Sonntag, 29. Juni 2014

Der Rückblick: Filme April – Juni (Teil 1)

Warum dürfen Mädchen in Riad nicht Fahrrad fahren? Was passiert Kampfrobotern, wenn sie Ritalin einwerfen? Neben einigem Ausschuss und x-beliebiger Ware von der Stange gab es im letzten Quartal einige angenehme Überraschungen. Dazu in Teil 1 und 2 dieser Retrospektive auch noch die Antworten auf die eben genannten Fragen.

Müder Aufguss: „Broken City“

Albert und Allen Hughes sind Allrounder. Regie, Drehbuch, Produktion – die Hughes-Brüder kennen sich aus. In den 1990er Jahren hatten beide mit „Menace II Society“ und „Dead Presidents“ kraftvoll vorgelegt. 2001 („From Hell“) sowie 2010 („The Book of Eli“) wurde beachtliche Einspielergebnisse erzielt. In „Broken City“ führte nun Allen Hughes allein Regie, Produzent des Conspiracy-Plots war u.a. Hauptdarsteller Mark Wahlberg. Gutes ist nicht dabei herausgekommen.
Mark Wahlberg spielt den ehemaligen Cop Billy Taggert, der als Private Eye arbeitet und im Auftrag des New Yorker Bürgermeisters Nicholas Hostetler (Russell Crowe) dem heimlichen Liebesleben von Gattin Cathleen Hostetler (Catherine Zeta-Jones) auf die Schliche kommen soll. Dass es sich bei den heimlichen Treffen mit einem Unbekannten keineswegs um ein romantisches Tête-à-tête handelt, bleibt  dem verbissen um etwas Noir-Profil kämpfenden Wahlberg nicht lange verborgen. Und tatsächlich: Es dreht sich alles um einen riesigen Immobilien-Schwindel, bei dem sich nicht nur der Bürgermeister die Taschen vollstopfen will.
Wie man es in Sachen Polit-Thriller richtig macht, konnte Russel Crowe 2009 in „State of Play“ aus nächster Nähe beobachten. Geholfen hat es nicht. Wahlberg und Crowe spielen ihren Part zwar routiniert herunter, aber gegen den arg konventionellen Plot können sie nichts ausrichten.
„Broken City“ funktioniert weder als Genre-Beitrag noch als Drama, auch wenn die ambivalente Beziehung der beiden Alpha-Tiere einige nette Momente bereithält. Das Script ist zu vorhersehbar und dies ist eigentlich das Schlimmste, was man einem Film vorwerfen kann. Am Ende siegt (wieder einmal) die Moral - noch das Beste an dem 08/15-Film.
Langweilig.

Überflüssige Remakes: „Carrie“ bleibt matt, „Robocop“ ist zumindest interessant

Remakes gehören nicht gerade zu den Lieblingsthemen der Filmkritiker. Nicht erst seit Gus van Sants „Psycho“ fragt man sich, ob sich das Publikum wirklich nicht an die Originale erinnern kann. Dabei sind Remakes nicht Schlimmes. Eigentlich. Ein paar der interessantesten Filme sind Remakes. King Kong, der Untergang der Titanic, auch Ben Hur – alles wurde mehrfach verfilmt. Und beinahe alle haben es getan, selbst Hitchcock hat ein Remake gedreht – von einem eigenen Film. Einige Regisseure hatten dabei sogar etwas zu erzählen, etwa John Carpenter mit „The Thing“. Andere auch, wie William Friedkin mit „12 Angry Men“, aber nur um herauszufinden, dass man den monolithischen Klassiker von Sidney Lumet doch nicht ausstechen konnte. Wie auch immer: Zum Business as usual beim wiederholten Durchkauen des sattsam Bekannten gehören auch die Prequels und Sequels, und dort natürlich auch das Prequel zum Remake und so weiter und so weiter. Fehlende Kreativität oder nüchternes Kalkül – beim Remake trennen sich die Geister. Aber wenn am Ende der Rubel rollt, hat man nichts falsch gemacht, oder?

Carrie

Warum sich allerdings Kimberley Pierce, die 1999 den wunderbaren und originellen Film „Boys Don’t Cry“ gedreht hat, an Brian de Palmas Horrorklassiker „Carrie“ herangewagt hat, bleibt wohl ihr Geheimnis. Aber da die Produktion ankündigte, sich etwas mehr an der Vorlage von Stephen King zu orientieren und auch einigermaßen hielt, was sie versprochen hatte, kann man zumindest in der B-Note einige Punkte für die einigermaßen gelungene Literaturadaption vergeben.
Dennoch wird dieses Remake nicht gebraucht: Die Geschichte des telekinetisch bedrohlich begabten Mädchens Carrie, das unter dem religiösen Wahn der Mutter zu leiden hat und in der Schule ekelhaft gemobbt wird, traf 1976 in de Palmas Film auf ein Publikum, das an der Neuorientierung des US-Kino in den 1970er Jahren Gefallen gefunden hatte. Kein Wunder: Der stilistisch hochbegabte und mit opulenten Bildern und zum Teil neuen Montagetechniken provozierende Regisseur und selbsternannte Hitchcock-Epigone hatte mit „Carrie“ einen Schocker abgeliefert, den sein großes Vorbild so nie hätte drehen können.
So weit, so gut.

Das muss man trotzdem nicht wiederholen. Das Dilemma des Remakes von Kimberley Pierce ist aber weniger der blutarme Stil des Films, sondern die Hauptdarstellerin: Sie ist gut, aber definitv im falschen Film. Anders als die somnambule Sissy Spacek ist „Hit-Girl“ Chloë Grace Moretz als Carrie ein kritisches, selbstbewusstes Mädchen, dem man eigentlich nie so richtig abkaufen kann, dass sie immer wieder von ihrer wahnsinnigen Mutter (dabei allerdings ziemlich überzeugend: Julianne Moore) zum Beten gezwungen wird. Der Rollenumbau ist nicht übel, aber ansonsten funktioniert „Carrie“ wie das große Vorbild. Als die Außenseiterin von einem High School-Beau zum Abschlussball geführt und dort völlig überraschend zur Ballkönigin nominiert wird, entleeren boshafte Mitschülerinnen bei der Siegerehrung einen Eimer Schweineblut über der Arglosen, was zum obligatorischen Rachefeldzug der Gekränkten führt.
Dabei lässt es Pierce auch richtig krachen und Moretz spielt das wirklich nicht übel, aber wie gesagt: sie ist im falschen Film. Und in der falschen Rolle. Fernab von der gelegentlich schwülstig mit sexuellen Konnotationen spielenden Erzählweise Brian de Palmas ist die neue Version des Stephen King-Klassikers deutlich biederer und dabei kein Totalflop, aber auch kaum mehr als der Nachweis, dass man heuer die besseren Effekte aus dem Hut ziehen kann. Das reicht nicht. Fazit: Mittelmäßig.

RoboCop

Deutlich mehr vorgenommen hat sich indes José Padilha, der mit „Tropa de Elite“ 2008 den Goldenen Bären auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin gewann. Seine Neuauflage des gleichnamigen Paul Verhoeven-Klassikers „Robocop“ (1987) will satirisch sein wie das Vorbild, aber politisch und philosophisch etwas mehr bieten, kommentiert Padilha im Bonus-Material der DVD. Und dabei wollte er auch von der mentalen Ausnahmesituation des Androiden erzählen, der einst ein Cop war und dessen Kopf, Herz und Lungen das Einzige sind, was nach einem Sprengstoffanschlag von ihm übrig geblieben ist.
Reizvoll ist das Ganze schon. Padilhas Films liegt seit Anfang Juni auf DVD und Bluray vor, die lange indizierte Fassung von Verhoevens Film wird seit Ende 2013 als ungeschnittene FSK-18-Fassung angeboten. Allein das ist einen Vergleich wert.

Satirisch hat Padilhas kybernetischer Cop tatsächlich einiges zu bieten. Die erste Sequenz zeigt den Drohnen- und Roboter-Einsatz von US-Streitkräften während einer „Friedensmission Teheran“ (sic!). Während die Einheimischen gedemütigt aus ihren Häusern getrieben werden, kommentiert der kaum noch rechtskonservativ zu nennende TV-Journalist Pat Novak den Einsatz live und enthusiastisch für die heimischen Patrioten vor ihren Flatscreens. Bis sich verzweifelte Selbstmord-Attentäter von den Dächern auf die vermeintlich unbezwingbaren Kampfroboter werfen. Da hört der Spaß auf.

Novaks TV-Show ist in Padilhas Film ständig präsent und Samuel L. Jackson spielt den faschistischen Hetzjournalisten mit sichtbarem Vergnügen. Hier eifert Padilha dem großen Vorbild nach und wie die permanenten Medienzitate in Verhoevens Filmen sind auch die von José Padilha sehr trashig, direkt und auf beinahe grobschlächtige Weise satirisch, aber immer hart am Wind.

Natürlich geht es daneben auch im neuen „RoboCop“ um den Cop Alex Murphy (nicht wirklich überzeugend: Joel Kinnaman), der einigen korrupten Kollegen zu gefährlich wird und einem Attentat zum Opfer fällt. Viel ist danach nicht von ihm übrig geblieben, der Rest wird in den Laboren des Multis OmniCorp von Dr. Dennett Norton (Gary Oldman) in einen kybernetischen Battlesuit gesteckt, denn der clevere CEO Raymond Sellars (schön zynisch: Michael Keaton, ursprünglich sollte Hugh Laurie die Rolle übernehmen) will US-weit den Behörden unschlagbare Roboterpolizisten verkaufen. Doch es kommt, wie es kommen muss: Robocop funktioniert zwar, ist dem abgebrühten Sellars aber zu menschlich und damit zu langsam. Folglich muss der von Skrupeln gequälte Dr. Norton den Dopaminspiegel des Androiden herunterfahren, was diesen extrem auf seine Aufgaben fokussiert, aber auch restlos zur Maschine macht. Robocop ist quasi auf Ritalin!
Zudem bastelt Norton auch noch an anderen Features seiner Kreatur herum, sodass während der Kampfhandlungen, die es fortan reichlich gibt, eine Software die Entscheidungen in Robocops Gehirn übernimmt, während der arme Alex Murphy glaubt, dass er immer noch Herr im Hause ist.

Über so viel gut versteckte Satire werden natürlich die Kinogänger jubeln, die sich ein wenig mit der Biochemie des menschlichen Gehirns auskennen und auch recht gut darüber informiert sind, was die moderne Hirnforschung über den freien Willen denkt. Aber mit dieser witzigen Idee ist dann auch in philosophischer Hinsicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Mehr wollte (oder durfte) Padilha nicht in seinen Film packen, denn für US-Blockbuster gilt die Regel, dass der Plot immer noch auf das denkbar schlichteste Gemüt herunterzubrechen ist. Und diese Regel dürfen nur wenige missachten.
Jose Padilha gehört dagegen noch nicht zu diesem illustren Kreis.

Tatsächlich tauchte bereits während der Dreharbeiten ein Interview mit dem brasilianischen Filmemacher Fernando Mireilles auf, der mit Padilha gesprochen hatte, und eine weitere Quelle deckte ab, was Padilha mit MGM und SONY erlebte: „I talked to José Padilha for a week by phone. He will begin filming Robocop. He is saying that it is the worst experience. For every 10 ideas he has, 9 are cut. Whatever he wants, he has to fight. "This is hell here," he told me. "The film will be good, but I never suffered so much and do not want to do it again." He is bitter, but it's a fighter“ (1).

Der Rest ist – wen überrascht’s? - eine Ballerorgie, in der Murphy (der im Gegensatz zu Verhoevens Film mit einem weitgehend intakten Bewusstsein und einem ebenso gut funktionieren Gedächtnis durch die böse Comic-Welt von Detroit stapft) am Ende demonstriert, wozu der ewige Moralismus im US-Kino wirklich taugt: Im Showdown überwindet Robocop seine einprogrammierte Sperre und kann dank dieses Triumphs des freien Willens den Bösewicht erschießen. Aber mal ganz ehrlich: War das nicht klar? Fazit: interessante Ansätze, aber ein an die Leine gelegter Regisseur, dem von höherer Stelle sicher das gänzlich ironiefreie Ende verordnet wurde. Und der Rubel? Budget: $ 130 Mio., Einspielergebnis: $ 242 Mio. Er rollt.
 

Beste Filme des Quartals:

Finsterworld (1,5), The Secret Life of Walter Mitty (1,6), Blue Yasmine (1,75), Jung & schön (2), Mr. Morgan’s Last Love (2), Sein letztes Rennen (2), The Company You Keep (2,25), Rush (2,6)

Die größten Flops des Quartals:

Broken City (4), Das Mädchen Wadja (3,25)


Broken City – USA 2013 – Regie: Allen Hughes – D.: Mark Wahlberg, Russel Crowe, Catherine Zeta-Jones - FSK: ab 12.




Carrie  – USA 2013 – Regie: Kimberley Pierce, D.: Chloë Grace Moretz, Juliane Moore – FSK: ab 16.



RoboCop  – USA 2014 – Regie: José Padilha, Buch: Joshua Zetumer – D.: Joel Kinnaman, Gary Oldman, Michael Keaton, Samuel L. Jackson, Michael K. Williams - FSK: ab 12.