Donnerstag, 18. Juni 2020

Essay über Sam Peckinpahs „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia“

Vor 36 Jahren starb Sam Peckinpah. Der US-Regisseur blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1984 ein Außenseiter im Filmbusiness. Peckinpah war kritisch, rebellisch, eigensinnig. Einige seiner Filme waren blutig, die Gründe dafür nicht immer auf Anhieb nachvollziehbar.
Peckinpah leitete die Ära des Spätwestern ein, veränderte aber auch die Bildsprache des Genres. Vor zwei Jahren erschien eines seiner Spätwerke auf Bluray: „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia“ – eine Mischung aus Roadmovie und Spätwestern. Auch diese Verschmelzung zweier Genres soll der Regisseur erfunden haben. Grund genug, sich „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia“ noch einmal anzuschauen und darüber nachzudenken, was wir von Sam Peckinpah lernen können.




Ein großartiger Erzähler des Scheiterns

Sam Peckinpahs Ignoranz gegenüber den Regeln einer erfolgreichen Filmerzählung ist frei von Penetranz. Man muss also genau hinschauen. In „Bring Me the Head of Alfredo Garcia“ lässt sich der Regisseur sehr viel Zeit, bevor er seine Hauptfigur, den heruntergekommenen Barpianisten Bennie (Warren Oates) in die Handlung einführt. Zuvor erfährt der Zuschauer, dass die Tochter des mexikanischen Großgrundbesitzers El Jefe von einem Tunichtgut namens Alfredo Garcia geschwängert wurde – und dessen Namen bekommt El Jefe nur von seiner Tochter zu hören, weil er ihr in aller Öffentlichkeit (ein katholischer Priester ist auch dabei) den Arm brechen lässt. El Jefe verspricht jedem, der ihm den Kopf Garcias bringt, eine Million Dollar. Da einige dubiose Anwälte und amerikanischer Gangster zu seinem Hofstaat gehören, ist die Jagdsaison sofort eröffnet.
Emilio Fernández war damals der perfekte Klischeemexikaner im Kino, arbeitete aber schon länger eng mit Peckinpah zusammen und war während der Dreharbeiten in Mexico aus gewerkschaftstechnischen Gründen auch dessen „Ersatz-Regisseur“. In „The Wild Bunch“ verkörperte er den barbarischen General Mapache.

„Bring Me the Head of Alfredo Garcia“ war Sam Peckinpahs letzter bedeutsamer Film. 1974 entstanden, ist er nach eigener Aussage eine Herzensangelegenheit des amerikanischen Regisseurs gewesen. 1969 hatte Peckinpah sein Meisterwerk „The Wild Bunch“ realisiert, 1972 folgte der ikonische Film „Getaway“. Alles, was nach „Alfredo Garcia“ kam, war zwar routiniert, gelegentlich aber auch konfus wie „The Osterman Weekend“, sein letzter Film (1983). Peckinpahs letzte Filme besaßen längst nicht mehr die Strahlkraft der Werke, die zwischen 1969 und 1974 entstanden.

Bennie, die Hauptfigur in „Bring Me the Head of Alfredo Garcia“, ist im Prinzip eine Filmtrope, die dem Film Noir zu verdanken ist. Warren Oates spielt einen Loser zwischen Zynismus und Gewalttätigkeit, der aber wie viele Noir-Figuren irgendwann eine moralische Entscheidung treffen muss. Bei Peckinpah sind es nicht sonderlich intellektuelle, dafür aber ungemein tödliche Männer, die sich einem existenziellen Konflikt stellen müssen. Und es sind solche, die nicht selten genug am Ende des Films selbst zum Tode verurteilt sind.

Damit konterkarierte Sam Peckinpah, der großartige Erzähler des Scheiterns, auch eine andere Trope des Kinos, besonders des Genrefilms: wenn üblicherweise im Showdown eines Western das Gute moralisierend über das Böse triumphiert, verlieren die Helden bei Peckinpah oft alles wie Joel McCrea als Steve Judd in „Sacramento“. 

Zu den Guten gehören diese Männer auch nicht immer. In „Sacramento“ will der von Randolph Scott gespielte Partner von Steve Judd diesen betrügen. Und die vier überlebenden Mitglieder der „Wild Bunch“ (dts. wildes Rudel) sind im Prinzip Berufsverbrecher, die unerbittlich von einer Gruppe noch üblerer Bounty Hunter verfolgt werden. Die von Ben Johnson und Warren Oates gespielten Tector und Lyle Gorch sind Soziopathen der schlimmsten Sorte, während der von William Holden gespielte Pike Bishop ebenso wie sein Buddy Dutch Engstrom (Ernest Borgnine) wissen, dass ihre Zeit vorbei ist. Sie ziehen am Ende in eine aussichtslose, aber ungemein effektive Schlacht. Nur wenige Blickkontakte sind nötig, um sich darüber klar zu werden. 

In „The Ballad of Cable Hogue“ wird Jason Robards zwar nicht in einem Showdown, aber ausgerechnet in einem Western von einem Auto tödlich überrollt. Und Warren Oates zerfetzen die Kugeln ähnlich wie das Gangsterpärchen in „Bonnie and Clyde“, nachdem er seinen Weg mit Leichen gepflastert hat, um Alfredo Garcias verwesenden Kopf abzuliefern, aber nur, um nun auch El Jefe zu töten.
Gut oder böse: viele Peckinpah-Helden treffen eine moralische Entscheidung, bevor sie sterben. Vordergründig betrachtet scheitern sie, bei genauerem Hinsehen haben sie den Zuschauern etwas mitzuteilen.



Die Überlebenden müssen für ihr Überleben bezahlen

Andere Hauptfiguren kommen mit dem Leben davon, zahlen aber einen Preis dafür, von dem man nie weiß, ob er angemessen ist oder nicht. Steve McQueen und Ali MacGraw entkommen in „Getaway“ (1972) nach einem Blutbad in ein beinahe märchenhaftes Ende, doch an McQueens Doc McCoy nagt, was seine Frau tun musste, um ihn aus dem Gefängnis zu holen.

In dieser moralischen Ambiguität verbleiben Peckinpahs Figuren. Und auch Warren Oates‘ Bennie ist alles andere als ein sympathischer Zeitgenosse, allerdings kann sich die Figur nie ganz unserer Empathie entziehen. Warren Oates, der auch in „Sacramento“, „Major Dundee“ und „The Wild Bunch“ ein Teil der Peckinpah Family war, spielt den zynischen, aber auch sentimentalen Barpianisten Bennie als einen Mann, den nur wenige Meter von der Gosse trennen. Bennie sucht eine zweite Chance, um zusammen mit seiner Freundin Elita (Isele Vega) seinem Elend in schäbigen mexikanischen Bars zu entkommen. Eher zufällig begegnet er zwei von Gig Young und Robert Webber gespielten amerikanischen Gangstern, die Alfredo Garcia seit Monaten vergeblich suchen. Die heuern Bennie für billiges Geld an. Der findet dank Elita heraus, dass Alfredo Garcia tot und beerdigt ist. Bennie muss nur noch das Grab finden, den Kopf abschneiden und abliefern. Und er muss verdauen, dass Elita ihm gesteht, erst kurz zuvor eine Kurzaffäre mit Alfredo Garcia gehabt zu haben. Auf dem Weg zum Friedhof begegnen sie Rockern (darunter Kris Kristofferson, der in „Convoy“ die Hauptrolle übernahm und in „Pat Garrett and Billy the Kid“ den jungen Revolverhelden Billy the Kid spielte), die Elita vergewaltigen wollen und von Bennie erschossen werden. Auf dem Friedhof werden beide beim Ausgraben der Leiche überfallen, und als Bennie aufwacht, ist Elita tot und der Kopf verschwunden. Bennie holt ihn sich zurück und fährt mit dem von Fliegen eingehüllten Kopf durch Mexiko, das Land, das Peckinpah sehr liebte, und beginnt mit dem Kopf zu sprechen. Es ist eine Reise, während der Bennie immer verschlossener und kälter wird. Nun steht er offenbar an der Schwelle zum Wahnsinn und die Jagd nach dem verwesenden Kopf kostet ein Dutzend Menschleben.

In den meisten Filmen erzählte Sam Peckinpah von gewalttätigen Männern, die entweder wie die Bounty Hunter und einige Mitglieder der „Wild Bunch“ dumm, triebhaft und psychopathisch sind, während die etwas intelligenteren einsam sind und trotzdem an Loyalität, vielleicht auch Freundschaft, festhalten wollen. Ihre Beziehungen zu Frauen sind fragil. Sie feiern ihre Maskulinität und ignorieren den Tod, bis er dann da ist und Ernest Borgnine entsetzt „Pike!“ schreit, als er seinen durchlöcherten Freund in „The Wild Bunch“ sterben sieht. Nur wenige Sekunden später ist auch er tot. Warren Oates‘ Bennie gehört dagegen nicht ganz in diese Schemata. Er ist ein Grenzgänger, kein reflektierter Killer wie William Holdens Pike Bishop, sondern jemand, dessen Zorn über die vielen Leichen eigentlich nur einer zugedacht ist: seiner toten Geliebten. Mit der Figur des Pike Bishop teilt er die heimliche Todessehnsucht von Männern, die aus der Zeit gefallen sind. Sie blieben bis zum Schluss ein Hauptthema in Peckinpahs Filmen.


Peckinpah und die Ästhetik der Gewalt

Peckinpahs Verhältnis zur Gewalt ist Gegenstand ausführlicher Debatten geworden. Auch weil er Gewalt mit einer Bildästhetik präsentierte, die scheinbar lustvoll den Tod inszenierte. Nicht nur mit ausgedehnten Zeitlupen, die in „Major Dundee“ komplett vom Produzenten herausgeschnitten wurden, sondern auch mit einem speziellen Cross-Cutting. Peckinpah schnitt in das Stürzen und Fallen der Getroffenen andere Bilder hinein, aber nur, um immer wieder zu dem durch die Zeitlupe gedehnten Fallen und Stürzen zurückzukehren. Es war eine Ästhetisierung des Todes, die Ende der 1960er Jahre im Kino ein schockierendes Erlebnis war. Während einer Preview von „The Wild Bunch“ rannten einige Zuschauer aus dem Kino, um sich zu übergeben.


Peckinpahs Stilmittel wurden danach endlos zitiert, man wurde als Kinogänger abgebrühter, aber nie wieder erlebte man die gleiche Schockstarre, die einen überfallen hatte, als man „The Wild Bunch“ zum ersten Mal sah. Peckinpahs Film war eine rabiate Abkehr von allen Erzählmitteln des Western, die Wucht der neuen Bilder machte den Zuschauer fassungslos. Dies muss man damals selbst erlebt haben, und zwar in der revoltierenden Bild- und Erzählkultur der späten 1960er Jahre, die ankündigte, dass im Kino kein Stein auf dem anderen bleiben würde. Selbst in dieser Aufbruchphase des New Wave-Kinos war Peckinpahs Film ein Schock, der angesichts der späteren Entwicklung der Gewaltdarstellung für die heutige Kinogeneration kaum noch nachvollziehbar und daher auch nicht mehr nacherlebbar ist.

Das Ganze hatte eine Ursache. Als 1968 von der Filmindustrie der „Hays Code“ aufgegeben wurde, endete im US-Kino eine lange Phase der Selbstzensur. 1930 war der Motion Picture Production Code (MPPC) eingeführt worden, um die Darstellung von Gewalt und Sex eisern niederzuzwingen oder die Verletzung religiöser Gefühle zu verhindern. James Cagney konnte also keiner Frau mehr eine Grapefruit im Gesicht ausdrücken („The Public Enemy“, 1931). Toiletten durften im Film nicht mehr gezeigt werden und eheliche Doppelbetten auch nicht, wobei die assoziative Verbindung von Fäkalien und Sexualität einen hohen Grad an Evidenz erhielt.
1982 schrieb ich den Essay „Die Ästhetik des Trivialen: Ästhetizismus und Gewalt im Kino“, um die Folgen der Liberalisierung zu beschreiben. Es blieb die einzige Arbeit in meiner jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit einem Medienmagazin, die im Papierkorb des verantwortlichen Redakteurs landete. Damals glaubte ich zu erkennen, auf welche Weise das Ende des Hays Code den Druck vom Kessel genommen hatte, aber auch, wie die Technologieentwicklung und die wiedergewonnene Freiheit zu einer neuen Ästhetik geführt hatten, die der bösen kapitalistischen Filmindustrie erlaubte, dem Zuschauer Zucker zu geben. Gewalt wurde von ihren Fesseln befreit, um die Zuschauer in Massen in die Kinos zu locken.
Sam Peckinpah kam natürlich auch vor in meiner Zusammenschau der Entwicklungen im populären Kino: „So zeigte sich Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger Jahre das gesteigerte Bedürfnis nach einem Realismus, der die Entmythologisierung verschiedener Genretopoi mit der technischen Perfektion in der Darstellung exzessiver Gewalt verknüpfte“, bilanzierte ich vor 38 Jahren.

Realismus ist ja an sich eine feine Sache. Wenn man aber vermutet, dass diese Erzählhaltung nur eine weitere beliebige Ästhetisierung nach sich zieht, um gewaltaffine Produkte mit einer eleganten Bildsprache an den Mann zu bringen, dann war das nicht ganz frei von ideologiekritischen Schablonen, die die Resilienz der Filmemacher gegen den wildgewordenen Kapitalismus unterschätzte. So würde ich das heute nicht mehr schreiben.

Wäre meine Hypothese richtig gewesen, hätten sich die Studios um Peckinpahs gewalttätige Filme reißen müssen. Dass sich Sam Peckinpah stattdessen zeitlebens mit den Studios herumschlug und hinnehmen musste, dass einige seiner Filme („Major Dundee“, „Pat Garrett and Billy the Kid“) zusammengeschnitten und dadurch verstümmelt wurden, war damals nicht bekannt. Es gab kein Internet. 

Aus meiner damaligen Sicht war der Regisseur daher ein gutes Beispiel für einen Filmemacher, der eine realistische (oder besser gesagt: naturalistische) Erzählweise dafür nutzte, um eine Gelddruckmaschine ans Laufen zu bringen: „Sam Peckinpah repräsentiert am direktesten die neue Tendenz. In Peckinpahs Filmen musste sich kein Zuschauer mehr vorstellen, wie die Geschosse in die Leiber einschlugen: man sah es nun. Ausführlich wiederholte die Zeitlupe den schnellen Fall der Körper, Kugeln zerschmetterten Köpfe und Leichenteile flogen durch die Luft. Filme wie z.B. ‚The Getaway‘ (1973) und ‚The Wild Bunch‘ (1969) lediglich martialisch zu nennen, ist schamlos untertrieben. Höheren Ansprüchen genügte Peckinpah schließlich durch eine ‚sinnreiche‘ Bildmetaphorik (The Wild Bunch) und melancholische Allegorien (Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia),“ folgerte ich.
Herumfliegende Leichenteile konnte ich später nicht mehr in Peckinpahs Filmen entdecken. Ich hatte zu dick aufgetragen. Trotzdem blieben all diese Filme für mich letztlich nur Beiträge eines rummelplatzähnlichen Kinos der Attraktionen. Dies war nicht frei von Bigotterie, denn als Kritiker dachte ich ideologiekritisch, als cinephiler Konsument liebte ich dagegen Peckinpahs Filme. Guilty pleasures.

Die folgenden Jahrzehnte zeigten, dass meine überspitzte Kritik allerdings einen wahren Kern besaß. Die Gewaltdarstellung im Kino nahm Formen an, die man nicht erwartet hatte, und Peckinpah hatte bildsprachlich einige Blaupausen abgeliefert. Aber den subversiven Kern Peckinpahs, der nie zum New Wave-Kino der 1970er Jahre gehörte, konnte ich damals nicht erkennen. 


Die Gewalt als Ausdruck einer verzweifelten Maskulinität

Es wäre aber möglich gewesen. Recht offensichtlich zeigt dies jene Szene, mit der „The Wild Bunch“ beginnt. Während die von Pike Bishop (William Holden) angeführte Bunch in Soldatenuniformen in einen Ort reitet, um eine Bank auszurauben, spielen fröhlich lachend Kinder am Wegesrand. Sie haben Skorpione in einen Ameisenhaufen geworfen und drehen sie immer auf den Rücken. Der Kampf der Skorpione ist verzweifelt, aber aussichtslos. Ihr Gegner ist klein, aber zahlenmäßig überlegen. Später sieht man, dass die Kinder der Sache überdrüssig geworden sind und die Ameisen und Skorpione verbrennen. 


Es ist ein unschuldiger Sadismus, den Peckinpah zeigt. Die Kinder quälen zu ihrem Vergnügen, und wie alle Bilder, die eine eindringliche Symbolkraft besitzen, scheint uns Peckinpah zeigen zu wollen, dass die menschliche Grausamkeit zur Natur des Menschen gehört wie das Atmen. 

Oft tauchen Kinder in Schlüsselszenen seiner Filme auf, sie schaukeln mit einem Galgenstrick („Pat Garrett und Billy the Kid“) oder begleiten das Scheitern einer Figur mit boshaftem Lachen. So, als seien sie die Vorboten einer Generation, die die Geschichte der Gewalt fortschreiben wird. Sie ist in Peckinpahs Kino anthropologisch gesehen offenbar eine Konstante, nur dass Peckinpah in seinen Filmen immer wieder dieses Unausweichliche mit anderen, dunkleren Dingen kombiniert hat.
Deshalb glaubte ich eine Zeitlang auch nicht, dass Peckinpah aufklärerische Intentionen hatte. Vielmehr schien er zu zeigen, dass Gewalt etwas war, das man enthusiastisch erleben konnte („Straw Dogs“), dass Gewalt ein Attribut der Maskulinität ist (über die Frauenrollen bei Peckinpah wäre noch zu reden), obwohl sie sich mit der Unausweichlichkeit einer griechischen Tragödie vollzieht. John Woo und Quentin Tarantino, aber auch Luc Besson sind bei Peckinpah in die Lehre gegangen, alle haben eine eigene Ästhetik der Bilder entwickelt, um Gewalt auf der Leinwand zu zelebrieren. Aber keiner hat sie so verzweifelt präsentiert wie der 1984 verstorbene Sam Peckinpah.


"Ich liebe Außenseiter. Wenn man sich nicht anpasst und restlos aufgibt, ist man allein auf der Welt. Wenn man aber aufgibt, verliert man seine Unabhängigkeit als Mensch", resümierte der Regisseur. Man muss das, was man tut, zu Ende bringen, lautete die fatale Quintessenz. Peckinpah selber hat es zu Ende gebracht, dabei reichlich Alkohol und Drogen konsumiert und sich ständig mit dem System angelegt, das in Hollywood herrschte.
„I didn’t write it to schock the audience. I wrote it as something that I would pay money to see“, sagte Peckinpah in „Passion & Poetry“, dem großartigen Dokumentarfilm von Mike Siegel (2009).
Auch das ist Peckinpah. Illusionen sollte man sich nicht machen. Ich habe auch 1969, als ich „The Wild Bunch“ zum ersten Mal gesehen hatte, nie geglaubt, dass dies ein Protestfilm gegen den Vietnamkrieg sei. Das habe ich auch später nicht getan, obwohl sich diese Deutung bis heute gehalten hat. 

Da irrte ich mich ebenfalls, denn W.K. Stratton hat 2019 für sein Buch „The Wild Bunch“ (Bloomsbury Publishing S. 290) gründlich recherchiert und ein Interview mit Sam Peckinpah auf YouTube gefunden, in dem Peckinpah eine erstaunliche Einsicht in sein Denken erlaubte: „I deal in violence in terms of very sad poetry … I made The Wild Bunch because I still believed in the Greek theory of catharsis, that by seeing this movie, [it] purged by pity and fear and [got] this out of our system. I was wrong.”


Katharsis durch Gewalt

Katharsis durch Gewalt: das hatte schon der deutsche Filmkritiker Siegfried Krakauer gehofft. Und sich geirrt, auch wenn Georg Seeßlen 2004 nicht ganz ironiefrei schrieb: „Und mit Kracauer wissen wir, wie er in Das Grauen im Film beschreibt, dass die ‚guilty pleasures‘ an Angst, Schrecken und Gewalt im Kino keineswegs bloß der ‚Spekulation auf die Sensationslust‘ zu verdanken sind. Wenn man mit Kracauer in einen Horrorfilm geht, dann kann es einem passieren, dass man durch die Grausamkeit der Bilder das Leiden der Menschen im richtigen Leben sieht.“
Sam Peckinpah wollte den Zuschauern genau das zeigen, nämlich wie man stirbt, wenn man erschossen wird. Qualvoll und nicht klinisch sauber wie in den klassischen Western, in denen kein Tropfen Blut die Kleidung der Opfer verunreinigt. Stratton verweist in diesem Kontext darauf, dass im März 1968 das berüchtigte Massaker von My Lai stattfand. Zu dieser Zeit hatte Peckinpah bereits mit der Produktion von „The Wild Bunch“ begonnen.

Und Peckinpahs Herzensangelegenheit? „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia“ mag zwar ein Kultklassiker sein, bewegt sich aber längst nicht mehr auf dem Niveau von „The Wild Bunch“ oder „Getaway.“ Einige Dialoge sind schwerfällig und hölzern, viele Träume und Visionen von Bennie und Elita bewegen sind hart am Rande des Klischees, werden aber von Warren Oates und Isele Vega berührend gespielt. Auch die für heutige Verhältnisse eher schleppend voranschreitende Handlung wird für den einen oder anderen Zuschauer eine Provokation sein, jedenfalls im Vergleich zu den Blockbustern, die ihren Plot bereits nach wenigen Minuten entwickelt haben und schnell zur Sache kommen. Wie sehr diese zum Teil sehr manipulativen Filme nerven können und wie wenig sie die Charakterentwicklung ernst nehmen, merkt man nur, wenn man ältere Filme sieht, die halt etwas slow sind.

Gehasst hat Peckinpah die Etablierten, das System, die Bigotterie der Bürger, ihren Puritanismus. Auch die Politiker standen auf der Abschussliste eines fatalistischen Regisseurs, der zwar als Großmeister des Western gefeiert wurde (ein Titel, den eher John Ford verdient hat), aber eigentlich den Western beerdigte. Auch „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia“ deutet die Allianz der Mächtigen mit dem organisierten Verbrechen an.

Fords Plädoyer für einen Mythos, der in Fords „The Man Who Shot Liberty Valance“ wahrer sein soll als die Fakten, die sich hinter den Geschichten verbergen, setzte Peckinpah eigensinnig seine eigene Wahrheit entgegen. In seinen Geschichten über das endende 19. Jh. und den Niedergang einer Epoche kündigen ausgerechnet Autos den Zeitenwechsel an. Die Männer in diesen Geschichten erkennen in diesen Momenten, dass sie Fossile sind und sie stemmen sich dieser Erkenntnis mit einer amoklaufenden Maskulinität entgegen, die heutzutage beinahe schon ein Affront ist, aber mindestens den Zeitgeist kräftig ohrfeigt. „Let’s go“, sagt William Holden vor dem letzten Gefecht. „Let’s go“ sagt auch Warren Oates, bevor er zum letzten Gefecht aufbricht. Mehr gibt es nicht mehr zu sagen.