Sonntag, 3. Juni 2018

The Secret Man

Der deutsche Verleih hat dem Originaltitel den Garaus gemacht: die Geschichte über einen der berühmtesten Whistleblower der US-amerikanischen Geschichte heißt im Original „Mark Felt: The Man Who Brought Down the White House.“ Hierzulande trägt er den Titel „The Secret Man.“ Da denkt man sofort an de Secret Service. Weit gefehlt.

Liam Neeson sieht in Peter Landesmans Film nicht so aus wie in seinen vielen Actionthrillern. Man sieht ihm sein Alter vielmehr an. Graue Haare, die eher zu einem turmartigen Überbau arrangiert sind, ein hageres asketisches Gesicht ohne gesunde Farbe. Eigentlich sieht so jemand aus, der sterbenskrank ist.

Irgendwie realistisch. Neeson ist nun 66 Jahre alt und damit ein paar Jährchen älter als Mark Felt, als dieser 1972 beschloss, als Whistleblower den republikanischen US-Präsidenten Richard Nixon zu stürzen. Der ist trotz erster Watergate-Enthüllungen gerade für seine zweite Amtszeit gewählt worden und niemand kann sich vorstellen, dass er die Kontrolle über einen der größten Politskandale der US-Geschichte verlieren wird.




Verrat aus guten Gründen

Tut er aber. Und Peter Landesman (“Kill The Messenger“, 2014), der auch das Drehbuch geschrieben hat, erzählt die Geschichte des Präsidentensturzes aus der Perspektive des FBI. Von den beiden legendären investigativen Journalisten der Washington Post, Bob Woodward und Carl Bernstein, deren Recherchen maßgeblich waren, taucht nur Woodward (Julian Morris) im Film kurz auf.
Einen größeren Part spielt dagegen Bruce Greenwood als Sandy Smith, ein einflussreicher Reporter des TIME Magazine. Auch er erhält vom Mark Felt heimlich Informationen über Hintergründe, Verschwörer und Strippenzieher der Watergate-Affäre.
Kurz danach wird auch dem FBI klar, dass jemand aus den eigenen Reihen geheime Informationen durchsticht. Den geheimnisvollen Whistleblower nennt bald nur noch „Deep Throat“. Erst 2005 wird seine Identität enthüllt, aber zuvor hatten bereits die X-Files kräftig am Mythos von
„Deep Throat“ gewerkelt.
Felts Aktionen sind nicht nur Hochverrat, sondern nagen auch an dessen tiefsten Überzeugungen. Denn Felt ist einer der mächtigsten Männer im Land. Er ist Associate Director beim FBI und damit die Nr. 2 hinter Edgar Hoover. Und er verrät das FBI, um es zu retten.

„The Secret Man“ fordert einiges vom Zuschauer, bevor Spannung aufkommt. Er muss nicht nur einigermaßen über die Watergate-Affäre Bescheid wissen, sondern auch ahnen, dass die unterschiedlichen Dienste und Behörden in den USA in komplizierten Beziehungen zueinanderstehen. Und dies hat sehr viel mit der Verfassung, aber noch mehr mit Macht und Manipulation zu tun.
1972 werden fünf Einbrecher im Hauptquartier der Demokratischen Partei verhaftet. Sie hatten Dokumente fotografiert und Wanzen installiert. Es waren nicht nur Kriminelle, sondern auch Männer mit CIA-Background. Und sie gehörten zu den sogenannten „Klempnern“, die alles unternahmen, um Richard Nixons Komitee zur Wiederwahl zu unterstützen und die Chancen der Demokraten zu unterminieren. 

Im Zuge der Ermittlungen weitete sich die Watergate-Affäre über den aufgeflogenen Einbruch hinaus rasch aus. Nicht nur die Wahlkampfpraktiken und die Wahlspendenpraxis von Nixons Wiederwahlkomitee rückten in den Fokus. Auch zurückliegende Abhör- und Bespitzelungsaktionen des Weißen Hauses wurden Stück für Stück aufgedeckt. Ein strategisches Hauptziel der Nixon-Administration war nämlich die Erlangung der vollen Kontrolle über die CIA, das FBI und alle anderen Geheimdienste. Dies löste eine der schwersten Verfassungskrisen in der Geschichte der USA aus.


Brillante Charakterstudie von Liam Neeson

Liam Neeson spielt in dieser undurchsichtigen Vernetzung der unterschiedlichen Machtinstanzen keineswegs nur den aufrechten Moralisten, dem es um die Verfassung und die demokratische Kultur der Gesellschaft ging. Das wohl auch. Aber  Mark Felt hatte auch andere Motive und Liam Neeson spielt ihn in erster Linie als einen entschlossener Hüter des FBI, dessen stoische Mimik ein Charisma der Macht verströmt. „The Secret Man“ zeigt 103 Minuten lang, welch brillanter Darsteller Liam Neeson in einer Charakterrolle sein kann.

Eine naive und ehrliche Haut ist Mark Felt in Landesman „The Secret Man“ also keineswegs. In seiner Funktion als stellvertretender FBI-Direktor hatte er höchstpersönlich illegale Abhöraktionen gegen eine linksradikale militante Untergrundorganisation, die „Weathermen“, auf den Weg gebracht. Man wird ihn später dafür verurteilen, aber schnell begnadigen. 

Als FBI-Director Edgar Hoover im Mai 1972 stirbt, lässt Felt sofort einen Großteil der Akten vernichten, die die Grundlage von Hoovers jahrzehntelanger Macht waren. Felt ahnt, dass das Weiße Haus nicht lange warten wird, um diese Papiere in ihren Besitz zu bringen. Und tatsächlich tauchen, diesmal in offizieller Funktion, die Klempner auf in den heiligen Hallen des FBI auf.

Als Hoovers Nachfolger bestimmt wird, übergeht man den FBI-Veteranen. Stattdessen wird Patrick Gray (Marton Csokas) die neue Nr. 1, ein Mann, von dem Felt und seine Mitstreiter wissen, dass er Nixons Mann ist. Gray wird dem Weißen Haus heimlich Akten überlassen und darüber stürzen, bleibt aber in Landesmans Film ein undurchsichtiger Mann zwischen alles Stühlen.
Von nun an ist Felt ein entscheidender Akteur in einem Intrigenspiel, das sich gezielt gegen das FBI richtet und dessen Ermittler aus der Watergate-Affäre hinausdrängen will. Felt gelingt es zunächst, den neuen Chef als Außenseiter in ‚seiner‘ Behörde zu isolieren.

Das eigentliche Thema von „The Secret Man“ ist daher das Selbstverständnis eines Mannes, für den die Watergate-Affäre nur einer von vielen Skandalen während seiner 30-jährigen Amtszeit ist. Egal, wer im Weißen Haus regiert – das FBI ist immer da. Es ist unbestechlich und autonom. Politische Einflüsse von außen sind undenkbar. Und das ist Felts Credo, zweifellos ein Credo der Macht. 

Mark Felt hat nämlich alle Inhalte der Geheimakten Hoovers in seinem Kopf. Man kann ihn nicht ohne Weiteres ausschalten. Dass dieser Mann, eine Figur mit großer Integrität und geballtem Machtinstinkt, am Ende ausgerechnet die Institution verrät, der er sein ganzes Leben gewidmet hat, ist beinahe eine Tragödie. Aber nur auf den ersten Blick. Ob Felt auch aus Groll gegen die Nichtberücksichtigung bei der Neubesetzung des FBI-Direktors gehandelt hat, bleibt zumindest in Peter Landesmans Fim unklar.

Das zweite Thema von „The Secret Man“ ist die relative Ohnmacht der investigativen Medien, die gegen einen geballten Staatsapparat antreten müssen. Ohne Whistleblower, die sich im Zentrum der Macht befinden, wird dies schnell ein aussichtsloser Kampf. Keine vielversprechende Perspektive, aber eine nachvollziehbare Erkenntnis.

Dass Peter Landesmans, der nicht nur Regisseur, sondern auch als Journalist arbeitet, auch ein drittes Anliegen hat, das auch sein Hauptdarsteller Liam Neeson teilt, ist unschwer zu übersehen. Es ist der übergroße Verweis auf die Trump-Administration und die Hoffnung, dass auch in diesem Fall die Ermittler und die Medien nicht vom „Apparat“ aufgehalten werden können.


Das ist eine Menge, auch für einen ambitionierten Film, der nicht nur der Wahrheit auf der Spur ist, sondern auch eine klare Botschaft hat: Entscheidende Whistleblower kommen immer aus dem Zentrum der Macht. Spannend wird es in „The Secret Man“ allerdings nur für jene, die etwas über die politischen Hintergründe einer Affäre wissen, die exemplarisch diese Thes untermauert, aber beinahe 50 Jahre zurückliegt.
Peter Landesmans Film kommt zudem ohne Action aus, er ist ein Dialogfilm mit kleinen rhetorischen Glanzlichtern, die sich nicht jedem erschließen. Gelegentlich verliert man auch ein wenig den Überblick über die vielen Figuren und die verfassungstechnischen Details des Ränkespiels. An Alan J. Pakulas Klassiker „All the President’s Men“ (1976), der alles aus der Perspektive von Bob Woodward und Carl Bernstein erzählte und mit Robert Redford und Dustin Hoffman mehr emotionalen Impact zu bieten hatte, reicht Landesmans Film trotz eines ausgezeichneten Cast (Diane Lane sehr gut als als depressive Ehefrau von Mark Felt, Tom Sizemore als
„Klempner“, Bruce Greenwood, Tony Goldwyn, Eddie Marsan und auch Michael C. Hall in einer bescheidenen Nebenrolle) nicht heran. Der Film spielte nur 1.6 Mio. US-Dollar ein, die Resonanz der Kritiker war mehr als bescheiden.
 

Zu Unrecht. „The Secret Man“ basiert auf der von Mark Felt und John O’Connor verfassten Autobiographie „Mark Felt: The Man Who Brought Down the White House.“ Durchaus spannendes Dialogkino ist dabei herausgekommen, aber nicht frei von Anstrengungen. Sehenswert ist der Film nicht nur wegen seiner historischen Details, sondern auch wegen der oscarreifen Performance von Liam Neeson, der nicht nur von liberalen demokratischen Überzeugungen motiviert wird. Der loyale Gefolgsmann Edgar Hoovers schlägt zurück, als ein korrupter und krimineller Präsident die Macht im Federal Bureau of Investigation übernehmen will. Er tut dies hart und effektiv. Am Ende wird Richard Nixon seinen Rücktritt erklären. Kompliziert, aber sehenswert.

Mark Felt: The Man Who Brought Down the White House (dts. The Secret Man) – USA 2017 – Buch und Regie: Peter Landesman – Laufzeit: 103 Minuten – FSK: 0 – D.: Liam Neeson, Diane Lane, Tony Goldwyn, Marton Csokas, Tom Sizemore, Michael C. Hall, Julian Morris, Noah Wyle, Eddie Marsan.

Der Film ist seit März 2018 auf DVD und Bluray erhältlich.