Samstag, 10. Februar 2018

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri

Bei den 90th Academy Awards, der Oscarverleihung 2018, tritt Martin McDonaghs Film in sieben Kategorien an – die Nominierungen sind allesamt verdient. Bei den Golden Globe Awards wurde die dunkelschwarze Tragödie ‚Bester Film‘, hatte das ‚Beste Drehbuch‘ und wie erwartet wurden Frances McDormand und Sam Rockwell ebenfalls ausgezeichnet. Woody Harrelson leider nicht, und der hätte es am meisten verdient.

Nein, ein Film der Coen Brothers ist „Three Billboards“ nicht. Dem Film fehlt dafür die sadistische Lust, von Idioten zu erzählen, die sich kraft purer Dämlichkeit ins Verderben stürzen, während schlicht gestrickte, aber moralisch integre und letztlich gar nicht so dumme Menschen den Sieg gegen das Böse davontragen. Allerdings spielt in „Three Billboards“ France McDormand mit, da können schnell Missverständnisse entstehen.
Und nein, auch Quentin Tarantino hat nicht Pate gestanden, obwohl es skurrile Figuren und absurde Dialoge gibt und die Gewalt eruptiv und unberechenbar hervorbricht. Dafür ist Martin McDonaghs Film formal nicht selbstverliebt genug, sondern viel zu eckig, zu kantig und zu arrhythmisch.


Schon eher könnte man, bemüht um klärende Zuweisungen, die Geschichte Martin McDonaghs als Neo-Western in eine Schublade stecken. Aber in Western gibt es grundlegende Konstellationen in den Narrativen der Americana, etwa den bösartigen Gegenspieler des einsamen Helden, der in den Frontier-Mythen über Recht und Unrecht– oft widerwillig – nur durch Gewalt bezwungen werden kann. In „Three Billboards“ könnte es ein herrschsüchtige Sheriff sein, aber Woody Harrelson will überhaupt nicht zu dieser Rolle passen. Im Gegenteil.


Mildred Goes to War

Trotzdem dreht sich alles um Figuren, die all diese Erwartungen und Zuweisungen zunächst evozieren, dann aber permanent hintergehen. Der erste Song des exzellenten Soundtracks von Carter Burwell trägt den Titel „Mildred Goes to War“ und tatsächlich spielt die großartige Frances McDormand, die in ihrem Blaumann maskulin-entschlossen durch die Gegend stapft, eine provinzielle Kriegsgöttin, die der Kleinstadt Ebbing, Missouri, und deren Sheriff den Krieg erklärt. Es ist eine typische Frances McDormand-Rolle. Sie heißt in dem Film Mildred Hayes und ihre Tochter wurde vor sieben Monaten in der unmittelbaren Nähe ihres Elternhauses vergewaltigt und anschließend verbrannt. Nun hat sie die Nase von den schleppenden Ermittlungen voll und mietet im Marketingbüro von Ebbing bei dem jungen Red Welby (Caleb Landry) drei große Werbetafeln an, die sogenannten Billboards, ohne lange über den Preis zu verhandeln. Sie knallt einfach 5000 Dollar auf den Tisch. Auf die Billboards lässt sie in großen schwarzen Lettern auf blutrotem Hintergrund die Sätze „Raped While Dying“, „Still No Arrests?“ und „How come, Chief Willoughby?“ schreiben. Zwei Sätze berichten von einer Tragödie, und ein Satz stellt dem verantwortlichen Sheriff die schlichte Frage: „Wie ist das möglich?“

Dass die Billboards an einer wenig befahrenen Nebenstraße aufgestellt sind, ändert nichts daran, dass die verschlafene Gemeinde und ihrer Ordnungshüter aufgeschreckt werden. Das gelingt, denn Mildred den richtigen Nerv getroffen, um gegen eine Kultur des Schweigens und Verdrängens anzutreten, die sich in Ebbing breitgemacht hat. Als sie dann der Reporterin einer lokalen TV-Station erklärt, dass man in Ebbing nur geringes Interesse an der Aufklärung des Falles hat, sondern lieber Neger foltert, ist der Aufruhr endgültig groß. Man schickt den Ortspfarrer zu der renitenten Frau, doch der salbadernde Geistliche ist rhetorisch völlig überfordert, als ihm Mildred erklärt, dass in einigen Bundesstaaten die Mitglieder krimineller Jugendgangs allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft für die Taten der Gang zur Verantwortung gezogen werden, auch wenn sie an den einzelnen Verbrechen nicht unmittelbar beteiligt gewesen sind. Und, so Mildred, schließlich sei auch die Kirche eine Gang und das Schweigen der Gemeinde mitsamt ihrem Seelsorger führe zu einer Mittäterschaft, so, als hätten die Gemeindemitglieder höchstpersönlich ihre Tochter umgebracht und während des Sterbens vergewaltigt. Und überhaupt sei die Kirche beim Kindermissbrauchen auch nicht sonderlich zimperlich. Danach ist das Gespräch beendet.

Mildred Hayes ist eine Kriegsfurie, die einen Stein in Rollen bringt, ohne sich dafür zu interessieren, wo er am Ende liegenbleibt. Sie ist hart, verschlossen, ihre Sprache ist gelegentlich obszön und der Furor, der sie treibt, erzeugt eine Dynamik, die – dies allerdings wie auch in Filmen der Coen Brothers – in eine krude Gewaltspirale führt. Den örtlichen Zahnarzt, der zu den Gegnern ihrer Billboards gehört, sucht sie nur auf, um ihm den Bohrer durch den Daumennagel zu jagen. Und als ein Jugendlicher ihr Auto mit Unrat bewirft, steigt sie aus und tritt dem Täter umstandslos in die Eier und seiner Freundin ebenfalls, und das nicht nur sinnbildlich. Wenn man schon mal dabei ist.


Unvereinbare Gemütsverfassungen

Der irische Dramatiker und Filmemacher Martin McDonagh hat bislang nur vier Spielfilme gedreht. Am bekanntesten ist sein zweiter Film „Brügge sehen … und sterben?“ Das Etikett ‚Schwarze Komödie‘ war 2008 schnell vergeben und die von Colin Farrell und Brendan Gleeson gespielten Killer, die nach einem Auftrag für eine gewisse Zeit in der belgischen Stadt untertauchen sollen, könnte man auch heute noch am ehesten als tarantinoesk bezeichnen. Weniger die eruptive Gewalt des Films war stilprägend, als vielmehr die absurde Konstellation eines Killerpärchens, das aus einem gewaltaffinen und ungebildeten Banausen und einem kulturbeflissenen Profimörder bestand. Parallelen zu Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ waren nicht zu übersehen. Und dass „Brügge sehen … und sterben?“ eine schwarze Komödie war, lag nicht nur daran, dass Nihilismus und Ehrenkodex zusammenstießen, sondern mehr an der grundsätzlichen Unvereinbarkeit der Gemütsverfassung der von Farrell und Gleeson gespielten Profikiller. Schwarze Komödien und schwarzer Humor besitzen allerdings auch Qualitäten, die in der Regel verlogene Konventionen und korrupte Hierarchien attackieren wollen. Davon war in Martin McDonaghs Film aber nichts zu sehen, „Brügge sehen … und sterben?“ war eher eine verspielte Stilübung ohne nachhaltige Substanz.

„7 Psychos“, McDonaghs dritter Spielfilm, entstand 2012, aber dieser Film war dann doch zu selbst-referentiell in seinem Versuch, Genretropen neu und völlig überdreht zu arrangieren. Neben Colin Farrell stießen auch Woody Harrelson und Sam Rockwell zum Cast hinzu, aber der Ensemblefilm entpuppte sich als laues Lüftchen. „Zu schlau, um als Trash durchzugehen, zu unambitioniert, um als Kunstwerk zu interessieren“, brachte es der SPIEGEL auf den Punkt.

In „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri” hat Martin McDonagh derartige Fehler vermieden. Erneut werden unvereinbare Gemütsverfassungen kombiniert, aber es geht nicht mehr um den schwarzen Humor als artifiziellem Selbstzweck. Denn McDonaghs neuer Film ist keine Komödie, sondern eine Tragödie, die angesichts der Traumata, die das bestialische Verbrechen erzeugt hat, irgendwo zwischen Komik und Grauen oszilliert, wobei das Grauen überwiegt und eine Ironisierung nicht lange verträgt. Und trotz der paradoxen Situationen, in die Autor und Regisseur McDonagh sein Personal erneut treibt, findet er inmitten der Verwüstungen der Seelenlandschaft seiner Protagonisten diesmal einen einfühlenden Zugang zu seinen Figuren.

Dies gelingt nicht nur dank der Figur der rabiaten weiblichen Hauptfigur, die sich mit ihrem brutalen Ex-Mann auseinandersetzen muss, der sie wegen einer etwas naiven 19-Jährigen verlassen hat. Die heimlichen Hauptfiguren des Films sind der Sheriff Bill Willoughby (Woody Harrelson) und sein offensichtlich intelligenzgeminderter Deputy Jason Dixon (Sam Rockwell), die durchaus an das Killerpärchen in „Brügge sehen … und sterben?“ erinnern.
Der von Harrelson gespielte Sheriff ist nämlich wider alle Erwartungen kein selbstherrlicher Kleinstadtdespot, sondern ein intelligenter, ruhiger und gelegentlich sarkastischer Kommentator des Geschehens, der Mildred vergeblich davon zu überzeugen versucht, dass trotz eines genetischen Täterprofils die Ermittlungen stagnieren, weil keine Treffer in der Datenbank erzielt werden konnten.
Dass Willoughby die Ereignisse mit gelassener Distanz betrachten kann, ohne persönlich verärgert zu sein, liegt daran, dass er aufgrund einer Krebserkrankung nur noch kurze Zeit zu leben hat. Willoughby plant auch seinen Abschied gelassen und erschießt sich, bevor die Krankheit ihn so verändert, dass die die Erinnerungen an das, was er gewesen ist, unwiderruflich verschwinden werden. Allerdings hinterlässt er eine Reihe von Abschiedsbriefen, die einen gewaltigen Impact haben werden.

Denn da ist noch sein Deputy Jason Dixon, den Sam Rockwell einfach unwiderstehlich und grandios spielt. Allein Rockwells Art zu gehen, zeigt, dass ein Mann im Anmarsch ist, der gewaltige Eier in seiner Hose herumschleppt. Dixon ist ein tumber Tor, der völlig verblödet darauf besteht, dass er keine Neger, sondern „Farbige“ gefoltert hat – so heiße das ja schließlich korrekt.

Aber dieser rassistische und gewalttätige Cop ist kein genretypisches Abziehbild des White Trash. McDonagh gibt auch dieser Figur eine eigene Geschichte, und die hat eine Menge mit Dixons nicht weniger saudämlichen Mutter zu tun, bei der der Deputy immer noch wohnt und die ihn mit verschlagener Bauernschläue und viel Hate Speech zu immer neuen Schandtaten antreibt.
Als Dixon Red Wilby
brutal zusammenschlägt und aus dem Fenster wirft, weil er ihn den Tod Willoughbys verantwortlich macht, und kurz danach auch Mildreds Billboards abgefackelt werden, erreicht die Gewalt ihren Höhepunkt. Mildred rächt sich, indem sie mitten in der Nacht einige Molotowcocktails auf die Polizeiwache wirft. Dort sitzt aber der inzwischen vom neuen farbigen Sheriff Abercrombie (Clarke Peters) gefeuerte Dixon und liest den Abschiedsbrief, den er von Willoughby bekommen hat. Der bietet ihm ein alternatives Selbstmodell an, eine grandiose Umdeutung des brutalen Trottels zu einem guten Menschen, der nur seinen Hass und seine unbändige Wut überwinden müsse, um seinen menschlichen Kern zu entdecken. Dies fesselt Dixon so sehr, dass er nicht bemerkt, dass er bereits inmitten eines Flammenmeers hockt.

Keine voreiligen Zuweisungen, keine naheliegenden Interpretationen

„Three Billboards Outside Ebbing, Missouri” ist kein Film über die bereits zum Klischee verkommene hinterwäldlerische amerikanische Provinz. Er ist trotz eines veritablen Rassisten kein Film über Rassismus, auch wenn die amerikanische Bürgerrechtsbewegung NAACP erst vor einigen Monaten eine Reisewarnung für den Bundesstaat Missouri herausgegeben hat. Kurz zuvor kam ein Farbiger, der mit seinem Auto falsch abgebogen war, in der Polizeizelle unter sogenannten „ungeklärten Umständen“ ums Leben.

Darum geht es in Martin McDonaghs Film nicht, jedenfalls nicht explizit. In der filmischen Diegese von „Three Billboards“ geht es nur mittelbar um greifbare Realitätsbezüge zum Amerika Donald Trumps, auch wenn sich einige Kritiker nur schwer der Versuchung entziehen konnten, den Film auf diese Weise mit naheliegenden Interpretationen kurzzuschließen. Es geht auch nicht um eine mit coolen Sprüchen aufgeladenen Groteske, in der sich makabre Situationen überschlagen. Eher ist es so, dass Martin McDonagh in all dem Elend und all den verkorksten Biografien seiner Protagonisten den Zugang zu einer besonderen Form von Würde findet, die auch die Figuren für sich entdecken. Das ist schemenhaft bereits im Ehrenkodex der Killer Ray und Harry (Ralph Fiennes) in „Brügge sehen … und sterben?“ zu erkennen gewesen, die sich selbst umbringen, weil sie das ihren persönlichen Werten schuldig zu sein glauben.

In dem Rachedrama, von dem „Three Billboards“ erzählt, muss dieser Kodex erst noch gefunden werden. Dass er gefunden wird, ist der Schlüssel der Geschichte. Und so lösen eine Handvoll Abschiedsbriefe eine Katharsis aus, die man nicht erwartet hätte. Ausgerechnet Jason Dixon, längst nicht mehr im Dienst, leistet zum ersten Mal seriöse Polizeiarbeit, nachdem er die Botschaft des von ihm verehrten toten Sheriffs gelesen hat. Er belauscht in einer Bar rein zufällig zwei Männer, einer der beiden prahlt mit einer Tat, die haargenau dem Mord an Mildreds Tochter ähnelt. Und die Art und Weise, mit der sich Dixon anschließend eine DNA-Probe besorgt, ist zwar bizarr und ziemlich komisch, wirkt aber angesichts der Tracht Prügel, die ihn ins Krankenhaus bringt, wie eine selbstverordnete Buße.

Als schwarze Komödie geht der Film spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr durch. „Three Billboards“ ist eine Tragödie mit tiefschwarzen humoristischen Einlagen, über die man nicht mehr lachen mag. Dazu ist das Grauen zu groß, das die Figuren erleben oder verdrängen wollen. Und genau dies führt zu mächtigen Desillusionierungen und Selbstfindungen, die wiederum zu genauen kleinen Szenen führen, etwa wenn Red Welby und sein Peiniger Jason Dixon im gleichen Krankenhauszimmer landen und das Opfer dem völlig verbrannten und zubandagierten Täter ein Glas Orangensaft mit einem Strohhalm hinstellt, damit er besser trinken kann.
Auch Nebenfiguren wie der von Peter Dinklage gespielte James, der Mildred nach dem Brandanschlag ein Alibi verschafft und sich damit ein Date mit ihr erkauft, werden von McDonagh genau gezeichnet und mit einer schmerzhaften Selbstfindung konfrontiert.

Und zuletzt gilt dies auch für die Zuschauer, die den Suizid eines Hauptdarstellers verdauen müssen, der allerdings eine Botschaft ist, und die einen Crime Plot sehen, der nie aufgelöst wird. Und für einen Provinz-Rassisten, der langsam seine Lächerlichkeit begreift. Fassaden lösen sich in Luft auf, Lebenslügen und Illsionen auch. Undenkbares wird dafür als Möglichkeit entdeckt.

Erst recht spät erkennt man beim Hinsehen, dass McDonagh dies auch ästhetisch elegant löst, indem er ganz einfach auf Eleganz verzichtet. Die meisten Szenen wirken zu lang, sie laufen weiter, auch wenn man längst einen Cut erwartet hat. Dies ergibt einen vordergründig betrachtet ziemlich holperigen Bildschnitt, der nicht nur der Geschichte scheinbar den Schwung nimmt, sondern auch dafür sorgt, dass die Kamera von Ben Davis („Avengers: Age of Ultron“, „Doctor Strange“), der bereits in „7 Psychos“ mit dabei war, etwas länger bei den Figuren bleibt, als es nötig wäre. Es ist aber nötig. Die Langsamkeit, die durch die Montage von Jon Gregory (u.a. „Mr. Turner“), entsteht, verhindert nämlich ziemlich nachdrücklich, dass die Figuren von einem Gag zum nächsten geschickt werden. Hier entsteht eine Semantisierung der Kameraeinstellungen und der Bildmontage, die man allerdings nicht auf Anhieb entdeckt. Denn während Ellipsen in einer Erzählung das scheinbar Überflüssige weglassen, fügt
Martin McDonagh gerade dies seiner Geschichte hinzu und schafft nicht nur für die Figuren eine zusätzliche Dauer der Ereignisse, die reflexiv genutzt werden kann.
 
Am Ende taucht in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri” die Frage „How Come?” erneut auf. Diesmal aber unter einem anderen Vorzeichen, denn Mildred und Jason sitzen gemeinsam in einem Auto und fahren nach Idaho. Wie ist das möglich?

Nun, sie wollen dort den inzwischen auf mysteriöse Weise entlasteten Tatverdächtigen umlegen, den Jason Dixon in der Bar belauscht hat und der Mildred in ihrem kleinen Andenkenladen zynisch attackiert hat. Der habe zwar nicht Mildreds Tochter umgebracht, dafür etwas anderes getan, was nicht weniger schrecklich ist, meint Dixon.
Ob sie das wirklich tun wollen? Das wissen sie nicht so recht. Aber sicherheitshalber fährt man einfach mal dort hin.
 Ob das wie am Ende von „Casablanca“ der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist, erfährt man nicht, denn diese Geschichte wird ebenso wie die von Humphrey Bogart und Claude Rains nicht mehr erzählt. Gerade, als es in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri” richtig losgehen könnte, wird die Leinwand schwarz, dann beginnt der Abspann eines wunderbaren wie auch wundersamen Films.


Noten: Melonie, BigDoc = 1, Klawer = 1,5


Three Billboards Outside Ebbing, Missouri – Regie und Buch: Martin McDonagh – Kamera: Ben Davis – Musik: Carter Burwell – Schnitt: Jon Gregory – Laufzeit: 116 Minuten – FSK: ab 12 Jahren - D.: Frances McDormand, Woody Harrelson, Sam Rockwell, Peter Dinklage, Caleb Landry, Clarke Peters u.a. 


Nachwort 

„Three Billboards Outside Ebbing, Missouri” ist kein Film über die bereits zum Klischee verkommene hinterwäldlerische amerikanische Provinz. Er ist trotz eines veritablen Rassisten kein Film über Rassismus...
Das habe ich geschrieben und in den USA würde ich dafür einiges wegstecken müssen. Dort tobt ein heftiger Krieg im Blätterwald. Einige durchaus namhafte Kritiker haben Martin McDonaghs Film harsch kritisiert. Eben weil er doch ein Film über Rassismus ist, und das, weil er offenbar keiner sein will.
Kompliziert? Ja.

Im Kern dreht sich die Kritik um die von Sam Rockwell gespielte Figur des Jason Dixon, der als brutaler Rassist einfach zu gut davonkommt. Dass Dixon so etwas wie eine innere Läuterung erfährt und am Ende mit dem von Frances McDormand gespielten Racheengel ungewissen Ereignissen entgegenfährt, also der Frau, die Dixon in einer privaten Vendetta übel attackiert hat und deren farbige Freundin er weggesperrt hat, war ein Affront. Und es war offenbar das falsche Statement eines Regisseurs, der scheinbar nicht erkannt hat, welche sensiblen Befindlichkeiten er beleidigt hat.

Überhaupt scheinen in den letzten Jahren zu viele Befindlichkeiten beleidigt zu werden. Menschen reagieren darauf viel schneller, leider zu oft auch hysterisch oder eindimensional. So war für mich nicht im Geringsten nachvollziehbar, dass die Journalistin Eva Squire im britischen Guardian (übrigens als unmittelbar Betroffene) McDonaghs Film frontal angriff, weil in ihm Zwerge diskriminiert werden. (Ich weiß durchaus, das der Begriff 'Zwerg' politisch nicht korrekt ist). Und das u.a. deswegen, weil im Kino über Peter Dinklage gelacht wurde, wenn er auf den Leinwand erschien.
Da scheint es ein Missverständnis zu geben, was das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung betrifft: Menschen lachen (nicht nur) im Kino über Zwerge, weil sie entweder schlecht erzogen oder ganz einfach strunzdumm sind. Und nicht, weil ein Zwerg aka Kleinwüchsiger in einem Film zu sehen ist. Wirklich ekelerregend war der Hulk Hogan-Film
„No Holds Barred" (1989), in dem Peter Dinklage in der Eingangssequenz als Attraktion einer schäbigen Kneipe in einem von der Decke hängenden Käfig zu bestaunen ist. (Nicht in der WIKIPEDIA danach suchen, das steht dort nicht drin...).


Meine Kritik über „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri”  habe ich unmittelbar nach dem Kinobesuch geschrieben. Und um andere Kritiken habe ich mich zunächst nicht gekümmert, auch nicht um die aus dem US-amerikanischen Raum.
Entscheidend waren für mich folgende Aspekte:
„Three Billboards” ist trotz seines schwarzen Humors nicht in der Tradition der Coen Brothers und auch nicht in der Quentin Tarantinos zu sehen, weil er ganz ausdrücklich eine Tragödie ist. Für die Coen-Brüder hat man die Formel „Cool. Cooler. Coens" erfunden, Tarantino hingegen ist in erster Linie an den formalen und ästhetischen Eigenschaften von Genrefilmen interessiert. Sein farbiger Django beseitigt den Rassismus auf archaische Weise, zweifellos sehr witzig, aber eben kein Rezept für die Gegenwart.
Der andere Aspekt war mein Hinweis darauf, dass
Martin McDonagh in „Three Billboards” sehr viel Empathie für seine Figuren entwickelt. Etwas, was ich seinen älteren Filmen so nicht entdecken konnte. Deshalb war aus meiner Sicht die von Woody Harrelson gespielte Figur mindestens genauso wichtig wie die des weiblichen Rachelengels Mildred Hayes, die gegen das Wegsehen und Schweigen kämpft, aber auch gegen eine misogyne und moralisch gleichgültige Gesellschaft, wie sie nicht nur in der Southern Culture der Südstaaten zu entdecken ist. Daher waren die Abschiedsbriefe von Chief Willoughby durchaus eine tröstende Hinterlassenschaft, zumal der Sheriff, wie man beiläufig erfährt, am Ende sogar heimlich die Miete für Mildreds Billboards bezahlt.
Dass diese Briefe, im Off von ihrem Verfasser vorgelesen, durchaus einen humanistischen Wert besitzen, der den Figuren einiges von ihrer Würde zurückgibt, war eine Deutung, die so ziemlich genau das Gegenteil von jener Kritik darstellt, die in den USA kurz vor den Oscar-Verleihungen immer größeren Raum erhält. Meine Meinung ändere ich nicht, aber die Leser dieses Blogs sollen immerhin die Möglichkeit erhalten, Teile dieser Debatte lesen zu können. Zwei der bemerkenswertesten Beiträge habe ich nachfolgend verlinkt.



Persönlich bin ich hin- und hergerissen. Einige Argumente sind nachvollziehbar, andere erinnern mich eher an das Urteil Es-kann-nicht-sein-was-nicht-sein-darf. Ganz fremd ist mir der Rückgriff auf den Moralismus des Kinos der 1950er Jahre, in dem die Bösen am Ende ihre gerechte Strafe erhalten müssen. Mittlerweile haben wir sehr viele moralisch ambivalenten Figuren in Filmen gesehen. Es waren nicht die langweiligsten. Und einige sind davongekommen. 
Ich bin auch nicht der Meinung, dass bedeutende gesellschaftliche Themen nach eindeutigen Botschaften verlangen. Kunstwerke sind vielschichtig und sie dürfen, ja müssen sogar unterschiedlich rezipiert werden können. Martin McDonagh selbst hat klargemacht, dass er seine Filme nicht für Sechsjährige macht und hat die vermeintliche Entlastung der Figur des Jason Dixon zurückgewiesen: “I don’t think his character is redeemed at all – he starts off as a racist jerk. He’s the same pretty much at the end, but, by the end, he’s seen that he has to change. There is room for it, and he has, to a degree, seen the error of his ways, but in no way is he supposed to become some sort of redeemed hero of the piece (...) But I think there’s a lot of hope and humanity in the film and if you look at all those issues with those things in your heart, we might move on to a more interesting place.”

Das sehe ich auch so.



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