Montag, 24. Juli 2023

Star Trek: Strange New Worlds – Season 2 - Wie sich eine Serie neu erfindet (Teil 1)

Allein schon die Tatsache, dass die erste Season des Prequels die Erwartungen der Fans voll und ganz befriedigen konnte, grenzte an ein Wunder. Angesichts der kontroversen Debatten über „Discovery“ und „Picard“ hatte man viel erwartet, aber nicht das.

Wie in den guten alten Zeiten erzählt „Star Trek: Strange New Worlds“ (SNW) vertikal. Dies schafft Raum für abwechslungsreiche Themen, aber auch für unterschiedliche Genres. SNW bietet dabei vom klassischen Drama über Comedy bis zum Horrorfilm eine große Diversität bei der Wahl der Referenzen. Es gibt viel Raum für die Figurenentwicklung und auch in der zweiten Staffel konnte die neue Crew der „Enterprise“ begeistern, auch dank eines charismatischen Captains: Entscheidungsstark, humorvoll und vor allen Dingen loyal zu seiner Crew.
Nun ist es aber so, dass in Serien immer ein Teil der Fans entsetzt reagiert, während der andere Teil begeistert ist. So war der Rezensent nicht sonderlich erfreut darüber, dass die zweite Staffel sich unübersehbar in Richtung Comedy und Sitcom entwickelte. Dies allerdings auf hohem Niveau. Teil 1 der Rezension beschäftigt sich mit den Episoden 1-3.

Das Tragische lauert an der nächsten Ecke – die Sitcom aber auch!

Anson Mount als Christopher Pike ist ein Volltreffer. Besonders in komödiantischen Storys. Mount spielt allerdings eine Figur, deren tragisches und dramatisches Potential schwergewichtig über der Handlung liegt. Pike dufte in die Zukunft schauen und wusste danach, dass ihm nach einem Strahlenunfall der Rollstuhl oder Schlimmeres droht.

In ferner Zukunft warten also die Ereignisse von TOS 1x11 und 1x12 („The Menagerie“, dts. Talos IV - Tabu) auf Pike. In „Star Trek: Discovery“ (2x12 „Through the Valley of Shadows”, dts. „Tal der Schatten“) wird angedeutet, dass sein Schicksal sich unweigerlich erfüllen wird. Das machte auch die erste Staffel von SNW deutlich. Und zwar in der letzten Episode, einer Neuauflage der TOS-Kultepisode „A Quality of Mercy“.

Die Showrunner Akiva Goldsman und Henry Alonso Myers werden sich also weiter damit beschäftigen müssen, wie die Zeitlinie der Prä-TOS-Ära in SNW mit den Ereignissen in TOS zusammengeführt werden können. Dazu gehört auch die Beziehung von Spock zu seiner vulkanischen Verlobten T’Pring, die darunter leidet, dass Spock sich (wieder) zu Christine Chapel hingezogen fühlt (2x05 „Charades“). Nicht vergessen: der logik-affine Vulkanier wird 11 Jahre unter Captain Pike dienen und in der nachfolgenden Kirk-Ära wird laut Kanon der T‘Pring-Plot immer noch nicht beendet sein.
Oder auch nicht, denn es gibt (leider) genug Optionen, um im Worldbuilding von Star Trek das Unvermeidliche abwenden zu können. Zum Beispiel mit Eingriffen in die Zeitlinie. Man kann natürlich schnell eine weitere Kelvin-Timeline erfinden. Oder man riskiert, dass die Kontinuität des Kanons irreparabel beschädigt wird, wenn alles komplett neu erfindet.

Was aus Christopher Pike wird? Vermutlich das, was zu erwarten ist. In der zweiten Season von SNW wird vielleicht auch aus diesem Grund gezeigt, dass man das Unvermeidliche geschehen lassen muss. „Tomorrow and Tomorrow and Tomorrow“ (2x03) gehört wegen dieser unbequemen Einsicht zu den spektakulärsten Episoden der SNW-Staffel. Sie konfrontiert die Figuren mit einem ethischen Konflikt, der ungeheure Konsequenzen nach sich ziehen kann. Trotz ihres Humors und ihres Charmes ist „Star Trek: Strange New Worlds“ also auch eine Serie, in das Tragische an der nächsten Ecke lauert.

Eine gute Nachricht vorweg: die zweite Staffel von „Star Trek: Strange New Worlds“ glänzte zunächst mit hervorragenden Drehbüchern. Sogar ein Crossover mit „Lower Decks“ war dabei (2x07 „Those Old Scientists“), eine Episode, die einige Kritiker für das Beste hielte, was Star Trek seit den Anfängen abgeliefert hat.

2x01 „The Broken Circle“

Überraschend war, dass der Captain der „Enterprise“ zunächst nur am Rande auftauchte. Tatsächlich konnte der Schauspieler aus familiären Gründen nicht an den Dreharbeiten teilnehmen. Dies gab den Autoren die Möglichkeit, andere Figuren in den Fokus zu rücken. Es entpuppte sich als Volltreffer.

Anson Mount verschwindet daher schnell aus der Auftaktepisode. Captain Pike begibt sich auf die Suche nach einem kompetenten Anwalt, der seine Nummer eins Una Chin-Riley (Rebecca Romijn) in dem bevorstehenden Militär-Gerichtsverfahren (2x02: Ad Astra Per Aspera) vertreten kann. Spock (Ethan Peck) hat das Kommando und prompt gibt es eine Krise, die ihn zwingt, die „Enterprise“ zu entführen (eine nette Reminiszenz an „The Menagerie“, in der Spock ebenfalls das Schiff entführt). Er hat einen Hilferuf der Sicherheitschefin La’an Noonien-Singh (Christina Chong) erhalten, die sich auf Cajitar IV befindet, einem Planeten, auf dem Dilithium abgebaut wird. Verwaltet wird der Planet von den Klingonen und der Starfleet - ein fragiles Bündnis nach dem Ende des ersten Krieges (2256/57) zwischen der Föderation und den Klingonen. Auf Cajitar IV entdecken Spock, Dr. Joseph M’Benga (Babs Olusanmokun) und Nurse Chapel (Jess Bush), dass einige Verschwörer aus ökonomischen Gründen diesen Krieg erneut entfachen wollen. Spock muss eine harte Entscheidung treffen.

„The Broken Circle“ ist eine eher durchschnittliche Episode, die aber witzig, flott und mit viel Action und guten Effekten erzählt wird. Neu an Bord eingeführt wird Pelia (gespielt von der 71-jährigen zweifachen Emmy-Preisträgerin Carol Kane). Die Figur gehört zur Spezies der Lanthanites, die mehrere tausend Jahre leben können. Pelia wird die neue Chefingenieurin auf der „Enterprise“ und gehört zu den skurrilen und witzigen Figuren, mit denen offenbar das Humorpotential der Serie erweitert werden soll.
Note = 3.

2x02: Ad Astra Per Aspera

Diese Episode ist ein klassisches Courtroom-Drama. Vor Gericht steht Pikes Nummer eins, Una Chin-Riley (Rebecca Romijn), die am Ende der ersten Season verhaftet wurde. Sie gehört zu den Illyrianern, die nicht in der Starfleet dienen dürfen, weil sie nach ihrer Geburt genetisch optimiert werden. Die Sternenflotte reagiert mit harter Policy auf die sich ins kollektive Gedächtnis eingegrabenen Eugenischen Kriege, bei denen Ende der 1990er-Jahre 30 Mio. Menschen ums Leben kamen. Der Anführer der genetisch optimierten „Augments“, Khan Noonien Singh, spukte immer wieder in Star Trek-Serien und -Filmen herum und wird auch in SNW 2x03 auftauchen.

In „Ad Astra Per Aspera” geht es daher um die Frage, ob über 250 Jahre später ein in Stein gemeißeltes Gesetz weiterhin seine Gültigkeit besitzen darf oder nur noch der rassistischen Ausgrenzung von Minderheiten dient. Ein typisches Star Trek-Thema also. Aber kein neues, denn bereits in „Star Trek: Deep Space Nine“ wurde in 5x16 „Doctor Bashir, I Presume“ (dts. Dr. Bashirs Geheimnis) aufgedeckt, dass der Bordarzt Julian Bashir in seiner Kindheit genetisch optimiert wurde. Bashir verliert zwar nicht sein Offizierspatent, aber sein Vater wird zu zwei Jahren Haft in einem Strafgefangenenlager verurteilt. Er war für den Eingriff verantwortlich. Über 100 Jahre nach den Ereignissen in „Ad Astra Per Aspera” hat sich also kaum etwas in der Föderation geändert.

Im Mittelpunkt der spannend inszenierten Episode steht die clevere Anwältin Neera Ketoul (Yetide Badaki), die selbst Illyrianerin ist, und den Prozess nutzt, um die Sternenflotte für die jahrhundertelange Diskriminierung einer Spezies an den Pranger zu stellen. Sie fühlt sich als Anwältin jener Verfolgten, die nicht selbstbestimmt über ihre Herkunft entscheiden konnten, sondern Opfer ihrer traditionellen Kultur wurden.
Doch wer hat Una verraten? Der finale Plot Twist bietet eine verblüffende und unerwartete Antwort, die zwar zu Unas Freispruch führt, aber illusionslos ist: Entschieden wird in einem Einzelfall. Das Gesetz wird nicht abgeschafft. Und so zeigt „Ad Astra Per Aspera”, dass die Sternenflotte keineswegs der Hort des Guten und des Wahren ist. „Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen“ heißt der Episodentitel übersetzt und die Story dieser bemerkenswerten Episode setzt dies wortwörtlich mit brillanten Wortgefechten um. Dass das Thema der Episode nicht neu ist, ändert daran nicht viel.
Note = 1.

2x03: Tomorrow and Tomorrow and Tomorrow

Nach Spock und Una Chin-Riley erhält nun die Sicherheitschefin der „Enterprise“ La'an Noonien-Singh (Christina Chong) die Hauptrolle. Sie muss sich damit auseinandersetzen, dass einer ihrer entfernten Verwandten ein Massenmörder war. Und sie verliebt sich in James T. Kirk.
Ein unbekannter, schwer verletzter Mann taucht wie auf dem Nichts auf und drückt La’an ein mysteriöses Gerät in die Hand. Auf der Brücke trifft La’an aber nicht Captain Pike an, sondern James Kirk (Paul Wesley). La’an selbst kennt niemand auf der „Enterprise“. Offenbar befindet sie sich in einer alternativen Zeitlinie. In der gibt es aber keine Föderation und auch sonst ist einiges den Bach heruntergegangen ist. Mit fremden Geräten sollte man trotzdem nicht herumhantieren, denn wenig später werden Kirk und La’an in das Toronto des Jahres 2022 katapultiert. Offenbar müssen sie ein historisches Ereignis verhindern, um eine temporale Anomalie zu korrigieren – eine Aufgabe, die Kirk nicht sonderlich begeistert, da dies zur Löschung seiner Zeitlinie führen würde.

Zeitreisen sind ein Fluch. Trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Paradoxien, die durch sie entstehen, werden die Showrunner und Autoren von Star Trek-Serien immer wieder magisch von der Möglichkeit angezogen, völlig abgefahrene Geschichten zu erzählen. Am Ende muss dann meistens alles so abgewickelt werden, all sei nichts passiert, damit die ohnehin schon komplizierte Historie in einem komplexen Erzählkosmos wir „Star Trek“ nicht in ein völliges Chaos verwandelt wird. „Tomorrow and Tomorrow and Tomorrow” sollte nicht die letzte Zeitreise in der neuen Staffel bleiben.

Auf jeden Fall funktioniert die dritte Episode als Mix aus „Akte X“ und einer romantischen Screwball Comedy ausgezeichnet, auch weil die Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren stimmt: La’an, die misstrauisch und emotional verschlossen ist, muss zusammen mit einem lockeren und coolen Typen eine Katastrophe verhindern – und das, obwohl beide in einer Stadt des frühen 21. Jh. völlig hilflos sind. Das führt zu einem Feuerwerk von witzigen Dialogen uns Szenen. Zum Beispiel, wenn Kirk in einem Park Schachzocker abräumt, um wenigstens das Geld für zwei Hotdogs zu verdienen. Mit anderen Worten: die von David Reed („The Boys“) geschriebene dritte Episode ist die bislang witzigste der zweiten Staffel, auch weil es schnell zwischen Kirk und La’an funkt.

Die Auflösung des Plots ist in dieser Star-Trek-Comedy lediglich Beiwerk: die Romulaner sind zurück in die Zeit gereist, um den 10-jährigen Khan Noonien-Singh umzubringen. Ausgerechnet dem späteren Massenmörder wird zugeschrieben, dass er durch die Eugenischen Kriege die Erde zu dem gemacht hat, was sie später wurde: nämlich eine Diktatur zu bezwingen und ein wichtiges Mitglied in einer friedfertigen humanistischen Föderation zu werden.
Ist das etwa die Hypothese, dass erst die Niederschlagung eines globalen Genozids unsere Spezies zu besseren Menschen macht? Hier begibt sich die Episode auf dünnes Eis, denn akzeptiert man die Prämisse, müsste man sich heute dafür bedanken, dass es Adolf Hitler und den Zweiten Weltkrieg gegeben hat. Dies wäre allerdings ziemlich beknackt, auch weil die Welt nach dem WK II keineswegs friedlicher wurde.

Dass Khan Noonien-Singh laut Kanon wesentlich früher zum irdischen Machthaber wurde: geschenkt. Und dass die Föderation keineswegs die Galaxis befrieden konnte und fast pausenlos in militärische Konflikte bis hin zum Dominion-Krieg verwickelt wurde: auch geschenkt. Wesentlich interessanter ist der moralische Konflikt aus der Sicht von La’an. Sie muss entscheiden, ob sie die Ermordung eines Kinds zulassen will, was auch ihren belastenden biografischen Background auslöschen würde, oder ob sie millionenfaches Sterben akzeptiert, um die Integrität der Zeitlinie wiederherzustellen.

In einer Komödie ist das Tragische eben nicht fern. Und „Tomorrow and Tomorrow and Tomorrow” wechselt mit seinem bitteren Ende die Tonalität am Ende um 180 Grad, denn Kirk wird getötet und La’an darf nach der Rückkehr in ihre alte Zeitlinie natürlich mit keiner Menschenseele über das Erlebte reden. La'an sucht Kontakt zu Kirk, aber sie merkt schnell, dass der sich an nichts erinnern kann. Ihre romantische Liebelei mit dem alternativen Kirk ist genauso ausgelöscht wie dessen Zeitlinie. Am Ende ist La’an wieder mutterseelenallein. Ihre Qual ist es, dass Erlebte nicht vergessen zu können. „Tomorrow and Tomorrow and Tomorrow” dürfte für den Zuschauer daher zu einem emotionalen Höllenritt werden. Auch weil diese Episode ein moralisch-ethisches Paradoxon serviert, über das man noch einige Zeit grübeln kann.

Note = 2.

 

Fazit 

„Star Trek: Strange New Worlds“ bietet im ersten Drittel alles, was Star Trek spannend und interessant macht: Sci-Fi-Action, dramatische Konflikte und moralische Dilemmata und Figuren, auf deren weitere Geschichte man neugierig gemacht wird. Besser geht es kaum.

Die Rezension der Folgen 4-6 gibt es hier.

„Star Trek: Strange New Worlds“ – USA 2023 – Anbieter: Paramount+ - Autoren: Akiva Goldsman, Alex Kurtzman, Jenny Lumet, Henry Alonso Myers, Sarah Tarkoff, Akela Cooper, Bill Wolkoff – Regie: Akiva Goldsman, Maja Vrvilo, Leslie Hope – D.: Anson Mount, Ethan Peck, Rebecca Romijn, Christina Chong, Babs Olusanmokun, Jess Bush, Carol Kane, Yetide Badaki, Paul Wesley u.a.