Das Ranking nach dem ersten Halbjahr ist natürlich deswegen
spannend, weil in der zweiten Jahreshälfte noch einige Highlights auf den
Kinofreund warten - sowohl im Kino als auch auf DVD / Bluray. Und am Ende des
Jahres wird man dann sehen, welcher Hit der ersten Jahreshälfte auch in der
Woche nach Weihnachten noch in den Top Twenty zu finden ist.
Hier also unsere Top Ten der Monate Januar – Juli (den
halben Juli haben wir großzügig dazu genommen...).
Durchschlagenden Erfolg auf den letzten Metern hatte im Filmclub vor 14 Tagen das
OSCAR-ausgezeichnete tragikomische Drama „The
Help“ von Tate Taylor, das alle nachfolgenden Filme alt aussehen ließ. Die
Note 1,5 dürfte schwer zu knacken sein.
Historische Filme über den Rassismus in den USA sind erfahrungsgemäß irgendwo zwischen Zivilcourage à la Guter weißer Mann hilft unschuldigem schwarzen Mann (WER DIE NACHTIGALL STÖRT (TO KILL A MOCKINGBIRD, Regie: Robert Mulligan, USA 1962) und hartem Realismus (MISSISSIPPI BURNING, Regie: Alan Parker, USA 1988) angesiedelt. Wenn man die Sicht der Schwarzen sehen wollte, hat man früher als Cinephiler die Filme von Spike Lee geschaut.
Historische Filme über den Rassismus in den USA sind erfahrungsgemäß irgendwo zwischen Zivilcourage à la Guter weißer Mann hilft unschuldigem schwarzen Mann (WER DIE NACHTIGALL STÖRT (TO KILL A MOCKINGBIRD, Regie: Robert Mulligan, USA 1962) und hartem Realismus (MISSISSIPPI BURNING, Regie: Alan Parker, USA 1988) angesiedelt. Wenn man die Sicht der Schwarzen sehen wollte, hat man früher als Cinephiler die Filme von Spike Lee geschaut.
Tate Taylor, der in „The Help“ Regie führte, ist wiederum Weißer, aber
wenigstens stammt er aus der Gegend, in der sein Film Anfang der 1960er spielt.
Die Geschichte, die Taylor erzählt, basiert auf dem gleichnamigen Roman von
Kathryn Stockett: zwei afroamerikanische Hausmädchen werden von einer jungen
Journalistin dazu überredet, die komplexen Beziehungen zu ihren weißen
Arbeitgeberinnen zu schildern. Als Eugenia „Skeeter“ Phelan (Emma
Stone) dank ihrer schwarzen Freundinnen Abileen (Viola Davis) und Minny
(Octavia Spencer, Golden Globe Award und OSCAR, jeweils als beste
Nebendarstellerin) noch weitere Dienstmädchen interviewen kann, ist ein Buchprojekt
reif und findet auch eine linksliberale Verlegerin. Natürlich ist das Buch,
auch wegen einiger mehr als pikanter Details, ein Skandal.
Stilistisch ist Taylors Film mit seinen bunten Farben und der präzisen Darstellung des Lokalkolorits ein knalliges Portrait der 1960er Jahre. Der Südstaaten-Look mit seinen Heckflügel-Limousinen, den gewagten Frisuren der weißen Ladys und der allgegenwärtigen ‚netten’ Apartheid-Stimmung ist irgendwo zwischen „Grüne Tomaten“ und „Mad Men“ angesiedelt.
Den subtilen Zynismus und die ausgefeilt zeitkritische Reflexionskraft der TV-Serie erreicht „The Help“ aber nicht. Dazu ist der Film zu brav angelegt. Die weißen Frauen sind zu dämlich und zu dezent rassistisch, wenn sie während ihrer Kaffeekränzchen die nächste Hilfsaktion für arme hungernde Kinder in Afrika planen und ganz nebenbei von den armen schwarzen Hausmädchen Kaffee und Kekse serviert bekommen.
Hier wird keinem so richtig weh getan, auch nicht dem Zuschauer.
Stilistisch ist Taylors Film mit seinen bunten Farben und der präzisen Darstellung des Lokalkolorits ein knalliges Portrait der 1960er Jahre. Der Südstaaten-Look mit seinen Heckflügel-Limousinen, den gewagten Frisuren der weißen Ladys und der allgegenwärtigen ‚netten’ Apartheid-Stimmung ist irgendwo zwischen „Grüne Tomaten“ und „Mad Men“ angesiedelt.
Den subtilen Zynismus und die ausgefeilt zeitkritische Reflexionskraft der TV-Serie erreicht „The Help“ aber nicht. Dazu ist der Film zu brav angelegt. Die weißen Frauen sind zu dämlich und zu dezent rassistisch, wenn sie während ihrer Kaffeekränzchen die nächste Hilfsaktion für arme hungernde Kinder in Afrika planen und ganz nebenbei von den armen schwarzen Hausmädchen Kaffee und Kekse serviert bekommen.
Hier wird keinem so richtig weh getan, auch nicht dem Zuschauer.
Aber „The Help“ hat einen unwiderstehlichen Humor, der sich zwar
auch der ruhigen, fast melancholischen Off-Erzählerin Abileen verdankt, aber
die alles überragende Octavia Spencer, die mit scharfzüngiger Intelligenz die
Köchin Minny spielt, beherrscht den Film und hat sich mit dieser sehenswerten
Performance wirklich einen OSCAR verdient.
„The Help“ ist ein gelungenes Rassismus-Drama zwischen Feel-Good-Movie und Melancholie. Die Bürgerrechtsbewegung dieser Jahre bleibt dezent im Hintergrund, nur einmal versammeln sich alle schwarzen Hausbediensteten vor dem Röhrenfernseher, als Martin Luther King spricht. Es ist vorsichtiges Herantasten an das, was sein könnte.
Gewalt gegen Schwarze streift der Film beiläufig, aber auch sie ist existent. Und zu den stillen Vorzügen des Films gehört auch die sozio-kuturelle Funktion der schwarzen Nannys, die ihre weißen Kinder mit viel Liebe aufziehen, wohl wissend, dass sie als Erwachsene möglicherweise ihre nächsten Peiniger werden können. So gewinnt „The Help“ am Ende doch ein erzählerisches Format, das aufgrund seiner undramatischen Menschlichkeit sehr viel Glaubwürdigkeit besitzt.
„The Help“ ist ein gelungenes Rassismus-Drama zwischen Feel-Good-Movie und Melancholie. Die Bürgerrechtsbewegung dieser Jahre bleibt dezent im Hintergrund, nur einmal versammeln sich alle schwarzen Hausbediensteten vor dem Röhrenfernseher, als Martin Luther King spricht. Es ist vorsichtiges Herantasten an das, was sein könnte.
Gewalt gegen Schwarze streift der Film beiläufig, aber auch sie ist existent. Und zu den stillen Vorzügen des Films gehört auch die sozio-kuturelle Funktion der schwarzen Nannys, die ihre weißen Kinder mit viel Liebe aufziehen, wohl wissend, dass sie als Erwachsene möglicherweise ihre nächsten Peiniger werden können. So gewinnt „The Help“ am Ende doch ein erzählerisches Format, das aufgrund seiner undramatischen Menschlichkeit sehr viel Glaubwürdigkeit besitzt.
Die Nr. 2 wurde „War
Horse“ (Gefährten) von Steven Spielberg. Der Film wurde in Blog rezensiert:
http://bigdocsfilmclub.blogspot.de/2012/03/war-horse-gefahrten.html.
Dies gilt auch für die Nr. 3, nämlich „Hotel Lux“: http://bigdocsfilmclub.blogspot.de/2012/05/deutsche-komodien-hotel-lux.html. Und das waren schon die Filme mit einer Eins Komma am Anfang.
Dies gilt auch für die Nr. 3, nämlich „Hotel Lux“: http://bigdocsfilmclub.blogspot.de/2012/05/deutsche-komodien-hotel-lux.html. Und das waren schon die Filme mit einer Eins Komma am Anfang.
Nr. 4:
„Contagion“ von Steven Soderbergh.
„Ich werde
nie so viel über Filme wissen wie Martin Scorsese. Ich bin (...) frustriert,
wenn ich Filme von Leuten sehe, die überhaupt nichts wissen und gesehen haben.
Sie glauben, sie haben etwas ganz Neues erfunden, dabei ist es nur die
schlechtere Variante von etwas, das es schon gibt.“
Wer glaubt, dass Pandemie-Thriller mit „Outbreak“
durchdekliniert worden sind, muss Soderberghs Version sehen. Der Film ist
nüchtern und realistisch, außergewöhnlich gut recherchiert und informativ und
sentimentale Klischees sind ihm fremd – damit sind aber auch alle Kriterien
erfüllt, um ein Megaflop zu werden.
Jedenfalls war dies in den USA der Fall. Dass der Film (meiner Meinung nach)
sauspannend ist, hat ihm auch nicht geholfen.
Soderbergh fährt ein Riesenaufgebot an Stars auf: Matt
Damon, Kate Winslet, Gwyneth Paltrow, Laurence Fishburne, Jude Law und auch
einige Neben-Nebenrollen sind exzellent besetzt. Auch das hat nicht geholfen.
Was zum Teufel noch einmal ist da schief gelaufen?
Zum einen erzählt Soderbergh seine Geschichte unsentimental.
Minuziös wird gezeigt, welche Sicherheitsprotokolle aktiviert werden und mit
welchen Konsequenzen wir zu rechnen haben, nachdem ein Virus auftaucht, der das
Potential für eine weltweite Katastrophe besitzt. SARS lässt grüßen.
Und: Pathos gibt es bei Soderbergh
nicht. Ein Star überlebt die ersten Filmminuten nicht, aber der Film zeigt dies
völlig unsentimental. Ein anderer ist ein ratloser Vater (selten hat man Matt
Damon so hilf- und sprachlos gesehen), dem nichts einfällt, außer sich und
seine Tochter im eignen Haus wegzuschließen, was nicht einmal das Schlechteste
ist, aber nicht unbedingt den Publikumserwartungen entspricht.
Die Spannung des Films erwächst also nicht aus
melodramatischen Strickmustern und den in Katastrophenfilmen üblichen ‚Ein Mann
rettet die Welt’-Trivialitäten, sondern daraus, dass trotz aller
Professionalität der Seuchenbekämpfer der Kampf gegen das Virus eigentlich aussichtslos ist und
nur gewonnen wird, weil ein arroganter Wissenschaftler die Vorschriften
ignoriert.
Und ganz am Ende sieht man, welche Verrenkungen die Natur
vornehmen muss, um eine Mutation aus Schweine- und Fledermausviren zu
produzieren. Allein diese Pointe rechtfertigt bereits den ganzen Film, den ich
wärmsten empfehlen kann und der im Filmclub ein großer Erfolg war.
"Ich habe mal mit einem Freund darüber gestritten, wann die
große Zeit des amerikanischen Films zu Ende ging. Er meinte, dass „Rocky“ der
Wendepunkt war. Und das stimmt. Es gibt einfach kein Universum, in dem dieser
Typ gegen den schwarzen Champion im Schwergewicht in den Ring steigt und nicht
die Haut von den Knochen gezogen bekommt. Als die Studios merkten, dass sie den
Zuschauern diesen Humbug verkaufen konnten, brachen alle Dämme" (Steven Soderbergh über die aktuelle Kinosituation).
Nr. 5:
„Warrior“ (2011) ist einer der besten Kampfsportfilme, die ich
gesehen habe. Genau genommen geht es um Mixed-Martial-Arts, und dies ist nicht
nur eine Art zu kämpfen, sondern auch ein kultureller Kosmos mit eigenen
Gesetzen – und Outfits!
Gavin O’Connors Film war alles andere als ein Kassenerfolg und in Deutschland kam er erst gar nicht in die Kinos, obwohl er Nick Nolte eine OSCAR-Nominierung als bester Nebendarsteller einbrachte. Mittlerweile hat sich der Film auf dem DVD- und Bluray-Markt einen stabilen Ruf als Kultfilm erarbeitet. Und den verdient er auch, denn die Geschichte zweier ungleicher Brüder und ihres kaputten Vaters (Nolte) wird so straight erzählt, dass auch die heftigsten Emotionen von den noch heftigeren Eruptionen der Fights mühelos in den Schatten gestellt werden. Der Film ist schnell und genau, erreicht aber auch das Gemüt und bietet dann einen Showdown, wie man ihn lange nicht gesehen hat.
Joel Edgerton als Brendan Conlan hat nach „Warrior“ keinen Film mehr gemacht, während Tom Hardy als sein Bruder Tommy den innerlich Zerrissenen als so charismatisches Kraftpaket spielte, dass er danach u.a. für „Dame, König, As, Spion“ und „The Dark Knight Rises“ gecastet wurde. Grund genug, sich vor der Deutschland-Premiere von Nolans neuem Film noch einmal (oder zum ersten Mal) „Warrior“ anzuschauen.
Gavin O’Connors Film war alles andere als ein Kassenerfolg und in Deutschland kam er erst gar nicht in die Kinos, obwohl er Nick Nolte eine OSCAR-Nominierung als bester Nebendarsteller einbrachte. Mittlerweile hat sich der Film auf dem DVD- und Bluray-Markt einen stabilen Ruf als Kultfilm erarbeitet. Und den verdient er auch, denn die Geschichte zweier ungleicher Brüder und ihres kaputten Vaters (Nolte) wird so straight erzählt, dass auch die heftigsten Emotionen von den noch heftigeren Eruptionen der Fights mühelos in den Schatten gestellt werden. Der Film ist schnell und genau, erreicht aber auch das Gemüt und bietet dann einen Showdown, wie man ihn lange nicht gesehen hat.
Joel Edgerton als Brendan Conlan hat nach „Warrior“ keinen Film mehr gemacht, während Tom Hardy als sein Bruder Tommy den innerlich Zerrissenen als so charismatisches Kraftpaket spielte, dass er danach u.a. für „Dame, König, As, Spion“ und „The Dark Knight Rises“ gecastet wurde. Grund genug, sich vor der Deutschland-Premiere von Nolans neuem Film noch einmal (oder zum ersten Mal) „Warrior“ anzuschauen.
Von den Filmen ab Platz 6 möchte ich nur noch einen
erwähnen: „Confessions“ (2010) von Tetsuya
Nakashima. Der Film ist hierzulande offenbar so unbekannt, dass er der
deutschsprachigen Wikipedia nicht einmal eine kurze Erwähnung wert gewesen ist –
schade! Dass der Film fast eine Nominierung für den Academy Award for Best Foreign Language Film geschafft hätte –
geschenkt!
Interessieren sollte jenen Filmfreund, der im Übrigen
vielleicht nicht so gerne asiatische Filme sieht, allerdings der Umstand, dass ihm möglicherweise
ein kleines Meisterwerk entgeht, wenn er nicht bereit ist, eine Ausnahme zu
machen. Das Risiko ist gering.
Nakashima, dessen Ausführungen im Bonusmaterial der DVD sehr
hörenswert sind, erzählt die Geschichte einer Lehrerin, die ihrer Klasse nach
einer von ihr langatmig und sorgfältig vorbereiteten Exposition das Geständnis
vorträgt, dass sie die Milch von zwei Mitschülern mit HIV-Viren vergiftet hat.
Und dass diese Schüler ihre kleine Tochter umgebracht haben.
Was sich nach einem der üblichen Schuldrama-Filmen anhört, ist sowohl formal wie auch inhaltlich nichts anderes als ein Clash of Civilizations. Und dieser findet zwischen der emotional völlig abgeklärten Lehrerin und ihrer tobenden Klasse genauso statt wie zwischen dem Film und seinen Zuschauern, denn ungeachtet der Tatsache, ob denn nun einer Japaner oder ein Deutscher "Confessions" Film – es findet ein fürchterlicher und universeller Kampf um Moral, Rache und Schuld statt. Erzählt wird dies aus wechselnden Perspektiven, die zentrale Figuren werden immer greifbarer und doch gleichzeitig fremd bis zum blanken Entsetzen, während Nakashima den Mord und die nicht weniger grauenhaften Folgetaten aus immer neuen Blickwinkeln betrachtet, ohne so etwas wie moralische Konsistenz zu gewinnen. Zu fremd sind sich Schüler und Lehrer, Adoleszenz und Erwachsensein geworden: Clash of Civilizations.
Was sich nach einem der üblichen Schuldrama-Filmen anhört, ist sowohl formal wie auch inhaltlich nichts anderes als ein Clash of Civilizations. Und dieser findet zwischen der emotional völlig abgeklärten Lehrerin und ihrer tobenden Klasse genauso statt wie zwischen dem Film und seinen Zuschauern, denn ungeachtet der Tatsache, ob denn nun einer Japaner oder ein Deutscher "Confessions" Film – es findet ein fürchterlicher und universeller Kampf um Moral, Rache und Schuld statt. Erzählt wird dies aus wechselnden Perspektiven, die zentrale Figuren werden immer greifbarer und doch gleichzeitig fremd bis zum blanken Entsetzen, während Nakashima den Mord und die nicht weniger grauenhaften Folgetaten aus immer neuen Blickwinkeln betrachtet, ohne so etwas wie moralische Konsistenz zu gewinnen. Zu fremd sind sich Schüler und Lehrer, Adoleszenz und Erwachsensein geworden: Clash of Civilizations.
Stilistisch ist Tetsuya Nakashimas Film ein Meisterwerk: die
raffinierte Montage aus schnellen Cuts, Flashbacks und Flash Forwards,
Zeitlupen und kühlen Farben wirkt völlig unangestrengt und vermittelt nie das
Gefühl des Artifiziellen. Das ist schon allein sehenswert.
Was noch hängen bleibt: Lehrer verstehen ihre Schüler nicht
und haben zudem nicht den geringsten Schimmer von der Sub-Kultur, die vor ihren
Augen existiert, aber nicht mehr dechiffriert werden kann und, das ist die
Quintessenz: ehrlich gemeinter Idealismus ist unter gewissen Umständen nichts
anderes als naiver Opportunismus.
Lehrer werden diesen Film entweder als Offenbarung oder als
blanken Zynismus rezipieren und ihn beim zweiten oder dritten Mal vielleicht
besser verstehen, denn die Kälte des Herzens hat eine Ursache, die so alt ist
wie die Menschheit.
Mehr wird nicht verraten. Nur eins noch: „Confessions“ hätte
durchaus Platz 1 in der Halbjahres-Bilanz verdient.
Quellen: „Wie erklärt sich eine Kinoflop, Mr Soderbergh?“
(FAZ 02.03.2012)
„Confessions“: http://en.wikipedia.org/wiki/Confessions_(film)