Mittwoch, 21. Februar 2018

Shape of Water

Mit seiner Mischung aus Märchen und Monsterfilm hat Guillermo del Toro nicht nur seine Zuneigung für absonderliche Kreaturen erneut unter Beweis gestellt, sondern auch eine Hommage an die Bilderpracht des klassischen Kinos abgeliefert. „Shape of Water“ verdient mehr als einen Oscar.

Es fällt nicht schwer, auch Guillermo del Toros neuen Film als politisches Statement zu lesen. Der von Michael Shannon gekonnt ekelig gespielte Regierungsagent Richard Strickland ist ein homophober, rassistischer und frauenfeindlicher Widerling, der nicht nur eine Analogie anbietet, sondern gleich mehrere. Vielleicht etwas Lästerei über Trump & Co., vielleicht aber auch eine Sympathiebekundung für die allgegenwärtige #MeToo-Bewegung, beides lässt sich in den Film hineinlesen.


Schnelle Deutungen: Das ist bequem, vielleicht sind es auch Schnellschüsse, aber auf jeden Fall ist Strickland ein widerwärtiges und soziopathisches Arschloch, das seiner Frau beim Sex den Mund zuhält, weil er sich ganz auf seinen Spaß konzentrieren will. Klar, dieser Typ muss einfach sexuell fasziniert sein von einer Frau, die stumm ist und sich nur mit Gebärdensprache mitteilen kann.

Die heißt Elisa Esposito und wird von Sally Hawkins phantastisch gespielt. Weil wie im Stummfilm die Mimik alles über die Figuren erzählen kann.
Guillermo del Toro, der ein Händchen für Frauenfiguren hat, erzählt dies sehr schön. Sally Hawkins spielt die Elisa sehr scheu und zurückhaltend, mit wachsenden Selbstbewusstsein wird die Mimik nuancierter und drangvoller, ohne dabei in die übersteigerte Expressivität des Stummfilms zu verfallen. Wenn Hawkins und Shannon in der Mitte des Films aneinandergeraten, drückt Hawkins mit sparsamen, aber gerade deshalb so wirksamen mimischen Mitteln mehr aus als mit ihrem „Fuck you“, das sie ihrem Kontrahenten mit einigen wütenden Gebärden entgegenschleudert. Der kann die Zeichen nicht lesen und versteht nur Bahnhof.

Hommage an Jack Arnolds alten Klassiker

„Shape of Water“ ist ein Märchen- und Horrorfilm wie „Pans Labyrinth“, del Toros brillanter Fantasy-Parabel aus dem Jahr 2006. Gelegentlich ist der neue Film des mexikanischen Regisseurs fast genauso grausam. Aber nicht ganz, denn del Toros Film, für den er wieder einmal das Drehbuch selbst geschrieben hat, beginnt mit der freundlichen, warmen Leichtigkeit eines freundlichen leichten Märchens. „Shape of Water“ ist auch eine Komödie. Und eine Tragödie. Und ein Musik- und Tanzfilm. Und ein Monsterfilm. Und visuell so schön wie „Crimson Peak“.


Elisa Esposito wohnt über einem alten Kino, nachts arbeitet sie zusammen mit ihrer Freundin Zelda (gewohnt großartig: Octavia Spencer) als Reinigungskraft im Occam Aerospace Research Center, einem geheimen Labor der US-Regierung. Ihre Freizeit verbringt sie ausschließlich mit dem schwulen und ziemlich erfolglosen Werbedesigner Giles (Richard Jenkins), mit dem sie am liebsten alten Schwarz-Weiß-Filme aus den 50zigern anschaut. 

Wir sind am Anfang der 1960er-Jahre, es herrscht der Kalte Krieg, irgendwie hat das Labor auch etwas mit Weltraumforschung zu tun. Man will vor den Russen den ersten Menschen ins All befördern. Dann tauchen im Labor plötzlich Richard Strickland und der Wissenschaftler Hoffstetler (Michael Stuhlbarg) mit einem Tank auf, in dem sich ein geheimnisvoller Amphibienmensch befindet. Der wurde am Amazonas eingefangen - und klar, das ist natürlich ein Verweis auf Jack Arnolds „Creature from the Black Lagoon“ (1954, dts. Der Schrecken vom Amazonas), einem Klassiker, der zu den zahlreichen stilprägenden Horrorfilmen der Universals Studios gehörte.
Aber Guillermo del Toro erzählt keine B-Movies zum zweiten Mal. Was ihn mit dem großartigen Jack Arnold verbindet, ist vielmehr das Gespür dafür, dass die Begegnung einer Frau mit einem Mischwesen, das zugleich Mensch und Amphibie ist, zwangsläufig etwas Erotisches haben muss, wenn es spannend werden soll. Und auch sehr viel Poesie gehört. Im Kino der 1950er endet so etwas fatal für die Figuren, del Toro sieht dies natürlich anders.


Was die Wissenschaftler von den Experimenten mit dem Amphibienmann erwarten, bleibt unklar. Eins wird schnell klar: Sie finden es nicht. Elisa fühlt sich jedoch zu der merkwürdigen Kreatur hingezogen. Sie bringt ihm gekochte Eier, lehrt ihn, einfache Gebärden zu verstehen, spielt ihm auf einem Grammofon Swing vor. Sie bemerkt aber auch, dass der Amphibienmensch grausam misshandelt wird und wird Zeuge, wie Strickland sich brutal dafür rächt, dass das Wesen ihm zwei Finger abgebissen hat. Er malträtiert es mit einem Elektroschocker und ist trotz Hoffstetlers verzweifelter Einwände nur zu gerne bereit, das ‚Ungeheuer‘ zu töten, als befohlen wird, eine Vivisektion durchzuführen. Elisa will dies verhindern und überredet den zunächst mutlosen Giles, den Amphibienmensch aus dem Labor zu entführen. Den beiden Außenseitern gelingt der Coup, allerdings auch mit Hilfe Hoffstetlers, der sich als Agent der Russen entpuppt und nun das Wesen auch vor seinen eigenen Leuten in Sicherheit bringen will. 


Romantische Liebesgeschichte mit Sollbruchstellen

Dass Kino sich nicht auf Sujet, Handlung und Dialoge verlassen kann, zeigte zuletzt Matti Geschonnecks Spielfilm „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ (2017), in dem Settings und Ausstattung die letzten Tage der DDR auch dank der Liebe zum Detail eindrucksvoll illustrieren. Es geht um den Geburtstag eines vormals hochrangigen Funktionärs. Die Settings atmen bis ins kleinste Detail den Mief eines spießig-gutbürgerlichen und protzig-verklemmten Milieus und die letzten Tage vor der Wende bringt Geschonneck mit einem unter der Essenslast zusammenbrechenden Ausziehtisch metaphorisch auf den Punkt.

Auch „Shape of Water“ lebt von seinem Production Design und der Wahl seiner ästhetischen Mittel. Da sind die goldwarmen Farben des Apartments, in dem Elisa und Giles ihre Filme anschauen, umgeben von einem Mobiliar, das seine besten Tage hinter sich hat. Abgegriffene Sessel, umgestürzte Bücher in den Regalen, ein alter Röhrenfernseher. In der Main Titel Sequence zeigt del Toro etwas Ähnliches: frei im Wasser schwebende Stühle und ein herabsinkendes Sofa, Requisiten, die eher ins 19. Jahrhundert passen und wie ein Vorgriff von einer anderen Welt als der unsrigen erzählen. Und das plüschige Kino, über dem Elisa wohnt, strahlt ebenfalls eine Heimeligkeit aus, wohl auch, weil es kaum noch Zuschauer anzieht und in seiner Leere wie ein Sehnsuchtsort wirkt. 

All dies ist ein romantisch-nostalgischer Gegenentwurf zur feindlichen Welt, die draußen wartet, mit ihren blauen, grauen und kalten Farben, die tödliche Gefahren ankündigen und aus der man sich so schnell wie möglich zurückziehen sollte. Das Labor mit seinen spartanischen Farben und den altertümlichen Tanks wirkt aber auch nicht hyper-modern, sondern wie die Einrichtung, in der Dr. Frankenstein seine Experimente mit einer zunächst unschuldigen und einsamen Kreatur durchführt. Ein bedrohlicher Ort, der Tod und Unheil anzieht.

Giles‘ und Elisas Welt wird in Guillermo del Toros Film also als Refugium arrangiert. Aber auch wenn Elisa diesen Ort verlässt und mit der Bahn zur Arbeit im Labor fährt, lassen die stimmungsvollen Bilder des dänischen Kameramannes Dan Laustsens Elisas Gesicht immer wieder in ein Licht eintauchen, das immer wärmer wird, je mehr sich Monster und Frau näherkommen. Denn „Shape of Water“ verwandelt sich nach der erfolgreichen Entführung des Amphibienmanns in eine jener Märchen-, Horror- und Liebesgeschichten, an denen Guillermo del Toro offenbar sehr viel liegt. Jack Arnold hatte diese Dialektik der Gegensätze bereits kongenial gespürt und auf ebenfalls faszinierende Weise visualisiert. Seine Erzählung von Frau und Monster interpretierte Georg Seeßlen 1980 als „Zusammenfassung der erotischen Mythologie des Genres und zugleich seine poetische Reflexion“.

Aber natürlich ist in „Creature from the Black Lagoon“ die männliche Erotik besitzergreifend und gewalttätig. Die Menschen sind in den Lebensraum eines Kiemenmenschen eingedrungen, können und wollen aber nicht mit ihm kommunizieren. Aber das Monster beobachtet die Freundin des Expeditionsleiters beim Schwimmen und entführt die Frau.

Die sexuelle Konnotation des Horrors hat die Filmkritik der 1970er- und 1980er-Jahre zu psychoanalytischen Interpretationen des Monsters angeregt. In
„Shape of Water“ ist das von Doug Jones gespielte 'Monster' kein Aggressor, sondern ein Opfer. In seiner Heimat als Gott verehrt, ist es an Eiern und Musik interessiert und weniger an Sex. Dagegen ist  Michael Shannons Figur als wahres Monster in „Shape of Water“ die überzeichnete Projektionsfläche für all das, was von sexistischen und sadistischen Männer halt erwartet wird – bis hin zu einer paranoiden Politik der Gewalt gegen alles Fremdartige.

Guillermo del Toro greift die Sichtweise Jack Arnolds nur teilweise auf, deutet das Genre aber aus weiblicher Sicht um. Elisas beste Freundin Zelda wirft mit Lebensweisheiten und Aphorismen um sich, wenn sie sich über ihren schweigsamen und gleichgültigen Mann lustig macht. Der wird sich als devoter Feigling entpuppen und er wird von Zelda zur Räson gebracht - die Frauen in „Shape of Water“ begreifen die Regeln der Männerwelt, auch wenn es nicht leicht ist, sich in ihr durchzusetzen. 

Aber auch die Frauen in del Toros Filmen können besitzergreifend sein, sie sind aber nicht gewalttätig. Elisa ist daher nicht die naive Amelie aus Jean-Pierres „Die fabelhafte Welt der Amelie“ und auch nicht die Bella aus Jean Cocteaus „La Belle et la Bête“ (1946), einem ganz anderen Klassiker des poetischen Märchenfilms. Nein, die stumme Elisa ist trotz ihres schüchternen Auftretens eine Frau, die souverän mit ihrer Sexualität umgeht, in der Badewanne lustvoll masturbiert und auch die Initiative ergreift, als sie nackt zu dem Amphibienmann in die Badewanne steigt, in der sie ihn vorläufig ‚untergebracht‘ hat. Sie lässt das Badezimmer volllaufen, bis das Wasser fast die Decke erreicht. Der erotische Unterwassersex gibt dem Monster nicht nur seine Grazie zurück und Elisa ihre Lust, sondern ist auch eine für del Toro typische Sollbruchstelle, wie sie in den angstbesetzten Metaphern des Horrorfilms der 1950er-Jahren nicht denkbar war. Sollbruchstellen zeigen das Versagen einer Konstruktion oder eines Systems an, aber nicht, um es kollabieren zu lassen, sondern um größeren Schaden abzuwenden.


Märchen, Horror und Gewalt

„When I was a kid, I saw the movie, I was incredibly moved by the fact that the creature was an innocent”, beschrieb del Toro seine Eindrücke, als er Boris Karlov in „Frankenstein” gesehen hatte. Einen Frankenstein-Film will del Toro irgendwann machen, das ist eine seiner Lieblingsideen.
Das Monster in „Shape of Water” ist ebenfalls unschuldig, selbst dann, wenn es eine von Giles Katzen tötet und gierig auffrisst. Es besitzt verborgene Heilkräfte und sorgt dafür, dass dem kahlen Giles wieder Haare nachwachsen. Irgendwann begibt es sich auf eine Entdeckungsreise und steht dann mitten in dem alten Kino unter Elisas Wohnung und schaut staunend auf die Leinwand. Dort läuft ein alter Historienschinken, einer jener protzigen Filmen, mit denen sich das Kino in den 1960zigern gegen das Fernsehen wehren wollte. Und nicht nur in dieser Szene erkennt man, dass „Shape of Water” auch eine Hommage an das alte Hollywood-Kino ist, an seine romantischen Komödien und die opulenten Tanz- und Musikfilme. Und prompt blendet del Toro über in eine in Schwarz-Weiß gehaltene Tanzszene wie in einem Musical von Vincente Minelli, dessen Lieblingswörter „Beauty“ und „Magic“ waren. Elisa und das Wesen vom Amazonas tanzen durch die Kulissen, anmutig und befreit von allen Zumutungen der Welt. Es ist schön und es ist magisch.

Das mag eskapistisch wirken. Und das ist es auch wohl. Die Flucht vor der Realität: sie erkennt man daran, dass Giles das Programm wechselt, wenn dort Bilder laufen, die zeigen, mit welcher Härte das Amerika der 1960er-Jahre auf die Bürgerrechtsbegegnung reagierte. 
Aber das Wegschauen funktioniert nicht lange. In „Shape of Water“ scheint am Ende das harte, brutale Amerika zu gewinnen.
„Anstand bedeutet gar nichts. Wir verkaufen ihn, aber er ist ein Exportgut!“, bellt General Hoyt (Nick Searcy) seine Untergebenen im Labor an. Gnade hat die Kreatur vom Amazonas also nicht zu erwarten, Menschlichkeit und Anstand auch nicht. Auch die Russen wollen das Geheimnis des Amphibienmannes nicht verstehen, sondern ihn lieber tot sehen, bevor die Amis etwas Entscheidendes entdecken. Und ehe die Traumwelt in del Toros Welt zu sentimental wird, durchkreuzt wie in „Pans Labyrinth“ die nackte Gewalt alle Wünsche nach einem besseren Diesseits. 

Und so landet man in „Shape of Water“ schnell bei den griffigen Interpretationen.
Guillermo del Toro hat dies auch getan: Ich fühle mich all denen verbunden, die in den USA 'die Anderen' genannt werden (...) Ja, es ist ein Film gegen Ausgrenzung - und für Diversität."

Sicher geht es um „America first!“ und rechtpopulistische Geschichtsrevision, aber auch um mutige Frauen, um unmöglichen und daher besonders befreienden Sex, um eine Geschichte von Liebe und Verlust in gefährlichen Zeiten, und auch darum, wie man Kinogeschichten so erzählt, dass sie ohne plakative Deutungen auskommen und dennoch klar artikulieren, was sie meinen - und ihre Kraft daraus beziehen, dass sie mit starken Bildern argumentieren und geläufige Erwartungen durchkreuzen. Der Realist del Toro hat die Natur des spanischen Faschismus in „Pans Labyrinth
genauso nüchtern und gleichzeitig magisch mit Bildern erzählt, wie er nun auch vom erneuten Wiedererstarken der Angst vor dem Anderen mit magischen Bildern erzählen will.
„The movie is about today. It’s about everything that we’re dealing with today (…) We are told we’ve got to fear. Everywhere, constantly, why we have to divide the world between ‘us’ and ‘them,’ whether race, religion, government sexual preference, gender - — anything that creates this fake division between us and them, and there’s only us“, erklärte del Toro in einem Interview mit Vulture.

Auch wenn der
Realist del Toro seine Statements gelegentlich ruppig überzeichnet, bis es jeder versteht: der Träumer del Toro hält dagegen, dass die Grausamen nur gewinnen können, weil sie die Mythen und Märchen verloren haben. Er schaut in „Shape of Water“ auf seine Weise auf Andere, und er liebt es, dabei Genreerwartungen zu durchkreuzen. Das Wasser in seinem neuen Film hat es als Metapher für gewaltfreie Liebe bezeichnet. Das kann man für Kitsch halten, aber man sollte schon genauer hinschauen, denn del Toros hartnäckiger Blick auf die 1960er lässt sich unschwer in die Gegenwart verlängern. Und so endet „Shape of Water“ zwar tragisch, aber auch mit Tod und Wiedergeburt. Eben wie im Märchen: „Und so lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage.“

Noten: Melonie, BigDoc, Klawer = 1


Shape of Water – USA 2017 – Laufzeit: 123 Minuten – FSK: ab 16 Jahren – Regie und Buch: Guillermo del Toro – Kamera: Dan Laustsen – D.: Sally Hawkins, Octavia Spencer, Richard Jenkins, Michael Shannon, Michael Stuhlbarg, Nick Searcy