Dienstag, 1. Mai 2018

Homeland Season 7: Und wieder herrscht der Kalte Krieg

In der siebten und wohl vorletzten Staffel von „Homeland“ wird die Geschichte der um Machterhalt ringenden US-Präsidentin Elizabeth Keane weitererzählt. Carrie Mathison verfolgt eine falsche Fährte und gerät immer tiefer in den Sumpf einer neuen Verschwörung. Dabei erfährt sie, dass sie eine Menge Medikamente braucht und eine schlechte Mutter ist.

So in etwa könnte man die neue Staffel von „Homeland“ auf den Punkt bringen. Etwas viel Stoff für zwölf Episoden, könnte man meinen. Stimmt, die neue Staffel platzt thematisch tatsächlich aus allen Nähten. Und das ist nicht immer übersichtlich, aber immer wieder gelingen der Show dabei bemerkenswerte Highlights. Diese Ups und Downs deuten an, dass sich die Showtime-Serie dem Punkt nähert, an dem alles auserzählt ist. So kommt es auch: es folgt noch eine achte Staffel, dann ist alles vorbei. Entscheidend dürfte aber nicht sein, dass Hauptdarstellerin Claire Danes ihr zweites Kind bekommt, sondern dass „Homeland“ seit langem im Quotentief feststeckt. Staffel 6 sackte auf einen Schnitt von knapp 1.3 Mio. Zuschauern ab, die neue Staffel hat diese Werte nicht korrigiert.



Die USA verwandeln sich in ein Finsterland

„Homeland“ hat in der Vergangenheit trotz vehementer Kritik immer versucht, aus tagespolitischen und gesellschaftlichen Trends die passenden Geschichten herauszulesen, ohne das Kerngeschäft zu vernachlässigen: den Zeitgeist mit spannendem Thrill zu verbinden.

Der Titel der Schlussepisode der der durchweg überzeugenden 6. Staffel war daher auch als sarkastischer Kommentar zu lesen. „America First“ hieß er und er zog einen vorläufigen Schlussstrich unter die Transformation der pazifistischen Elizabeth Keane (Elizabeth Marvel). Die frisch gewählte US-Präsidentin mutierte: aus einer Idealistin wurde ein politisches Monster, das skrupellos die Verfassung aushebelt, um einen erbitterten Rachefeldzug gegen eine Gruppe von Verschwörern zu führen, die ihr nach dem Leben trachteten. 

Nun schmoren zu Beginn der achten Staffel aber nicht nur die überführten Revoluzzer
hinter Gittern, sondern auch einige Hundert Personen des öffentlichen Lebens, darunter zahlreiche Mitglieder des „Security Establishments“, auch Saul Berenson (Mandy Patinkin). Allesamt verdächtig, einen Staatsstreich geplant zu haben. Abgesehen vom harten Kern der Verschwörer ist die Beweislage allerdings sehr dünn.
Vorausgegangen war tatsächlich der Versuch eines gewaltsamen Umsturzes. Wie der „Deep State“ dabei vorgeht, zeigte die 6. Staffel im Stile der klassischen Paranoia-Thriller, nämlich als groß angelegte Konspiration, an der der Militärisch-Industrielle Komplex, verschiedene US-Geheimdienste und die „Alt Right“-Bewegung beteiligt waren. Deren Name fällt in der Serie ebenso wenig wie der von „Breitbart“, aber das reale Vorbild für den Agitator Brett O’Keefe (Jake Weber), der zusammen mit den Verschwörern fleißig an einem digitalen Faschismus bastelt, war unschwer zu erkennen. 
Und dann errichtet ausgerechnet eine Präsidentin der Demokraten auf amerikanischem Boden ein neues Guantanamo?

Natürlich wollte „Homeland“ damit die Zerrissenheit der amerikanischen Nation grell nachzeichnen. Nachdem Carrie Mathison (Claire Danes) und ihr Freund Peter Quinn (Rupert Friend) großen Anteil an der Aufdeckung der Verschwörung hatten und Elizabeth Keane das Leben retteten, verwandeln sich die USA nichtsdestotrotz in ein Finsterland. Quinn lässt sein Leben, Carrie wird aus dem inneren Zirkel der Präsidentin hinausgeworfen. Elizabeth Keane, am Rande der Paranoia, traut keinem mehr. 

Und wieder einmal lassen die Ereignisse eine verbitterte und desillusionierte Carrie zurück, die nun in der achten Season ohne Amt und Einfluss alles Erforderliche unternehmen will, um die repressive Präsidentin aufzuhalten. Erst recht, als der Hauptverschwörer General McClendon (Robert Knepper) nach seiner Verteilung nicht einmal den ersten Tag im Hochsicherheitsgefängnis überlebt. Nun ist Carrie endgültig davon überzeugt, dass die neue Administration nicht davor zurückschreckt, ihre Feinde zu liquidieren und auch sonst die Verfassung niederreißt.

Allerdings begibt sich Carrie dabei auf vermintes Gelände, als sie mit dem befreundeten FBI-Mann Dante Allen (Morgan Spector) und dem intriganten Senator Sam Paley (Dylan Baker) zwei Männer zusammenbringt, die ihre eigene Agenda verfolgen: Allen, das erfährt man später, ist Teil einer neuen Konspiration und auch sonst alles andere als ein Freund von Carrie, Paley will die US-Präsidentin stürzen und die eigene Karriere vorantreiben. 
Das Treffen scheitert und in Carries Fokus gerät nun der Chief of Staff, David Wellington (Linus Roache), den Carrie mit dem geballtem Hi-Tec-Arsenal eines alten Bekannten ausspioniert. Überwachungsexperte Max Piotrowski (Maury Sterling) wird bei der Lauschaktion auf eine Frau aufmerksam, die mit Wellington eine mysteriöse Beziehung zu haben scheint: Simone Martin (Sandrine Holt) wird zur Schlüsselfigur der Serie.

Mittlerweile ist Saul Berenson nach einem Deal mit der US-Administration plötzlich neuer Sicherheitsberater der Präsidentin. Das nennt man Blitzkarriere: eben noch Landesverräter, nun einer der mächtigsten Männer des Landes. 
Berensons neue Aufgabe: den Verräter Brett O’Keefe zur Strecke bringen. Das gelingt, aber der Preis ist hoch. O’Keefe hat sich im provinziellen Lucasville in die Obhut einer schwer bewaffneten Gruppe von Anhängern begeben, seine Verhaftung durch das FBI endet mit einem Blutbad (ep 4: „Like Bad at Things“). 

Carrie, mittlerweile wieder schwer gebeutelt von ihrer bipolaren Störung, findet inzwischen heraus, dass die geheimnisvolle Simone Martin offenbar als Geldbotin diente, um die Mörder von General McClendon zu bezahlen. Ein gefundenes Fressen für Senator Paley, der Simone Martin so schnell wie möglich vor einen Untersuchungsausschuss bringen will.

Zwischen allen Stühlen

Die sechste Staffel von „Homeland“ hatte sich viele Themen vorgenommen: die Bürgerrechtsbewegung und den alltäglichen Rassismus, die Dekonstruktion eines „Deep State“, die Strategie der politischen Desinformation mithilfe von Social Bots und digitalen Aktivisten, die in Foren oder per YouTube raffiniert die öffentliche Meinungsbildung manipulieren. Zudem Anspielungen auf die Trump-Administration, die von den Machern um Alex Gansa und Howard Gordon möglicherweise nicht geplant waren, aber spätestens zum Zeitpunkt der Ausstrahlung der Serie ihr prophetisches Potential bewiesen.

Weitererzählt wurde natürlich auch die Geschichte der bipolaren Hauptfigur, bei der man nie so recht wusste, ob die exzessive Leidenschaft, mit der sie ihre Ziele verfolgte, nachvollziehbare Gründe hatte oder nur das Aufflammen einer neuen manischen Episode war. 
So sitzt Carrie auch in der neuen Staffel zwischen allen Stühlen: Ihre Krankheit eskaliert, gleichzeitig zeigt sich, dass ihre Gemütsschwankungen und ihr privater Rachefeldzug ihrer Wunschrolle als Mutter im Wege stehen. Bald ist der Tiefpunkt erreicht und Carrie findet sich vor den Schranken eines Gerichts wieder, wo sie ausgerechnet mit ihrer eigenen Schwester Maggie (Amy Hargreaves) um das Sorgerecht für ihre Tochter Franny kämpfen muss. Intensiver als zuvor zeigte „Homeland“, dass seine Hauptfigur unmittelbar vor dem totalen Kollaps steht.

Es wurde also eine Menge erzählt und rasch wurde deutlich, dass sich auch die siebte Staffel von „Homeland“ viele Themen vorgenommen hatte. Doch diesmal drängte sich mit jeder neuen Episode immer stärker das Gefühl auf, dass sich die Serie diesmal zu viel vorgenommen hatte. Auch wenn Carries Krankheit und ihre familiären Probleme zweifellos einen Beitrag zur Charakterentwicklung leisteten, bekamen die Ausflüge ins Private Life der Hauptfigur zu viel Screen Time. Zeit, die an anderer Stelle fehlte. So verschwand die Figur des Brett O’Keefe nach seiner Verhaftung sang- und klanglos aus der Handlung. Ebenso wie das Lucasville-Massaker, das in realita sicher die Medien für Monate beschäftigt hätte.

Nicht jeder Plot Twist überzeugte

Stattdessen konzentrierte sich „Homeland“ auf einen neuen Conspiracy Plot, der nicht nur Saul Berenson und Carrie erneut zusammenbrachte, sondern auch direkt nach Russland führte. Mit diesem Plot Twist hatten sich die „Homeland“-Showrunner offenbar vorgenommen, erneut auf ein tagespolitisch brisantes Thema zu reagieren – nämlich den digitalen Informationskrieg zwischen totalitären und demokratischen Staaten. Dieses Thema hing nun übergroß über der zweiten Staffelhälfte, verdrängte aber auch einige Themen der sechsten Staffel. Hier wäre eine größere erzählerische Kontinuität wünschenswert gewesen.

In den Mittelpunkt rückte stattdessen der hochrangige Offizier des Russischen Militärischen Geheimdienstes (GRU). Yevgeny Gromov (Costa Ronin) hatte woh seit Längerem in den USA alle Strippen gezogen, um nicht nur die US-Präsidentin, sondern mit ihr auch das politische System der Vereinigten Staaten zu destabilisieren. Damit landete „Homeland“ nicht nur im klassischen Agentenfilm, sondern auch in dessen Lieblingssujet: dem ewigen Kalten Krieg. Und den scheinen die Russen zugewinnen, auch dank der moralischen Ambivalenz ihrer Gegner: „Useful Idiots“ heißt passenderweise eine Episode.

Auch das hätte angesichts der vorhandenen Aktualität des Themas interessant sein können, aber „Homeland“ vertraute seine Geschichte dann doch recht überschaubar einer Mischung aus James Bond, Ethan Hunt und John Le Carré an, wobei James Bond und Ethan Hunt zweifellos siegten und die subtilen Töne eines John Le Carré zum Schweigen brachten. Also Action statt psychologischer Raffinesse.

Der Höhepunkt war eine Mission Impossible des Teams von Saul Berenson und der wieder in Gnade aufgenommenen Carrie. Ausgerechnet in Russland sollte das Team die schwer bewachte Simone Martin, die inzwischen als GRU-Offizierin aufgeflogen war, entführen. Ein etwas hanebüchener Einfall, denn Carrie gelang es, die Gegner so zu manipulieren, dass GRU-Einheiten auf Mitglieder des eigenen Auslandsnachrichtendienst SWR schossen, während Claire Danes mit einer akrobatischen Kletterei an einer turmhohen Fassade Tom Cruise und vielleicht auch James Bond erfolgreich Konkurrenz machte.

„Homeland“ endet mit einem dicken Ausrufezeichen

Um das alles einigermaßen nachvollziehbar in zwölf Episoden unterzubringen, hatte „Homeland“ einige Erzählstränge gekappt, andere wurden nicht restlos aufgeklärt. Völlig misslungen ist dies nicht, aber einige Räuberpistolen hätte man sich ersparen können. 

Dazu gehörte neben der Russland-Episode auch die dramatische Entmachtung der Präsidentin durch ihr Kabinett, das mit dem 25. Zusatzartikel der Verfassung eine Waffe nutzte, die eigentlich nicht den Zweck hat, einen politischen Umsturz zu ermöglichen. Eben das geschah aber und Elizabeth Keane musste das Büro protestierend räumen – schließlich sei sie nicht ‚unfit for office‘, lamentierte sie.

Nun kommt wohl keine Serie über das Weiße Haus ohne 25th Amendment aus. Auch in der aktuellen Kiefer Sutherland-Serie „Designated Survivor“ wird der kreuzbrave Präsident mit dieser Allzweckwaffe bedroht. Originell ist dies nicht.
Aber „Homeland“ rettete sich durch einen weiteren Kniff. Aus dem Hut gezaubert wurde in den letzten Folgen der Darstellerveteran Beau Bridges, der den Vizepräsidenten Ralph Warner trotz geringer Screen Time grandios spielte und dabei mindesten so anständig wirkte wie der von Kiefer Sutherland hochmoralisch interpretierte Präsident Thomas Kirkman. Warner ist zwar an Keanes Sturz beteiligt, hat im Gegensatz zu einigen seiner Mitverschwörer handfeste Argumente. Am Ende wird Warner nicht nur Sam Paley ans Messer liefern, sondern dank seiner Integrität auch Keanes Präsidentschaft retten.

Und so entlässt „Homeland“ in seiner letzten Episode „Paean to the People“ trotz eines düsteren Cliffhangers den Zuschauer mit einer ungewohnt optimistischen und hochmoralischen Kehrtwende. ‚Paean‘ bedeutet Lobrede, und die spricht Elizabeth Keane in einer improvisierten Ansprache live in die TV-Kameras. Keanes letzte Worte als US-Präsidenten warnen vor dem Zerfall der westlichen Demokratien, der nicht mehr von bewaffneten Männern auf den Straßen vollzogen wird, sondern sich langsam einschleicht wie eine Krankheit, deren Symptome man nicht ernst nimmt. Länder wie Polen, Ungarn und die Türkei sollten als das wahrgenommen werden, was sie sind: als Beginn eines anti-demokratischen Rollbacks, das zum Verlust der Freiheit führt.

Schon lange nicht mehr hat eine Serie ihre politische Botschaft so direkt und unverblümt auf dem Silbertablett serviert. Um ganz ehrlich zu sein: Mir fällt kein Vorbild ein. Amerikanische Zuschauer werden dies garantiert anders konsumieren als europäische, aber mit diesem pathetischen und gleichzeitig überzeugenden Finale hat die neue Season „Homeland“ ein dickes Ausrufezeichen gesetzt.
Hohn und Spott einiger Kritiker sind angesichts dieser brachialen Polit-Didaktik so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber vielleicht ist es nötig, dass eine TV-Show dem Zuschauer so etwas um die Ohren haut. Es sind garantiert keine Fake News.

Unterm Strich war „Homeland“ auch diesmal ambitionierte Unterhaltung. Einige Ungereimtheiten des Plots lassen sich verschmerzen, weniger die Vielzahl der Themen. Eine straffere Handlung hätte der ambitionierten Serie gutgetan.

Zu den Stärken der neuen Staffel gehört ein blendend aufspielender Cast. Selten sah man Claire Danes so verzweifelt, so nah an der Schwelle zum Wahnsinn. Rollende Augen inklusive.
Elizabeth Marvel („House of Cards, „Fargo“) als US-Präsidentin Elizabeth Keane wechselt zwischen ekelhaftem Scheusal und verzweifelter Frau, der das Amt und die Intrigen die politischen Ideale geraubt haben. Am Ende spukt sie ihrem Widersacher Sam Paley wortlos ins Gesicht, nachdem dieser auf den Knien um Gnade für seine Familie gebettelt hat. Elizabeth Marvels eingefrorene Mimik taut nur einmal auf, nämlich als sie ihr gesamter Stab ihr nach der Wiedereinführung ins Amt mit ehrlichem Beifall begrüßt. Grandios gespielt.

Mandy Patinkin kommt mit weniger Aufwand und einer gedrosselten Mimik aus, verkörpert den desillusionierten, aber unnachgiebigen Vertreter des „Security Establishments“ erneut sehr überzeugend. Routinier Dylan Baker spielt den opportunistischen Schurken Sam Paley, so wie man es von Dylan Baker erwartet: nämlich fies. Lob verdient auch erneut Jake Weber, der den Demagogen Brett O’Keefe weitgehend klischeefrei und daher beängstigend spielt: ein feiger Egomane, versteckt hinter verführerischer Rhetorik.
Ein später Höhepunkt ist dann der Auftritt von Beau Bridges, der mit sparsamer Mimik ein Optimum an Wirkung erzielt.

Wenn „Homeland“ in seiner finalen Staffel dieses Niveau hält, wird man das Ende der Showtime-Serie möglicherweise bedauern.

Note: BigDoc = 2