Mittwoch, 29. August 2007

Bilder des Bösen I: „Goyas Geister“

Spanien / USA / Frankreich 2006 - Originaltitel: Goya's Ghosts - Regie: Milos Forman - Darsteller: Natalie Portman, Javier Bardem, Stellan Skarsgård, Michael Lonsdale, Tomás Bilbatua, Mabel Rivera, Randy Quaid - FSK: ab 12 - Länge: 114 min.
Eigentlich ist es ein Rezeptionsfehler – aber ein perfider. Als die Kleriker der spanischen Inquisition darüber beraten, ob der Maler Francisco de Goya ein ketzerischer Feind der Kirche ist, macht sich Pater Lorenzo (Javier Bardem) für ihn stark: Goyas Bilder würden das Böse zeigen, so wie es ist. Lorenzos zynische Conclusio: die Verschärfung der Inquisition bis hin zur Wiedereinsetzung der peinlichen Befragung. Mit ihm an der Spitze. Wir sind im Jahre 1792, also mehr als fünf Jahrhunderte nach der Einführung der förmlichen Ketzerverfolgung und ihren bestialischen Folgen in Europa.Wie Lorenzos kalte Besessenheit in die Praxis umgesetzt wird, zeigt Milos Forman in „Goyas Geister“ auf exemplarische Weise am Beispiel der jungen Inés (Natalie Portman), die dem Hofmaler Goya als Muse dient: ihre fehlender Appetit auf Schweinefleisch macht sie bei den Schergen der Inquisition verdächtig. Das Tribunal, vor dem sie erscheinen muss, beschuldigt die Tochter einer alt eingesessenen christlichen Familie, heimlich jüdischen Glaubens zu sein und unterwirft sie mit großem Enthusiasmus der Folter, um sie danach in den Verließen der Inquisition verschwinden zu lassen.
Milos Forman („Einer flog über Kuckucksnest“, „Amadeus“), der gerne in opulenten Bildern schwelgt, verfolgt diese Geschichte in großen Zügen und lässt einen üppig inszenierten Historienfilm an uns vorüber ziehen, der zwischen großem Wurf und lässiger Geschichtsversimplifizierung hin und her schwankt. Dazu muss man allerdings wissen, dass die spanische Inquisition keineswegs Domäne der katholischen Kirche war, sondern in den Händen der Krone lag. Und Tribunale wurden keineswegs von Priestern und Angehörigen der Kirche durchgeführt, sondern von Rechtsgelehrten und Theologieprofessoren. Nicht einmal 2% der Befragten wurden zum Tode verurteilt und die Folter wurde nur in Ausnahmefällen eingesetzt.
Genauso zweifelhaft ist das Intro des Films, denn Goya geriet erst nach dem Einmarsch der napoleonischen Truppen ins Visier der Inquisition – und das wegen Pornografieverdachts („Nackte Maja“). Seine berühmten Drucke, die er unters Volk brachte, sind überdies deutungsbedürftig: waren sie anti-klerikal oder richteten sie sich gegen die Gräueltaten der französischen Besatzer, die im Film bestensfalls flüchtig skizziert werden?
Gelinde gesagt: Jean-Claude Carrière and Milos Forman, die gemeinsam für das Script verantwortlich sind, haben sich ihre Geschichte durchaus etwas „zurechtgebogen“, was besonders ärgerlich ist, wenn man sieht, wie grobschlächtig das komplizierte Verhältnis zwischen Spanien, Frankreich und England Anfang des 19. Jh. tatsächlich war.

Trotzdem fesselt der Film als Allegorie des Bösen. Einer der Höhepunkte ist zweifellos die Szene, in der der Vater von Inés nach einem gescheiterten, aber in dieser Zeit durchaus üblichen Bestechungsversuch, Pater Lorenzo ebenso grausam foltern lässt, wie dies mit seiner Tochter geschieht: als Lorenzo zusammenbricht und ein absurdes Geständnis unterzeichnet, bedeutet dies keineswegs eine Wende hin zur Vernunft, sondern nur dazu, dass Lorenzo selbst in Ungnade verfällt und fliehen muss.

Und Goya? So recht reicht es nicht zum Helden in diesem Film und dies ist auch gut so. Die Kunstgeschichte weiß immer noch recht wenig über den Maler, der als Vorbereiter der Moderne gilt. Stellan Skarsgård spielt ihn als etwas naiven, anpassungsbereiten, aber keineswegs opportunistischen Künstler, dem für den politischen Kampf sowohl Motivation als auch intellektuelles Format fehlen, der aber als intuitiver Moralist nicht anders kann als mit unbestechlichem Blick die Abgründe seiner Zeit festzuhalten. Und der für seine Muse kämpft bis an die Grenze des Möglichen. Eine Grenze, die er allerdings nie überschreitet.
Forman zeigt ihn als Einzelgänger (tatsächlich war Goya verheiratet und hatte Kinder), der wie jeder Künstler der Vergangenheit (bis zur Etablierung eines freien Kunstmarktes) den Launen seiner Mäzene und Auftraggeber ausgesetzt war. Dass wir heute eher von dem Bild beeinflusst werden, das die deutsche Romantik vom Künstler entwickelt hat, sollte man nicht verschweigen, denn Goya war eben nicht nur ein individualistisches Genie, sondern - den Gesetzen seiner Gesellschaft folgend - ein exzellenter Handwerker, der sich Trends und Moden anpassen musste, um überleben zu können. Der „wahre“ Goya, wie wir ihn heute aufgrund seiner berühmten Druckserien "Caprichos" und "Desastre de la Guerra" zu kennen glauben (die Serien kann man übrigens komplett über den Goya-Eintrag in der WIKIPEDIA als PDF abrufen kann), ist möglicherweise nur eine Stilisierung der Kunstgeschichte – dennoch hat es diesen Goya, den Portraitisten der schwarzen Abgründe gegeben. Deuten kann ihn Forman nicht, aber das wäre auch zu viel verlangt.

In „Goyas Geister“ spielt aber ein anderer die Hauptrolle – und dies ist trotz der erwähnten historischen Schludrigkeiten ein gelungener inszenatorischer Trick: Javier Bardem („Das Meer in mir“) gibt mit brillanter Präzision das Portrait eines unerbittlichen, aber auch ambivalenten Machtmenschen. Als Zuschauer weiß man nie so recht, ob Lorenzo das ideologisierte Kind seiner Zeit ist oder ein zynischer Opportunist mit erlesenem ästhetischem Geschmack.
Diese Frage wird auch nicht ganz beantwortet, nachdem Milos Forman einen gewaltigen Zeitsprung ins Jahr 1808 macht: Napoleons Truppen unterwerfen Spanien, proklamieren die bürgerlichen Rechte und beenden die Inquisition – und Lorenzo taucht als Sonderbeauftragter Frankreichs auf, der die verhassten Kleriker vor die Schranken des Gerichts zerrt. Mit der dramaturgischen Verlagerung von Goya hin zum fiktiven Lorenzo ist Forman dann doch der Coup gelungen, der „Goyas Geister“ rettet. In seinen besten Momenten verbreitet dieser eiskalte und höfliche Fanatiker des Grauens eine Kälte, die einem nachhaltig in die Glieder fährt: man spürt etwas von der Absurdität und der Grausamkeit menschlicher Geschichte, gegen die sich Kunst wohl vergeblich auflehnt, ohne dass man auf ihr moralisches Insistieren verzichten möchte.


Noch eine Anmerkung: wer mehr über Formans durchaus interessante Motive wissen möchte, sollte sich das Interview durchlesen, das man in der WELT ONLINE-Ausgabe vom 27. November 2006 findet. Die reflektierten Äußerungen über die Geschichte der Folter und die Vergleiche zwischen dem amerikanischen Einmarsch in den Irak und der Niederwerfung Spaniens durch die Franzosen dürften Kinofreunden ohne historische Kenntnisse aber ebenso unzugänglich bleiben wie Goyas berühmteste Bilder, vor allem sein Spätwerk, die ohne Erklärung sperrig bleiben.
Die im Filmclub aufkommende Kritik, man würde über Goya in dem Film nicht wirklich etwas erfahren, ist daher nicht von der Hand zu weisen. Entsprechend kontrovers war die Benotung.
BigDoc = 2,5, Klawer = 2, Melonie = 3, Mr. Mendez = 3,5
Vorschau: „Bilder des Bösen II“ wird sich mit „Pan´s Labyrinth“ beschäftigen, einem Film, der auf spannende Weise ganz anders funktioniert als Milos Formans doch eher konventioneller Realismus.