Samstag, 26. August 2017

Better Call Saul: Season 3 – alles wie gehabt, aber noch besser!

In Season 3 muss sich Jimmy McGill immer noch mit seinem Bruder Chuck auseinandersetzen, aus der „Battle of Brothers“ wird nun eine unbarmherzige Auseinandersetzung, bei der es am Ende nur Verlierer gibt. Mike Ehrmantraut wird dagegen immer tiefer in die Auseinandersetzung mit Drogenboss Hector Salamanca hineingezogen und lernt dabei eine zentrale Figur aus „Breaking Bad“ näher kennen, als ihm lieb ist. In der 3. Staffel der AMC-Serie kommen die Einschläge immer näher, aber die Hauptfiguren hören sie erst, als es beinahe zu spät ist.

Himmel, hört das überhaupt nicht mehr auf? Auch in der 3. Staffel müssen wir darauf warten, dass sich Jimmy McGill (Bob Odenkirk) in Saul Goodman verwandelt, jenen umtriebigen und gelinde gesagt doch sehr verschlagenen Anwalt, der für Walter White in „Breaking Bad“ die Kastanien aus dem Feuer holt. Doch auch diesmal passiert sie nicht, jene Verwandlung, die aus dem Trickster Slippin’ Jimmy den Anwalt für die bösen Buden macht. Angedeutet wird sie allerdings schon.


Stattdessen muss sich Jimmy McGill weiterhin mit seiner Nemesis herumschlagen. Und die legt richtig los: Chuck (Michael McKean), Jimmys von einer gewaltigen Phobie geplagter Bruder, will seinen kleinen Bruder endlich und abschließend aus der Gemeinschaft der ehrbaren Anwälte zurück in die Gosse befördern. Das hat er schon von Anfang an gewollt, aber fiese Pläne gehen wie schon in „Breaking Bad“ meistens ganz anders aus. Die „Battle of Brothers“ bleibt einer der beiden Hauptplots, während sich der zweite Erzählstrang um den bei den Fans sehr populären Mike Ehrmantraut (Jonathan Banks) mit großen Schritten weiterentwickelt und tief in die Welt von „Breaking Bad“ eintaucht. Zumindest zu Anfang stellte sich daher die Frage, ob „Better Call Saul“ bei der Entwicklung seiner Titelfigur überhaupt vom Fleck kommt. Also scheinbar nichts Neues im Spin-off der großen Erfolgsserie?


Willkommen in der Breaking Bad-Welt von Albuquerque

Auf jeden Fall bleibt sich „Better Call Saul“ auch in Season 3 treu und zelebriert genau das, was die Serie bislang auf Kurs gehalten hat: sie folgt weiterhin dem Prinzip der Langsamkeit. Schritt für Schritt und Szene für Szene wird aus kleinen Mosaiksteinen etwas zusammengesetzt, was der Zuschauer bei flüchtigem Hinschauen für ein kompliziertes Puzzle hält. Bis er merkt, dass alles sorgfältig geplant wurde und sich aus den unscheinbaren und zufällig auftauschenden Bausteinen etwas zusammensetzt, das auf verblüffende Weise zu etwas Ganzem führt. 
Das kann dauern und es war bereits das Markenzeichen von „Breaking Bad“. 
Dabei sind die narrativen Gesetze, die Vince Gilligan und sein Team in Stein gemeißelt haben, recht einfach: Kausalität und Tragödie sind die zwei Seiten einer Medaille.
Hört sich schwierig an, ist es aber nicht. Üblicherweise sucht man in den Ursachen einer Sache auch eine sinnvolle Erklärung dafür, was anschließend geschehen ist. Dabei ist die Wirkung schon längst die Ursache für etwas ganz anderes. Kleine Dinge können große Folgen haben. Bloß erkennt man das erst, wenn man mittendrin in den Ereignissen ist, die irgendwann alles mitreißen, wie es auch umstürzende Dominosteine tun. Deshalb beginnt „Better Call Saul“ in seiner allerersten Episode „Uno“ (1x01) mit dem Ende: die Titelfigur ist in Omaha (Nebraska) abgetaucht und arbeitet unter dem falschen Namen „Gene“ in einem Backwarengeschäft, offenbar in ständiger Angst vor etwas, das wir noch nicht kennen.


Staffel-Review

Review Staffel 1
Review Staffel 2
  

Episode 1: „Mabel“

Wie in „Uno“ beginnt die dritte Staffel in der Gegenwart: „Gene“ beobachtet in der Shopping Mall einen Ladendieb und verpfeift ihn bei den Sicherheitskräften. Anstatt unauffällig zu bleiben, schreit Jimmy aka Saul aka Gene dem Abgeführten hinterher, er solle sich einen guten Anwalt nehmen. Kurz danach bricht er zusammen. Der Zuschauer soll also nicht vergessen, was Erzählgegenwart und was ein riesiger Flashback ist – nämlich der ganze Rest der Serie.

Zurück im Jahr 2003 wird Jimmy klar, dass seine raffinierte Fälschung von Chucks „Mesa Verde“-Unterlagen zwar dazu führte, dass nun Kim die ehemaligen HHM-Kunden betreut, Chuck sich dafür aber rächen wird. Allerdings ahnt Jimmy nicht, dass sein Bruder das Geständnis Jimmys heimlich aufgezeichnet hat.
Mike findet nach dem fehlgeschlagenen Mordanschlag auf Hector Salamanca (Mark Margolis) in seinem Auto einen Tracker. Offenbar wird er von einem Unbekannten ausspioniert, dreht nun aber den Spieß um.


Episode 2: „Witness“

Die Spur des manipulierten Trackers führt direkt zu „Los Pollos Hermanos“ und damit zu Gus Fring (Giancarlo Esposito), dem großen Gegenspieler von Walter White (Bryan Cranston) in „Breaking Bad“. Ausgerechnet Jimmy soll für Mike in der Hähnchen-Braterei herumschnüffeln, was immerhin drei wichtige Figuren aus dem „Breaking Bad“-Kosmos zusammenführt. 

Da auch Francesca von Jimmy als Sekretärin in der gemeinsam mit Kim geführten Anwaltskanzlei eingestellt wird, taucht mit Tina Parker nicht nur eine schlagfertige und witzige Darstellerin in dem Spin-off auf, sondern auch eine weitere Nebenfigur aus der Mutterserie.
Jimmy selbst landet in den Fängen seines Bruders, als er sich zu einer fatalen Entscheidung hinreißen lässt. Er dringt in Chucks Haus ein und zerstört in dessen Anwesenheit das belastende Tape. Dass Chuck anschließend zwei Zeugen präsentiert, die alles beobachtet haben, macht Jimmy klar, dass sein Bruder ihn nun mit etwas Handfestem vor Gericht zerren kann. 


Episode 3: „Sunk Cost“

Der Titel der Folge heißt übersetzt ‚versunkene Kosten’. Man könnte auch von irreparablen Schäden sprechen. Dass Jimmys unüberlegte Tat seine Anwaltslizenz gefährdet, wird ihm endgültig bewusst. Doch es ist Chuck, der etwas zerstört hat: die Beziehung zu seinem Bruder. Chucks Klage konfrontiert Jimmy nun mit einer Richterin, die sich nicht so einfach von ihm austricksen lässt. 

Mike trifft sich indessen persönlich mit Gus Fring, der alles andere als ein Freund von Hector Salamanca ist. Allerdings kommt ihm Mikes Rachefeldzug im Moment ungelegen. Dass Mike stattdessen Salamancas Drogentransporte sabotieren darf, führt zu nicht nur zu einem außergewöhnlichen Cold Open, sondern zu einer raffinierten Aktion Mikes, der damit aber auch mitten in die Auseinandersetzungen zweier regionaler Drogenclans geraten ist.


Episode 4: „Sabrosito“

Zumindest der Handlungsstrang um Mike Ehrmantraut nähert sich immer mehr den Ereignissen in „Breaking Bad“. Dabei werden nicht nur unterschiedliche Zeitebenen clever miteinander verflochten, sondern die Showrunner Vince Gilligan & Peter Gould präsentieren auch eine spektakulär inszenierte Episode, in der explizite Kenntnisse über die Mutterserie für den Zuschauer nicht nur vorteilhaft, sondern unerlässlich sind.

In „Sabrosito“ sticht Gus Fring seinen Rivalen Hector mit einer höheren Tributzahlung an Don Eladio (Steven Bauer) aus, den Kartellboss von Ciudad Juaréz. Damit ziehen Vince Gilligan und Peter Gould ein As aus dem Ärmel. Denn Don Eladio und sein Clan werden einige Jahre später in der „Breaking Bad“-Episode „Hermanos“ (4x08) von Gus umgebracht. Ein Flashback zeigt in dieser Episode, dass Hector Salamanca im Jahre 1989 auf Geheiß Don Eladios Gus Frings engen Freund und Geschäftspartner Max kaltblütig erschossen hat. Gus hat also einen guten Grund, um nicht nur mit Hector Salamanca abzurechnen. „Eine Kugel in seinen Kopf wäre noch zu human“, erklärt er Mike. Doch das muss warten. Im Moment übt Hector Druck auf den Hähnchen-Bruzzler aus und will seinen Drogenschmuggel über Gus Fring abwickeln. Seine eigene Logistik wurde von Mike Ehrmantraut zerschlagen.
Jimmy hat sich inzwischen mit einem Kompromiss abgefunden. Er soll seine Vergehen vor der Anwaltskammer von New Mexico gestehen, dafür bleibt ihm eine Gefängnisstrafe erspart. Doch Jimmy hat einen Plan.


Episode 5: „Chicanery“

Wie dieser funktioniert, sieht man im vorläufigen Staffel-Highlight. Chucks geplanter Sieg über seinen Bruder verwandelt sich vor den Anwaltskammer in ein komplettes Desaster. „Chicanery“ ist eine Episode, die es mühelos mit den klassischen TV-Courtroom-Dramen aufnehmen kann. Wie weit man dies ausreizen konnte, zeigte zuletzt „The People vs O.J. Simpson“, eine Serie, die ihre Geschichte nicht einmal erfinden musste, sondern den Akten entnehmen konnte.
Jimmy versucht in
„Chicanery“ (dts. Täuschung) erst gar nicht, die erdrückende Beweislage zu entkräften, sondern inszeniert die Verhandlung in mehreren Akten als minuziös ablaufendes Räderwerk, das am Ende Chuck völlig zerstören wird. Seine Strategie: er will der Anwaltskammer demonstrieren, dass sein Bruder nicht etwa an einer seriösen Krankheit leidet, sondern seine Angst vor Elektrosmog offenbar das Ergebnis eines zerrütteten Geistes ist, der aus Chuck einen Fall für die Psychiatrie macht. „Ich bin nicht verrückt“, brüllt dieser in den Gerichtssaal, aber es ist längst zu spät, seine Glaubwürdigkeit ist angeschlagen. Jimmy wird zwar zeitlich befristet suspendiert, sein Bruder Chuck ist aber unwiderruflich diskreditiert und verliert später auch seine führende Funktion bei Hamlin Hamlin & McGill.
Der Trickster Jimmy hat seinen Hals aus der Schlinge gezogen, aber der Preis ist hoch. „Chicanery“ ist eine Episode, die unheilvoll demonstriert, wie sich Ursachen und Wirkungen hochschaukeln und sich in eine letztlich tödliche Kausalität verwandeln. Brillant inszeniert von dem Emmy Award-Preisträger Daniel Sackheim, folgt dem komödiantischen Auftakt der dritten Season die Tragödie auf mitleidlose Weise. Die letalen Konsequenzen sind dann im Staffelfinale zu betrachten.


Episode 6: „Off Brand“

In der eher ruhigen Episode werden die Scherben zusammengefegt. Jimmy, der nun nicht mehr als Anwalt arbeiten darf, will seine Kanzlei nicht aufgeben und verspricht Kim, seinen finanziellen Beitrag anderweitig zu erwirtschaften. Die rettende Idee ist der Verkauf von Werbevideos, die er mit seiner bereits aus früheren Folgen bekannten Filmcrew produzieren will. Jimmy tritt dabei mit dem Alias Saul Goodman auf. Dass er seinen Kunden keine Premiumvideos verkaufen will, kündigt der Titel an: „Off Brand“ heißt nämlich Billigprodukt.

Episode 7: „Expenses“

Doch bevor es ans Geldverdienen geht, muss Jimmy bezahlen. Die Kosten (engl. Expenses) sind hoch. Die 7. Episode beginnt daher mit einem Cold Open, das diese Logik meisterhaft vorführt. Über Cold Open und ihre dramaturgische Funktion habe ich bereits in der Review zur 2. Staffel berichtet („Cold Open – eine Frage des Stils“), unter anderem am Beispiel der Folge 3x03 „Amarillo“.
„Expenses“ zitiert das Cold Open dieser Episode, dort fährt die Kamera eine Wand entlang und landet bei Jimmy, der einen eleganten Western-Anzug trägt. Diesmal sieht man die trostlose Totale einer roten Ziegelwand, vor der Jimmy ganz links in der Ecke steht. In alten Klamotten. Ein Mann tritt hinzu, weitere Personen folgen. Am Ende steht ein gutes Dutzend vor der Wand, aufgereiht, als würden sie alle ein Erschießungskommando erwarten. Stattdessen fährt ein Van des „Albuquerque Parks Department“ vor und sammelt den traurigen Haufen ein. Jeder muss seinen Namen angeben und eine Verzichtserklärung unterschreiben: die Stadt haftet nicht für Verletzungen.
Was zum Teufel ist hier los? Nun, Jimmy muss die ihm aufgebrummten Sozialstunden abreißen und landet unter einer noch trostloseren Highway-Brücke, wo er Müll mit einem Greifer in einen schwarzen Plastiksack verfrachtet.
Dies könnte ausreichen, um zu zeigen, wie tief der Trickster abgestürzt ist. Doch der von Thomas Schnauz geschriebenen und inszenierten Folge geht dies nicht weit genug: Jimmys Handy klingelt und er meldet sich mit „Guten Morgen. Saul Goodman Productions!“ Jimmy versucht sich Müll sammelnd an einem Videodeal, wenig später an der Kündigung seiner Berufshaftpflichtversicherung. Alles vergeblich. Und dann platzt auch noch ein von ein von einem Autofahrer aus dem Wagen geworfener Müsssack vor seinen Füßen.
Am Ende schleppen Jimmys Leidensgenossen einen Sack Müll zum Van, Jimmy hat dagegen zwei geschultert. Das rettet ihn nicht. Der Vorarbeiter rechnet nur 30 Minuten an statt der geleisteten vier Stunden.
„Sehen Sie ihre Sozialstunden als Knastzeit an. Keine Telefone im Knast!“ 
Dass Jimmy dem mürrischen Stadtbediensteten in „Slip“ eine Lektion erteilen wird, ändert nichts an seinem Drama. Das Cold Open von „Expenses“ zeigt nicht nur Jimmy McGills tiefen Absturz, sondern auch eine fast kafkaeske Willkür, vor der seine Cleverness zunächst noch kapitulieren muss. Bemerkenswert ist aber, wie in „Better Call Saul“ inhaltliche und ästhetische Elemente miteinander verzahnt werden und das Cold Open zu einer eigenen Kunstform wird. Das ist grandioses Storytelling und dazu passt auch, dass das Cold Open in „Armaillo“ mit einem großen Triumph für Jimmy McGill endet, während sein Spiegelbild in „Expenses“ einen vorläufigen Tiefpunkt zeigt. So schnell kann es gehen. Aber es geht noch weiter runter, wie das Cold Open in „Mabel“ zeigte.


Episode 8: „Slip“

Die drittletzte Episode bahnt die Ereignisse an, die im Staffelfinale eine üble Wendung nehmen werden. Chuck hat sich überraschend gut von den Ereignissen in „Chicanery“ erholt, weiß aber, dass sich sein Standing bei HHM dem Gefrierpunkt nähert. Umso mehr ist ihm daran gelegen, allen zu zeigen, dass er seine Krankheit im Griff hat.
Jimmy muss sich nicht nur mit seinen Problemen während des Sozialdienstes herumschlagen, sondern auch mit Kunden, die nicht zahlen wollen. Eins muss man dem Trickster lassen: seine billig zusammengeschusterten Videos sind durchaus erfolgreich und so rächt er sich mit einem gewaltigen Ausrutscher (engl. Slip) an den Besitzern eines Musikladens, die ihn nicht bezahlen wollen. 

Während Jimmys Struggle for Life einen famosen komödiantischen Drive besitzt, ziehen in seiner Beziehung zu Kim dunkle Wolken auf. Kim hat sich bislang loyal verhalten, alles natürlich unter der Prämisse, dass Jimmy tatsächlich Unrecht geschieht und er das Opfer seines gehässigen Bruders ist. Aber ihr durchaus klar, dass man in „Chicanery“ einen schwerkranken Mann fertiggemacht hat. Kims Arbeit für die Mesa-Verde-Kunden zeigt zudem, dass der Stress einer fleißigen und ehrlichen Anwaltstätigkeit ohne Tricks und Intrigen an der Substanz zehrt, erst recht, wenn man mit einem windigen Partner die laufenden Betriebskosten decken muss. Hier haben sich zwei Menschen mit unterschiedlicher Berufsethik gefunden, was auf Dauer zu emotionalen Sollbruchstellen führen muss.
Im Mike-Plot feilt „Nacho“ Varga (Michael Mando) an seinem bereits in den vorherigen Episoden angedeuteten Plan, seinen Boss Hector Salamanca aus dem Weg zu räumen. Sein Entschluss, Hectors lebenswichtige Herzpillen auszutauschen, wird unumstößlich, als der Drogenboss beschließt, die Werkstatt von Nachos Vater für seinen Drogenschmuggel zu benutzen. Den entscheidenden Tipp bekommt Nacho von Mike. Das gibt den Serienmachern die Gelegenheit, eine klassische Suspense-Szene zu drehen, die zu den Sahnehäubchen der Serie gehört. 


Episode 9: „Fall“

In Hinblick auf die Quoten erhält der Episodentitel eine weitere Bedeutung: „Fall“ erzielte mit einem Nielsen-Rating von 1.47 die zweitniedrigste Zuschauerbeteiligung der 3. Staffel. Wenn man weiß, welche wichtige Funktion die vorletzten Episoden einer Staffel mittlerweile erhalten haben, stimmt dies nachdenklich.
Dabei ist „Fall“ nicht nur ein entscheidender Beitrag zur Charakterentwicklung der Figuren, sondern auch eine brillant konzipierte Folge, in der das Komödiantische im Jimmy-Plot immer mehr von der latenten Tragödie zugedeckt wird. 
Die aber mogelt sich als Trojanisches Pferd in die Episode. Jimmys Geldnöte rücken nämlich wieder den alten Sandpiper-Fall in seinen Fokus, der im Falle eines Vergleichs Jimmy eine glatte Million Dollar Gewinnbeteilung einbringen würde. Allerdings lehnen Davis & Main als auch HHM einen Vergleich ab. Jimmy beschließt daher, seinen guten Draht zu den Senioren dazu zu nutzen, die Annahme des Vergleichs zu forcieren. Er manipuliert Irene (Jean Effron), eine liebenswerte Seniorin, so abgefeimt, dass dem lukrativen Vergleich nicht mehr im Weg zu stehen scheint. Dass Irene dabei ihre sozialen Kontakte einbüßt und von ihren gleichaltrigen Freundinnen gemobbt wird, nimmt Jimmy billigend in Kauf. Es gehört zum Plan.
Während Jimmy also einen gewaltigen Schritt in Richtung Saul Goodman macht, befinden sich auch andere Figuren im Sinkflug. Chuck, der aufgrund einer Intrige seines kleinen Bruders unerwartete Probleme mit seiner Berufshaftpflichtversicherung bekommt, wird von HHM aufs Altenteil geschickt.
Auch Kim, deren Geschichte im Verlauf der Staffel eher dezent eingearbeitet wurde, stürzt ab, nachdem sie aus Gefälligkeit einen weiteren Auftrag angenommen hat. Dass sie physisch und psychisch mittlerweile am Rande der Selbstausbeutung agiert, entlädt sich in einem fatalen Autounfall. Die von ihr aufwändig vorbereiteten Unterlagen für ein Kundenmeeting werden buchstäblich vom Winde verweht.


Episode 10: „Lantern“

Im Staffelfinale ist dann endgültig Schluss mit lustig. Die aus vielen kleinen, zum Teil amüsanten Bausteinen zusammengesetzte Geschichte landet endgültig in einer bitterschwarzen Tragödie. Spätestens als Chuck seinem Bruder kalt mitteilt, dass dieser ihm nie etwas bedeutet habe. Dass Chuck offenkundig lügt, mag Jimmy bewusst sein, ändert aber nichts an der niederschmetternden Wirkung Chucks von „Erkenne dich selbst“-Suada. Jimmy könne sich nicht länger herausreden und seine Taten in einer endlosen Litanei bedauern, denn am Ende würde er in jedem Falle alle verletzen und schädigen, die ihm nahe stehen.
Aber Chucks Kälte ist nur Fassade, denn in „Lantern“ entlädt sich seine Phobie in einer zerstörerischen Weise, die beklemmend an Francis Ford Coppolas Paranoia-Thriller „The Conversation“ (1974) erinnert und Chuck in einer zertrümmerten Wohnung zurücklässt. Die finalen Bilder lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass er diese Folge überlebt. Auf jeden Fall eine phantastische Performance von Michael McKean.

Hat Chucks moralische Abrechnung mit seinem Bruder Früchte getragen? Man mag es glauben, denn Jimmy inszeniert eine fingierte „Selbstentlarvung“, mit der er die Reputation der von ihm über den Tisch gezogenen Irene im Altenheim wieder herstellt. Allerdings scheint sich seine Beziehung zu Kim in Luft aufzulösen, als beide beschließen, die gemeinsame Kanzlei aufzulösen.
Mikes Geschichte endet dagegen ambivalent. Da er sich entschlossen hat, mit Gus eine Geldwäsche-Deal zu vereinbaren, wird er unweigerlich tiefer in die Machenschaften des Kartells hineingezogen. Dass Nachos Komplott am Ende gelingt und Hector Salamanca zu dem Wrack macht, das uns in „Breaking Bad“ begegnet, ändert nichts daran, dass auch dem cleveren Mike Ehrmantraut völlig die Kontrolle über sein Leben entglitten ist. Am Ende der Staffel gibt es also nur Verlierer und allein Gus Fring scheint als glänzender Sieger in die nächste Runde von „Better Call Saul“ zu gehen.


Kausalität und Tragödie - zwei Seiten einer Medaille

Wer „Better Call Saul“ vom Ende her betrachtet, wird hoffentlich erkennen, dass die Langsamkeit beim Storytelling zwar Geduld eingefordert hat, aber offenbar einem ‚großen Plan’ folgt. Im Gegensatz zu den X-Files, die nicht immer kohärent ihr Conspiracy-Thema auf den Punkt brachten, scheint es Vince Gilligan diesmal gelungen zu sein, „BCS“ mit strenger Folgerichtigkeit zu erzählen. Zugegeben:  Ohne die Story-Sideline um Mike Ehrmantraut würde das Tempo der 3. Season dramatisch an Fahrt verlieren. Denn bei aller Begeisterung für die langsame Erzählweise verlässt einen nicht ganz das Gefühl, dass „Better Call Saul“ noch stärker auf die Bremse tritt als „Breaking Bad“, das schließlich ‚nur’ eine Staffel brauchte, um richtig in Fahrt zu kommen. Aber man wird reich entschädigt.
Denn grandios ist die Serie beim Character Profiling. Komödie und Tragödie sind fein ausbalanciert. Das Tragische erkennt man allerdings nicht auf Anhieb, es schleicht sich langsam ein, unterfüttert durch einen bitterbösen Witz. Selbst die zweite große Plotlinie, die sich um den knarzigen Mike Ehrmantraut und dessen Verstrickungen in die Schattenwelt der großen Drogenkartelle eine härtere Gangart ankündigt, wird durch diesen schwarzen Humor zusammengehalten, den man in liebevoll skizzierten Details erkennt. Wenn man denn genau hinschaut.
Doch Vorsicht. Für Jimmy und Mike, die noch in unterschiedlichen Universen unterwegs sind, gilt das Gleiche: das Prinzip von Ursache und Wirkung, jene Kausalität, die aus einer Entscheidung eine Tat macht und aus der Tat die nächste folgen lässt. „Better Call Saul“ zeigt, dass alle ganz schlau und angestrengt etwas planen, nur um zu erleben, dass nicht nur die böseste, sondern auch die edelmütigste Tat zu etwas mutieren kann, das man überhaupt nicht gewollt hat. Kleine Fehler, große Folgen. Bertolt Brecht hat dies in der „Dreigroschenoper“ mit der „Ballade von der Unzulänglichkeit menschliches Planes“ gut auf den Punkt gebracht:
Ja, mach nur einen Plan!
 Sei nur ein großes Licht!
 Und mach dann noch ’nen zweiten Plan
. Gehn tun sie beide nicht.
 Denn für dieses Leben 
ist der Mensch nicht schlecht genug. 
Doch sein höhres Streben
 ist ein schöner Zug.

Ob und wann James
„Jimmy" schlecht genug für diese Welt sein wird, ist die unausgesprochene Frage in „Better Call Saul“. Weder in der Dreigroschenoper“ noch in dem Spin-off sind die Götter im Olymp für die menschlichen Tragödien und ihr Scheitern verantwortlich, sondern die Akteure selbst sorgen dafür, das alles den Bach runtergeht. In „Forrest Gump“ heißt das einfach: Shit happens. „Better Call Saul“ überlässt dagegen nichts dem Zufall und zeigt, dass alle Protagonisten es hätten besser wissen müssen, bevor sie das Räderwerk der Ereignisse in Gang setzten.

Es geht weiter – trotz oder wegen der AMC-Krise?

Seit acht Wochen ist es amtlich: „Better Call Saul“ wird eine vierte Staffel erhalten. Klar war das nicht, denn angesichts der Quoten musste man das Schlimmste befürchten. Die von Nielsen Media Research ermittelten Ratings spiegeln einen deutlichen Absturz in der Zuschauergunst wider. Wollten den Serienauftakt noch 6.88 Mio. Zuschauer sehen, so pendelte sich die 1. Staffel anschließend bei Werten knapp unter 3 Mio. ein. Staffel 2 generierte Werte knapp über 2 Mio. und unterschritt nunmehr auch diesen Grenzwert deutlich. Immerhin erzielte „BCS“ mit dem Staffelfinale ein Rating von 1.85 – das beste Ergebnis der dritten Season. Man kann dies so interpretieren: Je besser „BCS“ wurde, desto weniger Zuschauer wollten dies sehen.
Allerdings sei daran erinnert, dass
„Breaking Bad“ noch schlechtere Werte hatte und erst mit dem zweigeteilten Staffelfinale deutlich anzog. Mittlerweile ist „Breaking Bad“ ein Serienmythos, was aber nichts daran ändert, dass routinierte, aber simpel gestrickte Military TV-Shows wie „The Last Ship“ (zumindest in der ersten Season) auch an schlechten Tagen „Better Call Saul“ mühelos in den Boden stampfen.
Bei den diesjährigen 69th Primetime Emmy Awards wurde die AMC-Serie sechsmal nominiert. Man darf gespannt sein, was
„Better Call Saul“ erreichen wird. Die Konkurrenz ist nicht nur groß, sondern kann wie zum Beispiel „Westworld“ auch mit grandiosen Production Values Punkte sammeln.

Subtil erzählten Serien wie „Better Call Saul“ scheint im gewaltigen Überangebot an Serien dabei die Luft auszugehen. Dafür wurde bereits vor zwei Jahren ein Begriff gefunden: Peak TV. Dass die TV-Branche das „Golden Age“, also die Ära des Quality TV mit Serien wie „Mad Men“ und nun auch „Better Call Saul“, hinter sich gelassen hat und den Gipfel (Peak) überschritten hat, ist nicht nur die Meinung einiger Fernsehkritiker. Auch Macher wie John Landgraf, Präsident des FX Network, warnte vor zwei Jahren: „Das Fernsehgeschäft ist wie eine Blase, die bald platzt.“
Die enorme Konkurrenz zwischen hochwertigen Serien wird sich in den kommenden Jahren steigern, so Landgraf, und sie wird nicht nur Premiumserien verschwinden lassen, sondern auch zum Kollaps einiger Sender führen.


Dass AMC die Serie von Vince Gilligan und Peter Gould weiterleben lässt, mag allerdings auch andere Gründe haben. Aktuell muss sich AMC mit einer Klage der Macher von „The Walking Dead“ auseinandersetzen, die sich in Sachen Gewinnbeteiligung von AMC Networks über den Tisch gezogen fühlen. Geschätzter Streitwert: 1 Milliarde US-Dollar. Unter Umständen kommt eine Lawine auf AMC zu. 

Der nächste Paukenschlag folgte dann Mitte August, als Robert Kirkman, der Erfinder der „Walking Dead“-Saga und gleichzeitig auch wichtiger Executive Producer der gleichnamigen TV-Serie, AMC in Richtung Amazon verließ. Kirkman wird in Zukunft für Jeff Bezos’ Amazon Prime Video neue Serien produzieren. Ob sich Kirkman komplett aus TWD zurückziehen wird, ist nicht klar (1) (2). Die Rechte liegen allerdings bei AMC und die Serie kann sich durchaus auch weitererzählen lassen, ohne dass die Showrunner Rücksicht auf Kirkmans Comics nehmen müssen.

Ob und wie dies mit „Better Call Saul“ zusammenhängt, wird man sehen. Es ist aber anzunehmen, dass AMC in dieser Situation nicht ein Produkt einstampft, das zumindest bei den Kritikern beliebt ist und dem Network ein gutes Image verschafft hat.



Quellen:

'Walking Dead' Creator Moves From AMC to Amazon With Big Overall Deal In: The Hollywood Reporter (11.08.2017)
Could Robert Kirkman Take The Walking Dead Back If AMC Refuses to Pay? In: CBR.com (16.08.2017)