Samstag, 19. November 2016

Show Me a Hero

In Yonkers nahe New York sollen 1987 insgesamt 200 Sozialwohnungen für zumeist farbige Bewohner aus dem berüchtigten Southwest gebaut werden. Ausgerechnet im Northeast, einem Stadtteil, in dem die Bewohner der weißen Mittelschicht angehören. Die Wutbürger gehen auf die Straße, es gibt Ausschreitungen. Die Politaffäre kostet den jungen Lokalpolitiker Nick Wasicsko nicht nur die Karriere als „jüngster Bürgermeister der USA“.

Er steht vor dem Spiegel und übt, was er sagen will: für die Medien, für den Stadtrat. Mal sachlich, mal teilnahmslos, dann enthusiastisch. Nick Wasicsko (Oscar Isaac) will als neuer Bürgermeister auch ein guter Politprofi sein. Dabei ist der junge Mann mit dem kurzen Schnauzbart eigentlich der nice guy von nebenan, der mit gerne mit seiner Freundin Nay (Carla Quevedo) knuddelt und sich ein altes Haus auf dem Berg wünscht. Von hier aus könne sie, sagt er, abends das Licht in seinem Büro sehen. Einige Wochen später wird er Todesdrohungen von besorgten Bürgern erhalten. Die schillernde Seifenblase ist geplatzt.



Die 2015 von HBO gesendete Serie „Show me a Hero“ nimmt nicht nur die Entstehung einer populistischen Bewegung aufs Korn, sondern erzählt auch vom Scheitern eines Mannes, den das brutale Polit-Business auffrisst. Das hatte vor einem Jahr prophetische Qualität und kann heute nicht nur als Modell der aktuellen US-Wahl 2016 interpretiert werden. Das Meiste, was die Wutbürger von Yonkers von sich geben, hören wir mittlerweile fast unverändert auch hierzulande. Es geht um den kulturellen Clash und es sind die Fremden, die Andersfarbigen, die eine Gefahr für die eigene Lebensweise sind: ökonomisch, rassisch und sozial. 

Warum, das stellte der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller kürzlich fest, als er einen Witz erzählen wollte: „Alkohol, Suff, Drogen, Frauen“ seien die Eigenschaften des ‚afrikanischen Mannes’. Vor Jahren nicht einmal im Bierzelt möglich, ist dies mittlerweile für eine wachsende Minderheit zum Common Sense geworden. (Diese Passage basiert auf einer Aussage Müllers, die in einigen Medien zitiert wurde, ohne den Kontext zu beachten. Ich habe leider nicht gründlich recherchiert und entschuldige mich für diese Form der Wiedergabe, vgl. auch Endnote)
David Simon brachte es auf den Punkt: „Show Me a Hero“ sei eine Allegorie, die eine Unfähigkeit der Menschen beschreibt – sie wollen nicht teilen. Eher seien sie bereit, eine Kommune zu zerstören und elementare Regeln des zivilen Codex zu opfern. In der neuen HBO-Serie werden die Ängste der Weißen von Populisten manipuliert, die nicht nach Lösungen suchen, sondern gleich ‚das System’ frontal angreifen. Das hört sich vertraut an.


Komplex wie „The Wire“, aber ohne Action

Genau dies geschah 1987 in Yonkers. Im Rahmen eines Desegregations-Projekts (Aufhebung der Rassentrennung) sollen in wohlhabenden weißen Stadtteilen sehr aufgefächert 200 Sozialwohnungen für poor people gebaut werden. Das Ziel: die Aufhebung der Segregation in Wohnvierteln und Schulen, die auch in Yonkers jahrzehntelang praktiziert wurde. Nach einem Urteil des Supreme Courts begann die Desegregation in den Vereinigten Staaten erst in den 1960er Jahren. Fast 30 Jahre später erreicht sie auch Yonkers.

In „Show Me a Hero“ darf man wie auch in anderen Serien von David Simon keine Helden erwarten, dafür aber ein dichtes Geflecht von Personen, die alle relevanten sozialen und politischen Spannungsfelder repräsentieren. Das ist nicht einfach zu erzählen. Die Vielzahl der Akteure führt zwangsläufig zu einer Fragmentierung der Handlung. In vielen kurzen Sequenzen werden Figuren eingeführt, deren Bedeutung für das Thema erst im Laufe der einzelnen Episoden pointiert zu erkennen ist. Das komplexe Narrativ von
„Show Me a Hero“ fügt im letzten Drittel der sechsteiligen Miniserie die politischen Ereignisse und die Backstorys zusammen. Nach dem gleichen Prinzip funktionierte auch „The Wire“. Das fordert den Zuschauer und es ist am Anfang tatsächlich auch nicht ganz einfach.

Oscar Isaac („Ex Machina“, „X-Men: Apocalypse“) erhielt für seine Rolle als 28-jähriger Bürgermeister Nick Wasicsko bei den Golden Globe Awards 2016 die Auszeichnung als ‚Bester Hauptdarsteller (Miniserie/Fernsehfilm)’. Das passt. Fast alle Figuren basieren auf realen Vorbildern, das ist nicht einfach zu spielen, aber das exklusive Darstellerensemble überzeugt bis in die letzte Nebenrolle.

Die Handlung basiert dem gleichnamigen Buch von Lisa Belkin (1999): Nick Wasicsko gewinnt völlig 1987 völlig überraschend die Bürgermeisterwahl gegen den Republikaner Angelo R. Martinelli (Jim Belushi), der nach seiner Niederlage recht entspannt seinem Nachfolger vorzeitig sein Büro überlässt. Martinelli, der fast zwei Dekaden die Politik in Yonkers bestimmte, weiß, dass seinem Nachfolger eine qualvolle Sisyphos-Arbeit bevorsteht. Im Rahmen der Desegregation sollen in Yonkers 200 Sozialwohnungen für Farbige gebaut werden. 

Im Wahlkampf hatte sich Wasicsko ablehnend verhalten und damit auch die Wahl gewonnen. Im Amt erkennen er und seine Berater schnell, dass der verantwortliche Richter Leonard B. Sand (Bob Balaban) eine kompromisslose Durchsetzung verlangt. Aus dem lokalen Konflikt wird eine Verfassungsfrage. Sand schmettert alle Einsprüche ab, die Bevölkerung verwandelt sich in einen wütenden Mob. Als Wasicsko auch vor dem Obersten Gerichtshof scheitert, wird ihm klar, dass an der Rassentrennung in Yonkers kein Weg vorbeiführt. „Das wird er nicht überleben“, kommentiert dies sarkastisch der Bürgerrechts-Anwalt Michael H. Sussmann (Jon Bernthal, „The Walking Dead“), der in dem Streit die NAACP (National Association for the Advancement of Colered People) vertritt.

Der Konflikt spaltet schnell den Stadtrat von Yonkers. In den öffentlichen Sitzungen verhindern schreiende Bürger mit einer Lärmkulisse jedweden Diskurs. Angeführt von dem populistischen Henry J. „Hank“ Spallone, den Alfred Molina als ruppigen und prolligen Opportunisten spielt, spricht sich der Stadtrat mehrheitlich gegen die liberale Wohnpolitik aus, obwohl in den nicht betroffenen Stadtteilen eine mehrheitliche Zustimmung erkennbar ist. Richter Sand überzieht die Stadt sofort mit rigorosen Geldbußen. Sie beginnen mit einem Bußgeld von 100 Dollar – und die Summe wird täglich verdoppelt. Den sich verweigernden Stadträten wird das Gefängnis angedroht. Yonkers stößt mit den täglich fällig werdenden Bußgeldern schnell in Millionenbereiche vor und steht unmittelbar vor der Pleite. Kommunale Leistungen sollen gestrichen werden, Tausende Mitarbeiter der Verwaltung stehen vor der Entlassung. Wenn es Action in „Show Me a Hero“ gibt, dann besteht sie aus Zahlen und Fakten.


Die Dynamik des Rassen- und Klassenkampfes

Geschrieben wurde die Miniserie von David Simon („Homicide: A Year on the Killing Streets“, NBC 1991; „Homicide: Life on the Street“, NBC 1993-1999; „The Corner“, HBO 1997; „The Wire“, HBO 2001-2008; „Generation Kill, HBO 2003; „Treme“, HBO 2010-2013; „The Deuce“, HBO 2016, Sendetermin unbekannt) und dem Journalisten William F. Zorzi (bis 2002 Journalist bei der „Baltimore Sun“). Zorzi arbeitete fast ein Jahrzehnt an der Entwicklung des Stoffes, auch während seiner Mitarbeit als Scriptwriter für „The Wire“.

Der Aufwand hat sich gelohnt. „Show Me a Hero“ ist ein vielschichtiges Drama, das nicht etwa die Wutbürger abwatscht und die Bürgerrechtler zu Ikonen stilisiert. Die Serie ist im positiven Sinne so ambivalent wie die Menschen, die sie zeigt.
Die empörten Wutbürger von Yonkers repräsentiert Mary Dorman (Catherine Keener). Die Mittfünfzigerin unterstützt lautstark die „Save Yonkers Federation“. Die Motive dieser Bewegung scheinen zunächst rein ökonomischer Natur zu sein: die Bürgerproteste richten sich gegen den Wertverfall der Immobilien, der nach einem Zuzug von farbigen und puertoricanischen Problembürger droht. Zudem wird ein Import von Drogen- und Bandenkriminalität befürchtet. Mary Dorman, die extrem militante Frau aus der weißen Mittelschicht, erkennt zunehmend, dass sich hinter den ökonomischen Argumenten und der Furcht vor sozialen Problemen auch ein explizit rassistischer und sogar antisemitischer Hass verbergen. Sie wird nachdenklich.
Das wird geschickt erzählt. Die von Catherine Keener
beeindruckend gespielte Aktivistin der bürgerlichen Gegenbewegung steigt im letzten Drittel der Serie sogar zur heimlichen Hauptfigur auf, als Robert Mayhawk (gespielt von Clarke Peters, der in auch in „The Wire“ in einer Schlüsselrolle zu sehen war) als Vertreter der Housing Education Relocation Enterprise (H.E.R.E.) die Integration der neuen Nachbarn in den Sozialwohnungen vorantreibt und die schärfsten Kritiker in Einzelgesprächen bearbeitet. Er zieht auch die misstrauische Mary Dorman auf seine Seite. Mary wird am Ende die Letzte sein, die sich in der Integrationsarbeit engagiert, auch nachdem die Stadt die Mittel für H.E.R.E. gestrichen hat. Eine Wandlung vom Saulus zum Paulus, die ohne moralisierenden Zeigefinger erzählt wird.

„Show Me a Hero“ präsentiert die wütenden Bürger von Yonkers nicht durchweg als tumbe Nazis und Rassisten. Regisseur Paul Haggis zeigt auch das Leben in den slumähnlichen Vororten und dies scheint alle Ängste zu bestätigen. Die Verhältnisse in den armen Stadtvierteln von Yonkers spiegeln genau das wider, was die Bürger von der neuen Wohnungspolitik befürchten: Schüsse auf den nächtlichen Straßen, Gewalt, Kriminalität, Drogenhandel. 
Selbst kleine Klinder entsorgen auf den Spielplätzen die herumliegenden Spritzen fachgerecht im Mülleimer.
Dass dies das Ergebnis einer sozial und ethnisch gespaltenen Gesellschaft ist, die ihre  Probleme auch deshalb nicht lösen konnte, weil die öffentliche Wohnungspoltik in dern USA im vergangenen Jahrhundert nur ein Ziel kannte: Rassentrennung. Schwarze konnten nur in bestimmten Vierteln wohnen, sie durften keine Häuser kaufen oder nur zu schikanös überteuerten Preisen. Die farbige Bevölkerung, aber auch die Mitglieder anderer Ethnien, landeten in den Innenstädten, die Ghettoisierung war nicht aufzuhalten. Der sozialhistorische Hintergrund erreicht die Zornigen von Yonkers aber nicht: Angst ist nur selten durch Reflexion zu besänftigen. Erst recht nicht, wenn ihre Forderungen jahrzehntelang der Kern der staatlichen Wohnpolitik gewesen sind.
„The Wire“ hat dies bereits schlüssig thematisiert: Polizei- und Stadtverwaltung, Sozialarbeiter und Schulen, aber auch die Medien sind ohne den Mut zu unkonventionellen Lösungen zum Scheitern verurteilt. In Yonkers ist den empörten Bürger aber der politische Kurswechsel in den öffentlichen Wohnungspolitik herzlich egal. Zwischen Populismus und historischer Aufarbeitung gibt es keine diplomatischen Beziehungen.

Die Schicksale, von denen „Show Me a Hero“ erzählt, erstrecken sich über einen Zeitraum von mehreren Jahre. Und sie führen vor, dass es schwer ist, dem Milieu zu entkommen, wenn politische gewünschte Strukturen zu Armut, fehlender Bildung und erlernter Asozialität führen. Das Ergebnis ist völlige Perspektivlosigkeit. Zum Beispiel bei der jungen Farbigen Billie (Dominique Fishback), die nicht zur Schule gehen will und bereits so desozialisiert ist, dass sie einfache Jobs nicht mehr bewältigt. Sie lässt sich mit einem weißen Kleinkriminellen ein und wird mehrmals schwanger. Und da ist auch die junge Farbige (Natalie Paul), die an ihrem sozialen Abstieg verzweifelt und drogenabhängig wird. 
Andere wehren sich gegen den fatalen Kreislauf von Milieu und Verhalten. Zum Beispiel junge Mutter Carmen (Ilfenesh Hadera), die trotz harter Arbeit finanziell nicht in der Lage ist, die Erziehung ihre Kinder zu stemmen. Und da ist auch die farbige Norma O’Neal (LaTanya Richardson Jackson), die als Krankenschwester für eine Pflegedienst in den Problemvierteln gearbeitet hat und nach dem Verlust ihrer Sehkraft berufsunfähig ist. Perfiderweise wagt sich nun aus Angst kein Pflegedienst in ihren Stadtteil. Diesen Job hat sie selbst jahrelang gemeistert. Verlassen will sie ihr gewalttätiges Umfeld nicht: ein Leben unter Weißen, die sie hassen, ist unvorstellbar. Am Ende geht sie doch. 


Zeig mir einen Helden und ich schreib dir eine Tragödie

Der Titel der Serie bezieht sich auf einen Aphorismus des amerikanischen Romanciers Francis Scott Fitzgerald („The Great Gatsby“). Er trifft ins Schwarze. Ein heroischer Sieg gelingt auch Nick Wasicsko nicht. Zwar organisiert er im Stadtrat eine Mehrheit für die Sozialwohnungen, aber das nur, weil einigen Stadträten klar wird, dass der drohenden Finanzkollaps der Stadt auch die Existenz ihre persönlichen Freunde vernichten wird.
Beinahe folgerichtig gewinnt der Populist „Hank“ Spallone die nächste Wahl und wird neuer Bürgermeister. Seine Wähler müssen nach der Wahl allerdings erkennen, dass sie von dem Politkarrieristen getäuscht worden sind. Auch Spallone kann nichts gegen die Bundespolitik ausrichten. Er hat lediglich Ängste geschürt und seine Anhänger manipuliert. Sein Programm kann er nicht umsetzen und an den Häuser, die in verschiedenen Stadtteilen aus billigen Fertigbauelementen zusammengezimmert werden, stehen bald Parolen: „Nigger“, „KKK“ (Ku-Klux-Klan). Kurz danach explodiert eine Rohrbombe in dem Viertel. Und als die ersten neuen Nachbarn nach einer öffentlichen Verlosung der Wohnungen endlich einziehen können, schlägt ihnen unverhüllter Hass entgegen.

Nick Wasicskos persönliche Tragödie lässt sich indes nicht aufhalten. 1991 erhält er zwar den „John F. Kennedy Profile in Courage Award“, eine Rückkehr in die Politik scheitert aber mehrfach. Wasicsko tritt auf Anraten der Partei nicht zur nächsten Bürgermeisterwahl an und wird wieder Stadtrat. Als er von Spallones Nachfolger geschnitten wird, verzettelt sich Wasicsko in politische Intrigen. Sie führen zur direkten Konfrontation mit seiner besten Freundin Vinni Restiano (Winona Ryder), der Präsidentin des Yonkers City Council. Schließlich schlägt das System zurück und spuckt Wasicsko gnadenlos aus.

Stilistisch eher unauffällig haben David Simon und Paul Haggis zur Musik von Bruce Springsteen und Public Enemy ein Drama rekonstruiert, das in den USA Schlagzeilen gemacht hat. Nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen. 
Die rechtlichen und kommunalpolitischen Hintergründe sollten den Zuschauer aber nicht abschrecken. „Show Me a Hero“ ist durchweg ein spannender Ensemblefilm, in dem nicht nur Oscar Isaac, Alfred Molina, Bob Balaban und Catherine Keener darstellerisch glänzen. 

Dass die Serienmacher sehr stark auf das Privatleben der Schlüsselfigur Nick Wasicsko fokussieren, lässt seine politischen Aktivitäten etwas verschwommen erscheinen. Aber wenn man ihn häufig am Grab seines Vaters über seine Probleme philosophieren hört, wird Politik zumindest als etwas erlebbar, in das man freiwillig nicht geraten sollte. Da kann man sich schon mal auf Friedhöfen ausgesprochen wohl fühlen.


Abseits dieser Metaphorik zeigt die HBO-Serie aber mit analytischer Zielsicherheit, dass die mediale Aufarbeitung der Geschichte von Yonkers keine Reise in die Vergangenheit ist. Zu universell und brandaktuell sind die Reflexe der wütenden Bürger. Als Zuschauer dabei lediglich eine distanziert-analytische Haltung einzunehmen, ist beinahe unmöglich. Denn Yonkers könnte auch in Sachsen liegen.

 


Ein Quotendesaster – von den Kritikern gefeiert, aber keiner schaut zu: Tiefschlag für das Quality TV

HBO hat mit „Show me a Hero“ auch deshalb einen Volltreffer gelandet. Die von Showrunner David Simon geschriebene und von Paul Haggis („Crash“) ins Bild gesetzte Miniserie ist Qualitätsfernsehen par excellence. Die Miniserie ist explizit politisch und daher komplex; sie ist hervorragend recherchiert, ergreift zwar Partei für die liberale Rassenpolitik, ist aber nuanciert genug, um die damit verbundenen Probleme zu zeigen.
Nur formal kann „Show me a Hero“ nicht durchgehend überzeugen. Über 300 Sprechrollen mussten verarbeitet werden und herausgekommen ist dabei eine Montage, die mit schnellen kurzen Sequenzen immer wieder Schauplätze und Figuren wechselt. Dabei wirken nicht alle Übergänge motiviert und einige Szenen, die einen intensiveren Fokus verdient hätten, werden abrupt beendet. Einen überzeugenden Schnittrhythmus besitzt „Show Me a Hero“ nicht.

Zum Qualitätsfernsehen gehören Glanz und Elend. Den Glanz müssen sich die Zuschauer hart erarbeiten, das Elend des Quality TV ist einfacher zu beschreiben: komplexe Sujets zu erzählen, ohne formelhaft und didaktisch zu werden, ist eine Herausforderung, und nur wenige wollen sehen, ob dies gelingt. 
In den USA erreichte „Show Me a Hero“ regelmäßig weniger als 500.000 Zuschauer. Für HBO keine ungewöhnliche Erfahrung. Auch „The Wire“ war kein Quotenhit.
Die Kritiker waren von der HBO-Serie restlos begeistert. Bei „Rotten Tomatoes“ lag die Quote der positiven Reviews bei 96%. Mobilisiert hat dies die Zuschauer aber nicht. Auch das deutsche Feuilleton, angeführt von der FAZ, feierte die Serie, die nicht einmal ein der deutschsprachigen Wikipedia einen Eintrag erhalten hat.
Auch das ist Glanz und Elend: „Show Me a Hero“ gehört zu den besten Serien der letzten Jahre. Anschauen werden sich das Ganze wohl nur wenige.




Endnote



In der F.A.S. (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) wurde Gerd Müller weitgehend von den Rassismus-Vorwürfen entlastet. Ich habe diese Quelle durch weitere Recherchen geprüft. Müller hat auf einer Arbeitstagung von CDU und CSU eine längere Rede zu verschiedenen entwicklungspolitischen Themen gehalten. In diesem Kontext trat er für eine Politik ein, die besonders die Emanzipation der afrikanischen Frau in den Fokus stellte. Zudem brauche die Jugend in Afrika Bildung
Bei der ungleichen Arbeitsverteilung von Männern und Frauen auf dem afrikanischen Kontinent bezog sich Müller auf eine Studie der NIKE Foundation“ (2009), aus der hervorging, dass es überwiegend die afrikanischen Frauen seien, die ökonomisch die Hauptarbeit leisten, tatsächlich aber weniger Rechte besitzen als die Männer. Mit anderen Worten: Frauen verwalten die Haushaltskasse besser, und zwar im Interesse der Familie. Der afrikanische Mann investiere dagegen nicht in Bildung und Zukunft. 
In der Heute Show“ wurde ein Ausschnitt der Rede präsentiert, isoliert und aus dem Kontext genommen. So fehlte Müllers Ergänzung: Bei uns ist das auch nicht anders“. 
Ob man diesen Witz erzählen muss, ist eine Sache. Dass man ihn im Kontext zitieren muss, ist die andere. Da Müller nicht nur den afrikanischen Mann, sondern auch explizit den deutschen ins Visier nahm, macht ein Bashing wegen Rassismus unmöglich. 
In den Foren wurde das aufmerksamer kommentiert. So berichteten viele Leser in der ZEIT, dass in Deutschland vor einigen Jahrzehnten die Frauen ihre Männer abfingen, unmittelbar nachdem sie ihre Lohntüten erhalten haben.
Fazit: Offenbar haben wir es mit einem Fall von erregter Political Correctness zu tun. Das eigentliche Problem ist aber die fehlende Bereitschaft, eine skandalisierte Aussage nachzurecherchieren. Das hat die F.A.S. getan. Andere, zum Teil große überregionale Medien haben stattdessen eilfertig die dpa-Meldung übernommen und damit wortgleich über den Vorgang berichtet. Ein ernstes Problem, denn immer häufiger verzichten personalreduzierte Zeitungen auf eigene Recherchen und übernehmen die Beiträge der Nachrichtenagenturen. Wenn sie zudem auch Kopfzeitungen sind, dann führt dies zu einem Multiplikationseffekt in der Vertikalen - und der Skandal ist da! Und alle schreiben darüber. Nur ist es immer das Gleiche.
Da ich immer versuche, sorgfältig zu recherchieren, habe ich meine misslungene Textpassage nicht klammheimlich entfernt. Ich bin davon überzeugt, dass diese Transparenz etwas zu sagen hat.   
 

„Show Me a Hero“ ist auf DVD erhältlich. Gestreamt wird die Serie von Amazon Video und Sky.

Note: BigDoc = 1,5

Show Me a Hero – USA 2015 – Miniserie (HBO, 6 Episoden) – Buch, Produktion: David Simon, William F. Zorzi, Paul Haggis u.a. – Regie: Paul Haggis – D.: Oscar Isaac, Jim Belushi, Bob Balaban, Jon Bernthal, Catherin Keener, Alfred Molina, Winona Ryder u.a. – Nach dem gleichnamigen Buch von Lisa Belkin (1999)