Mittwoch, 9. Januar 2019

Bird Box - Netflix punktet mit einem Quotenhit

45 Millionen Zuschauer riefen den Film der Oscar-Preisträgerin Susanne Bier bei Netflix ab. Für den Streaming-Anbieter Grund genug, zum ersten Mal konkrete Nutzerzahlen zu veröffentlichen. Der Grund für den Hype will sich nicht recht erschließen: Susanne Biers Film ist ein spannender und auch visuell packender Horrorfilm, der allerdings nicht an den Genrekonventionen rüttelt.
 

„Der Film ist sehr emotional. Viele schreiben und teilen mit, dass sie sehr berührt waren. Diese Filme haben normalerweise nicht so ein emotionales Element“, zeigte sich die Regisseure überrascht vom Erfolg ihrer ersten Zusammenarbeit mit Netflix. 


Gefühle kann man sich nicht leisten

Dabei erfindet „Bird Box“ das Genre nicht neu. Während in John Krasinkis „A Quiet Place“ bösartige Aliens alles umbringen, was ihnen vor die Reißzähne kommt und dabei von Geräuschen angezogen werden, sind es in „Bird Box“ nicht die Ohren, die töten, sondern die Augen. Wer sich diese nicht verbindet, erblickt mysteriöse Entitäten, deren Anblick derart monströs ist, dass sich die Menschen unmittelbar danach das Leben nehmen.
Das geschieht meistens auf derart bizarre und grauenhafte Weise, dass der pandemische Ausbruch der globalen Bedrohung von Susanne Bier in Bilder des puren Terrors verwandelt werden kann. Wer keine Waffe zur Hand, schlägt halt solange den Kopf gegen eine Wand, bis er tot ist. Während also in „A Quiet Place“ nicht mehr gesprochen werden darf, ist in „Bird Box“ das Sehen tödlich. Wer überleben will, muss außerhalb seiner Wohnung mit einer Augenbinde durch das Chaos tappen. Natürlich ist dies für einige verstörende Bilder gut.

Mit einer Augenbinde ist auch Sandra Bullock („Blind Side“, „Gravity“) unterwegs. Bullocks Performance gehört zu den Höhenpunkten des Films. Die 55-Jährige spielt Malorie, eine Mutter, die fünf Jahre nach dem Ausbruch der Endzeit mit zwei Kindern auf einem gefährlichen Fluss unterwegs ist, um einen Ort zu erreichen, an dem man vor den Dämonen sicher ist. Die Kinder nennt sie „Mädchen“ und „Junge“ und beinahe an der Grenze zur völligen Empathielosigkeit bereitet Malorie die Kids auf ein Leben in der Post-Apokalypse vor – unsentimental, pragmatisch und effizient. Sandra Bullock spielt das beeindruckend, auch weil sie immer wieder von ihren Gefühlen überwältigt wird, die sie sich eigentlich nicht leisten kann und will.

Formal clever, erzählerisch eher konventionell

Susanne Bier (Oscar für „In einer besseren Welt“, 2011) hat ihren Horrorfilm formal recht clever arrangiert. In den obligatorischen Rückblenden erzählt Bier vom Ausbruch der Katastrophe (Malorie ist zu diesem Zeitpunkt schwanger) und verknüpft dabei die unterschiedlichen Zeitebenen so gekonnt, dass der Zuschauer weder den Überblick verliert noch die Rahmenhandlung als überschüssiges Narrativ erlebt. Die Geschichte funktioniert gut, weil der eigentliche Terror darin besteht, dass Malorie mit ihren Kindern allein unterwegs ist und somit alle anderen, die ihr beim Überlebenskampf begegnet sind, tot sein müssen. Tatsächlich sterben fast alle wie die Fliegen.

Etwas konventioneller wirken die Flashbacks, die vom Schicksal einer kleinen Gruppe erzählen, die sich gemeinsam in einem Haus verschanzt hat und dabei wenig überraschend von ihren unterschiedlichen Motiven und Temperamenten gefährdet wird. Getragen wird dies allerdings von einem herrlich fies aufspielenden John Malkovich, der den zynischen Misanthropen Douglas mit der erwarteten Routine spielt („Ich habe immer Recht!“). Während ein Teil der Gruppe immer noch soziale Regungen und Mitgefühl besitzt, sieht Douglas in allen Fremden, die in dem Haus Schutz suchen wollen, eine tödliche Gefahr. 
Dies läuft dann recht schematisch ab und folgt dem Regelwerk post-apokalyptischer Szenarien, wie man sie auch aus „The Walking Dead“ kennt oder meinetwegen auch in Thomas Hobbes‘ „Leviathan“ findet. Und obwohl man durchaus fasziniert von Malkovich‘ theatralischer Skrupellosigkeit sein kann, ist man dann doch enttäuscht, wenn sich die paranoiden Prophezeiungen des Fieslings als traurige Gewissheit herausstellen. Als mit Gary (Tom Hollander) ein scheinbar hilfloser Mann von der Gemeinschaft aufgenommen wird, ist das Schicksal der Gruppe besiegelt. Und das liegt daran, dass die Geisteskranken in der neuen Welt das seltsame Privileg besitzen, den Dämonen folgenlos ins Gesicht blicken zu dürfen. Wenig später ist Malorie zusammen mit ihrem neuen Freund Tom (Trevante Rhodes, „Predator – Upgrade“) wieder auf der Flucht.

„Bird Box“ – den Filmtitel verdankt Susannes Biers Trip in die Welt des Genrefilms den Vögeln, die anders als bei Hitchcock die Menschen vor den Dämonen warnen. Malorie hat also aus gutem Grund einen Käfig mit Wellensittichen mitgenommen. Man wird sie sehr oft hören.

Nach ihrer für die BBC produzierten Serie „The Night Manager“ (Primetime Emmy) hat sich Susanne Bier diesmal an ein Streaming-Projekt gewagt. Mit Erfolg, dies allerdings in einem Ausmaß, das sie nicht erwartet hat. Das Herumtappen mit verbundenen Augen hat sich als Meme inzwischen zu einem viralen Phänomen mit unterschiedlichen Ablegern entwickelt. Netflix war mit der Bird Box Challenge nicht ganz unschuldig daran. In der Show müssen die Kandidaten PC-Spiele mit verbundenen Augen spielen. Mittlerweile rennen aber weltweit Tausende mit verbundenen Augen durch ihren Alltag – Netflix warnt bereits vor den Nebenwirkungen.

Das verblüfft dann doch. Der für schlappe 19,8 Mio. US-Dollar produzierte Film „Bird Box“ überzeugt zwar in visueller Hinsicht als wahrer Höllentrip. Das Script von Eric Heisserer, der u.a. das Drehbuch für das 2011er-Prequel von „The Thing“ geschrieben hat, verlässt sich aber zu oft auf bekannte Genremuster, auch solche, die bereits von Night M. Shyamalan durchgekaut wurden. Das schmälert das Vergnügen an einem Film mit vielen hervorragenden Akteuren am Ende doch etwas. 

Susanne Bier wechselt nach „Bird Box“ wieder in die Serienbranche. Für HBO wird sie die Regie in der Miniserie „The Undoing“ mit Nicole Kidman und Hugh Grant übernehmen. Die hat mit Horror wenig zu tun, die Darsteller dürfen sich also anschauen.


Bird Box – Netflix 2018 – Regie: Susanne Bier – Laufzeit: 124 Minuten – Buch: Eric Heisserer – nach dem gleichnamigen Buch von Josh Malerman – D.: Sandra Bullock, Trevante Rhodes, John Malkovich, Jackie Weaver