Dienstag, 17. Juli 2007

Stranger Than Fiction

USA 2006. R: Marc Forster. B: Zach Helm. P: Lindsay Doran. K: Roberto Schaefer. Sch: Matt Chessé. M: Britt Daniel, Brian Reitzell. T: David Obermeyer. A: Kevin Thompson, Craig Jackson. Ko: Frank Fleming. Pg: Sony/Columbia/Mandate/Three Strange Angels. V: Sony. L: 113 Min. D: Will Ferrell (Harold Crick), Maggie Gyllenhaal (Ana Pascal), Dustin Hoffman (Prof. Jules Hilbert), Queen Latifah (Penny Escher), Emma Thompson (Kay Eiffel), Tony Hale (Dave), Tom Hulce (Dr. Cayly).

Es gibt einige ernste Fragen...
Irgendein intelligenter Mensch hat irgendwann einmal die These aufgestellt, dass der einzige wirklich nennenswerte Unterschied zwischen Mensch und Tier jener sei, der den Mensch in den Stand versetzt, sich Fiktionen auszudenken, in denen er bereit ist, sich permanent mit den Unpässlichkeiten des realen Lebens herumzuschlagen. Das eigentliche Problem dabei ist, dass wir uns –angefangen mit den alten Griechen, weiter mit Shakespeare bis hin zu Quentin Tarantino – nie so recht entscheiden konnten, ob die Darstellung des Lebens in der Kunst nun eine Tragödie oder eine Komödie sein soll. Vermutlich hängt dies damit zusammen, dass wir nicht wissen, ob das Leben selbst eine Tragödie oder eine Komödie ist.
Immerhin: Aus der Kunst kurzweilige und intelligente Geschichten zu erzählen, die diesen Spagat trotz der beschriebenen Schwierigkeiten mehr oder weniger gut hinkriegen, haben sich so veritable Geschäftszweige wie Theater, Literatur und Kino abgespalten, die leider allzu häufig unter Beweis stellen, dass man die Kurzweiligkeit gerade eben noch hinbekommt, es mit der Intelligenz aber doch mitunter hapert. Bei Marc Forsters neuem Film ist das entschieden anders – seine brillante Komödie „Stranger Than Fiction“ gehört zu den besten Filmen des Jahres 2007.

Gibt es auch im wirklichen Leben Steuerprüfer, die Krawatten tragen?
Mal abgesehen davon, dass der deutsche Verleihtitel "Schräger als Fiktion" eine Mogelpackung ist, erfährt man in dem neuen Film von Marc Foster ("Monster's Ball", "Finding Neverland") zunächst, dass das Leben stinklangweiliger Steuerprüfer schon „an sich“ eine Tragödie ist: Harold Crick (Will Farrell) ist mit seinem auf die Minute genau durchorganisierten Leben ein Spießer wie er im Buche steht. Vom morgendlichen Binden der Krawatte bis zum pünktlichen Antritt der Nachtruhe gibt seine Uhr genau vor, was er tut. Richtig: das ist ganz schön langweilig. Aber plötzlich hört Harold Crick eine Stimme, die sein Leben kommentiert, nein, eigentlich sogar erzählt, was er gerade eben getan hat. Allein das ist schon ein Witz, aber dazu müsste man die aristotelische Poetik kennen, nach der sich Historiker und Dichter dadurch unterscheiden "…dass der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte." Aber nein, dieser spekulative Pfeil in die Zukunft fehlt völlig – Harold Cricks „Stimme“ nervt, weil sie (dies allerdings mit sehr schönen Formulierungen) zusammenfasst, was vor einigen Sekunden geschehen ist.
Dies kann einen Menschen schon ganz schön aus der Bahn werfen, besonders wenn eine Steuerprüfung bei einer hübschen Bäckerin ansteht (Maggie Gyllenhaal), die nur 78 Prozent ihrer Steuern bezahlt hat, weil sie mit dem Rest nicht Kinkerlitzchen wie Kriege und nationale Sicherheit finanzieren will, deren körperlichen Attribute den asexuellen Steuerprüfer aber überraschenderweise faszinieren.
Da alles auf eine Krise zusteuert, macht Harold erst einmal Urlaub. Die von einer Nervenärztin gestellte Diagnose „Schizophrenie“ weist er zurück, aber immerhin nimmt er dankbar die Empfehlung an, einen Literaturspezialisten aufzusuchen. Der Professor Jules Hilbert (Dustin Hoffman), im Nebenberuf sinnigerweise Bademeister, zeigt sich irritiert, fängt aber Feuer, als er aus Harolds Mund eine wunderschöne Formulierung hört, die dieser „Buchhalter des Lebens“ unmöglich selbst produziert haben kann. Hilbert fängt an, die „Stimme“ zu analysieren und konfrontiert Harold mit der nahe liegenden Schlussfolgerung, dass er wohl eine Romanfigur sei – allerdings sei noch unklar, ob er Teil einer Komödie oder einer Tragödie sei.

Sind Drehbuchautoren die besseren Philosophen?
Damit hat Drehbuchautor Zach Helm den Plot festgelegt: „Stranger Than Fiction“ ist nicht etwa eine simple fiktionale Geschichte, sondern eine fiktionale Geschichte, die sich über fiktionale Geschichten in fiktionalen Geschichten den Kopf zerbricht. Dass dies auf Dauer im Kino nicht zu vermeiden ist, war klar. Es ist halt wie bei „Star Trek“: irgendwann werden die Zeitreisen selbst zum Thema und wir stecken mittendrin in schier unlösbaren Paradoxien, über die man besser nicht nachdenken sollte. Mit Zack Helms haben wir uns nun in die Champions League der Scriptwriter begeben, nämlich in die Welt von Charlie Kaufman, der mit Being John Malkovich (1999) und Adaption (2002) einige Parameter dieses Genres definiert hat. Nicht zu vergessen Peter Weirs Die Truman Show (1998), die auf einem Roman eines weiteren schrägen Vogels basierte: Philip K. Dick, der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion auch sehr flexibel behandelte. Mit anderen Worten: wir sind in guter Gesellschaft.

Doch zurück zur Geschichte: Harold folgt den genauen Anweisungen Professor Hilberts und versucht herauszufinden, ob er nun der Held einer Komödie oder einer Tragödie ist. Die zarten romantischen Bemühungen um die schöne Bäckerin Ana deuten eher letzteres an, bis Harold durch einen Zufall herausfindet, dass seine Stimme der Erfolgsautorin Kay Eiffel (Emma Thompson) gehört. Nun ist das Dilemma perfekt, denn Eiffels Bücher enden mit dem Tod des Helden. Ausnahmslos. Glücklicherweise leidet die die Autorin aber an einer akuten Schreibblockade, die sie hindert, das letzte Kapitel zu schreiben, sie aber an die übelsten Orte führt, wo sie darüber sinniert, wie sie ihren aktuellen Helden vom Leben zum Tode befördert. Es kommt wie es kommen muss: Harold findet die Adresse der zurückgezogen lebenden Kay und konfrontiert sie mit der Verantwortung für ihre Fiktionen, besonders wenn diese real sind und gerade ihre Traumfrau erobert haben.

Ist man immer tot, wenn man vor ein Auto läuft?
Das alles ist natürlich herrlich absurd, völlig abwegig und daher saukomisch. Und wie bei jeder guten Komödie schaut auch das Tragische um die Ecke und stellt philosophisch nicht ganz unbelasteten Zuschauer ernste Fragen: Haben die Konstruktivisten recht und die Welt existiert nur in unseren Köpfen? Aber warum ist man dann meistens tot, wenn man vor einer Auto läuft (was in Forsters Film tatsächlich eine entscheidende Bedeutung erhält)? Haben wir einen freien Willen und wenn nicht, warum glauben wir es trotzdem? Ist man nur Teil eines großen Masterplans und wie kann man dennoch Spaß dabei haben? Sind Filme wirklich so abgründig tiefsinnig oder wollen uns dies nur Filmkritiker weismachen, um auf diese Weise ihre Brötchen zu verdienen?

Bevor die letzte Frage weiter vertieft wird, möchte ich stattdessen auf die vorzüglichen Darsteller hinweisen, die ihr Bestes gegeben haben, um uns den Ernst und die Bedeutung dieser dräuenden Probleme klar zu machen: Emma Thompson als hyper-neurotische, ketten- und ritualrauchende Phobikerin (Prokrastination heißt ihre Krankheit übrigens und in meinem Bekanntenkreis leiden entschieden zu viele Individuen daran) hat mir am besten gefallen, aber auch Will Ferrell hat seine Qualitäten, besonders wenn er Gitarre spielt und seine Krawatte bindet. Maggie Gyllenhaal ist süß, anarchisch und auch sonst reizend und mehr kann man nun wirklich nicht verlangen. Und Dustin Hoffman spielt auf so unnachahmliche Weise, dass man die Frage vergisst, was Jack Nicholson wohl aus dieser Rolle gemacht hätte.

Ach ja: persönlich glaube ich schon, dass unser Leben eine Tragödie ist. Man liest einfach zu viel in der Zeitung. In jüngeren Jahren war ich vom Gegenteil überzeugt und habe zum Ausgleich Filme von Ingmar Bergman angeschaut. Weitergebracht hat mich das nicht. Deswegen habe ich Marc Forsters Film eine glatte Eins gegeben.

Der Rest des Filmclubs war von diesem Enthusiasmus doch etwas überrascht, konnte aber auch nicht ganz ausschließen, dass „Stranger Than Fiction“ doch eine tiefere Bedeutung hat.

Noten: Mr. Mendez = 2,5, Klawer = 2,5, Melonie = 2, BigDoc = 1