Mittwoch, 10. Oktober 2018

The Walking Dead: Staffelauftakt mit neuer Handschrift…

…und den schlechtesten Quoten seit Season 2. Mit knapp mehr als 6 Mio. Zuschauern unterbot der Auftakt der 9. Staffel sogar noch das schlechteste Rating der vorherigen Season. Im Vergleich mit der Auftaktepisode der 8. Staffel wurde das Publikum sogar halbiert.
Der Trend geht also weiter. Und er wird schlimmer. Ob TWD den Ausstieg von Andrew Lincoln und Lauren Cohan verkraften wird, ist also mehr als ungewiss. AMC lancierte Lincolns Ausstieg aus der Rolle des Rick Grimes bereits recht früh und verzichtete damit auf einen publikumswirksamen Schockmoment. Aber nicht auf die mediale Diskussion über die Zukunft der Serie. Ob und wie Rick sterben wird, erfährt man vermutlich vor der Midseason.



Trotz des erneuten Quotendesasters blieb die Zombie-Serie die unangefochtene Nr. 1 in den Cable Ratings am Sonntag – mit doppelt so vielen Zuschauern wie der Zweite FOX SPORTS. Bei den Ratings in der werberelevanten Zielgruppe der 18-49-Jährigen landete TWD bei 2.5 vor der hauseigenen Promosendung „Walking Dead Bonus“ mit 1.0. Zusammen mit der Talkrunde „Talking Dead“ waren am Sonntag insgesamt 12 Mio. an der Fortsetzung der Geschichte interessiert. „The Walking Dead“ bleibt also die quotenstärkste Serie nach „Game of Thrones.“ Dabei ist es nicht ganz unwichtig zu wissen, dass das lineare TV in den USA gewaltigen Verwerfungen ausgesetzt ist. So startete YouTube vor einem Jahr „YouTube TV“, ein kostenpflichtiges Streaming-Angebot, mit dem man auf iPhone oder Android-Smartphones das Angebot von 40 TV-Sendern sehen kann, Chromecast und DVR inklusive. DVR-Ratings werden also immer wichtiger. Auch vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Ist das Glas nun halbvoll oder halbleer?
Ich meine halbvoll. In der Season-Premiere konnte man die Handschrift von Showrunner Angela Kang erkennen, die auch das Drehbuch geschrieben hatte. Und zwar ohne Scott M. Gimple als Co-Autor. Das Ergebnis war ein kompakt erzählter Plot, der zwar gelegentlich etwas vorhersehbar war, im Kern aber die Geschichte um Rick Grimes und seine Gruppe wieder auf die Füße stellte und für einige feine Pointen sorgte.


„A New Beginning“

Rick und seine Gruppe sind aufgebrochen, um im Smithsonian Institute in Washington, D.C., nach Saatgut zu suchen und dabei noch einige landwirtschaftliche Geräte zu beschaffen. Dass im Cold Open von „A New Beginning“ einige Zombies niedergemetzelt werden, gehört mittlerweile zur Routine, zeigte aber, dass sie immer noch da sind nach all der teilweise konfus inszenierten War Action des All Out War.
Dass bei der Aktion im langsam vor sich hin verrottenden Museum jemand fast in eine Beißerherde stürzte, war auch recht vorhersehbar. Aber das Setting war interessant, auch weil Rick & Co. stoisch an alten Gemälden vorbeimarschierten, die in besseren Zeiten sicher ein Vermögen eingebracht hatten. Aber nicht nur diese Werte haben sich geändert.


Überhaupt war dies der stärkste Einstieg in eine Season-Premiere seit langer Zeit. Angela Kang ironisierte den Status Quo der menschlichen Geschichte ohne viele Worte und überwiegend allegorisch als evolutionären Fehlschlag. Zunächst wirft die Gruppe einen Blick auf eine großräumige Graphik. „Conflicts That Shaped Our Nation“ steht dort, und wer das nicht verstanden oder gar nicht gesehen hatte, weil er gerade twitterte, wie lausig die neue Folge ist, der hatte eine zweite Chance. Wenig später sieht die Gruppe das bekannte Bild „The Evolution of Man“, das die Entwicklung unserer Spezies vom Affen über die ersten Hominiden zum aufrecht gehenden Homo Sapiens darstellt. Aber zuletzt sieht man einen Untoten und Gabriel haut den Oneliner „Intelligent Design!“ raus.
Humor hatte zuletzt gefehlt. Nun ist er zurück, aber man darf wetten, dass die Nörgler (in den USA mittlerweile Grumbler genannt) dies als zu intellektuell zurückweisen werden. The Rolling Stone, ohnehin bekannt für schwernachvollziehbare Tiraden, nannte die Szene
„gezwungen“ und wetterte: „Überhaupt: The Walking Dead eine Philosophie zu verpassen, das erfolgt etwas spät.“ Abgesehen davon, dass es (im Gegensatz zu Deutschland) in den USA eine professionelle akademische Debatte über die Philosophie in TWD gibt, scheinen die hippen Jungredakteure im Stone eher wenig mit Recherchen am Hut zu haben. Wohl wissend, dass dies in der faktenfreien Zeit ohnehin nicht mehr gefragt ist.

Keineswegs berechenbar war dann der Rest der Episode, in der der Tod eines Jungen eine folgenschwere Kette von Ereignissen auslöst, die am Ende zu einer Palastrevolution in Hilltop führt, bei der Maggie (auch Lauren Cohan wird die Serie verlassen) fast das Opfer eines Mordanschlags von Ex-Leader Gregory wird. Der legte zwar nicht selbst Hand an, sondern hatte wieder einmal kräftig getrickst und manipuliert, bekam dann aber persönlich zu spüren, dass Maggie in ihrer Rolle als mittlerweile demokratisch gewählte Anführerin von Hilltop nicht sonderlich zimperlich ist.


Und wieder hatte eine Figur den TWD-Kosmos verlassen, laut Rolling Stone
„die einzige Figur, die (...) noch unterhielt.“ Wichtiger als diese abstruse Bewertung einer Figur, die man in den letzten beiden Staffeln nur am äußersten Rand des Geschehens wahrnehmen konnte, war aber, dass die gradlinig inszenierte Startepisode zu den Wurzeln der „Walking Dead“-Philosophie zurückgekehrt ist. Nämlich zu den Fragen, wie man in der Post-Apokalypse mit Verlusten umgeht, wie man sich definiert und welche Werte man für erhaltenswert hält und welche man über Bord wirft. Und wie sich menschliche Beziehungen ändern können, wenn sie traumatischen Erfahrungen ausgesetzt waren. Dass dem Neubeginn eine Auseinandersetzung mit eben diesen Traumata im Wege stehen wird, zeichnete sich ab.


Vergangenheitsbewältigung und ökonomische Probleme

Während also Daryl (Norman Reedus) den alten Zeiten nachtrauert und damit die kleine Gruppe meint, die Terminus und andere Dinge gemeinsam bewältigt hatte („Damals war alles möglich“), hat ihm Rick den Job verpasst, das Sanctuary auf Vordermann zu bringen. Daryl als Projektmanager. Klappen kann das nicht, denn „da draußen“ ist er aus seiner Sicht besser aufgehoben. Allerdings auch, weil die überlebenden Saviors im Gegensatz zu den anderen Communitys nicht in der Lage sind, sich ihren Lebensunterhalt ohne Gewalt und Terror zu sichern. Sie feiern Rick zwar wie einen Kriegshelden, aber an ein verdrecktes Fenster hat trotzdem jemand mit Farbe hingekritzelt, dass alle noch Negan sind. Das ist der große, dunkle Schatten, der über allem hängt.

In „A New Beginning“ geht es also immer noch um Vergangenheitsbewältigung. Gleichzeitig ist der Blick nach vorne ist belastet, denn die drei Communitys Alexandria (wieder neu aufgebaut), Hilltop und das Sanctuary haben schlicht und einfach ökonomisch unterschiedliche Interessen. Das wird zwangsläufig zu Verteilungskämpfen führen, denn die Saviors
müssen auch aufgrund ihrer Defizite beim Wiederaufbau als Sozialfälle quasi durchgefüttert werden. Und so weist Maggie am Ende Rick ohne weitere Debatte in die Schranken: Hilltop wird nichts mehr für die Saviors tun, wenn diese nicht zu Gegenleistungen fähig sind.
Und sie zieht auch eine andere Grenze zu dem Freund vergangener Tage: „“When we were fighting the Saviors, you said you’d be the one following me. But you didn’t. Because I wasn’t someone to follow. That changes now.” 


TWD ist nicht „Unsere kleine Farm“

Insgesamt konnte man mit dem deutlich verbesserten Erzählniveau (etwas, was „Fear the Walking Dead“ unter der Leitung von Scott M. Gimple kräftig abgewirtschaftet hat, auch wenn eingefleischte TWD-Hater dies leugnen werden) rundum zufrieden sein, denn auch die diskreten Ideen zeigten, dass Angela Kang offenbar ein Konzept hat. Etwa wenn man beiläufig mitbekommt, dass Ezekiel und Carol ein Paar sind (was Daryl zumindest etwas länger zusammenhängend sprechen lässt -- zustimmend übrigens!), oder wenn Michonne völlig unpathetisch vorschlägt, dass die drei Gemeinden endlich so etwas wie eine Verfassung benötigt. Das ist ein Stück Americana und erinnert ein wenig ironisch an die Gründungsväter des Landes.
Nur am Rande: Von Negan war in der Season-Premiere wie erwartet nichts zu sehen. Die retardierenden Erzähltricks der Serienmacher haben sich nicht geändert. Das wird aber nicht so bleiben, denn TWD wird nicht zeigen, wie man eine soziale Marktwirtschaft etabliert und Handelsrouten ausbaut. "The Walking Dead" erzählt von der Post-Apokalypse und bald werden die Whisperer vor den Toren erscheinen.
TWD ist also nicht „Unsere kleine Farm“ und bald werden wieder düstere Wolken auftauchen, aber erzählerisch hat sich die Tonalität der Serie spürbar erholt. 
Ob dies auch den Quoten gelingt, ist ein anderes Thema. Immerhin reagierten die Kritiker enthusiastisch. 95% waren laut Rotten Tomatoes begeistert oder zumindest sehr zufrieden mit „A New Beginning“. Jeff Stone schrieb bei IndieWire: „The premiere isn’t called A New Beginning for nothing“ und gab dem „fresh start“ eine Bewertung von A-. Und das Online-Magazin TVLINE ermittelte bei den Zuschauern 87% Zustimmung, wobei über 30% der Zuschauer den Serienauftakt mit „awesome“ (großartig) bewerteten. Alles Weitere ist offen.

Update

Am 14. Oktober lief „The Bridge“. Die zweite Episode der 9. Staffel zeigte erneut, dass TWD auf dem richtigen Weg ist. Back to the roots bedeutete: keine pathetischen Comic-Dialoge, eine charakterorientierte Storyline und ein moderates Tempo, das sich an den Figuren und weniger an einer Action War-Handlung orientierte. Nachdem die Kritiker der großen Blätter und Online-Magazine in den USA erneut sehr positiv auf die Arbeit von Angela Kang reagierten, wartete man gespannt auf die Quoten. Und damit sind wir schon mittendrin im Dilemma.
Die Live-Quoten wurden am 16.10 veröffentlicht - und TWD hatte erneut Zuschauer eingebüßt. Diesmal über eine Million. Die Serie sackte unter die 5 Mio.-Grenze. Nur eine Folge aus der ersten Season hatte weniger Zuschauer. Und man musste einräumen, dass man schon längst nicht mehr gelassen über Stärken und Schwächen der Serie schreiben konnte. Man musste die Quoten kennen! Genau das ist das Dilemma.
Zeitgleich wurden auch die Live +3- Ratings veröffentlicht. Danach wurde deutlich, dass die bereits lange zuvor geäußerten Warnungen vor dem Niedergang des linearen TV nicht in den Wind gesprochen waren. Immer mehr Zuschauer konsumieren ihre Contents anders als vor Jahren. Im Falle von TWD bedeutete dies, dass 2,6 Mio. Zuschauer, also mehr als ein Drittel der Live-Zuschauer, die erste Episode zeitversetzt gesehen hatten. Insgesamt 8,7 Mio. US-Amerikaner hatten also die erste Episode gesehen.
Das war in der 8. Season nicht anders. Dort waren der Anteil der DVR-Quoten streckenweise noch höher. Die Zahlen der „Total Viewers“ lagen aber immer noch im zweistelligen Bereich. Das scheint nun auch vorbei zu sein.

Fazit: Auch der spürbare Qualitätsanstieg der Serie und Angela Kang rettet das Flagschiff von AMC offenbar nicht vor dem Trend. Der zeigt gnadenlos das Fortschreiten des Niedergangs an. Das kann man nicht mehr schönreden.

Und die Ursachen? Ich habe bereits in der Vergangenheit einiges darüber geschrieben. Ist man in diesen Tagen in den US-Foren unterwegs, erfährt man viel über die alten und noch mehr über die neuen Gründe. Ich wage mal eine Hypothese - oder besser gesagt gleich mehrere.

1. Die Macher um den alten Showrunner Scott M. Gimple sind an ihrer Arroganz gescheitert. Sie glaubten offenbar, dass die Zuschauer alles akzeptieren, was ihnen vorgesetzt wird. Tatsächlich aber haben viele Zuschauer bis heute nicht den Fake-Tod von Glenn und seine brutale Hinrichtung mitsamt der Exekution von Abraham verkraftet. Auch der Tod von Carl (in den Comics weiterhin eine Schlüsselfigur) wurde als sinnfrei eingeschätzt, weil die Figur als legitimer Nachfolger von Rick erlebt wurde. Mit dem Ausscheiden von Andrew Lincoln und Lauren Cohen (vieleicht erfährt man in einigen Jahren, warum Lincoln tatsächlich ausgestiegen ist; immerhin hat der Darsteller mittlerweile verkündet, dass er als Regisseur zu TWD zurückkehren will) verschwinden zwei weitere Schlüsselfiguren, wobei die Vater-Sohn-Geschichte von vielen als zentraler Topic eingeschätzt wird, ohne den die Serie nicht mehr funktionieren kann. Fazit: Zuschauer investieren emotional eine Menge in die Schlüsselfiguren einer Serie. Kirkmans Credo, dass jeder zu jedem Zeitpunkt sterben kann, wird offenbar von einem Teil der Zuschauer nicht akzeptiert.

2. Qualität rettet nicht (mehr). Man kann vermuten, dass Zuschauer, die in der 7. Staffel ausgestiegen sind, nicht mehr neu einsteigen, auch wenn sich die Kritiker lobend die Finger wundschreiben. Und mit der Rückkehr zu einer ambionierten Erzählqualität hat man offenbar eine Zielgruppe adressiert, die sich längst aus der Serie zurückgezogen hat.

3. Sehr viele Beiträge in den US-Foren drehen sich um die Ankündigung von AMC, dass das Franchise mit Spin-offs und Kinofilmen erweitert werden soll. Eine nicht geringe Anzahl von Zuschauern, auch der verbliebenen, tendiert eher dazu, dass eine Serie zu einem vernüftigen Ende geführt wird. Die Ankündigung, dass TWD noch zehn Jahre und länger laufen soll, wirkt daher  abschreckend. Erst recht, als AMC CEO Josh Sapan vor einem Jahr ankündigte, dass TWD so gut sei, dass die Serie noch 20, 30 oder gar 50 Jahre weiterlaufen könne. Fazit: Networks und auch die kreativen Macher sollten das sogenannte Involvement, also die Gründe für die Motive und die Anteilnahme der Zuschauer, gründlicher untersuchen. Vermutlich ist das nicht geschehen. Vermutlich hätte man auf diese Weise erfahren, warum die 97%-Quote bei den Reviews auf Rotten Tomatoes die besten sind, die es für TW gegeben hat, während die aktuellen Quoten dies nicht einmal ansatzweise widerspiegeln.