Montag, 24. Juli 2023

Star Trek: Strange New Worlds – Season 2 - Wie sich eine Serie neu erfindet (Teil 2)

Nach den ersten drei Episoden zeichnete sich schnell ab, dass die Showrunner Alex Kurtzman und Henry Alonso Myers offenbar geplant hatten, die Serie so breit wie möglich aufzustellen.
Das Actiondrama „Among The Lotus Eaters” entpuppte sich als Fehlschlag - allerdings ist der Rezensent wohl der Einzige, der dies so sieht. Die meisten Kritiker feierten die Episode als Geschichte im klassischen TOS-Stil. In den folgenden Episoden wurden wieder rasch die Genres gewechselt, wobei „Charades“ den Trend der Serie verstärkte – und der geht in Richtung Comedy. „Lost in Translation“ zeigte dann wieder das große Potential der Serie, wenn es um Figurenentwicklung geht.

 

2x04: Among The Lotus Eaters 

„Aber die Lotophagen beleidigten nicht im Geringsten unsere Freunde; sie gaben den Fremdlingen Lotos zu kosten. Wer nun die Honigsüße der Lotosfrüchte gekostet, dieser dachte nicht mehr an Kundschaft oder an Heimkehr: Sondern sie wollten stets in der Lotophagen Gesellschaft bleiben und Lotos pflücken und ihrer Heimat entsagen“ (Homer: „Odyssee“).

In Homers mythologischer Erzählung muss Odysseus seine Gefährten vor dem Vergessen retten. Dies ist bereits der intelligenteste Teil einer Episode, die wie durch ein Wunder durch die Qualitätskontrolle(n) des Writer’s Room kam. Die Landung auf dem Planeten Rigel VII hat eine Vorgeschichte, aber nur für jene, die TOS 1x03 „Mudd’s Woman“ (dts. „Die Frauen des Mr. Mudd“) kennen. Auch im Pilotfilm von TOS kam Rigel VII vor.

In „Among The Lotus Eaters” müssen Pike und seine Crew auf Rigel VII nach dem Rechten schauen. Der Planet wird von der Sternenflotte observiert, auch weil Christopher Pike bei einem Einsatz einige Crewmitglieder verlor. Nur Zac Nguyen (David Huynh) überlebte und setzte sich dank der Sternenflotten-Technologie an die Spitze einer Gesellschaft, deren Oberschicht eine Unterschicht schuften lässt, um die Ressourcen des Planeten auszubeuten. Die Arbeitssklaven verlieren aufgrund einer mysteriösen Strahlung in jeder Nacht aufs Neue ihr Gedächtnis. Auch Pike sowie La'an und M'Benga verlieren schnell den Überblick. Die Brückencrew ereilt ihr Schicksal etwas später.

Der wirre Plot hat weder Charme noch eine überzeugende Plotline. Warum erinnern sich die unter chronischer Amnesie leidenden Arbeitssklaven trotz ihrer Einschränkungen an alte Gebräuche? Und wie an das für die Arbeit erforderliches Know-how? Diese Logikbrüche passen zu einer Geschichte, die man schnell vergessen sollte.
Dass sich Pike trotz seines Identitätsverlustes als „wahrer“ Captain erweist und den Widerstand gegen das ausbeuterische Regime organisiert, ist so plausibel, als würde eine Kuh das Schlittschuhlaufen innerhalb weniger Stunden lernen. Derartige Qualitätseinbrüche gab es auch in der ersten Season, allerdings viel später.
Dennoch überraschte der Fehlgriff, denn mit Kirsten Beyer (Co-Creator und Executive Producer in „Star Trek: Picard“) und Davy Perez (1x04, 1x09) waren erfahrene Trek-Writer an Bord. Fairerweise muss gesagt werden, dass die vierte Episode Anson Mounts Lieblingsepisode ist.
Note = 5

2x05: Charades

Der arme Spock wird wieder einmal auf den Kopf gestellt. Nach dem „Swapping Bodies“-Tropus in 1x05 „Spock Amok“ wird der Vulkanier erneut das Opfer einer Identitätskrise. Er verliert alle vulkanischen Tugenden – und wird ein Mensch.

Schuld an der Metamorphose ist die Spezies der Kerkohvians. Bei einem Erkundungsflug mit einem Shuttle (ausgerechnet mit Christine Chapel, die er mittlerweile vollständig ignoriert) geraten beide in ein Portal, das in eine höhere Dimension führt. Nach dem Crash des Shuttles „reparieren“ die Kerkohvians Menschen und Maschine, extrahieren versehentlich aber aus Spock die vulkanische DNA. Spock ist nun ein Mensch, dessen Sozialverhalten sich dramatisch ändert: er kann über Witze lachen, hat Spaß dabei, mit Pike zusammen zu kochen und ist deutlich empathischer im Umgang mit seinen Kollegen.

Ausgerechnet in dieser Situation soll er mit T’Pring, seiner Verlobten, ein vulkanisches Ritual durchführen – vor T’Prings bigotten Eltern T’Pril und Sevek. Hilfe erhält er von seiner Mutter (Mia Kirshner), aber trotzdem ist eine Katastrophe vorprogrammiert, da Spock Wut und Ärger kaum noch kontrollieren kann. Natürlich wird Spock mit Chapels Hilfe wieder ganz der Alte, aber die Beziehung zu T’Pring ist fast vollständig ruiniert – auch weil Spock erkennt, dass er womöglich Chapel liebt, auf jeden Fall aber ein starkes sexuelles Interesse an ihr hat.

„Charades“ zeigt zwei Aspekte: zu einem entfernt sich Ethan Peck in der Rolle des Spock immer mehr von dem unnahbaren Leonard Nimoy in TOS. Spock entwickelt sich stattdessen in Richtung Comic Relief. Zum anderen wollen die Showrunner offensichtlich unterschiedliche Zielgruppen adressieren. Wer sich Komödie und Klamauk wünscht, wird in der Serie ebenso bedient wie die Zuschauer, die Action und Drama sehen wollen. Das war allerdings in den alten Serien auch der Fall.

„Charades“ ist keine schlechte Episode, allerdings auch keine originelle. Die Geschichte erinnert entfernt an Mike Nichols „The Birdcage“ (1996; dts. The Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel). Nichols Film Lektion in Sachen Scheinheiligkeit war eine der ersten queeren Komödien. Da die neuen Star Trek-Serien nun mal Diversität in den Kanon geholt haben, überraschen solche thematischen Parallelen kaum noch, denn auch in „Charades“ geht es um queere Kultur und Bigotterie. Ein Plagiat, dass Ideen aus anderen Filmen und Serien klaut, ist die fünfte SNW-Episode aber nicht. Das war in 1x09 „All Those Who Wander“ schon eher der Fall.
Aber gelegentlich plagiiert Star Trek doch - und zwar sich selbst. So ist „Charades“ eine Neuauflage von 1x13 „Faces“. In dieser Episode von „Star Trek: Voyager“ wird B'Elanna Torres durch ein Experiment in zwei physisch getrennte Personen geteilt. Eine menschliche und eine klingonische. Während „Faces“ als existentielles Drama erzählt wurde, ist „Charades“ eine Soap Opera. Ein Genre, dass in Star Trek problematisch werden kann, wie die Kritikerin Witney Seibold (slashfilm) feststellte: „But the balance can be tipped. Pushing too hard into the personal lives of the characters can lead to unfortunate soap opera dynamics… “

Geschrieben wurde die romantisch-komödiantische Episode von Kathryn Lyn & Henry Alonso Myers. Showrunner Myers hat bereits bereits in der ersten Season Bücher geschrieben. Regie führte Jordan Canning, eine auf Sketch Comedy spezialisierte preisgekrönte kanadische Regisseurin.
Dass der Writer’s Room nicht immer ein glückliches Händchen bei der Entwicklung familiärer Geschichten hatte, zeigten die exaltierten und für Picard lästigen Besuche von Lwaxana Troi (Majel Barrett), der Mutter von Deanna Troi (Marina Sirtis). Auch die Macher von TNG waren offenbar davon überzeugt, dass Star Trek auch „lustig“ kann. Das klappte nicht immer, wie die missratenen SNW-Episoden 1x07 „The Serene Squall“ und 1x08 „The Elysian Kingdom“ zeigten, eine Geschichte, die wenigstens die Kostüm- und Set-Designer rundum begeisterte. Daran gemessen spielt „Charades“ allerdings in einer anderen Liga.
Note: 3

2x06 Lost in Translation

Auf die Suche nach fremden/schrägen neuen Welten und deren Bewohnern muss sich die „Enterprise“ in der von Onitra Johnson und David Reed („Tomorrow and Tomorrow and Tomorrow“) geschriebenen Episode diesmal nicht begeben – sie kommen freiwillig an Bord! Und machen sich bemerkbar, allerdings nur Nyota Uhura bekommt es mit. Sie hört monströs hässliche Geräusche und halluziniert, dass sie sich in anderen Welten befindet. Und als ob dies nicht genug Horror ist, sieht sie immer wieder den Tod ihrer Eltern und der beliebte, aber tote Chefingenieur Hemmer taucht als Untoter auf. Schiffsarzt M’Benga steht vor einem Rätsel.

Das ist das Schlimme an solchen Erfahrungen: man kann sie nicht teilen. Alle sind besorgt und vermuten eine Psychose, während der Zuschauer natürlich weiß, dass es keine ist. Und so ist der erste Schritt zur Erlösung für Uhura, dass wenigstens eine Person glaubt, was sie berichtet. Es ist James T. Kirk, der der gequälten Uhura Mut macht und sich mit ihr auf die Suche nach einer Aufklärung begibt.

Dass ein Mitglied der Crew auf rätselhafte Weise erkrankt oder sich die gesamte Besatzung in einem medizinischen Notstand befindet, gehört zu den Tropen, die immer wieder in Star Trek-Episoden auftauchen. In TOS 2x12 „Wie schnell die Zeit vergeht“ (The Deadly Years) ist es eine gefährliche Strahlung, die dafür verantwortlich ist, dass die Crew in rasendem Tempo altert. In TNG 1x03 „Gedankengift“ (The Naked Now) wird die Crew auf rätselhafte Weise vergiftet und agiert so, als sei sie sturzbesoffen. Das hatte man bereits in TOS 1x04 „Implosion in der Spirale“ (The Naked Time) erzählt.
Halluzinationen muss die Crew der alten „Enterprise“ in 1.4 „Geistergeschichten“ über sich ergehen lassen, eine Episode mit dem Originaltitel „Strange New World“! In DS9 1x05 „Babel“ (Babel) wird die gesamte Station von einem Virus heimgesucht, das Aphasie verursacht. In VOY 3x06 „Das Erinnern“ (Remember) wird B’Elanna Torres von üblen Träumen gemartert. SNW wartete nicht lange und präsentierte diese Trope bereits 1.03 “Ghosts of Illyria”.

Eine Krankheit, die zunächst nur ein Crewmitglied befällt, isoliert und dem Verdacht aussetzt, dass es den Verstand verloren hat, ist eine Sonderform dieser Trope. Wenn diese Geschichten zum x-ten Mal variiert werden, glaubt man, dass es sich um „Lazy Writing“ handelt. Dabei bieten diese Geschichten Vorteile: sie stellen einzelne Figuren in den Fokus, um sie einen Entwicklungsschritt machen zu lassen. Und sie bieten genug humoristisches Potential, um einzelne Figuren oder die ganze Crew etwas gegen den Strich zu bürsten.
Die werden zu etwas, was sie nicht sind. Etwa, wenn Vulkanier plötzlich emotional werden oder alle wie bekifft Dinge tun, für die man sich fremdschämen muss. Und wenn ein Einzelner das Schiff im Alleingang retten muss, während alle anderen auf mysteriöse Weise dienstuntauglich sind, so ist dies eine weitere Variante dieser Trope, die Humor und Horror bietet, aber auch von Identitätsprobleme erzählen kann.

In „Lost in Translation“ wird Uhura und ihr biografischer Background beleuchtet. Celia Rose Gooding spielt die verstörende Manipulation ihrer Sinne beeindruckend gut. Auch Paul Wesley als James T. Kirk zeigt, dass er mehr ist als ein junger Offizier mit großem Ego ist, sondern auch empathisch und klug sein kann. Und ganz nebenbei sieht man, dass La’an Noonien-Singh darunter leidet, dass „ihr“ Kirk („Tomorrow and Tomorrow and Tomorrow“) nicht der ist, der sich einfühlsam mit Uhura beschäftigt. Auch Dan Leannotte als George S. Kirk darf als Xeno-Anthropologe endlich ein wenig Ruhm ernten.

Der Auslöser der Katastrophe, bei der schließlich ein Crew-Mitglied ums Leben kommt, ist eine ziemlich seltsame Spezies, die in einer Deuterium-Wolke lebt, die von der Starfleet in einer reparaturbedürftigen Raffinerie ausgebeutet werden soll. Uhuras Halluzinationen sind der Versuch dieser Spezies mit den Humanoiden zu kommunizieren. Ganz schön schräg, aber genau das ist der Auftrag der „Enterprise“: nämlich fremde neue Welten zu erkunden. Obwohl „Lost in Translation“ formal nur die Variation eines bekannten Themas ist, gefällt die Episode daher wegen der guten darstellerischen Leistungen, einigen Finessen und Anspielungen und der gelungenen Mischung aus Horror und Humor.
Note = 2,5

Fazit

Drei Episoden – viele Meinungen. Bei Rotten Tomatoes sind 96% der Kritiker begeistert, aber nur 78% der Zuschauer. Einige sind vom klassischen TOS-Feeling begeistert, andere prophezeien die endgültige Zerstörung von Star Trek, obwohl SNW keineswegs so schlimm sei wie „Discovery“ oder „Picard“. Persönlich glaube ich, dass die Genreexperimente Gefahr laufen, die Figuren unterschiedlich zu interpretieren. Einige Autoren scheinen Spaß daran zu haben, Spock komplett zu dekonstruieren. Andere zeigen Pike lieber beim Kochen als im Chefsessel. Die kreative Wucht der Serie ist aber kaum zu leugnen und auch die schwächeren Episoden spielen in einer anderen Liga als die missratenen TOS-Folgen.
 
Die Rezension der Episoden 1-3 gibt hier.

„Star Trek: Strange New Worlds“ – USA 2023 – Anbieter: Paramount+ - Autoren: Akiva Goldsman, Alex Kurtzman, Jenny Lumet, Henry Alonso Myers, Sarah Tarkoff, Akela Cooper, Bill Wolkoff – Regie: Akiva Goldsman, Maja Vrvilo, Leslie Hope – D.: Anson Mount, Ethan Peck, Rebecca Romijn, Christina Chong, Babs Olusanmokun, Jess Bush, Carol Kane, Yetide Badaki, Paul Wesley, Mia Kirshner u.a.