Montag, 16. Juli 2012

Bluray-Review: The Man Who Shot Liberty Valance


Wer sich rechts die Spalte „The Incredible Top Sixty Plus“ anschaut, wird feststellen, dass es nur zwei Filme aus unserem neuen Jahrtausend geschafft haben, sich in meinen Top Ten festzusetzen: „The Dark Knight“ von Christopher Nolan und „Das weiße Band“ von Michael Haneke. Der Rest meiner Lieblingsfilme ist betagter – deutlich betagter!
Das liegt daran, dass meiner Meinung nach das Kino im Wesentlichen in den 1950er und 1960er Jahren auserzählt war. Die 1970er/80er Jahre mit ihrem „New Wave“ waren in jeder Hinsicht dann noch einmal bahnbrechend. Viele der Regisseure, die damals das Kino auf den Kopf gestellt habe, sind heute allerdings ältere Semester oder Kinopensionäre.
Also: John Ford, Alfred Hitchcock (die Klassiker); Stanley Kubrick, Martin Scorsese, Clint Eastwood, David Fincher, Christopher Nolan (die Modernen, wobei Eastwood eigentlich auch gut in die 1950er Jahre gepasst hätte). Das war’s dann schon. Kein Europäer dabei, kein Jean Luc Godard, kein Rainer Werner Fassbinder. Aber ganz vorne John Ford!

Überragender Stil
Für Cinephile ist die Bluray des Ford-Klassikers natürlich Ostern und Weihnachten an einem Tag. Jüngere Kinogänger werden vermutlich nichts oder nur wenig mit dem Namen John Ford anfangen können. Aber es lohnt sich, die Arbeiten dieses zu Lebzeiten sehr schweigsamen und ganz und gar nicht intellektuellen Mannes zu studieren. Nicht nur wegen der Geschichten, die er erzählt, sondern auch wegen seines Stils. John Ford hat das klassische Continuity-Prinzip der 1930er/40er Jahre meisterhaft weiterentwickelt und zu einem fast (aus heutiger Sicht) spartanischen Stil entwickelt, der die Szenenauflösung und damit auch die spätere Montage auf das Notwendigste reduzierte. Möglicherweise werden dies die am 3 Sekunden-Schnitttakt geschulten und wohl auch ein wenig konditionierten Zuschauer nicht mehr zu würdigen wissen.

Pessimistische Geschichtslektion
In „The Man Who Shot Liberty Valance“ geht es um eine einfache und doch am Ende sehr komplexe Geschichte: James Stewart spielt den alten Staatsmann Rance Stoddard, der mit seiner Frau in jenes Nest zurückkehrt, in dem seine politische Karriere ihren Ursprung nahm und wo er nun seinen alten Freund Tom Doniphon (John Wayne) zu Grabe tragen will. Karriere und Mythos sind bei Stoddard miteinander verknüpft: Stoddard, und dies ist gesichertes Geschichtswissen, hat in einem Duell den berüchtigten Revolverhelden Liberty Valance erschossen und damit auch den Sieg des Rechts über die Ungesetzlichkeit davongetragen.
Tatsächlich aber war es Doniphon, der mit einem heimlichen Schuss aus dem Dunklen dem mit der Waffe unerfahrenen jungen Rechtsanwalt das Leben rettete. Die Wahrheit erzählt der alternde Stoddard der Lokalpresse, aber keiner will sie drucken.
“If the legend becomes fact, print the legend!” heißt der berühmte Schlüsselsatz am Ende des Films. Das kann man unterschiedlich deuten. Zum einen ganz unkompliziert: Karrieren, die im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung stehen, haben ihre Geheimnisse, nicht alle Fakten stimmen, man muss sie vielleicht auch nicht kennen. Dinge, die sich als Legende entpuppen, werden lieber als pure Fakten wahrgenommen. Und so besteht in Fords Klassiker der fromme Betrug darin, dass sich die öffentliche Wahrnehmung (hier in Gestalt der Presse) bei der Umwandlung der Fakten in den Mythos für eine historische Interpretation entscheidet, an der sie deswegen festhalten will, weil sie ihr als die moralisch triftigere erscheint.

Auf den zweiten Blick enthüllt Ford ein pessimistisches Geschichtsbild: der Sieg des Rechts wird mit einem Streit um territoriale Rechte verbunden, der zwar demokratische Ziele verfolgt, im Kern aber auch ökonomischen Interessen dient. Das siegreiche Duell mit Liberty Valance ist lediglich Symbol der Zeitenwende. Aber das, was kommt, so zeigt es Ford, ist im Kern sehr ambivalent. Der Sieg der Demokratie wird bezahlt mit politischen Dummschwätzern, egoistischem Populismus und Wahlveranstaltungen, die den Wählerwillen mit Fälschungen und Manipulationen in die Irre führen wollen.
Kommt uns das nicht bekannt vor?
Und John Ford zeigt in „The Man Who Shot Liberty Valance“ auch, dass am Ende  die Zivilcourage den moralischen Sieg davonträgt, aber die Gewalt den faktischen. Der Fortschritt hat seinen Preis.
„Möglich wird dieser zivilisatorische Fortschritt aber nur, weil John Wayne den üblen Schurken, der dem Ganzen im Wege steht, kraft seiner persönlichen moralischen Überzeugungen ziemlich lapidar erschießt“ (vgl. meine Kritik über „Die Fremde in dir“). Dies ist keine Plädoyer für die Gewalt, aber eine sehr komplexe Reflexion Fords über die Uneindeutigkeit historischer Absichten und Prozesse. Und alles verpackt in einen Western – das ist schon eine Menge!

Exzellent gemastert
 Der Film liegt im Format 1920x1080p (1.78:1) und im Video-Cdec MPEG-4/AVC vor. Das fast völlig von Filmkorn befreite Bild ist sehr scharf und plastisch und nahezu perfekt. Im Vergleich mit anderen s-w-Restaurierungen würde ich „Psycho“ allerdings noch einen Vorsprung einräumen. Ein deutlicher Mehrwert ist die englische Tonspur. Sie liegt in Dolby True HD 5.1 vor und ist -gelinde gesagt- spektakulär. Es lohnt sich auch wegen einiger sprachlicher Feinheiten den Originalton zu hören. Dass die Bluray keine Extras enthält, ist allerdings eine massive Enttäuschung. Erinnert man sich daran, dass in den grauen Vorzeiten der DVD wenigstens noch Texttafeln zur Ausstattung gehörten, ist das ein Manko, das nur schwer zu akzeptieren ist. Insgesamt aber kann die Bluray uneingeschränkt empfohlen werden. In jeder Hinsicht ein Masterpiece. Und mit den Referenzniveau erreichenden „The Searchers“ liegen nun zwei Ford-Klassiker in phantastischer Qualität vor.