Montag, 7. August 2017

„Dunkirk“ – der Kriegsfilm: ein Genre am Limit

Angeblich soll Sam Fuller über die Möglichkeit einer authentischen Kriegserfahrung im Kino gesagt haben, dass man dazu nur ein Maschinengewehr im Kinosaal aufstellen müsse, um danach Teile des Publikum niederzumähen. 

Fuller hat nicht nur selbst Kriegsfilme gedreht, sondern als Soldat handfeste Kriegserfahrungen gemacht. Vielleicht braucht man das, um aus den vermeintlichen Desillusionierungen des modernen Kriegsfilms die versteckten alten Ideologien herauszulesen. Im Moment ist das Genre wieder dabei, dem Publikum auch ohne derart rabiate Mittel auf der Leinwand etwas zu zeigen, was sich ‚wahr’ anfühlt. Zuletzt in Christopher Nolans „Dunkirk“. Das ist nicht neu, das hat er bereits Anfang dieses Jahrhunderts gegeben. Erstaunlich ist nur, dass alle wieder jubeln. Auch die Kritiker.


Die Mutter aller Tugenden

Fullers Gedankenexperiment ist interessant: Nicht das ganze Publikum soll erschossen werden, sondern nur einige der Zuschauer. Es soll also Sterbende und Überlebende geben. Damit hat der amerikanische Regisseur von „The Big Red One“ nicht nur die Dialektik des Krieges, sondern auch die des Kriegsfilms verstanden.

Kriege werden entweder ethisch verurteilt oder als notwendiges Übel akzeptiert. Kriegsfilme sind ein Spiegel dieses Dilemmas. Selbst jene, die den Zuschauer einen Krieg als sinnlos erleben lassen wollen, zeigen die Kriegsgräuel detailreich und in aller Härte. Unverhohlen nationalistische Apologien sind verschwunden, das Gift wird anders eingeträufelt.

Die meisten Kriegsfilme der letzten Dekaden beschäftigen sich mit den mörderischen Schauplätzen des 20. Jahrhunderts. Aus diesem historischen Kontext beziehen sie die Legitimität des militärischen Handels, besonders wenn es um den Zweiten Weltkrieg geht, den viele als den letzten gerechten Krieg bezeichnen.
Moderne Vertreter des Genres bebildern seit zwei Dekaden hyper-realistisch und mit den Mitteln des modernen Kinos den individuellen Tod mittlerweile unpathetisch und abschreckend. Aber es gibt nach wie vor Vertreter des Genres, die in kräftigem Schwarz-Weiß die Welt in Gut und Böse aufteilen. In ihnen wird der Gegner zu einer amorphen Masse wie die unsichtbaren Angreifer in John Carpenters Actionthriller „Assault on Precinct 13“.
Egal, ob Blockbuster oder B-Movie: in den meisten dieser Filme wird das Sterben und das Überleben drastisch vorgeführt, aber nicht ohne den Verweis darauf, dass inmitten von Blut, Schweiß und geschundenen Körpern der Soldat immerhin vergessene Tugenden entdeckt: Mut, Kameradschaft, Opferbereitschaft - der Krieg die „Mutter aller Tugenden“. Es ist darauf zu achten, dass fast alle Kriegsfilme große Probleme damit haben, diese klassischen Rezepturen des politischen Propagandafilms zu umschiffen.

Nach wie vor scheint es vielen schwer zu fallen, die verborgene Ideologie in diesen Filmen zu entdecken, erst recht in solchen, die als Hybridfilme daherkommen und zugleich Sci-Fi-, Fantasy- oder Westernfilme sind. Die HBO-Serie „Game of Thrones“ zeigt the art of war mit einem unverhohlenen Zynismus, dem durchaus ein aufklärerischer Impetus innewohnt. Dort genießen einige Figuren das Töten mehr als den Sex, und es sicher kein Zufall, dass die pathologisch auffälligsten Charaktere in dieser Serie überhaupt keinen Sex mehr haben oder ihn nur noch als Variation ihres Sadismus inszenieren können. Auch
„Game of Thrones“ ist eine endlose Erzählung über den Krieg: intelligent und pointiert und dank seiner Schreckensbilder ganz offensichtlich publikumsaffin, was zahllose „reaction videos“ auf YouTube demonstrieren.
 
Christopher Nolans „Dunkirk“ ist aktuell der spektakulärste Kriegsfilm, aber er ist auch ein Blockbuster, der die digitalen Möglichkeiten des Kinos nicht nur auf der Leinwand ausschöpft, sondern auch im Merchandising. Denn Kriegsfilme sind zuallererst ökonomische Projekte, die ihre aufwändigen Schlachtengemälde mit Gewinn refinanzieren müssen.

Für jene, die mittendrin sind, spielen diese Diskurse seit jeher keine Rolle. Sie wollen überleben. Die anderen, denen nicht die Kugeln um die Ohren fliegen, sondern Filme darüber machen, erzählen auch vom Überleben. Christopher Nolans neuer Film versucht diesen Aspekt mit einer neuen Erzählsprache zu überprüfen und fordert den Betrachter dazu auf, das Genre auch ästhetisch zu interpretieren.

Dies und anderes wird im folgenden Text geschehen. Es werden nicht nur Filme wie „Dunkirk“ untersucht, sondern auch Mel Gibsons „Hacksaw Ridge“ (2017) und Matt Reeves’ vor einigen Tagen an den Start gegangener „War for the Planet of the Apes“ (Planet der Affen: Survival). 


Dunkirk (Dünkirchen): Synopsis

Im Juni 1940 wird das britische Expeditionskorps (BEF) im Rahmen des deutschen Westfeldzugs in der französischen Hafenstadt Dünkirchen eingekesselt. Da die deutschen Panzertruppen nach einem Halte-Befehl nicht weiter vorstoßen (ein bis heute ungeklärtes militärisches Geheimnis), bleibt der britischen Admiralität ein mehrtägiges Zeitfenster, um mit der „Operation Dynamo“ fast 340.000 Soldaten zu evakuieren.
Historisch eine Schnittstelle im Zweiten Weltkrieg, denn die Vernichtung der britischen Berufsarmee hätte den weiteren Kriegsverlauf entscheidend beeinflusst. An der Rettung beteiligten sich auch Hunderte kleiner Boote, die von Zivilisten gesteuert wurden. Obwohl im weiteren Verlauf die meisten Soldaten von Kriegsschiffen gerettet wurden, entstand später der Mythos vom „Miracle of the Little Ships.“

Teil 1: Die Mole. Zu den britische Soldaten gehört der Soldat Tommy (Fionn Whitehead), der sich aus einer Straßenschlacht an den langen Strand rettet, wo Tausenden auf ihre Rettung warten. Tommy tut sich mit Gibson (Aneurin Barnard) zusammen und beide versuchen einen Platz auf einem Schiff zu bekommen, indem sie einen Schwerverletzten an Bord bringen. Doch sie müssen das Schiff verlassen, das wenig später von einem deutschen Bomber an der Mole versenkt wird. Tommy und Gibson retten sich mit anderen Soldaten an Bord eines anderen Schiffes, das auf Grund gelaufen ist. Mit der Flut wollen sie es freibekommen und fliehen. Gibson wird später von Alex (Harry Styles) beschuldigt, ein deutscher Spion zu sein und erklärt, dass er Franzose ist. Deutscher Dauerbeschuss lässt das Schiff sinken. Tommy und Alex werden gerettet. Sie werden wider Erwarten in der Heimat als Helden gefeiert. Im Zug liest Tommy in einer Zeitung von Winston Churchills Rede „We shall fight on the beaches.“

Teil 2: The Sea. In Großbritannien werden private Kutter requiriert, um die Evakuierung zu unterstützen. Mr. Dawson (Mark Rylance) überlässt sein Boot aber nicht der Marine, sondern macht sich mit seinem Sohn Peter und dessen Sohn George selbst auf den Weg nach Frankreich. Nahe der französischen Küste fischen sie einen britischen Soldaten (Cillian Murphy) aus dem Wasser, der in Panik gerät, als erfährt, was Dawson vorhat. Mit Gewalt versucht er die Kontrolle über das Schiff zu bekommen. George wird bei der Auseinandersetzung verletzt und stirbt später. Dawson und sein Sohn retten später danach viele Überlebende, darunter auch den Piloten Collins (Jack Lowden), der notwassern musste.

Teil 3: The Air. Der Pilot Farrier (Tom Hardy) gehört zu einer Gruppe von nur drei RAF-Flugzeugen, die verhindern sollen, dass deutsche Bomber die anlegenden englischen Kriegschiffe versenken. Nachdem ihr Gruppenführer abgeschossen wird, sind Farrier und sein Kamera Collins die einzigen, die noch die deutschen Bomber aufhalten können. Ihr Sprit ist begrenzt, Farrier und Collins haben nur ein 40-minütiges Zeitfenster, ehe sie heimfliegen müssen. Als auch Collins abgeschossen wird, kämpft Farrier bis zum letzten Tropfen Sprit erfolgreich weiter und rettet damit das Leben vieler Soldaten. Nach einer erfolgreichen Notlandung am Strand von Dünkirchen zerstört er seine Maschine und wird von deutschen Soldaten gefangengenommen.


Naturalistische Erzählweise ohne dramatische Spannungsbögen

Christopher Nolan verzichtet in „Dunkirk“ auf eine konventionelle Erzählweise. Er reduziert die Handlung minimalistisch auf Episoden, in denen die wenigen erkennbaren Hauptfiguren weder eine Figurenentwicklung erfahren noch in klassische dramatische Konflikte geraten. Sie reden auch nicht über ihre Motivation, sie wissen, was zu tun ist. Ihre Sprache ist die Tat: Rennen und Überleben, Soldaten mit dem Boot in die Heimat bringen, kämpfen, bis der letzte Tropfen Sprit verbraucht ist.
Auch deshalb sieht der Film über weite Strecken wie ein bombastisches Videospiel aus, in dem alles ständig in Bewegung ist (auch wenn die britischen Soldaten fast regungslos am Strand stehen, ist Bewegung ihr eigentliches Ziel). Eine Psychologisierung der Figuren findet entweder nicht statt oder bleibt rudimentär. Drama oder Suspense fehlen und werden durch einen konsequenten detailgenauen Naturalismus ersetzt, der die historischen Rahmenbedingungen nicht erklärt und geschichtsunkundige Zuschauer möglicherweise ratlos zurücklässt. 
Diese naturalistische Erzählweise ohne dramatische Spannungsbögen wird durch eine hämmernde, monotone Filmmusik konterkariert, die auch an sich triviale Aktionen überdramatisiert und auch dort Spannung aufbauen will, wo die Ereignisse keine erkennen lassen. Dabei bedient sich Hans Zimmer musikalischer Motive und Techniken, die bereits in Christopher Nolans „The Dark Knight“ zu hören waren.

„Dunkirk“ ist weder Geschichtsfilm noch Drama, sondern eine Verdichtung der Ereignisse auf das Momentum, das der Zuschauer mit den Augen der Kamera Hoyte van Hoytemas („Her“, „Interstellar“) als „Ästhetik der permanenten Bewegung und des Terrors“ erlebt. Wer stehenbleibt, verliert das Momentum, also den Schwung und die Wucht. Am Ende sehen wir Tommy, der in der Heimat in der Zeitung Churchills Durchhaltrede liest, dann steht Farrier, der Pilot am Strand vor seiner brennenden Spitfire und wird gefangengenommen und Nolan schneidet blitzartig und kaum länger als eine Sekunde auf Tommy zurück, der nicht erkennen lässt, ob er den Worten des Premierministers glaubt oder nicht. Dass er ein passives Puzzleteilchen in einem militär-strategischen Ereignis von immenser Bedeutung gewesen ist, weiß er (noch) nicht.
 

Zur Geschichte des Genres

Fast zwei Stunden hört und sieht man zu Hans Zimmers betäubender Musik den Überlebenskampf von fast 300.000 eingekesselten britischen Soldaten, die auf die Royal Navy warten, um nicht von der deutschen Wehrmacht endgültig aufgerieben zu werden. Und ja: einige Franzosen sind auch dabei, aber die wollen die Engländer nicht auf die Schiffe lassen, ihre Schiffe. 

Das Staccato der Musik gehört zu Nolans „Ästhetik des Terrors“, ist aber nur schwer zu ertragen und wird kaum unterbrochen von den Garben der Tiefflieger und den Bomben, die von den Deutschen abgeworfen werden. Kämpfen können die britischen Soldaten nicht mehr. Sie stehen am Strand der französischen Küstenstadt, werfen sich in den Sand, wenn die Tiefflieger kommen, stehen wieder auf, kümmern sich kaum noch um die Toten und Verletzten. Diszipliniert, aber völlig abgestumpft und am Rande der Agonie, stolpern sie auf die wenigen Militärschiffe, die gekommen sind. Doch die meisten von ihnen werden an der Mole versenkt. Und jene, die sich gerettet glaubten, ersaufen in den stählernen Särgen. Es scheint kein Entkommen aus dem Inferno zu geben.

Ein Historienfilm ist „Dunkirk“ nicht. Hier gilt die ungeschriebene Regel, dass Filme, die im 20. Jh. spielen, so nicht genannt werden. Ob „Dunkirk“ vielmehr ein Kriegsfilm oder gar ein Anti-Krieg(s)film ist, ist nicht eine Geschmacksfrage, sondern hängt dezidiert von den Erfahrungen ab, die man im Kino gemacht hat. Wer keine macht oder machen möchte, will sich gut unterhalten lassen, aber das „Gute“ daran wirft natürlich ganz andere Fragen auf.

Der Verfasser dieser Zeilen ist durch Bernhard Wickis „Die Brücke“ nicht nur kinematografisch sozialisiert worden, sondern auch politisch. Letzteres kam erst später dazu, als Schüler war vielmehr die brachiale Erfahrung entscheidend, dass halbe Kinder für eine dämliche Brücke verheizt werden sollen. In den 1960er Jahren wurde der Film Kindern in schulischen Großveranstaltungen gezeigt. Für 12-14-Jährige ein erschreckendes Erlebnis. Und trotzdem: klammheimlich fand man irgendwie Gefallen daran, dass die Jungs trotz Angst, Verzweifelung und eben dieser ganzen Sinnlosigkeit so tapfer waren. Mit diesem Konflikt ließ man uns allein. Im Unterricht wurde nämlich das „Dritte Reich“ recht knapp behandelt. So viel zur Dialektik von Kinoerfahrungen und Geschichtsvermittlung.


Danach kam Coppolas „Apocalypse Now“ (1979), ein Film, der den Vietnam-Krieg als absurdes Panoptikum vorführte, aber auch wegen seiner ästhetischen Qualitäten ungemein reizvoll war. Man lernte, dass Kriegsfilme eher nicht der moralischen Läuterung dienten, sondern dem Nervenkitzel. Francis Ford Coppola zeigte spektakuläre Bilder, seine Filmmusik warf alle Standards über den Haufen. Hinterher hätte man Joseph Conrads „Herz der Finsternis lesen sollen, tat man aber nicht. Man hätte bei der Lektüre lernen können, dass die Figur des Kurtz nicht im pathologischen Sinne wahnsinnig ist, sondern die Zuspitzung eines wahnsinnigen anti-zivilisatorischen Kolonialismus. Das hätte man nach
„Apocalypse Now“ tun sollen, aber man war ja gegen die Krieg in Vietnam, das musste reichen, also hatte der Film Recht. Und Marlon Brando war beeindruckend.

1987 zeigte dann Stanley Kubrick in „Full Metal Jacket“, dass der Krieg aus Erniedrigung, Zynismus, Scheiße und Dreck besteht und dass man Menschen zuvor eine Gehirnwäsche verpassen muss, damit sie als Soldaten in dieser Hölle funktionieren. Bis auf einen tun sie das dann auch. Kubricks Film war der erste, bei dem man sicher war, dass dies ein Anti-Kriegsfilm ist. Nichts konnte rechtfertigen, was die Bilder zeigten, und wer wollte, konnte nachlesen, dass dieser in Bilder gegossene Wahnsinn ziemlich realistisch war und nicht etwa eine Reise ins Herz der Finsternis.


Dagegen war Terrence Malicks „The Thin Red Line“ (1998) mit seiner Naturmystik eher eine spirituelle Erfahrung. Malick zeigte, dass das Gras und die Bäume, die Flüsse und die Krabbelkäfer und Fische in den Bächen nicht sonderlich berührt wurden von den grausamen Lächerlichkeiten, die ringsherum stattfanden. Angesichts der Äonen, die die Natur auf dem Buckel hatte, war das temporäre Erscheinen einer blutrünstigen Spezies auf dem Planeten nur eine banale Episode. Tempus passati.


Jüngere Jahrgänge haben ihre visuellen Eindrücke eher in der ziemlich erfolgreichen HBO-Serie „Band of Brothers“ (2001) gewonnen. Die Serie trat einen Schritt hinter Kubrick zurück und war ein unpathetisches Heldenepos, dass die filmische Spielart des Naturalismus, wie sie in Spielbergs „Saving Private Ryan“ (1998) erstmals auftauchte, rigoros weiterentwickelte.
Steven Spielbergs Film war zuvor zum Meilenstein des Genres geworden, weil er tatsächlich Ernst machte mit dem Versprechen uneingeschränkter Authentizität, auf das sich aktuell auch Filme wie „Dunkirk“ einlassen. Die erste halbe Stunde des Films zeigte mit einer scheinbar von allen physikalischen Hemmnissen befreiten Kamera die Landung der Alliierten in der Normandie als naturalistisches Gemetzel, das in einigen amerikanischen Kinos große Teile des Publikums aus den Kinosälen vertrieb, weil sie das brutale Sterben und den 6-Kanal-Dolby Surround-Sound des Tötens und Sterbens nicht mehr ertragen konnten.
Diese neue vom Zuschauer erlebte Körperlichkeit fasste der Filmkritiker Jan Distelmeyer passend zusammen: „Was jedoch in fast jedem der Kriegsfilme von Der schmale Grat über die europäische 180-Million-Mark-Produktion Duell - Enemy at the Gates bis Pearl Harbor zu beobachten war und bis heute geübt wird, ist der Versuch, eine fühlbare Nähe zum Krieg herzustellen. Die Illusion subjektiver, quasi-körperlicher Erfahrung triumphiert über jede noch so propagandistische "Erklärung" des Krieges. Worum er geführt wird und wer eigentlich der Feind ist, bleibt Nebensache ...Fühl den Krieg, und erlebe dich selbst: Im Zerschießen der Körper auf der Leinwand werden unsere Körper im Kino ganz.“

Das war schneidend sarkastisch, traf aber den Nerv. „Saving Private Ryan“, der sich thematisch damit beschäftigte, einem Individuum einen Namen und eine Geschichte zu geben und es aus dem Chaos des Krieges zu befreien, war ethisch gewiss keine gewaltige Leerstelle. Spielbergs von Tom Hanks gespielter Held war eine desillusionierte Figur, musste aber the art of war beherrschen, um seinen Auftrag zu erfüllen. Aber auch Spielberg konnte nicht der Falle der Ökonomisierung entkommen. Denn alsbald marschierten die Epigonen im Dutzendpack heran, die nach Spielbergs Formel seelenverwandte Filme drehen wollten. Zu ihnen gehörte auch Ridley Scotts von der US-Army unterstützter Film „Black Hawk Down“ (2001), der den Kriegsfilm erneut ästhetisch entfesselte und sich nicht lange mit Erklärungen der komplizierten Lage in Somalia aufhielt: erneut kämpften die Guten gegen eine Übermacht blutrünstiger Orks.

Konservative und patriotische Kriegsfilme verzichten seither auf Pathos. Clint Eastwoods „Flags of Our Fathers“ (2006) lässt keine Zweifel am Heldentum der 1945 auf Iwojima kämpfenden Soldaten, zeigt aber verächtlich die Ökonomisierung des Krieges, deren politische Vertreter aus den falschen Soldaten über Nacht PR-taugliche Helden machen und an der Wahrheit nicht interessiert sind. Eastwood war der Einzige, der die blutigen Kämpfe auch aus der Perspektive der Unterlegenen erzählte: „Letters from Iwo Jima“ (2006).

Gerade in diesem Kontext darf auch Mel Gibsons makabre Ästhetisierung des Terrors nicht fehlen, die „Hacksaw Ridge“ (2016) zu einem unerträglichen Stück Kino gemacht hat. Dem erzkonservative Gibson ist es allen Ernstes gelungen, einen Pro-Kriegsfilm zu machen, obwohl der Tenor seines Films das Gegenteil behauptet. Basierend auf wahren Ereignissen erzählt Mel Gibson die Geschichte des Pazifisten Desmond Doss, der sich während des Zweiten Weltkriegs als Patriot und Freiwilliger bei der Army meldet, aber keinen Schuss abfeuern will. Der von Andrew Garfield durchaus sehenswert gespielte Anti-Soldat erfährt während der Ausbildung Mobbing und Gewalt, lässt sich aber nicht aus der Army vergraulen und darf schließlich als Sanitäter an der Schlacht um Okinawa teilnehmen. Dort rettet er auf spektakuläre Weise 75 Kameraden das Leben und zeigt durch seine heldenhafte Opferbereitschaft, dass auch jemand, der nicht töten will, eine kriegstaugliche Rolle spielen kann. Dies motiviert die überlebenden Soldaten zu einer finalen Kraftanstrengung: sie erobern endgültig unter großen Opfern die hart umkämpfte Klippe.
Auch dieser Film wurde und wird von der Kritik gefeiert. Dabei war nur schwer zu übersehen, dass Mel Gibson nicht das Überleben der Soldaten im Sinn hatte, sondern die Ikonisierung ihres notwendigen Sterbens. Ihre zerfetzten Leiber fliegen in „Hacksaw Ridge“ in Zeitlupe durch die Luft, erst der Tod veredelt ihr Leben und führt es einem sinnvollen Zweck zu. Überleben macht nur Sinn, wenn man sofort wieder in den Kampf zieht. Erschreckend: Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Kritiker ging dem Ganzen auf den Leim und entdeckte inmitten der blutigen Schlachtplatte die humanitären Aspekte des Films.

Begriffen hat die versteckte Ideologie von „Hacksaw Ridge“ nur der Kritiker Hans-Ulrich Pönack: „Dass Krieg die totale Scheiße ist, dürfte hinlänglich bekannt sein, wenigstens bei Menschen mit Verstand; da bedarf es nicht dieser mächtig krachenden, brüllenden Unterhaltungsshow, um dies wieder einmal bombastisch vorführen zu lassen und bestätigen zu wollen.“ Allerdings muss hinzugefügt werden, dass der Krieg für Mel Gibson überhaupt keine „totale Scheiße“ ist.

Ein spannender Vertreter des Genres ist auch „War for the Planet of the Apes“ (Planet der Affen: Survival) von Matt Reeves. In dem seit einigen Tagen in den deutschen Kinos laufenden Film kommt die Trilogie zu einem unfriedlichen Ende. Die intelligenten Affen um ihren Anführer Caesar werden von einer militärischen Einheit unter Leitung des „Colonels“ (Woody Harrelson) angegriffen. „Alpha-Omega“ will den finalen Genozid an den Affen, nachdem in den vorangegangenen Affen-Sequels ein von Menschen entwickeltes Medikament zu einer globalen Pandemie geführt hatte, durch die große Teile der Weltbevölkerung getötet wurden. Caesars Angebot einer friedlichen Koexistenz lehnt der Colonel ab. Nachdem der Colonel Caesars Frau und seinen Sohn getötet hat, zieht Caesar mit einer Handvoll Freunde in den Krieg, gerät aber ebenso wie seine Horde in die Gefangenschaft der Menschen.
Reeves’ allegorisch aufgeladener Film zeigt danach in schrecklichen Bildern das Affen-KZ des Colonels und erinnert daran, wozu die menschliche Spezies imstande ist. Auch Caesar wird nur noch durch Wut und Hass gesteuert. Am Ende werden die Menschen vernichtet und die Affen finden eine neue, paradiesische Heimat.

„Planet der Affen: Survival“ ist ein Hybridfilm, der Elemente aus Science Fiction und Western vereint, im Kern aber Kriegsfilm ist. Die Motion-Capture-Technologie feiert einen weiteren beeindruckenden Höhepunkt – nie wurden am Computer erschaffene Geschöpfe so lebensecht und glaubwürdig gezeigt. Auch emotional lässt der Film dem Zuschauer keine Wahl: man schlägt sich natürlich auf die Seite der empathischen Affen und wünscht den barbarischen Menschen das Schlimmste.
Genretypologisch ist die neue Affen-Trilogie spannend, weil die anthropozentrische Perspektive der klassischen Affen-Filme (1968-1973) vollständig abgelegt wird und die Geschichte aus dem Blickwinkel einer domestizierten und unterworfenen Spezies erzählt wird, die qua Mutation einen evolutionären Schritt macht.
Bemerkenswert ist, dass die modernen Ableger, und das gilt besonders für die Versionen von Matt Reeves, auf das Instrument der literarischen Tierfabel zurückgreifen, in der Tiere menschliche Eigenschaften erhalten und damit nicht nur allegorisch deren Stärken und Schwächen widerspiegeln. Auch in den modernen Affen-Filme sind nicht alle Affen gut, es gibt „Bad Apes“ und Verräter an der eigenen Gattung, aber dies schmälert nicht die moralische Lektion, nämlich dass eine Spezies dank ihrer größeren Empathie und ihres unerschütterlich gut funktionierenden Sozialverhaltens den Menschen als Krone der Schöpfung vom Thron stoßen kann. Verdientermaßen, behaupten die Bilder von „Planet der Affen: Survival“.

Matt Reeves’ Film ist ein beeindruckendes Stück Kino, das sich über vieles hinwegsetzt, was sich andere Blockbuster gestatten. Schaut man genau hin, dann erkennt man aber, dass auch in diesem Kriegsfilm unverkennbar Schemata auftauchen, die ab und an sogar mit den Instrumenten des Propagandafilms arbeiten. Zwar will sich der Film auf „Apokalyse Now“ beziehen und die Figur des „Colonel“ soll an den berüchtigten Colonel Kurtz erinnern, aber die menschlichen Feinde werden zu der bekannten amorphen Masse, die wie in anderen Kriegsfilmen ohne Gnade bekämpft werden muss.
Dabei ist deren Wut auf die Affen zumindest vordergründig nachvollziehbar, sind Affen doch Träger eines tödlichen Virus und nun auch noch von dessen neuer Spielart, einer Mutation, die den Menschen die Sprache raubt (sic!) und sie in primitive Kreaturen verwandelt.
Dies wird nur am Rande thematisiert, im Übrigen etabliert „Planet der Affen: Survival“ ein kräftiges Schwarz-Weiß, in dem die sympathischen Affen einer Übermacht von Neo-Faschisten gegenüberstehen, die sich unter der amerikanischen Flagge zum darwinistischen letzten Gefecht rüsten. Und Caesar, der durch seine Rachegefühle quasi immer mehr zum Menschen wird, muss am Ende sterben, offenbar auch, weil die filmische Fabel nach einer moralischen Bestrafung verlangt. „Planet der Affen: Survival“ ist ein sehenswerter Film, auch wegen seiner differenzierten und subtilen Handlung, ganz entziehen kann sich der Film den Schemata des Kriegsfilms aber nicht.

Die Bandbreite dieses gewalttätigen und doch sehr faszinierenden Genres ist also groß. Die unterschiedlichen Topics in Kriegsfilm sind häufig völlig antagonistisch (Helden vs. Anti-Helden, Heroismus vs. Sinnlosigkeit, gerechter Krieg vs böser Krieg, Individuen vs amorphe Massen von Feinden, ethischer Widerstand vs blinder Nationalismus), aber dies sind kein Dysfunktionen der Narrative, sondern die Essenz des Genres. Der Kriegsfilm ist ein Genre, das auch bei allerbesten Vorsätzen nicht aus dem Dickicht der inneren Widersprüche entkommen kann. Paradox? Ja.


Der Kriegsfilm – ein Genre, das sich nicht fassen lässt

Kein Regisseur oder Produzent, der bei klarem Verstand ist, wird vor diesem Hintergrund einen Film machen, der enthusiastisch für den Krieg wirbt. Es sei denn, er ist angeheuert worden, um einen Propagandafilm zu machen. Oder er folgt einer verqueren Ideologie, wie sie bei Mel Gibson zu erleben ist. Aber auch dort wird nicht, zumindest nicht auf den ersten Blick, für den Krieg an sich plädiert, sondern für die besonderen Tugenden, die er hervorbringt. Auch wenn Gibsons Hauptfigur nicht töten will und keinen Schuss abfeuert, wird sie am Ende entscheidend für die positive Kampfmoral der Einheit sorgen.

Das Genre des „Kriegsfilms“ bleibt also seltsam unbestimmt. Es wird immer gestorben, und je jünger die Film sind, desto grausamer fallen die Details aus. Richtig schwierig wird es, wenn man die Frage beantworten soll, ob es eigentlich Anti-Kriegsfilme gibt, die nicht in die beschriebenen Fallen, Paradoxien und Dilemmta hineinlaufen.
Welche Qualitäten müsste so ein Film eigentlich aufweisen? 
Nun, man könnte aus der Sicht der christlichen Ethik einen Film machen, der Töten generell verwirft. Ungeachtet der historischen und politischen Hintergründe der jeweiligen Kinogeschichten. Egal, ob sie sich in Vietnam oder im Zweiten Weltkrieg oder möglicherweise im Irak ereignen. Gelungene Beispiele für derartige Vorhaben sind mir nicht bekannt, das Ethische ist sozusagen Privatsache des Kinogängers, zumal nicht selten der Klerus selbst Kriege geführt hat oder mit den Truppen ins Feld gezogen ist, um dort für den Erfolg und das Gelingen zu beten. Und hinterdrein wird beteuert, man habe aus dem Entsetzlichen gelernt und so etwas dürfe sich nie wiederholen. Tut es aber. Meistens noch schlimmer.

Vielleicht ist diese Forderung unbillig, denn christliche Ethik konnte eigentlich nur in der Botschaft der Bergpredigt mit uneingeschränktem Pazifismus gleichgesetzt werden. Nietzsche nannte dies eine Religion der Feiglinge. Die christlichen Kirchen bemühten sich dagegen um eine realitätstaugliche Deutung des Gebots Du sollst nicht töten. So stellte Augustinus fest, dass Kriege dann gerecht sind, wenn sie Gottes Ordnung herstellen oder verteidigen. Gott müsse den Krieg wollen, was man daran erkennen kann, dass sein Vertreter auf Erden sie will.
Auch Thomas von Aquin bezog sich ebenfalls auf eine Autorität, die Kriegen eine Legitimität zusprechen kann. Die Legitimität erhält sie durch gerechte Absichten, was in den nachfolgenden Jahrhunderten fast zwangsläufig dazu führte, dass beide Kriegsparteien Gottes Segen für sich reklamieren konnten. Wer es also für zynisch hält, dass in
„Saving Private Ryan“ Captain Millers exzellenter Scharfschütze Private Daniel Jackson (Barry Peeper) beim Töten um göttlichen Beistand bittet, der hat das jahrhundertelange Ringen der Kirchen um die Definition eines „Gerechten Krieges“ in seiner ganzen Brisanz nicht verstanden.

Diese Brisanz entsteht aus dem Absolutheitsanspruch des 5. Gebotes und der pragmatischen Einsicht, dass es einen Anspruch auf Selbstverteidigung gibt und die Völkergemeinschaft auch nicht ungerührt zuschauen darf, wenn Genozid und Rassenwahn zur Vernichtung von Millionen Verfolgter führen. Das sie es dennoch tat und weiterhin tut, ist ein anderes Thema.

Als Bespiel für das Dilemma der christlichen Ethik kann der Katechismus der Katholischen Kirche von 1997 herangezogen werden. In der Aufrechterhaltung des Friedens wird die Dialektik von Absolutheit und sittlich vertretbarer Notwehr diskutiert und mit klaren Kriterien versehen. Der Gerechte Krieg kann unter Beachtung strenger Auflagen
Gottes Ordnung wiederherstellen und damit den Frieden, „die Sicherheit und  Freiheit der Völker." Das Dilemma besteht allerdings darin, dass Kriege, die im Kern als gerecht erscheinen, im Detail von den unterschiedlichsten Interessen und Absichten bestimmt werden.

Operiert bereits die christliche Ethik auf schwierigem Terrain, so könnte man versuchen, ohne religiöse Aspekte einen Anti-Kriegsfilm so zu definieren, dass die von ihm erzählten Leidensgeschichten die Forderung nach einer uneingeschränkten Abschaffung des Krieges als Mittel der Politik begründen. Das wären allgemein-ethische Einwände, möglicherweise auch politische. Dafür spricht eine Menge, allerdings kollidiert dies mit der Erfahrung, dass der Versuch einer gewaltsamen Lösung unterschiedlichster Konflikte zum einen eine anthropologische Konstante zu sein scheint, zum anderen aber so starke Legitimierungspotentiale besitzt, dass Unzählige freiwillig und aus gutem Glauben zu den Waffen greifen. Dies muss nicht das Ergebnis von Propaganda sein, auch legitime Selbstverteidigung wie in „Planet der Affen: Survival“ und politisch-historische Argumente können sehr überzeugend sein. Ich selbst hielt das Engagement im Kosovo-Krieg für alternativlos, aber erst nachdem DIE ZEIT ein Foto aus einem serbischen Lager neben eins aus Auschwitz stellte. Sie waren nicht voneinander zu unterscheiden.

Dies führt aber nicht dazu, dass sich Kriegsfilme um diese politischen, ideologischen, historischen und ökonomischen Aspekte ihre Geschichten bemühen. Gut, das würde den Rahmen sprengen, meint man. Das Kino bevorzugt halt das Episodische und behauptet, im Kleinen auch das große Ganze erkennen zu lassen. Aber ganz überzeugend scheint dies nicht zu sein. 

Paul Greengrass hat so etwas 2010 mit „Green Zone“ versucht, ein Film, der die Frage nach den irakischen Massenvernichtungswaffen aufwirft, lange nachdem bekannt war, dass Tausende aufgrund einer Lüge gekämpft haben und dabei gestorben sind. 
Andere Filme wie etwa „Churchill“ (2017) scheitern an ähnlich guten Vorsätzen, weil sie historische Fakten fälschen und die moralische Debatte schon allein deswegen zur Farce wird. Und Christopher Nolans „Dunkirk“ verweigert sich beinahe programmatisch einer historischen oder ideologiekritischen Reflexion der Ereignisse.

Andere Kriegsfilme lassen sich auf diese Debatte erst gar nicht ein, weil sie ihre Narrative vor der Kulisse eines historisch allgemein als notwendig erachteten Kriegs erzählen. Dazu gehört natürlich der Kampf der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs, dessen Legitimität schwerlich anzuzweifeln ist und deren massenhaftes Sterben den Faschismus niederwarf. In der Bewertung dieses epochalen Krieges herrscht seither ein breiter Konsens, aus dem sich auch Pazifisten nur schwer herauswinden können. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Kriege immer zweifelhafter und auch der notwendige Krieg gegen den Internationalen Terrorismus ist en passant auch ein Vehikel für eine Reihe anderer geostrategischer und politischer Motive. Noch stärker als in zurückliegenden Zeiten versagt die Dichotomie von Gut und Böse.

Fazit: Kriegsfilme spiegeln mehr oder weniger die ganze Bandbreite dieser Debatte und ihrer Widersprüchlichkeit wider.
Auch, indem sie sich ihr entziehen. Der Rückzug der Kriegsfilme ins Episodisches hat System, auch weil das Kino keine Antwort auf die Fragen finden kann, die auch die Historiker, die Kirche, die Politik und erst recht nicht die Öffentlichkeit beantworten können. Fast alle Kriegsfilme bebildern die Schrecken der Gefechte und die Sinnlosigkeit des Sterbens, die sich nicht nur im Tode zeigt, sondern auch in der angebrühten Professionalität der Soldaten, die alles überleben wie „Die Reiter der Apokalypse“ in Samuel Fullers „The Big Red One“ (1980). Trotz des Fehlens von Sinn werden im Kriegsfilm aber keine Geschichten über Deserteure und nur gelegentlich über Feiglinge erzählt, sondern Geschichten und Mut und Opferbereitschaft. Dieser spezielle Existenzialismus des Kriegsfilms lässt seine Widersprüche hinter sich und bietet damit auch dem Publikum wirksame Identifikationsangebote, die jemand, der sein Gewehr wegschmeißt, nicht zu bieten hat.
Anti-Kriegsfilme gibt es vielleicht auch aus diesem Grund nicht. Vielleicht kann man Lewis Milestones 1930 entstandenen „All Quiet on the Western Front“ (Im Westen nichts Neues) zu ihnen zählen, möglicherweise auch Stanley Kubricks „Paths of Glory“ (1957). Milestone hat übrigens 1959 mit dem wenig bekannten „Pork Chop Hill“ einen weiteren Kandidaten produziert, der auf einem realen Vorbild basiert: dort werden Soldaten in einem strategisch sinnlosen Gefecht in voller Absicht geopfert, um dem Gegner das Prinzip eines Krieges ohne moralische Einschränkungen zu verdeutlichen. Aber einen neuen Genrebegriff haben diese Filme nicht erzeugt, man redet weiterhin von Kriegsfilmen. Und die haben, wie wir gesehen, sehr unterschiedliche Intentionen. 


Die Tugenden der Toten und der Überlebenden

So bleibt nur noch der Begriff des Kriegsfilms übrig, der sich aufgrund seiner schwammigen Eigenschaften wahrlich als Chimäre entpuppt. Denn Kriegsfilme erzählen eben nur selten von den historischen Hintergründen, ihre Tableaus konzentrieren sich vielmehr auf den einzelnen Soldaten und seine Kriegserfahrungen. In „Saving Private Ryan“ stellen sich die Soldaten um den von Tom Hanks gespielten Captain genau diese Frage, die auch eine der Effizienz ist: Was ist sinnvoll daran, für einen Einzelnen viele zu opfern?
Jene, die im Graben liegen oder immer wieder strategisch wichtige Anhöhen wie in „Hacksaw Ridge“ oder ganz und gar unbedeutende wie in „Pork Chop Hill“ erobern sollen, interessieren sich für die globalen und ziemlich elaborierten Fragen eigentlich nur am Rande. Sie wollen nur überleben. Und somit entsteht die bereits erwähnte Paradoxie, dass auch in Kriegen, die historisch betrachtet Schlimmeres verhindert haben, der Einzelne weder im eigenen Tod noch in dem seiner Kameraden einen Sinn erkennen kann, dafür aber im Überleben. 

Auch „Dunkirk“ enthüllt dies. Nolan zeigt, wie die geretteten britischen Soldaten unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Heimat die Sorge umtreibt, dass sie eigentlich nichts geleistet haben. Als sie von den Einheimischen gefeiert und mit Essen versorgt werden, stellt ein junger Soldat einem älteren Mann genau diese Frage und fügt hinzu: „Wir haben doch nur überlebt!“ „Das reicht“, erwidert der Ältere.

Dies ist ein Schlüsselthema des Genres. Es geht im Kriegsfilm immer um den Einzelnen, obwohl der Soldat im Krieg systematisch um seine Individualität gebracht wird. Es geht darum, was er tut und darum, was er nicht tut. Kameradschaft basiert in Kriegsfilmen durchaus auch auf Sympathie, häufiger aber auf den Regeln einer Notgemeinschaft. Mut ist eine Charaktereigenschaft, aber wenn er das Ergebnis von Professionalität ist, wird er noch wichtiger. Tugendhaft ist der, der töten kann, ohne getötet zu werden, weil er mit dieser Kunstfertigkeit auch weiterhin seinen Kameraden das Leben retten wird.
Deshalb lässt Christopher Nolan seine Figuren in „Dunkirk“ auch so wenig reden. Auch nicht die befehlshabenden Offiziere, sodass auch die Nebenrolle von Kenneth Branagh in dem Film tatsächlich nur eine Nebenrolle ist.

Der inneren Widersprüchlichkeit entkommt das Genre daher nur durch eine Reihe von Topics, die immer in Kriegsfilmen vorhanden: Tod, Mut, Heldentum, Männlichkeit und Kameradschaft sind die Tugenden, die darüber entscheiden sollen, ob man am Ende überlebt oder nicht. Um was konkret gekämpft wird, verschwindet dabei fast völlig aus dem Fokus. Zu beachten ist dabei, ob diese Tugenden im Kriegsfilm in ihrer Widersprüchlichkeit gezeigt oder glorifiziert werden: Pragmatismus vs Pathos.

Nolan lässt Tom Hardy in „Dunkirk“ als Kampfpiloten solange kämpfen, bis der Sprit alle ist. Den Befehl, zur Basis zurückzukehren, ignoriert er. Er schießt im freien Flug noch einen gegnerischen Bomber ab und gleitet im Tiefflug über den Strand von Dünkirchen, bevor er notlanden muss. Gesprochen hat auch Tom Hardy in Nolans Film nur wenig. Er lässt seine Taten sprechen, weil er weiß, dass er das kann, was er tut. Er will Leben retten, opfern will er sich nicht, er schöpft lediglich seine Möglichkeiten aus. Man fühlt sich versucht, an Ernst Jünger zu denken, der 1920 in seinem Buch „In Stahlgewittern“ den Krieg als „Morden“ bezeichnete, dennoch bis zum Ende heroisch weiterkämpfte und dafür den Orden „Pour le Mérite“ erhielt, bevor sich sich während des Nationalsozialismus einer Verklärung des Soldatischen verschrieb.

In den neuen asymmetrischen Kriegen gibt es diese Gewissheiten nicht mehr. In ihnen ist der Feind nicht mehr an der Uniform zu erkennen, sondern kann ein Kind sein, das einen Sprenggürtel trägt. So verschwimmen die Fronten zwischen Gut und Böse.
Asymmetrie in der Kriegsführung ist aber kein neues Phänomen. Samuel zeigt
in „The Steel Helmet“ (Die Hölle von Korea, 1951), dass sich zwei Koreaner als Missionarinnen verkleiden, um aus dem Hinterhalt anzugreifen. Auch harmlose Zivilisten lassen die amerikanischen Soldaten nur mit der Waffe im Anschlag passieren.
Auch Fullers Soldaten interessieren sich nicht für die Legimität dieses Krieges. Interessant ist aber, dass ein gefangengenommener Propaganda-Offizier versucht, einen japanischstämmigen Sergeanten zu agitieren. Ergebnislos, aber der GI erzählt, dass seine Eltern während der Zweiten Weltkriegs in einem US-Lager interniert wurden. Diese Textzeile hätte Fuller mitten in der MaCarthy-Ära fast den Kopf gekostet - seine Film wurde als kommunistische Propaganda verunglimpft.
Sichtbar wird hier, dass sich Kriegsfilme offenbar auch selbst legitimieren müssen. Zwar wurden vor 66 Jahren historische Tatsachen noch nicht Fake News genannt, aber die Lüge oder wenigstens das Verschweigen sollte bereits damals neue Tatsachen schaffen.

Aktuelle Filme, in denen
asymmetrische Kriege gezeigt werden, erzählen von anderen Problemen. Etwas scheinbar Richtiges kann plötzlich ein Kriegsverbrechen sein, eine begründete Entscheidung kann zum Desaster führen, wie Tobias Lindholm in dem dänischen Film „A War“ zeigt. Dort führt ein angeforderter Luftangriff zum Tod von elf Zivilisten. Der verantwortliche Offizier muss sich in der Heimat vor Gericht verantworten, rettet sich durch eine Lüge und die Falschaussage eines Kameraden. Er erfährt dabei auch, dass diejenigen, die über ihn zu Gericht sitzen, keine Vorstellung von dem haben, was die Soldaten im Auslandseinsatz bewältigen müssen.

Man sieht: Die neuen Kriege werden medial begleitet und verarbeitet, die Soldaten sind nicht länger anonym. Was sie tun, bleibt nicht ihr Geheimnis. Moderne
asymmetrische Kriege führen daher auch zu Kriegsfilmen, in denen die Entfremdung zwischen den Soldaten und der Öffentlichkeit zum Thema wird.
Zur ethischen Problematik tritt daher auch eine völlige Desorientierung der Soldaten hinzu. Man verliert den Überblick über die Kombattanten und versteht am Ende überhaupt nicht mehr, wer eigentlich was will und wer jemand tatsächlich ist. Jeder Zivilist kann eine Bombe tragen, auch Kinder verlieren ihre Unschuld. Die Frage, ob das Sterben sinnhaft ist oder nicht, stellt sich nun plötzlich auf eine paranoide Weise. Und die klassischen Tugenden
befinden sich in völliger Auflösung, weil man dem Feind immer seltener direkt gegenübersteht, sondern sie wie in einem Computerspiel mit einer Drohne erledigt.

In
Gavin Hoods „Eye in the Sky“ (2016) müssen sich die Akteure, die in einem weltweiten Netzwerk die Logistik eines Drohneneinsatzes planen, keine Gedanken um ihr Überleben machen. Sie sitzen an Monitoren und jeder hat nur eine kleine Teilaufaufgabe. Diese Arbeitsteilung entlastet auch moralisch. Dennoch muss in diesem Räderwerk jemand entscheiden, ob Zivilisten getötet werden dürfen oder nicht. Und dann ist da auch jemand, der final auf den allerletzten Knopf drücken muss.

Diese neuen Probleme deklinieren auch aktuelle Kino-Narrative durch. So ist es weiß Gott nichts Neues, dass Afghanistan- und Irak-Heimkehrer, also Überlebenden, im zivilen Leben nicht mehr Fuß fassen können, dafür aber unbedingt wieder zurück zu ihrer alten Truppe wollen, zu intensiv war das gemeinsame Erleben, die Kameradschaft. Unbequeme Erkenntnisse. 
Dass vor diesem Hintergrund die modernen Kriege PR-technisch der Öffentlichkeit richtig verkauft werden müssen, zeigte der dänische Dokumentarfilm „Camp Armadillo“ (2010), der die Dänen schockierte, als sie sahen, welchen Grad der Verrohung ihre Soldaten in Afghanistan erreichen konnten. Dies wollte ganz und gar nicht dem Bild vom humanitären Ziel entsprechen, dass man der Öffentlichkeit verkauft hatte. Dabei hätte man diesen Film eigentlich nicht gebraucht, um zu dieser Einsicht zu gelangen. Im Krieg wird man nicht nur getötet, sondern man tötet auch. Dass dies offenbar Spaß machen kann, will dann keiner wissen.

Vielleicht muss man Frauen die nächsten Filme über den Krieg drehen lassen. In Susanne Biers „Brothers – Zwischen Brüdern“ (2004) kehrt ein totgeglaubter Soldat in seine Heimat zurück. In Afghanistan war er Gefangener der Taliban, die ihn vor die Wahl stellten, seinen Mitgefangenen zu töten oder selbst zu sterben. Biers Held erschlägt seinen Kameraden mit einer Eisenstange.
Der von der Kritik als Meisterwerk gefeierte Film ist gegenwärtig in Deutschland nicht zu kaufen, wohl aber sein US-Remake. Biers Film konterkarierter bereits 2004 den Heldenmythos, der sich in letzter Zeit wieder in die Kinofilme einschleicht. Denn trotz einiger kritischer Versuche
thematisieren Kriegsfilme die globalen militärischen Konflikte aus der US-amerikanischen Perspektive. Und hier schleichen seit geraumer Zeit wieder Deutungsangebote ein, die Loyalität und Kameradschaft als sinnstiftende Erfahrung idealisieren oder aus kommerziellen Gründen den Krieg naturalistisch in Szene setzen, ganz einfach auch, weil das moderne Kino die erforderliche Technik besitzt. Michael Bays „13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi“ ist geradezu plump in seiner historischen Ignoranz und bietet nichts außer der Darstellung einer professionellen Ego-Shooter-Metzelei.

„Dunkirk“ gehört nicht zu dieser Sorte Film. Er glorifiziert auch nicht das Sterben. Vielmehr führt er Mut und Entschlossenheit auf unterschiedliche Weise vor. Wohl am nachhaltigsten an der Zivilcourage der Zivilisten, die im Film beinahe im Alleingang die britischen Soldaten aus ihrer misslichen Lage befreien. Nolan konzentriert sich auch nicht auf die Tugenden der Toten, sondern auf die Tugenden derer, die beim Überleben helfen. „Dunkirk“ zeigt aber auch, dass Nolan ein weitaus größeres Interesse an stilistischen Innovationen hatte als an einem Diskurs, der über die bekannten Topics der Kriegsfilme hinausgeht. Dabei ist Nolans Film keineswegs innovativ, sondern ein Ableger all jener Filme, die seit „Saving Private Ryan“ angetreten sind, um dem Kinogänger ein besonders authentisches Kriegserlebnis zu verschaffen. Der Unterschied ist, dass Steven Spielbergs Film Reflexion zulässt und Deutungsangebote macht, auch wenn man sie nicht immer teilen kann. Nolan grenzt sich dagegen vom Diskurs ab und schiebt den Schwarzen Peter dem Zuschauer zu. Dass auch hierzulande einige Kritiker für diesen auch kinohistorischen Kontext nicht empfänglich waren, erschüttert dann doch einigermaßen.

Stattdessen wurde „Dunkirk“ von der Kritik gefeiert („the greatest war film ever“) bis hin zu der abenteuerlichen Bewertung, dass „Dunkirk“ der bis bislang beste Film des 21. Jh. sei.
Ich bin da anderer Meinung: der Film ist ein ästhetisches Projekt, eine erneute Studie Nolans über die Beziehung von Zeit und Raum, Geografie und filmischem Raum. Er enthistorisiert den Krieg und ergänzt das Genre durch eine existenzielle Mythologie.

Das wirkt beinahe altbacken in einer Zeit, in der Soldaten Handyvideos von ihren Erlebnissen machen, das mediale Trommelfeuer unfassbarer Schreckensbilder die Grenzen von Fiktion und medial vermittelter Wirklichkeit verschwimmen lässt, während die Öffentlichkeit die alten Schreckensbilder aus dem Kosovokrieg längst vergessen hat und sich wohl auch nicht mehr daran erinnern kann, was „Embedded Journalism“ im Irakkrieg bedeutete.
Dazu passt auch, dass die filmischen Fiktionen über den Krieg ihre Deutungspotentiale einbüßen. Bereits nach
„Saving Private Ryan“ gab es die passenden Computerspiele zum Film. Daran hat sich bis heute nichts geändert, die crossmediale Vermarktung des Kriegsfilms ist Standard geworden und in den neuen digitalen Welten können die User nun die Kämpfe am Omaha Beach mit einer pseudo-sinnlichen Körper-/Kriegserfahrung nacherleben.

Dass diese martialische Virtualisierung im Zeitalter der Digitalisierung nicht alles ist, haben Silke Satjukow und Rainer Gries in einem Aufsatz deutlich gemacht. Multimediale Medienangebote, die Contents im Bonusmaterial der DVDs und Blurays, die Debatten in den Social-Media-Kanälen führen zu einem neuartigen Referenzhorizont während und nach der Rezeption von Filmen. Geschichtsaneignung findet dabei statt, aber es scheint, als würde der Einfluß auf das Ergebnis den klassischen Deutungsmedien entgleiten. So wissen auch die beiden Medienwissenschaftler nicht, wie sie
„die User auf dem Weg zum homo historicus begleiten können.„Dunkirk“ ist ein Film, der ebenfalls mit jenen ökonomischen und crossmedialen Aspekten verknüpft ist, die den modernen Kriegsfilm im Niemandsland zwischen Moral und digitalem Rummelplatz verorten. Der Film soll schließlich das Fünffache seines Budgets einspielen. Die Entscheider bei Warner Bros. Pictures haben also verstanden, worum es geht.
Man sieht dies am Merchandising. Warner Bros. präsentierte ein 360 Grad-Promovideo, bei dem man mit der Maus das Bild in alle möglichen Richtungen drehen kann, dabei in Farriers Cockpit sitzt oder die unter einer brennenden Öldecke versinkenden Soldaten aus jeder Perspektive und in aller Ruhe beim Ertrinken studieren kann.
Cristopher Nolan kann dies nicht vorgeworfen werden. Ekelhaft ist es dennoch. „Dunkirk“ ist beileibe kein Meisterwerk, aber ein interessantes Experiment. Löst man es aus seiner Singularität als Kunstwerk heraus und blickt auf die ökonomischen und digitalen Dimensionen des Projekts, wird der Film im Nachgang zu einen restlos sinnbefreiten Erlebnis. 


Quellen

  • Publikum unter Dauerfeuer – Jan Distelmeyer: DIE ZEIT Nr. 06/2002, Onlinetext 
  • Geschichtsaneignungen in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts - Silke Satjukow und Rainer Gries: Aus Politik und Zeitgeschehen, bpb Nr. 51/2016, S. 12 ff.
 
Note: BigDoc = 4

Dunkirk – USA, Großbritannien, Frankreich, Niederlande 2017 - Regie und Buch: Christopher Nolan - Kamera: Hoyte Van Hoytema - Musik: Hans Zimmer – Laufzeit: 107 Min – FSK: ab 12 Jahren - D: Tom Hardy, Fionn Whitehead, Jack Lowden, Harry Styles, Mark Rylance, Aneurin Barnard, James D'Arcy, Barry Keoghan, Cillian Murphy, Kenneth Branagh.