Mittwoch, 13. Juni 2018

Reise in die Kälte I: Die AMC-Serie „The Terror“

In den Eiswüsten der Arktis gibt es scheinbar nur eine Todesart: Man erfriert. Die AMC-Serie „The Terror“ erzählt von der 1846 begonnenen Erkundungsfahrt der britischen Schiffe HMS Terror und HMS Erebus und erweitert die Palette der Möglichkeiten dabei sehr drastisch: Verhungern - natürlich das auch -, Erschöpfung, Wahnsinn und Siechtum durch langsame Bleivergiftung, Suizid durch Selbstverbrennung oder Gift, Ermordung durch die eigenen Kameraden. Und wenn das nicht reicht, taucht ein unbezwingbares Monster auf, das einem den Rest gibt. Wie soll man das überleben? Gar nicht.



Am Ende frisst man seine eigenen Kameraden

Man sollte sich in einem Weltatlas anschauen, wo die Erkundungsschiffe der Royal Navy vor über 170 Jahren vom Eis eingeschlossen wurden. Dann prüfe man, was sich westlich von Grönland im Umkreis von 500 km alles befindet. Nicht viel. Nur Eis und steiniges Festland, karge Tundren.

Und dann stelle man sich vor, dort oben im hohen Norden im ewigen Packeis eingeschlossen zu sein. Jahr für Jahr, nur mit der Aussicht, am Ende die Schiffe doch aufgeben und einige Hundert Meilen durch eine lebensfeindliche Landschaft marschieren zu müssen. Vielleicht kann man sein Leben retten. Aber nur vielleicht.
Blizzards fliegen einem dabei um die Ohren, man erfriert und verfault, noch während man geht. Und findet dann den Rettungstrupp, den man vor Monaten losgeschickt hat. Nur wenige Meilen hat er geschafft, die abgetrennten Köpfe der Männer liegen gut konserviert im Eis. Am Ende frisst man seine eigenen Kameraden, um sein elendes Schicksal um einige Tage zu verlängern. Oder man wird gefressen. Und da ist ja noch das Monster.


Abgesehen vom Monster hat sich Erkundungsfahrt der britischen Schiffe HMS Terror und HMS Erebus wohl genauso abgespielt. Wie viele andere vor ihnen wollten zwei Kapitäne die Nordwest-Passage finden. Die Reise zu anderen Kontinenten sollte verkürzt werden. Das war der Entdeckertraum: umständliche Seewege nach Asien könnte man im Erfolgsfall vermeiden. Natürlich ging es auch darum, als heldenhafte Explorer der Royal Navy die letzten Geheimnisse des eigenen Heimatplaneten zu erkunden. Aber angesichts dieser ökonomischen und naturwissenschaftlichen Motive wollte sich das britische Empire bei dieser waghalsigen Unternehmung nicht allein Gottes Gnade überlassen, sondern sich mit modernster Technik und eiserner Disziplin durchs Eis mahlen.
Menschlicher Wille und menschliche Technik beherrschen die Natur: Diesem Credo waren schon andere gefolgt. Gestorben sind sie oder schlimmer: sie verschwanden, verschluckt vom ewigen Eis. Technik ist immer relativ. Da werden die Namen der Schiffe erst recht zum Programm, denn „Terror“ signalisiert Schlimmes: Nomen est omen. Und „Erebus“ ist der griechische Gott der Finsternis. Das sagt bereits alles.
Roald Amundsen gelang viele Jahre später die erste Durchfahrt (1903-1906). Und erst 1985 schaffte es das erste Kreuzfahrtschiff, der „World Discoverer“, die Passage mit Passagieren an Bord zu bewältigen. Gefunden wurden die Terror und die Erebus, zum Teil noch recht gut erhalten, erst vor wenigen Jahren, nämlich 2014 und 2016. Das sagt eine Menge aus über die Verhältnisse. Menschlicher, und das ist ein Euphemismus, wird die Hocharktis durch den nun durch den Klimawandel: die Eisflächen schmelzen ab, ab 2019 soll die Passage tauglich für die Handelsschifffahrt werden. Spätestens dann gibt es keine Geheimnisse mehr. Man streitet bereits um die Hoheitsrechte...



Die Suche nach der Nordwest-Passage führt in den Tod

Diesen klaustro- und gleichzeitig agoraphobischen Alptraum erzählt AMC mit der zehnteiligen Verfilmung von Dan Simmons fast 800 Seiten starken Romans „The Terror“ in prächtigen Bildern. Eine visuell grandiose Serie, die immer wieder aus großer Höhe die streichholzschachtelgroßen Schiffe einfängt, die im Eis feststecken und deren Mannschaften immer damit rechnen müssen, von den Eisplatten zusammengepresst und zermahlen zu werden.

Was damals tatsächlich geschah, weiß man auch heute nicht. Man vermutet, dass die Mannschaft die Schiffe im Frühjahr 1848 im Eis zurückließ - in der Victoria Strait, einer Meerenge westlich von King William Island.

In der AMC-Serie haben die 129 britischen Seeleute die aussichtslose Situation ihrem Expeditionsleiter Sir John Franklin (Ciarán Hinds, „Justice League“) zu verdanken, der die Warnungen von Francis Crozier (Jared Harris, „Mad Men“, „Allied“), dem ihm unterstellten Kapitän der “Terror“, in den Wind geschlagen hat. Eine sichere, aber längere Route kommt nicht in Frage. Man sei ja fast am Ziel, nur 200 Seemeilen vom Durchbruch entfernt. Dann stecken beide Schiffe im Packeis fest.
Franklin, keineswegs unerfahren in Dingen der Arktis, hat zu viel Gottvertrauen und zu wenig Angst in seine Entscheidung investiert. Das Schicksal der Männer ist danach beschlossen und zu lange verwechseln die elitären, patriotischen und technikfixierten Offiziere unter Franklins Kommando ganz einfach Wahnsinn mit Mut.

Die Idee für die Romanadaption hatte Drehbuchautor David Kajganich, der dann auch Showrunner der Serie wurde. Produziert wurde „The Terror“ u.a. von Alexandra Milchan („The Wolf Of Wall Street“). Auch Ridley Scott mit seinen Scott Free Productions und Buchautor Dan Simmons waren mit an Bord. Gedreht wurde natürlich nicht an Originalschauplätzen, sondern in Ungarn und Kroatien. Die Aufnahmen im Eis entstanden dank CGI, alles andere hätte wohl kaum jemand überlebt.

Das Grauen schleicht sich dann sehr langsam in die eisige Serie ein. Unter einem der beiden segel- und motorenbetriebenen Schiffe steckt die Schraube im Packeis fest. Einen Taucher in einem panzerähnlichen Tauchanzug hat man dabei. Dies ist auch neue Technik, erstmals eingesetzt. Dem Mutigen gelingt auch die Befreiung der Schraube, aber ihm treibt dabei die Leiche eines über Bord gegangenen Kameraden entgegen. Er lässt sich in Panik aus dem Wasser ziehen, verschweigt aber sein Erlebnis und damit das böse Omen. Immerhin sind alle begeistert, aber befreit werden die Schiffe nicht. 

Acht Monate später wird aus Versehen ein Inuk von den Briten erschossen. Kurz danach taucht eine unheimliche Kreatur auf, die einen Offizier tötet. Die Tochter (Nive Nielsen) des Getöteten, die später nur noch „Lady Silence“ genannt wird, warnt die Männer davor, an diesem Ort zu bleiben. 

Ein Entkommen ist aber nicht möglich, die Attacken der Kreatur fordern weitere Menschenleben, darunter auch das des Expeditionsleiters Sir John Franklin (Episode 3: „The Ladder“, dts. Die Rache des Tuunbaq). Nun ist Francis Crozier Befehlshaber der Expedition. Doch ausgerechnet der scheinbar sehr selbstbeherrschte Offizier verfällt immer mehr dem Alkohol. Crozier unterzieht sich selbst einer radikalen Entziehungskur, aber als er in Episode 6 „A Mercy“ während einer improvisierten Karnevalsfeier ankündigen will, dass alle den Marsch über das Festland antreten sollen, endet die Feier nach dem Attentat eines wahnsinnig Gewordenen in einem Flammenmeer. Zuvor hat Wundarzt Harry Goodsir (Paul Ready) entdeckt, dass der Vorrat an Konserven ungenießbar ist und alle langsam mit Blei vergiftet werden. Inmitten des allgemeinen Wahnsinns übergießt sich der ranghöchste Mediziner Dr. Stephan Stanley (Alistair Petrie, „The Night Manager“, „Deep State“), der mit dieser Wahrheit nicht leben kann, mit Öl und zündet sich an. 


„The Terror“ erzählt vom Zusammenbruch der Zivilisation

Der Serie gelingt es trotz begrenzter Schauplätze und der buchstäblichen Bewegungslosigkeit der Schiffe, auf denen alle vergeblich auf das Auftauen des Eises warten, diese Geschichte packend zu erzählen und ganz langsam zu entfesseln. Dies gelingt, weil das Darstellerensemble überzeugende Charakterstudien abliefert, aber auch, weil Writer und Showrunner David Kajganich immer häufiger Figuren, die zuvor nur beiläufig zu sehen waren, eine entscheidende Rolle gibt. Quasi eine Demokratisierung des Narrativs von oben nach unten.

Im Mittelpunkt stehen zunächst die Kapitäne: Ciarán Hinds als Franklin und Jared Harris Crozier spielen sehr subtil ihre fragile Männerfreundschaft als Beziehung mit heikler Vorgeschichte, die in zahlreichen Flashbacks klarer wird. Hervorzuheben ist dabei die bemerkenswerte Performance von Jared Harris, der erst inmitten des Terrors zu sich selbst findet und eine Stärke entwickelt, die der in der Heimat nicht sonderlich geschätzte Offizier zuvor nicht besaß.
Auch Tobias Menzies („Game of Thrones“) als Commander James Fitzjames gelingt dies. Er steht anfangs auf Seiten Franklins, wird aber mit zunehmendem Kontrollverlust seine Arroganz verlieren und von den Umständen zur Erkenntnis gezwungen, das seine Karriere aus Lügen und Täuschungen bestand. So findet fast jeder im Eis zu sich, aber leider ist es zu spät.

Zu diesen Schlüsselfiguren treten Figuren aus den unteren Rängen hinzu, die später die Hierarchie auf ihre Weise aufbrechen werden. So entpuppt sich Harry Goodsir, der von seinen Kollegen als zweitrangiger Mediziner behandelt wird, nicht nur als intelligenter und bescheidener Forscher, sondern auch als unerschütterlicher Humanist, während sich der gut aussehende, charmante und rhetorisch eloquente Bootsmann Cornelius Hickey (Adam Nagaitis, „The Commuter“) als hochintelligenter Soziopath entpuppen wird, der zur heimlichen Hauptfigur mutiert und selbst vor Kannibalismus nicht zurückschreckt. Es sind diese Rollen- und Machtwechsel, die die strenge Rangfolge aufmischen, während sich langsam, aber mit unerbittlicher Konsequenz die Regeln eines zivilisatorischen Miteinanders auflösen und dennoch bis zum bitteren Ende von wenigen verteidigt werden.



Ein existenzialistisches Drama – mit Monster

Ob man dafür ein Monster, den Tuunbaq, benötigt? 

Sten Nadolny hat dies in seinem 1983 erschienenen Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ nicht nötig gehabt. Er erzählte die Geschichte aus der fiktiven Perspektive John Franklins als psychologisches Drama. 
Der 1948 geborene amerikanische Autor Dan Simmons machte dagegen Horror Fiction zu seinem Markenzeichen und aus einem potentiellen Historiendrama ein saftiges Genrestück, das Fans von H.P. Lovecraft und Stephen King sicher eine Menge Spaß bereiten wird.

Die AMC-Serie hält sich weitgehend an der Vorlage, verzichtet aber auf den mythologischen Hintergrund der Kreatur, über die Simmons in seinem Roman ausführlich erzählt. So ist der Tuunbaq nach einem Kampf der Inuit-Götter übriggeblieben und ernährt sich nun von menschlichen Seelen. Nun wenigen Schamanen können dieses Wesen telepathisch kontrollieren, aber nur, wenn sie sich zuvor die Zunge herausschneiden und dem Tuunbaq als rituelles Opfer anbieten. 
Dies wird auch Lady Silence tun, allerdings bleiben andere Szenen ohne diesen literarischen Background unverständlich. Wer es möchte, kann daher Mythologisches und Psychoanalytisches kräftig vermischen und das Monster als Inkarnation der dunklen Triebe interpretieren, die fast alle Protagonisten am Ende überwältigen und einen kollektiven zivilisatorischen Kollaps auslösen. Ganz befriedigen kann die Darstellung des Tuunbaq in der Serie allerdings nicht.


Aber das eigentliche Thema von „The Terror“ ist nicht das Monster, sondern das existenzialistische Drama der Männer, die in den letzten vier Episode schwer beladene Boote über den steinigen Boden ziehen. In diesem Drama gibt es keine grandiosen shakespearschen Dialoge und auch dem Böse, das sich einschleicht, fehlt die Faszination. Es ist im Kern sehr banal, jegliche Moral wird bei einigen außer Kraft gesetzt und die Schwächeren folgen
Cornelius Hickey und seinen Leuten aus körperlicher und geistiger Schwäche, geradewegs in einen archaischen Überlebenskampf, den man nicht gewinnen kann.
Wer die Geschichte der beiden Schiffe kennt, wird wissen, wie es ausgeht. Wer sie nicht kennt, wird es ahnen. Aus der Trostlosigkeit, die am Ende herrscht, dennoch eine spannende Geschichte zu machen, ist nicht einfach. Aber es gelingt.
Was die AMC-Serie sehenswert macht, ist das clevere Skript von David Kajganich.
Kajganich gelingt eine Metamorphose der Hybris, die mit Disziplin und Hochgefühl beginnt und im Nihilismus endet und den optimistisch-arroganten Viktorianismus an der Natur zerschellen lässt. Und damit ist nicht nur das ewige Eis gemeint, sondern auch der Mensch mit seiner geringen moralischen Fallhöhe. Zum Glück gilt das nicht für jeden. Am Ende orientiert sich David Kajganich klugerweise an Dan Simmons Roman und lässt immerhin einen Rest von Hoffnung zu. Sich die letzten vier Episoden anzuschauen, ist trotzdem äußerst schmerzhaft. Mehr noch: es ist eigentlich nicht auszuhalten.
„The Terror“ gehört zu den Serien-Highlight dieses Jahres.

The Terror – USA 2018 – AMC, 10 Episoden – nach dem gleichnamigen Roman von Dan Simmons – Showrunner, Drehbuch: David Kajganich – D.: Jared Harris, Ciarán Hinds, Paul Ready, Adam Nagaitis, Tobias Menzies, Nive Nilesen.



Nachtrag

Ärgerlich ist die Art und Weise, wie gegenwärtig Serien rezensiert werden. Einige Medien erhalten vorab einige Episoden zu sehen und texten darauf los, ohne den Rest zu kennen. Über die Flashbacks von „The Terror“ schreibt etwa DIE ZEIT: „Ob das reicht, um daraus eine Serie zu machen, die wirklich character-driven ist und womöglich gar ein größeres Gesellschaftsbild Großbritanniens in der Mitte des 19. Jahrhunderts zeichnet, lässt sich nach vier Folgen nicht erahnen.“ 

Erstes ja, Zweites nein. Hätte man aber auch durch Abwarten herausfinden können. Um dann zu schreiben. Leider bleibt es oft bei den Previews und später sucht man vergeblich nach Rezensionen, die das Ergebnis vom Ende her in Augenschein nehmen, was bei einer Anthologie-Serie eigentlich recht gut machbar ist.
So kommen dann Vorbesprechungen heraus, die den Tod aller Protagonisten ankündigen. Und das stimmt ganz einfach nicht. 
Die US-amerikanischen Medien sind konsequenter, sie begleiten eine Serie Episode by Episode. Dies ist bei horizontal erzählten Geschichte das adäquate Mittel. Erst recht bei Streaming-Angeboten, die bei den meisten Anbietern (SKY ist da eine Ausnahme) über einen längeren Zeitraum angeboten werden. Schnelle Produktempfehlungen zu verfassen, hilft dem Leser vielleicht bei der Auswahl, aber nicht beim Verstehen.