Donnerstag, 27. Dezember 2018

Best of 2018

Gesichtet wurden in diesem Jahr 57 Filme. Die Entscheidung über den „Besten Film 2018“ fiel bereits recht früh und überraschte kaum – es war Guillermo del Toros „Shape of Water“, der ausführlich rezensiert wurde. Eine romantische Love-Story als Horrorfilm, in dem nicht die Kreatur das Monster war, sondern der Mensch. 

Diese pessimistische Grundierung führte zu einer überdeutlichen Botschaft, aber der eigentliche Zauber des Films entstand durch eine brillante Visualisierung und eine Hauptdarstellerin, die sprachlos blieb und doch viel zu sagen hatte. Sally Hawkins hätte den fünften Oscar verdient. So aber blieben es vier, unter anderem wurde del Toros Masterpiece „Bester Film“ und der Regisseur wurde mit dem Oscar für die „Beste Regie“ endgültig in den cineastischen Adelsstand erhoben.


Die 20 besten Filme 2018



Dass Martin McDonaghs „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ ein harter Konkurrent werden würde, war klar. Klar war auch, dass er unter den Top 3 landen würde. Im Filmclub wurde er mit hauchdünnem Rückstand Zweiter. Bereits „Shape of Water“ war bei den Fans alles andere als unumstritten, aber Martin McDonaghs Drama um eine Amok laufende Mutter und einen rassistisch-tumben Hilfssheriff führte in den USA zu allerheftigsten Debatten, weil der von Sam Rockwell gespielte Deputy am Ende zu einer Figur wurde, die ihren moralischen Kompass recht spät entdeckt. Zusammen mit Francis McDormand waren zwei Buddys auf der Leinwand zu sehen, die schräger nicht sein konnten. Beide erhielten den Oscar. Verdient hätte ihn Woody Harrelson für eine denkwürdige Nebenrolle. Zur Rezension.

Keineswegs zu erwarten war der Erfolg von Sally Wainwrights „To Walk Invisible“ (Sturm der Gefühle), einem Fernsehfilm der BBC. Dies ist nicht der erste Film über die berühmten Brontë-Schwestern, aber sicher einer der schönsten. Wainwright erzählt stilsicher, wie kompliziert die Schaffensgeschichte der vier Schriftstellerinnen war, die zu Weltruhm kamen. Wer es in Zeiten von #MeToo und Gender-Gerechtigkeit, WhatsApp und Instagram nicht weiß: Ja, es gab einmal dicke Bücher, die nur von Männern geschrieben werden durften. Die Brontë-Schwestern schrieben im schönen Yorkshire also unter einem Pseudonym ihre Romane und erfanden als Gedankenspiel fiktive Welten à la „Game of Thrones“, in denen sie phantasievoll unterwegs waren. Es entstanden Romane wie „Jane Eyre“, vordergründig eher Liebesgeschichten, hintergründig aber Auseinandersetzungen mit sozialen und geschlechtsspezifischen Klassenschranken. Und während Hollywood gegenwärtig nach Filmen mit starken Frauen dürstet, lieferten die Brontë-Schwestern Mitte des 19. Jh. die dazu passenden Vorlagen. „To Walk Invisible“ rekonstruiert diese Geschichte mit jenem typisch britischen Realismus, der für Authentizität und Faktentreue sorgt. Leider starben alle vier Schwestern in jungen Jahren. Sie haben womöglich das Kino stärker beeinflusst als den viktorianischen Roman. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ab Platz 4: Superhelden und ungewöhnliche Entdeckungen

Die Russo Brüder schafften mit dem jüngsten Avengers-Abenteuer das Unmögliche: zum einen brachten sie fast alle Figuren aus dem MCU in einer Geschichte, ohne sie damit auseinanderfallen zu lassen, zum anderen zeigte Marvel mit „Infinity War alles, was die DC-Verfilmungen nicht können. Das Ergebnis: fettes Popcorn-Kino, das es sich leisten konnte, die meisten Superhelden am Ende zu killen. Man darf gespannt sein, auf welche Weise sie von den Toten wiederauferstehen.

Wind River“ von Tony Sheridan gehörte zu den besten Filmen des Jahres. Warum dies der Fall ist, habe ich ausführlich besprochen. Ähnliches gilt für „Professor Marston & Wonder Woman“, ein erotisierender Film, brillant erzählt von Angela Robinson. Wer wissen will, wie die legendäre Superheldin aus dem DC-Kosmos erfunden wurde, sollte um diesen intelligenten Film keinen großen Bogen machen. Es sei denn, er will partout nicht wissen, warum sich Männer nicht einer intelligenten und starken Frau unterwerfen sollen.


Unter die Top Ten hat sich in letzter Minute auch Lars Kraumes Ausflug in die deutsche Nachkriegsgeschichte geschlichen. In „Das schweigende Klassenzimmer“ zeigt Kraume, dass er nicht nur „Tatort“-Krimis kann. Spätestens seit „Der Staat gegen Fritz Bauer“ gehört der 45-jährige Regisseur zu jenen Erzählern, die wunderbar mit historischen Stoffen umgehen können. In seinem neuesten Film erzählt er von einem ungeheuren Skandal: Schüler einer Abiturklasse in der DDR gedenken im Jahre 1956 in einer Schweigeminute der Teilnehmer am ungarischen Volksaufstand – und geraten in das Räderwerk kommunistischer Schulpolitik. Aus nicht sonderlich politisch motivierten Jugendlichen, die eher spontan ihre Aktion planten, werden sehr schnell Erwachsene, die sich der Denunziation und damit dem System verweigern und in einer ungewöhnlichen Solidaraktion zusammenhalten und sich nicht brechen lassen. Kraumes Film ist keine Fiktion, der Fall basiert auf tatsächlichen Ereignissen, die einer der Schüler, Dietrich Garstka, in seinem gleichnamigen Sachbuch schilderte. „Das schweigende Klassenzimmer“ erinnert besonders am Ende an Peter Weirs „Der Club der toten Dichter“, was dem Film keineswegs schadet. Und irgendwie waren diese Schüler auch Superhelden...


Das Coming-of-Age-Drama „I Kill Giants“ wird von übel gelaunten Zeitgenossen mit Sicherheit als gefühlslastiger Kitsch zu den Akten gelegt, aber Anders Walters Mischung aus Fantasy und Psychothriller (Letzteres eher aus medizinischer Sicht) erzählt sehr spannend und empathisch von einer Jugendlichen, die ein schweres Trauma auf ungewöhnliche Weise zu überwinden versucht: Sie will alle Riesen töten, die im Wald leben und die Welt vernichten wollen. Der Film spielt geschickt mit der Fiktion in der Fiktion. Aber auch wenn am Ende einer der Riesen auftaucht und Barbara dabei hilft, ihr Trauma als Teil des Lebens zu akzeptieren, spielt es keine Rolle, ob es Riesen gibt oder nicht. Damit ist dem dänischen Oscar-Preisträger (2013: „Bester Kurzfilm“ für „Helium“) ist außergewöhnlicher Film gelungen, den die amerikanische Kritikerin Tasha Robinson irgendwo zwischen Guillermo del Toro und M. Night Shyamalan verortete.

Auf Platz landete „The Endless“, den ich für die Entdeckung des vergangenen Kinojahres halte. Ich räume ein, dass ich die Independent-Filmemacher Justin Benson und Aaron Moorhead zuvor nicht kannte, aber persönlich mit ihrem letzten Film das beeindruckendste Kinoerlebnis des zurückliegenden Jahrs hatte. Nicht nur weil Benson & Moorhead alles selbst gemacht haben, inklusive der Hauptrollen, sondern weil „The Endless“ als Mischung aus Science-Fiction und Weird Fiction zu den schlauesten Filmen gehört, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Wer mehr über das Geheimnis der Zeitschleifen erfahren will, soll hier nachlesen.


In „I, Tonya“ wird die spektakuläre Geschichte der Eiskunstläuferin Tonya Harding erzählt, die vermutlich ohne eigene Beteiligung in den berüchtigten „Eisenstangen-Anschlag“ auf ihre Erzrivalin Nancy Kerrigan verwickelt wurde. Graig Gillespies Film über den amerikanischen „White Trash“ fasziniert, weil eine ungebildete Frau aus der Untersicht angestrengt versucht, in der mondänen Welt des Eiskunstlaufs Fuß zu nehmen. Der Film stößt aber auch ab, weil mehr über die Tumbheit der Akteure erzählt, als man wissen will. Er sei zu zynisch, wurde dem Regisseur vorgeworfen. Das stimmt, ist aber den realen Figuren geschuldet. Dass Gillespie mit seinem Film seinen ganz eigenen Beitrag zum aktuellen Thema ‚Gewalt gegen Frauen‘ abliefert, lässt das Ganze am Ende doch gelingen. Und: Allison Janney hat als Tonyas Mutter und ausgesprochenes Ekelpaket den Oscar als „Beste Nebendarstellerin“ wirklich verdient.