Freitag, 25. Mai 2018

The Avengers: Infinity War

Der neue Marvel-Film ist nicht nur der vorläufige Höhepunkt der Phase 3 im Marvel Cinematic Universe. Er wird auch klug erzählt und macht Spaß bis zu vorletzten Minute. Und er wird in einigen Wochen vermutlich der erfolgreichste Film aller Zeiten sein.

Der Kreis schließt sich: Megaschurke Thanos, der im ersten Avengers-Film mit seinen Truppen New York verwüstete, will endgültig das Gleichgewicht im Universum herstellen. Allerdings muss dafür jeder Zweite sterben, egal, ob Mensch oder Alien. Die erforderliche Power sollen ihm die Infinity-Steine geben, die als hochwertige McGuffins ausnahmsweise von großem Nutzen sind: für Thanos bedeuten sie die absolute Macht, für das Marvel Cinematic Universe etwas Ähnliches. Sie sind der Treibstoff, der die Geschichten der Superhelden zusammenhält und vorantreibt.




Superlative ohne Ende

Nun sind wieder zusammen, sie wollen Thanos aufhalten, aber sie zoffen sich nach den Ereignissen in „Captain America: Civil War“ noch immer. Da sind die ‚offiziellen‘ Avengers, angeführt von Tony Stark aka Iron Man. Zu ihnen gehören James Rhodes aka War Machine, T’Challa aka Black Panther, Natasha Romanoff aka Black Widow, Vision und Peter Parker aka Spider-Man. 

Zähneknirschend arbeiten sie wieder mit Captain Americas Renegaten zusammen: Steve Rogers aka Captain America, Bucky Barnes aka Winter Soldier und Wanda Maximoff aka Scarlet Witch. 

Auch Bruce Banner aka Hulk kehrt aus dem Exil zurück. Und schließlich wollen auch Dr. Steven Strange aka Dr. Strange mitsamt der Guardians of the Galaxy (Peter Quill aka Star-Lord, Drax, Rocket und Groot) an vorderster Freund mitmischen.


Das sind schon mal fünfzehn Helden, einige sind attsächlich super, andere eher technik-affin und andere wiederum sind einfach nur ein rhetorisch (scheinbar) beschränkter Baum oder ein „Kaninchen“, wie Thor despektierlich Rocket nennen wird. 

Ja richtig, Thor ist auch dabei. Loki darf nicht fehlen, auch Gamora, Wong, General Okoye, Shuri, Nebula, Mantis (Himmel, wer war das eigentlich noch?) haben alles andere als unwichtige Auftritte. Clint Barton aka Hawkeye und Scott Lang aka Ant-Man wurden zwar angekündigt, fehlten dann aber.

Ja, das alles kostet Geld, man hat es und es ist auch gut für die Continuity, auch wenn Tom Hiddleston als Loki rasch das Zeitliche segnet, Benicio del Toro als Collector nur gefühlte 15 Sekunden zu sehen ist und Idris Elba als Heimdall keine wesentlich längere Screentime erhält.
Samuel L. Jackson ist als Nick Fury wenigstens in den Post-Credits zu sehen. Gwyneth Paltrow erhält als „Pepper“ Potts ihr Stand-In (zugegeben eine etwas ruppige Beschreibung ihrer Szene) und dabei habe ich noch nicht einmal Anthony Mackie als Falcon erwähnt. Und Peter Dinklage als Riesenzwerg Eitri (wer nicht weiß, was ein Oxymoron ist, der kann es im Film leibhaftig sehen), William Hurt als „Thunderbolt“ Ross und Stan Lee als Busfahrer tauchen auch auf.
Zum Teufel, wer ist Stan Lee? Der hat die Marvel-Comics erfunden und erhielt natürlich wieder einmal seinen Cameo-Auftritt.

Summa summarum sind dies ca. 30 mehr oder weniger wichtige Figuren, aber das ist nicht einmal der vollständige Cast. Billig war das nicht, zumal man einige Kurzauftritte sicher auch irgendwie digital hingekriegt hätte. Aber es bezeugt auch eine gewisse Konsequenz, denn beim entscheidenden Kapitel sollten (fast) alle dabei sein, und sei es nur nur für wenige Sekunden.


Noch ein paar Superlative zum Abschmecken: 230 Millionen-mal wurde der Trailer des Marvel-Blockbusters online abgerufen. Insgesamt? Nein, in den ersten 24 Stunden. 
Und natürlich ist „Avengers: Infinity War“ mit einem weltweiten Umsatz von mittlerweile knapp 2 Mrd. US-Dollar auf dem Weg, der erfolgreichste Film aller Zeiten zu werden. 300 Mio. US-Dollar hat er gekostet. Der Profit wird enorm sein.

Nur „Pirates of the Caribean – Am Ende der Welt“ hat genauso viel gekostet, aber längst nicht die Gewinne eingefahren, die für Marvel-Filme heute selbstverständlich geworden sind. „Vom Winde verweht“ werden die Superhelden vermutlich nicht knacken: der hat (inflationsbereinigt) fast 7 Mrd. US-Dollar eingespielt – und hört nicht auf damit!



Im Kinosessel zerquetscht

Eigentlich konnte das nicht klappen. Zu viele Rollen, zu viele Schauplätze. Hat es aber. Ich stelle das einfach mal in den Raum. Auch weil ich kein Freund von Blockbustern bin. Ich habe keinen Transformer-Film gesehen, auch die Piraten der Karibik habe mich keine Lebensminute gekostet. Andere Blockbuster schaue ich mir an, auch wenn „Star Wars“ längst nicht mehr den Spirit besitzt, den die Space Opera vor Jahrzehnten besaß. Sie sind von Disney überwältigt worden: eindimensionale Figuren ohne Charme, keine Metaphysik, lineare Handlungen mit möglichst viel schrägen Aliens und kein Humor.

Aber Marvel-Filme machen mir Spaß. Ein Zufall ist das nicht.
 

Martin Scorsese hatte Recht, als er in seiner Einführung in die Geschichte des amerikanischen Films (A Century Of Cinema – A Personal Journey With Martin Scorsese Through American Movies, in: Das Jahrhundert des Kinos, Doku 1995) eine entscheidende Qualität des US-Kinos erkannte: nicht nur die großen Studios, sondern auch die Illusionisten unter den Regisseuren waren technisch innovativ und griffen – sofern Geld vorhanden – immer zum Neuesten, was die Technik hergab.
Auch „Avengers: Infinity War“ legt in Sachen CGI noch eine Schippe drauf, obwohl man glaubte, bereits alles gesehen zu haben. Hat man nicht.
 

Studios gibt es noch immer, aber tatsächlich beherrschen mittlerweile Konzerne den Markt. Und auch die investieren nur dort, wo Rendite zu erwarten ist. Für Scorses war es aber spannender, wenn die Studios kreative Macher werkeln ließen, die auch richtig erzählen können. Häufig war dies nur B-Movies möglich. Bei Marvel klappte dies auch in Blockbustern vorzüglich.

Nicht nur „Avengers: Infinity War“, sondern auch die meisten der anderen Marvel-Filme, setzen auch daher neue Maßstäbe. Das muss nicht bedeuten, dass es so weitergeht. Denn Disney hat nicht nur Marvel gekauft, sondern eben auch George Lucas das Star Wars-Franchise abgeluchst. Und damit verdient Disney mit einem ermüdenden Konzept und langweiligen No risc-Filmen viel Geld, was zuletzt auch die Star Wars-Fans verprellte. 


Es gibt einiges, was das Marvel-Team besser macht. Anders als bei den „Star Wars“-Ablegern wird man nicht im Kinosessel vom Effektgewitter zerquetscht, sondern auf eine Reise mitgenommen, bei der die Figuren nicht zu Accessoires gigantomanischer Raumschlachten verkommen. 

Es besser zu machen, war auch entscheidend, denn „Avengers: Infinity War“ sollte der Kulminationspunkt sein, an dem nicht nur alle Erzählfäden der vielen Einzelfilme, sondern auch der Avengers-Metaplot im von Kevin Feige ausgetüftelten Marvel Cinematic Universe auf den Punkt gebracht wird. 
Es klappte. Die Gründe: sehr gute Drehbücher, viel Ironie und noch mehr Humor, und ein faszinierender Schurke, der eigentlich keiner ist.



Gute Skripts, viel Humor und ein überzeugender Schurke

Einfach hörte sich das nicht an: zwei Dutzend Superhelden müssen den Untergang des Universums verhindern. Und alle sollen einen Platzt in der Handlung bekommen, ohne als Stichwortgeber verheizt zu werden. 

Die Lösung war verblüffend einfach - für eine konsistente Story Arc sorgen die Infinity-Steine: der blaue „Tesserakt“ (Raum) der rote „Äther“ (Realität), der gelbe „Gedankenstein“ (in Visions Stirn), der lila „Orb“ (Macht), das grüne „Auge von Agamotto“ (Zeit) und der orangene „Seelenstein“. 

Den Machtstein besaß Thanos, der selbst ernannte Herrscher des Universums, bereits. Und den Raumstein, den Tesserakt, nimmt er in Besitz, als er in der einleitenden Sequenz Thors Gefolge fast vollständig tötet und Thor mitsamt seinem Raumschiff in die Luft jagt. Bleiben nur noch die übrigen Steine und fertig war das Gerüst des Drehbuchs, das alles zusammenführte, ohne dass man den roten Faden verlor.


Magische Artefakte gehörte schon immer zu großen Mythologien unserer Geschichte, es ist kein Wunder, dass die größte Mythenschmiede unserer Zeit, das Kino, nicht Tolkiens „Der Herr der Ringe“ oder Joanne K. Rowlings Harry Potter-Saga benötigten, um magische Momente heraufzubeschwören. George Méliès, der große Stummfilmpionier, erkannte als Erster, wie man Menschen verblüffen und damit ins Kino holen konnte. Dass die Infinity-Steine daher die folgende Handlung sequenzieren, war nicht daher nicht nur inhaltlich folgerichtig, sondern auch mythologisch und schließlich auch drehbuchtechnisch.

Dieses an sich einfache Konstrukt nutzten Executive Producer Kevin Feige und die Drehbuchautoren Christopher Markus und Stephen McFeeley geschickt. Nicht nur, um die Handlung überschaubar zu strukturieren, sondern auch, um dabei völlig heterogene Teams zu bilden.
Zum Beispiel Bruce Banner, Tony Stark und Dr. Strange und später auch Spider-Man, wobei die Chemie zwischen dem arroganten Supertechniker Tony Stark und dem nicht weniger blasierten Magier Dr. Strange überhaupt nicht stimmt, aber pausenlos witzige Oneliner produziert, die wirklich originell sind. Dass Bruce Banner zudem nicht mehr in der Lage ist, den Hulk in ihm zu aktivieren, macht aus dem höflichen Physiker einen frustrierten Anti-Helden, der für reichlich comic relief sorgt, ohne dass die scharfzüngigen Dialoge den Ernst der Lage ignorieren.

Ein ähnlich komischer, aber todernster Mix entsteht, als die Guardian of the Galaxy Thor retten, der die Vernichtung seines Schiffs überlebt hat und im All treibt. Was mit gnadenloser Logik dazu führt, dass sich der 1500 Jahre alte Halbgott und das „Kaninchen“ Rocket“ so heftig zoffen, dass kein Stein auf dem anderen bleibt. 


Nicht ganz so pointiert geht es zu, wenn Vision und Scarlet Witch mit Captain America und Falcon zusammentreffen, nur knapp einen Angriff überleben und daraufhin Wakanda um Hilfe bitten. Dort findet auch die finale Schlacht statt, die über das Schicksal des Universums entscheiden soll. Und so sorgten die von den Autoren clever zusammengeführten Figuren für viel Dynamik, Spannung und Witz.

Auch nach zwei Stunden hatte man trotz der vielen Figuren und der verschiedenen Schauplätzen nie das Gefühl, den Erzählfaden zu verlieren. Handwerklich ist dies richtig gutes Storytelling und womöglich ist dafür entscheidend gewesen, dass das Team, das „Captain America: Civil War“ realisiert hatte, erneut zusammengekommen ist.
Die Regisseure Anthony und Joe Russo hatten also leichtes Spiel, obwohl sich in der letzten halben Stunde die Ereignisse im Film dann doch etwas überschlagen.


Eine Trumpfkarte zogen die Macher mit dem von Josh Brolin phantastisch gespielten Schurken Thanos aus dem Ärmel. Thanos ist keine grelle Comicfigur, sondern eine ambivalente Figur, die das Universum vor seiner Überbevölkerung und der damit verbundenen Verschwendung endlicher Ressourcen retten will. Dafür soll jedes zweite Lebewesen sterben. 

Ein Genozid mit einer alptraumhaften Größenordnung, der bizarr genug ist, um ins Lächerliche oder Wahngafte abzugleiten. Nur ist dieser Thanos einer jener Schurken, deren Handeln nicht pathologisch ist. Thanos ist jemand, der mit seiner extremen Unmenschlichkeit das Falsche aus tiefster Überzeugung tut - auch wenn er schließlich bereit ist, die einzige Person zu opfern, die er liebt. Ich hätte gerne gwusst, was Hannah Arendt zu so einer Figur gesagt hätte...

Nun hat Marvel kein Patent auf zerrissene Bösewichte. Die gab es bereits in den klassischen Gangsterfilmen der 1930er Jahre, im Film Noir, im legendären „Psycho“, in den Gangsterballaden von Jean-Pierre Melville. Später faszinierte als neue Kino-Ikone Anthony Hopkins als Hannibal Lecter. Es folgten der nicht weniger faszinierender Heath Ledger als Joker und auch Giancarlo Esposito als Gustavo Fring in „Breaking Bad“ verdient Erwähnung.

Sie alle haben erkennen lassen, dass sich die Zuschauer häufig zu den moralisch zerrissenen und dennoch völlig perversen Schurken auf der Leinwand hingezogen fühlen. Bestenfalls, weil sie spannend sind, schlimmstenfalls, weil sie eine tollkühne Freiheit versprechen, die man im Kino heimlich bewundern konnte. 
Anders gesagt: ein Schurke ist das Salz in der Suppe. Wenn Thanos weint, berührt und erstaunt das mehr als wenn Bruce Banner sein ungerechtes Schicksal beklagt.

An Ende gewinnt dieser Schurke sogar. Er hat alle Steine eingesammelt und tötet mit einem Schnippen seiner Finger jedes zweite Lebewesen im Universum.
 Als das große Sterben begann und auch Spider-Man in den Armen von Iron Man seine Leben aushauchte, hörte ich im Kino die Tür zuschlagen. Einige Zuschauer den Saal. Es war wohl alles zu viel.

Keine Panik. Marvel wird nicht sein erfolgreichstes Franchise vernichten. Der nächste Spider-Man-Film ist geplant. Und überhaupt weiß keiner, was man mit den Infinity-Steine noch alles anstellen kann.


Note: Melonie = 1, BigDoc = 1,5


Avengers: Infinity War - USA, 2018 - Regie: Anthony und Joe Russo. Drehbuch: Christopher Markus und Stephen McFeely – Laufzeit: 149 Minuten. D.: Robert Downey Jr., Chris Hemsworth, Mark Ruffalo, Chris Evans, Scarlett Johansson, Benedict Cumberbatch, Don Cheadle, Tom Holland, Chadwick Boseman, Paul Bettany, Elizabeth Olsen, Anthony Mackie, Sebastian Stan, Danai Gurira, Letitia Wright, Dave Bautista, Zoe Saldana, Josh Brolin, Chris Pratt, Peter Dinklage, Pom Klementieff, Karen Gillan, Dave Bautista, Josh Brolin, Gwyneth Paltrow, Benicio del Toro, Letitia Wright, Jeremy Renner, Cobie Smulders, Samuel L. Jackson