Samstag, 19. Mai 2018

The Rain - Wenig überzeugende Netflix-Serie

Mit der Teenager-Dystopie „The Rain“ hat NETFLIX eine biedere Geschichte auf die Reise geschickt, die uns acht Episoden lang in ein untergegangenes Dänemark führt. Der Schauplatz ist noch am originellsten.

Die junge Simone (Alba August) wird von ihrem Vater Frederik Andersen (Lars Simonsen) aus dem Unterricht und in ein Auto gezerrt, in dem schon ihre Mutter Ellen (Iben Hjejle) und ihr Bruder Rasmus (Lucas Lynggard Tonnesen) warten. Stunden später landen alle in einem unterirdischen Bunker. Draußen entlädt sich inzwischen eine gewaltige Regenfront. Jeder, der auch nur geringfügig mit dem Niederschlag in Berührung kommt, stirbt innerhalb weniger Sekunden. Der Regen verbreitet ein tödliches Virus.



Der Bunker gehört dem Konzern Apollon, bei dem Frederik als Wissenschaftler beschäftigt ist. Der Vater verlässt seine Familie trotz der tödlichen Bedrohung aber bereits nach kurzer Zeit, weil er etwas Dringendes zu erledigen hat. Das hat fatale Folgen: Als Simone wenig später die Bunkertür öffnet, weil sie glaubt, dass ihr Vater zurückgekehrt ist, steht dort stattdessen ein Infizierter, den Ellen nur aufhalten kann, indem sie sich dem Fremden entgegenwirft und ihr Leben im prasselnden Regen verliert. Die folgenden sechs Jahre verbringen Simone und ihr deutlich jüngerer Bruder in der unterirdischen Anlage, während in im skandinavischen Raum fast alle Menschen dem tödlichen Virus zum Opfer fallen. Und ihr Vater ist nie zurückgekehrt.

Vorhersehbare Ereignisse

„The Rain“ ist die erste Serie, die NETFLIX in Dänemark gedreht hat. Von den Showrunnern Jannik Tai Mosholt („Borgen“), Esben Toft Jacobsen, Christian Potalivo wurde eine Teenager-Dystopie entwickelt, die sich erkennbar an „The 100“ (Überlebenskampf von elternlosen Jugendlichen in einer archaischen post-apokalyptischen Gesellschaft) und „The Walking Dead“ (Virus tötet Menschen und verwandelt die USA in eine archaische post-apokalyptische Gesellschaft). Die NETFLIX-Serie unterscheidet sich in zwei Punkten von ihren Vorbildern: das post-apokalyptische Dänemark ist beinahe menschenleer und wird auch nicht von regressiven Clans beherrscht – und es gibt keine Untoten.

Simone, nach sechs Jahren Bunker zur jungen Frau geworden, und ihr mittlerweile in die Pubertät gekommener Bruder müssen den Bunker verlassen, als die Lebensmittel ausgehen. In der Außenwelt darf man offenbar nicht mit Regen in Berührung kommen, auch Pfützen können tödlich sein. Auch gelegentlich auftauchende Marodeure, die brutal über Schwächere herfallen, können das Leben kosten. Und wie erwartet, werden auch Simone und Rasmus auf der Suche nach ihrem Vater nicht lange allein bleiben. Sie begegnen einer Gruppe anderer Jugendlicher, die von dem jungen Ex-Soldaten Martin (Mikkel Folsgaard, 2012 Silberner Bär bei den Berliner Filmfestspielen für „A Royal Affair“) angeführt wird. Der ist bewaffnet, ein nachhaltiger Vorteil im Überlebenskampf. 
Man rauft sich zusammen, auch weil Simone sich und ihrem Bruder mit einem raffinierten Vorschlag das Leben retten kann: nur sie kennt weitere Bunker mit Lebensmitteln und nur sie hat Zugang zu diesen Anlagen. Als Zweckgemeinschaft ziehen Simone und Rasmus mit Martin, dem unberechenbaren Patrick (Lukas Lokken), Lea (Jessica Dinnage), Jean (Sonny Lindberg) und Beatrice (Angela Bundalovic) gemeinsam los. Alles Weitere leidet allerdings an der Vorhersehbarkeit der Ereignisse.


Und tatsächlich bietet „The Rain“ wenig Überraschendes. Originell sind die Schauplätze, etwas das fast menschenleere Kopenhagen. Originell sind auch die programmatischen Episodentitel wie „Bleibt drinnen“, „Bleibt zusammen“, „Vertraut niemandem“ oder „Redet nicht mit Fremden“.
Die Inhalte bleiben allerdings auf einem überschaubaren und eher durchschnittlichen Spannungslevel, etwa wenn in Ep 4 „Trust No One“ bereits der Titel ankündigt, dass die freundliche Ärztin, die sich um die Stichwunde von Rasmus kümmert, keineswegs freundlich ist. Tatsächlich will sie die Kinder von Dr. Frederik Andersen töten, weil sie den für Apollon arbeitenden Wissenschaftler für den Tod ihrer eigenen Kinder verantwortlich macht.


Das ist eher lahm. Richtig ärgerlich ist dagegen die 5. Episode „Habt Vertrauen“ („Have Faith“). Diese Ironie hält, was sie verspricht. Die Gruppe wird von einer friedvollen Gemeinschaft aufgenommen, deren Mitglieder sich am Ende als sektiererische Kannibalen outen. Hier wird also der „Terminus“-Plot aus „The Walking Dead“ ausgeschlachtet, nur dass sich die Opfer, die sich für ein gemeinsames Festmahl schlachten lassen, begeistert hingeben, um eins mit ihrer Gemeinschaft zu werden. Dieses psychologisch mühsam zusammengeschusterte Plagiat ließ Zweifel daran aufkommen, ob sich ein weiteres Zuschauen lohnt.


Maßgeschneidert für eine jugendliche Zielgruppe

„The Rain“ sollte man nicht inkompetentes Storytelling vorwerfen. Die Serie richtet sich planvoll an ein jugendliches Publikum und setzt daher auch die zu erwartenden Reizpunkte einer typischen Teenager-Dystopie, in der Kids ohne Eltern ums Überleben kämpfen müssen. Es gibt ein Love Interest (Martin und Simone, Rasmus und Beatrice) und den typischen Außenseiter in der Gruppe (der gewalttätige und zynische Patrick sehnt sich nach Liebe und Akzeptanz). Und Martin, der toughe Leader, verwandelt sich unter dem Einfluss Simones in einen eher einfühlsamen und zögerlichen Akteur.

Die Drehbücher setzen diese Stereotypien mit einem niedrig-komplexen Storytelling um. Die Dialoge sind eher anspruchslos, oft verhalten sich die Protagonisten dümmer, als sie es sein sollten. Auch daher fällt es nicht schwer, die bevorstehenden Ereignisse mühelos zu antizipieren. Möglicherweise ist das zielgruppen-affin, möglicherweise glaubten die Macher auch, dass dies für die anvisierte Zielgruppe daher ausreichend ist - Serienfans mit raffinierteren Ansprüchen kommen allerdings nur selten auf ihre Kosten.

Durchaus ansprechend sind dagegen die Rückblenden, die von prägenden Erlebnissen der Gruppenmitglieder erzählen und ihnen damit etwas mehr Profil geben. Etwa Jean, der von traumatisiert wurde, als er versehentlich ein Kind umbringt, das er vor einer Gruppe geheimnisvoller Verfolger retten wollte (Ep 4: „Trust No One“).

Die darstellerischen Leistungen sind ebenfalls kein Schwachpunkt der Serie. Mikkel Folsgaard (Martin), Alba August (Simone) und besonders Lukas Lokken (Patrick) machen ihre Sache sehr gut, wohl auch, weil ihre Figuren zu den von Autoren am besten entwickelten Charakteren gehören. Dabei entsteht eine durchaus gelungene Gruppendynamik mit einem Schuss Coming of Age.


Am Ende gibt es ein dämliches Klischee als Sahnehäubchen.

Zu jeder dystopischen Serie gehört ein überzeugender Antagonist. Hier scheitert „The Rain“ allerdings krachend, denn bereits nach der ersten Episode ahnt man, dass der mysteriöse Konzern Apollon hinter dem Viren-Desaster steckt und Rasmus‘ und Simones Vater dabei keine rühmliche Rolle spielt.
Diese „Enthüllung“ ist alles andere als überraschend. Die Motivation der Übeltäter ist allerdings strunzdumm und senkt das Strickmuster der Serie entschlossen auf Ground Zero ab: Apollon hat den Regen kontaminiert, um anschließend ein heilendes Serum zu verkaufen. Und natürlich strebt man dabei die Weltherrschaft an. Aha.


Das reicht vielleicht 12-Jährigen (das ist auch die von NETFLIX trotz vieler sehr expliziter Gewaltszenen angegebene Altersfreigabe), aber selbst dieser Altersgruppe dürfte mit wenig Nachdenken auffallen, dass man in diesem Szenario das rettende Serum bereits entwickelt haben sollte, wenn man plant, 90% der skandinavischen Bevölkerung zu killen. Stattdessen suchen die Häscher des Konzerns nach der Apokalypse sechs Jahre lang nach einer Person, die immun ist, damit man endlich dieses Serum entwickeln kann. Währenddessen werden die wenigen potentiellen Kunden, die noch nicht infiziert sind, wie die Fliegen dahingerafft. Das ist nicht gut für das Geschäftsmodell, zumal man in „The Rain“ auch nicht erfährt, was im restlichen Europa geschieht.

Fazit: „The Rain“ ist eine durchschnittliche dystopische Serie, die sich kalkuliert an ein jugendliches Publikum richtet, das sich wohl eher für gleichaltrige Sympathieträger interessiert und nicht so sehr für plausibles Geschichtenerzählen. Dabei gelingen der Serie ab und an einfühlsame Szenen, aber auch der gute Cast kann nicht den Eindruck verdrängen, dass von den Machern gezielt bekannte Versatzstücke aus dem Serien-Baukasten zu einer mittelprächtigen Story zusammengesetzt wurden, die zudem völlig humorlos und ironiefrei erzählt wird.
Die zweite Staffel wurde von NETFLIX bereits in Auftrag gegeben.

Noten: BigDoc = 4
 

The Rain – Netflix, Dänemark 2018 – 8 Episoden – Showrunner: Jannik Tai Mosholt, Esben Toft Jacobsen, Christian Potalivo – Regie: Kenneth Kainz, Natasha Arthy - D.: Alba August, Mikkel Folsgaard, Lucas Lynggard Tonnesen, Iben Hjejle, Lars Simonsen, Lukas Lokken u.a.