Dienstag, 6. Februar 2018

Ihre beste Stunde

London 1940: Kurz nach der Rettung der britischen Armee aus Dünkirchen verlangt das britische Informations-Ministerium nach einem Propagandafilm. Ausgerechnet eine in Sachen Film unerfahrene Werbetexterin soll dem Ganzen die weibliche Note geben.

Catrin Cole (Gemma Arterton) kommt zum Film wie die Jungfrau zum Kino. Schreibende Männer sind rar, sie sind an der Front. Ihre beste Stunde hat Catrin Cole, nachdem sie auffallend gute Texte für ein Cartoon geschrieben hat und nun den Auftrag erhält, für einen neuen Spielfilm den passenden Stoff zu evaluieren. Während deutsche Bomben auf London fallen, müssen nämlich unbeirrt weiter Filme produziert werden. Nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch, um den Durchhaltewillen der Briten zu stärken. Was passt also besser als die wahre Geschichte von zwei jungen Frauen, beide Zwillinge, die den Kutter ihres trunksüchtigen Onkels kurzerhand entführen, zum französischen Dünkirchen schippern und zahlreiche britische Soldaten in die Heimat bringen?



Treffsicher und mit nonchalanter Leichtigkeit


Die dänische Regisseurin Lone Scherfig hat mit der Verfilmung von Lissa Evans Roman „Their Finest Hour and a Half“ zu den zahlreichen und qualitativ bemerkenswert guten period movies der BBC eine weitere Filmperle hinzugefügt. Dass liegt nicht nur daran, dass es gewohnt exquisit realistische Settings, eine exzellente Kameraarbeit (Sebastian Blenkov) und ein spielfreudiges Ensemble zu sehen gibt, sondern auch ein Drehbuch (Gaby Chiappe) geschrieben wurde, das pointiert und ohne Leerlauf eine Geschichte erzählt, in der auch noch Platz für einige thematische Side Steps ist. In Deutschland wäre man froh, zwei- bis dreimal pro Jahr Vergleichbares zu sehen, für die BBC ist dies Standard.

Und so erzählt „Ihre beste Stunde“ (Their Finest) historisch akkurat und ausgesprochen intelligent von den Härten der Kriegsjahre, aber ganz nebenbei auch von der besonderen Rolle der Frauen, die daheim die Jobs der Männer zu erledigen hatten, ohne auch nur annähernd eine angemessene Bezahlung zu erhalten. Dabei ist Lone Scherfigs Film kein feministischer Thesenfilm, vielmehr wird die gesellschaftliche Emanzipation der Frauen zu einem selbstverständlichen Nebenthema des Films, der mit treffsicheren Dialogen und mit nonchalanter Leichtigkeit den Gender-Nerv der Zeit trifft.

Auch Catrin Cole muss sich in ihrem neuen Job durchschlagen, in dem noch einige Relikte des zuvor von Männern dominierten Business unterwegs sind. Dazu gehört auch der erfahrene Drehbuchautor Tom Buckley (Sam Claflin), der seine neue Kollegin im dreiköpfigen Writers Team sarkastisch ermuntert, sich in dem neuen Film auf den gewünschten weiblichen Touch zu beschränken.
Das ist aber nicht einfach. Heroische Frauen sind im Kino zwar nicht unerwünscht, haben sich aber besser im Hintergrund zu halten. Der Held soll gefälligst ein Mann sein, ein lustiger Hund muss auch her und irgendwie muss dann auch noch ein amerikanischer Bilderbuchheld eingebaut werden, um den Film in den USA erfolgreich zu vermarkten und dort die Bereitschaft zu stärken, ebenfalls in den Krieg gegen die Deutschen zu ziehen. Natürlich soll die Geschichte dabei authentisch bleiben, aber aus den bekannten Gründen auch optimistisch sein....

Als aber herauskommt, dass die von Catrin recherchierte Geschichte nicht ganz der Wahrheit entspricht und die beiden Zwillinge Lily und Rose mit ihrem Kutter Nancy Starling wegen eines Motorschadens erst gar nicht bis Dünkirchen kamen, sondern abgeschleppt wurden, müssen Bedenken des Ministry of Information ausgeräumt werden. Aber auch hier siegt die Fiktion über die Authentizität, der Mythos über die Tatsachen. Der Film „The Nancy Starling“ geht in die Produktion. Mit einem lustigen Hund und einem talentfreien strohblonden Flieger-As als männlichem Helden.


Liebeserklärung ans Kino


„Ihre beste Stunde“ ist, und das ist das zweite Thema des Films, eine Hommage ans Kino. Improvisation, Flexibilität und Leidenschaft: Catrin ist bald in alle Phasen einer gelegentlich chaotischen Produktion involviert. Im Writers Room geht es hoch her, die Sequenzen werden an ein Board gepinnt, die Szenen kommen peu à peu hinzu, die Dialoge werden geschärft. Vieles muss improvisiert werden und während die Scriptwriter in die Tasten ihrer antiquierten Schreibmaschinen hauen, muss Catrin nebenbei den Kinoveteranen Ambrose Hilliard (Bill Nighy) bei Laune halten, der noch nicht ganz verstanden hat, dass seine Rolle bestenfalls die eines Supporting Actor ist. 

Lone Scherfig erzählt also von der Entstehung eines Films unter erschwerten Bedingungen, und das mit einem hinreißenden Charme. Nicht nur dann, wenn mit schlichten Matte Paintings Tausende britischer Soldaten am Strand von Dünkirchen simuiert werden oder dramatische Szenen auf hoher See in einem hüfthohen Studio-Planschbecken abgedreht werden. Witzig wird es auch, wenn man
bereits fertige Szenen sieht, bevor die erste Klappe gefallen ist. Dies ist nicht nur ein innerer visueller Monolog der Autoren, sondern auch eine wunderbare Liebeserklärung ans Kino, dessen Kraft nicht in der Perfektion liegt, sondern in der Hingabe, der Phantasie und der Begeisterungsfähigkeit ihrer Macher. Dass Catrin bald auch ihr eigenes Leben als Kopfkino erlebt, ist daher nicht nur konsequent, sondern sorgt für eine Leichtigkeit des Seins, zu der auch die typisch britische Gelassenheit passt, mit der Tom Buckley in seinem Büro ungerührt an dem Script weiterarbeitet, während erneut ein deutscher Luftangriff die Stadt verwüstet und sein Schreibtisch bedrohlich zu wackeln beginnt.

Dass es dann zwischen Tom und Catrin irgendwann funkt, war zu erwarten. So funktioniert Kino auch heute noch. Doch Lone Scherfig schenkt nur dem Film im Film ein Happy-End. Die Dreharbeiten im Studio werden dagegen auf tragische Weise durch einen tödlichen Unfall unterbrochen. In einem Film, der seine Geschichte mit Humor und komödiantischer Scharfsinnigkeit erzählt hat, ist ein abrupter Stimmungswechsel nicht ohne Risiko. Aber „Ihre beste Stunde“ erinnert daran, dass in jeder Komödie das Tragische nur vorübergehend an den Rand gedrängt wird. Es ist immer da, erst recht in Kriegszeiten. Zurück bleibt eine gebrochene Catrin, die es wenigstens noch schafft, das unfertige Filmende zu reparieren: sie schreibt es so um, dass eine der beiden Zwillinge die Mission des Kutters rettet und nicht ein männlicher Held.

Gemma Arterton („A Quantum of Solace“, „The Girl with All the Gifts“) spielt die Novizin im Filmbusiness mit unerschrockenem Selbstbewusstsein und als junge Frau, die weiß, dass Kreativität und Brüche mit Konventionen zusammengehören, um einen wirklich guten Film zu machen. Zu dieser Figur passt nur bedingt der Nebenplot, in dem von ihrer Beziehung zu dem eigenwilligen Maler Ellis Cole (Jack Huston, „Boardwalk Empire“, „Ben-Hur“, „American Hustle“) erzählt wird. Dieser Teil der Story wirkt etwas deplatziert und Jack Huston bleibt nur die Funktion eines Stichwortgebers.
Bill Nighy ist dagegen wie immer Bill Nighy. Der Golden Globe Award-Gewinner macht aus jeder Rolle ein kleines Kunstwerk. Das wird ihm in „Ihre beste Stunde“ mit einer Doppelrolle allerdings leichtgemacht: Nighy spielt den narzisstischen und versnobten Ex-Publikumsliebling Ambrose Hilliard schrullig, aber hintersinnig, und glänzt in einer outriert gespielten Sterbeszene als betrunkener „Uncle Frank“.

Er ist es dann auch, der die trauernde Catrin zurück in die Welt des Films holt: „Sie und ich bekommen diese Chance nur, weil die jungen Männer an der Front sind.“ Dass dies längst nicht mehr stimmt, hat Catrin Cole aber bereits herausgefunden. Sie geht ins Kino und schaut sich ihren Film an und auch die Reaktionen der Zuschauer. Danach weiß sie, wo sie hingehört. Ihre besten Stunden kommen noch.



Noten: BigDoc, Melonie = 2


Ihre beste Stunde (Their Finest) - GB 2016 – Regie: Lone Scherfig – Buch: Gaby Chiappe – nach dem Roman von Lissa Evans Their Finest Hour and a Half – Laufzeit: 117 Minuten – D.: Gemma Arterton, Sam Claflin, Bill Nighy, Jack Huston, Eddie Marsan, Jeremy Irons - der Film ist seit November 2017 auf DVD und Bluray erhältlich.