Avengers und die besitzenden Eliten der Stadt hat Toomes nur Verachtung übrig – durchaus eine witzige und pointierte Anspielung auf den aktuellen Zeitgeist.


Coming-of-Age-Geschichte mit strengem Papa

Aber keine Sorge: Spider-Man ist nicht Captain America. Der ist sicher der politisch kritischere Superheld im Marvel Cinematic Universe (MCU) und in „Homecoming taucht er auch auf, aber nur in Einspielern, die den Schülern von ihren sichtlich gelangweilten und genervten Lehrers vorgespielt werden müssen. Ja richtig: Captain America indoktriniert die Kids im staatlichen Auftrag mit pastoral vorgetragenen Videoclips, in denen er moralinsauer das richtige Benehmen für’s richtige Leben predigt. Wie nervig.

Davon ist Peter Parker weit entfernt. Und langweilig ist er auch nicht. Als Spider-Man durfte er bereits in „Captain America: Civil War“ seine Talente unter Beweis stellen. Nun steht er in seinem ersten MCU-Solofilm aber unter der Fuchtel des für Tony Stark arbeitenden „Happy Hogan“ (Jon Favreau). Dem widerwilligen Aufpasser spielt Peter begeistert seine Handyvideos vor, die er während der Battle der Superhelden auf dem Leipziger Flughafen gemacht hat. Der 15-Jährige ist hellauf begeistert, immerhin habe er ja dem „Cap“ das Schild geklaut.
„Happy Hogan“ nervt das. Er muss den Avengers-Lehrling ausbremsen, und wenn dieser über die Stränge schlägt, taucht schon mal „Papa“ Iron Man (Robert Downey jr) auf und haut dem Novizen kräftig auf die Finger, pastorale Sprüche inklusive. Spider-Man will sich aber beweisen, um endlich von den Avengers aufgenommen zu werden. Immerhin hat er von Iron Man einen Hi Tec-Anzug bekommen, nur sind bei dem leider die nettesten Gimmicks gesperrt. Aufhalten kann ihn das nicht. Als Spider-Man durch Zufall auf die illegalen Waffengeschäfte von Adrian Toomes stößt, kann er endlich loslegen.

Nach dem moralisch reflektierten Toby Maguire, dem Sam Raimi zu einer lukrativen Leinwandkarriere bei SONY verhalf, und dem introvertierten Andrew Garfield, der weder zur Rolle passte noch Erfolg an den Kinokassen hatte, wurde das Franchise nun endgültig zurück zur Quelle gebracht. Ins Marvel Cinemativ Universe, das mittlerweile Disney gehört. Die Besetzung des dritten Spider-Man mit dem 21-jährigen Tom Holland war ein guter Griff. Maguire und Garfield waren deutlich älter und erwachsener, Tom Holland schafft es dagegen sehr gut, die deutlich jüngere Version eines pubertierenden Superhelden überzeugend auf die Leinwand zu bringen.

Produzent und MCU-Chefdenker Kevin Feige hat die neue Geschichte ziemlich auffällig auf ein junges Publikum zugeschnitten. Das überrascht nicht, denn Spider-Man ist bis heute der Held eines sehr jungen Publikums. So etwas weiß die Branche. Klar, dass „Spidey“ stolz seine Wackel-Videos zeigt und ansonsten WhatsApp nutzt, als wäre es sein letzter Tag.
Riskiert wurde dennoch eine Menge. Im Autorenteam hatte bis auf Chris McKenna bislang niemand Erfahrung mit MARVEL-Stoffen. Auch Regisseur Jon Watts ist neu im Metier. Dies sorgt in „Homecoming“ aber für eine neue, eher witzige Tonalität, die sich deutlich von anderen MCU-Filmen unterscheidet – das Experiment ist gut gegangen.

„Homecoming“ ist auch deswegen ein Coming-of-Age-Geschichte, aber auch – zumindest symbolisch - eine Vater-Sohn-Geschichte, in der Robert Downey jr als Vaterersatz diesmal nicht mit flotten Sprüchen glänzt, sondern etwas angestrengt versucht, dem „Kleinen“ beim Erwachsenwerden zu helfen. Der erste Solofilm von Spider-Man ist im Kern nicht der perfekte Auftritt eines perfekten Superhelden, sondern die Geschichte eines High School-Schülers, der abgesehen von seinen bekannten Talenten, einfach nur neugierig und etwas naiv ist und ausprobieren will, was alles geht. Und vieles geht halt daneben.
Im Gegensatz zu seinen bekannten Vorbildern sieht der neue Spider-Man bei seinen Aktionen nicht immer elegant aus. Beim Durch-die-Lüfte-Schwingen landet er auch mal auf dem Hintern und sein grandioses Selbstbewusstsein provoziert Fehler, die schon mal mit einem gewaltigen Trümmerhaufen enden.
Dabei wird in dem 134 Minuten langen Film ein flottes Gag-Feuerwerk abgebrannt, das überwiegend schlagfertig und witzig ist. Das funktioniert etwas anders als in „Ant-Man“ und hat noch weniger mit den krawalligen „Guardians of the Galaxy“ zu tun. „Homecoming“ nimmt eher das dialogzentrierte Höllentempo einer gut geölten Screwball Comedy auf, in dem ein flotter Oneliner nach dem anderen rausgehauen wird. 


Gute Nebenfiguren und ein Schurke wider Willen

Der Film funktioniert aber nicht nur deshalb so ausgezeichnet, weil seine Hauptfigur wie viele Jugendliche den sehnlichen Wunsch verwirklichen möchten, endlich etwas Bedeutendes zu schaffen, dies dann aber mit mit wechselhaftem Geschick anpacken. Auch die Nebenfiguren passen perfekt zu diesem Dilemma und lassen erkennen, dass die Macher eine richtige Geschichte erzählen wollten, ohne alte Spider-Man-Topics aufzuwärmen. Dafür sorgen Jacob Batalon als nerdiger Ned Leeds, ein mopsiger Mitschüler der Midtown High, der hinter das Geheimnis von Peter Parker kommt und sich immer wieder zusammenreißen muss, um nicht zu verraten, wer Peter in Wahrheit ist. Ned wird später ein sehr effektiver und unersetzlicher Buddy des alles andere als souverän agierenden Spider-Man. Immerhin hackt er die verborgenen Funktionen des neuen Spider-Man-Suits samt eingebauter KI...
Die 27-jährige Laura Harrier spielt Peters Mitschülerin Liz, seine erste Liebesgeschichte, während Zendaya Coleman als Michelle allein schon durch ihre strangen Sprüche eine kleine Nebenrolle mit Chuzpe und einer geheimnisvollen Aura ausfüllt.
Aber am Ende ist es Michael Keaton, der allen die Show stiehlt. Als „The Vulture“ (Der Geier) schwingt er sich mit einer selbstgebastelten Flugmaschine wie „War Machine“ in die Lüfte und will seinem lästigen Widersacher den Garaus bereiten. Michael Keaton, der bereits in „Birdman“ eine erstaunliche Performance als Ex-Superheld hinlegte und dabei auch seine eigene Rolle in Tim Burtons „Batman“ reflektierte, ist dabei in „Homecoming“ so gut, dass wenige Dialoge ausreichen, um seine Figur erfolgreich am Superschurkenklischee vorbeizusteuern. Erst recht, als klar wird, dass er der Vater von Liz ist – und natürlich will Peter sein Love Interest zum jährlichen Ball der High School ausführen, dem sogenannten Homecoming.
Toomes aka „The Vulture“ führt mit Peter zuvor aber ein Gespräch unter Männern und macht ihm seine Geschäfts- und Familieninteressen klar. Peter  ist verstört, aber moralische Kompromisse geht ein Spider-Man halt nicht ein. Und so kommt es natürlich zum finalen Showdown mit einem Gegner, der ein Malocher aus der Arbeiterklasse war, bevor der Staat sein ehrliches Gewerbe zerstörte.
Dass aber das Finale nicht tödlich, sondern auf überraschende Weise sehr versöhnlich endet, zeigt erneut, wie gut die Narrative der MARVEL-Filme funktionieren – nie langweilig, immer für einen intelligenten Seitenhieb gut und mit unübersehbarem Interesse für die Figuren. Das ist überraschend in einem Milliarden-Business, in dem andere Comic-Verfilmungen nichts riskieren und die Formelhaftigkeit zum Geschäftsmodell gemacht haben.

Natürlich ist „Spider-Man: Homecoming“ ein Film, der nicht einfach nur eine leichte High School-Komödie erzählen will, sondern genregerechte Productions Values abliefern muss. Das geschieht auch. Aber weder ein abstürzender Lift im Washington Monument noch die sehenswerte Zerlegung der Staten Island-Fähre in zwei Teile und auch nicht der Luftkampf auf einem Flugzeug von Stark Industries erfinden das Genre neu, sehen in der sehr gelungenen 3 D-Umsetzung aber angemessen gewaltig aus. Das kennt man, das ist nicht neu, auch wenn Iron Man ein ums andere Mal bereinigen muss, was Spider-Man verbockt hat.
Interessanter ist da schon, dass die Action immer auch zeigt, dass der neue junge Held im Marvel-Universum zwar frech und mutig ist, aber am Ende erkennt, dass er wohl noch einige Zeit Lehrling bleiben muss. Das macht „Homecoming“ zu einem originellen Reboot, das „Spidey“ ziemlich gut erdet. Die von Tom Holland gespielte Figur ist auf jeden Fall näher an den Comics an seine Vorgänger. Und von diesem Spider-Man möchte man mehr sehen.

Auch diesmal sollte man im Kino sitzen bleiben (tun immer noch nicht alle), denn es gibt eine wirklich gute Mid Credit Scene zu sehen und ganz hinten, wenn das Licht im Kinosaal schon angeht, hat auch Captain America einen Auftritt. Aber da nimmt er alle, die geduldig gewartet haben, einfach nur auf die Schippe.

Noten: BigDoc=2

„Spider-Man: Homecoming“ - USA 2017  - Regie: Jon Watts – D.: Tom Holland, Michael Keaton, Laura Harrier, Jacob Batalon, Donald Glover, Jon Favreau, Robert Downey Jr., Zendaya Coleman und Gwyneth Paltrow als „Pepper Pots“ und Chris Evans als „Captain America“ - Laufzeit: 134 Minuten - FSK: ab 12 Jahren