Wer sich rechts die Spalte „The Incredible Top Sixty Plus“
anschaut, wird feststellen, dass es nur zwei Filme aus unserem neuen
Jahrtausend geschafft haben, sich in meinen Top Ten festzusetzen: „The Dark Knight“
von Christopher Nolan und „Das weiße Band“ von Michael Haneke. Der Rest meiner
Lieblingsfilme ist betagter – deutlich betagter!
Das liegt daran, dass meiner Meinung nach das Kino im
Wesentlichen in den 1950er und 1960er Jahren auserzählt war. Die 1970er/80er
Jahre mit ihrem „New Wave“ waren in jeder Hinsicht dann noch einmal bahnbrechend.
Viele der Regisseure, die damals das Kino auf den Kopf gestellt habe, sind
heute allerdings ältere Semester oder Kinopensionäre.
Also: John Ford, Alfred Hitchcock (die Klassiker); Stanley
Kubrick, Martin Scorsese, Clint Eastwood, David Fincher, Christopher Nolan (die
Modernen, wobei Eastwood eigentlich auch gut in die 1950er Jahre gepasst hätte).
Das war’s dann schon. Kein Europäer dabei, kein Jean Luc Godard, kein Rainer
Werner Fassbinder. Aber ganz vorne John Ford!
Überragender
Stil
Für Cinephile ist die Bluray des Ford-Klassikers
natürlich Ostern und Weihnachten an einem Tag. Jüngere Kinogänger werden
vermutlich nichts oder nur wenig mit dem Namen John Ford anfangen können. Aber
es lohnt sich, die Arbeiten dieses zu Lebzeiten sehr schweigsamen und ganz und
gar nicht intellektuellen Mannes zu studieren. Nicht nur wegen der
Geschichten, die er erzählt, sondern auch wegen seines Stils. John Ford hat das
klassische Continuity-Prinzip der 1930er/40er Jahre meisterhaft
weiterentwickelt und zu einem fast (aus heutiger Sicht) spartanischen Stil
entwickelt, der die Szenenauflösung und damit auch die spätere Montage auf das
Notwendigste reduzierte. Möglicherweise werden dies die am 3 Sekunden-Schnitttakt
geschulten und wohl auch ein wenig konditionierten Zuschauer nicht mehr zu
würdigen wissen.
Pessimistische
Geschichtslektion
In „The Man Who Shot Liberty Valance“ geht es um eine
einfache und doch am Ende sehr komplexe Geschichte: James Stewart spielt den
alten Staatsmann Rance Stoddard, der mit seiner Frau in jenes Nest zurückkehrt,
in dem seine politische Karriere ihren Ursprung nahm und wo er nun seinen alten
Freund Tom Doniphon (John Wayne) zu Grabe tragen will. Karriere und Mythos sind
bei Stoddard miteinander verknüpft: Stoddard, und dies ist gesichertes
Geschichtswissen, hat in einem Duell den berüchtigten Revolverhelden Liberty
Valance erschossen und damit auch den Sieg des Rechts über die Ungesetzlichkeit
davongetragen.
Tatsächlich aber war es Doniphon, der mit einem heimlichen Schuss aus dem Dunklen dem mit der Waffe unerfahrenen jungen Rechtsanwalt das Leben rettete. Die Wahrheit erzählt der alternde Stoddard der Lokalpresse, aber keiner will sie drucken.
Tatsächlich aber war es Doniphon, der mit einem heimlichen Schuss aus dem Dunklen dem mit der Waffe unerfahrenen jungen Rechtsanwalt das Leben rettete. Die Wahrheit erzählt der alternde Stoddard der Lokalpresse, aber keiner will sie drucken.
“If the legend becomes fact, print the legend!” heißt der
berühmte Schlüsselsatz am Ende des Films. Das kann man unterschiedlich deuten.
Zum einen ganz unkompliziert: Karrieren, die im Zentrum der öffentlichen
Wahrnehmung stehen, haben ihre Geheimnisse, nicht alle Fakten stimmen, man muss
sie vielleicht auch nicht kennen. Dinge, die sich als Legende entpuppen, werden
lieber als pure Fakten wahrgenommen. Und so besteht in Fords Klassiker der
fromme Betrug darin, dass sich die öffentliche
Wahrnehmung (hier in Gestalt der Presse) bei der Umwandlung der Fakten in
den Mythos für eine historische Interpretation entscheidet, an der sie deswegen
festhalten will, weil sie ihr als die moralisch triftigere erscheint.
Auf den zweiten Blick enthüllt Ford ein pessimistisches
Geschichtsbild: der Sieg des Rechts wird mit einem Streit um territoriale
Rechte verbunden, der zwar demokratische Ziele verfolgt, im Kern aber auch
ökonomischen Interessen dient. Das siegreiche Duell mit Liberty Valance ist
lediglich Symbol der Zeitenwende. Aber das, was kommt, so zeigt es Ford, ist im
Kern sehr ambivalent. Der Sieg der Demokratie wird bezahlt mit politischen
Dummschwätzern, egoistischem Populismus und Wahlveranstaltungen, die den
Wählerwillen mit Fälschungen und Manipulationen in die Irre führen wollen.
Kommt uns das nicht bekannt vor?
Kommt uns das nicht bekannt vor?
Und John Ford zeigt in „The Man Who Shot Liberty Valance“ auch, dass
am Ende die Zivilcourage den moralischen Sieg davonträgt, aber die Gewalt den faktischen. Der Fortschritt
hat seinen Preis.
„Möglich wird dieser zivilisatorische Fortschritt aber nur, weil John Wayne den üblen Schurken, der dem Ganzen im Wege steht, kraft seiner persönlichen moralischen Überzeugungen ziemlich lapidar erschießt“ (vgl. meine Kritik über „Die Fremde in dir“). Dies ist keine Plädoyer für die Gewalt, aber eine sehr komplexe Reflexion Fords über die Uneindeutigkeit historischer Absichten und Prozesse. Und alles verpackt in einen Western – das ist schon eine Menge!
„Möglich wird dieser zivilisatorische Fortschritt aber nur, weil John Wayne den üblen Schurken, der dem Ganzen im Wege steht, kraft seiner persönlichen moralischen Überzeugungen ziemlich lapidar erschießt“ (vgl. meine Kritik über „Die Fremde in dir“). Dies ist keine Plädoyer für die Gewalt, aber eine sehr komplexe Reflexion Fords über die Uneindeutigkeit historischer Absichten und Prozesse. Und alles verpackt in einen Western – das ist schon eine Menge!
Exzellent
gemastert
Der Film liegt im Format 1920x1080p (1.78:1) und im
Video-Cdec MPEG-4/AVC vor. Das fast völlig von Filmkorn befreite Bild ist sehr
scharf und plastisch und nahezu perfekt. Im Vergleich mit anderen
s-w-Restaurierungen würde ich „Psycho“ allerdings noch einen Vorsprung
einräumen. Ein deutlicher Mehrwert ist die englische Tonspur. Sie liegt in
Dolby True HD 5.1 vor und ist -gelinde gesagt- spektakulär. Es lohnt sich auch
wegen einiger sprachlicher Feinheiten den Originalton zu hören. Dass die Bluray
keine Extras enthält, ist allerdings eine massive Enttäuschung. Erinnert man
sich daran, dass in den grauen Vorzeiten der DVD wenigstens noch Texttafeln zur
Ausstattung gehörten, ist das ein Manko, das nur schwer zu akzeptieren ist.
Insgesamt aber kann die Bluray uneingeschränkt empfohlen werden. In jeder
Hinsicht ein Masterpiece. Und mit den Referenzniveau erreichenden „The
Searchers“ liegen nun zwei Ford-Klassiker in phantastischer Qualität vor.