Samstag, 23. März 2013

"Cloud Atlas" für Deutschen Filmpreis nominiert

"Cloud Atlas" ist neunmal für den Deutschen Filmpreis 2013 nominiert. Drei Millionen Euro Preisgeld werden vergeben. "WELT"-Kritiker Hanns-Georg Rodek beschwert sich über acht Nominierungen für einen Film, in dem nicht Deutsch gesprochen wird.

Absehen davon, dass sich die Frage stellt, ob der von mir geschätzte H.-G. Rodek zählen kann oder nicht (es sind neun, ich habe nachgezählt (1)), stellt sich die Frage, ob denn die Kriterien der Deutschen Filmakademie erfüllt werden. Dies ist der Fall, selbst Rodek räumt dies ein. Allerdings macht er sofort einen Vorschlag, wie man dem Übel Herr werden kann: man ersetzt in den Richtlinien einfach ein "oder" durch ein "und". Und zwar in Punkt 1 der Richtlinie: "1. Die Originalsprache des Films ist deutsch oder der/die Regisseur/in ist Deutsche(r) oder dem deutschen Kulturkreis zuzurechnen."
Dass die Deutsche Filmakademie nicht einmal gegen ihre eigenen Regeln verstoßen hat, nennt Rodek "pervers". Was erzürnt ihn denn? Er bezeichnet den Umstand, dass ein Film, in dem kein Deutsch gesprochen wird und die Hauptdarsteller keine Deutschen sind, als "Größte Anzunehmende Unmöglichkeit" (GAU): der Film habe mit deutscher Geschichte und deutscher Kultur nichts zu tun.

Sehen wir davon ab, dass die semantische Neucodierung des Wortes GAU die Grenzen des guten Geschmacks zumindest streift. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, dass es sich bei "Cloud Atlas" um eine Literaturverfilmung handelt, an der ein deutscher Regisseur (vielleicht einer des besten) maßgeblich beteiligt gewesen ist: Tom Tykwer. Das sollte reichen, um die merkwürdige Deutschtümelei des WELT-Kritikers etwas zu bändigen. Das eigentliche kinematographische Politikum ist aus meiner Sicht ohnehin ein anderes: mit "Cloud Atlas" ist ein Film bei den OSCAR-Nominierungen durchgefallen, den zumindest ein Teil der Kritiker als "Jahrhundertwerk" bezeichnet hat. Ich selbst war dem Film trotz einiger Schwächen begeistert und halte ihn nach wie vor für einen den wichtigsten Filme dieser Dekade (2).
Selbstverständlich kann ich mich irren, ich wäre der Erste, der dies einräumt. Aber das in meinen Augen Anstößige an Rodeks Kritik ist, dass sein Lamento zwei Schwächen aufweist: der Appell, die deutsche Filmkultur energischer zu würdigen, stößt leider an Grenzen, denn Deutschland weist im Gegensatz zu seinen europäischen Nachbarn keine wirkliche Filmkultur auf. Deutsche Filme spielen im europäischen oder gar weltweiten Filmraum keine nennenswerte Rolle. Man muss nicht weit reisen, um zum Beispiel die französische und britische Filmtradition mit der unserigen zu vergleichen. Das Ergebnis spricht für sich.
Zum anderen rief Rodeks Kritik Geister auf den Plan, die er wie Goethes Zauberlehrling nicht mehr bannen kann. Wenn man den Unflat liest, der sich im Forum der WELT ergoss, kann sich nur die Augen reiben. Neben der üblichen Häme über verballerte Steuergelder verrieten auch andere Kommentare, dass bei den Verfassern nur wenig Ahnung über Filmförderung bzw. das Verhältnis von Förderungssumme und Einspielergebnis nachzuweisen ist.
Am schlimmsten waren jedoch die Kommentatoren, die "Cloud Atlas" nicht verstanden hatten. Ihre anonym vorgetragene Verständnislosigkeit wurde mit einem Jargon kombiniert, der beängstigend ist.
 

Nun gibt es zwei Optionen, wenn man einen Film (oder ein Kunstwerk) nicht versteht: 1) das Werk ist schlecht oder 2) man ist zu ignorant, zu dumm oder gar zu ungebildet, um einen komplexen Film zu verstehen. Punkt 1 ist diskursfähig, und Punkt 2 gehört zu ganz großen Tabus. Kein Filmkritiker oder Regisseur würde seine potentielle Zielgruppe mit derart üblen Verdächtigungen überziehen. Das Dilemma dabei ist aber, dass (wenn Punkt 2 stimmen würde) keiner der derart Angesprochenen sich davon überzeugen ließe. Es ist eine Konstante im menschlichen Verhalten, eigene Grenzen zu ignorieren und lieber das Fremde und Unverstandene für die eigene Schwäche verantwortlich zu machen.

Nun halte ich die Forumsschreiber, die sich auf Rodeks Seite geschlagen haben, nicht für dumm oder ungebildet, aber für ignorant. Ein Beispiel: ich habe "Letztes Jahr in Marienbad" nie verstanden, aber ich käme nicht auf den Gedanken, dem Regisseur vorzuwerfen, er habe "Dreck" oder "Schund" produziert. Allerdings käme ich auch nicht auf den Gedanken, mich als dumm oder ungebildet zu verstehen. Man akzeptiert stattdessen einfach derartige Dinge und geht zur Tagesordnung über, man kann halt nicht alles 'verstehen'!
Für ein derartiges Verhalten gibt es übrigens ein schönes Wort: Toleranz. Die kann man nicht oft genug anmahnen und sie wäre auch ein guter Beitrag zu der von Rodek beschworenen deutschen Kultur (3). Und so hätte H.G. Rodek gut daran getan, den Mäusen etwas weniger Speck hinterherzuwerfen und sich stattdessen lieber die Frage stellen sollen, ob es für die globale Filmkultur nicht ein Zeichen wäre, wenn die Deutsche Filmakademie einen Film auszeichnet, der in 10, 20 Jahren vielleicht in irgendeinen Filmkanon aufgenommen wird.

(1): http://www.deutsche-filmakademie.de/uploads/media/Nominierungen_2013.pdf
(2): http://bigdocsfilmclub.blogspot.de/search?q=Cloud+Atlas
(3): http://www.welt.de/kultur/kino/article114684254/Cloud-Atlas-Favorit-fuer-die-Lolas-Ein-Skandal.html