Freitag, 2. Dezember 2016

Arrival

In Denis Villeneuves neuem Film sehen die Aliens wie Tintenfische aus. Außerdem machen sie ohrenbetäubende Geräusche. Das ist nicht gut, das macht Angst. Wenn im Kino Aliens mit Tentakeln auftauchen, gilt geshalb: Wegballern, danach auf dem Autopsie-Tisch nachschauen, wer das war. Auch die Fake-Aufnahmen aus Roswell zeigen schließlich keine lebenden, sondern tote Aliens. Mittlerweile glaubt ja auch Stephen Hawking, dass wir vorsichtig sein sollten. Denis Villeneuve zeigt uns eine völlig andere Begegnung der dritten Art. 

Es sind zwölf Schiffe. Sie hängen in der Luft wie nach oben weggeklappte Flyling Saucers. Weltraumzigarren, ganz schwarz, was auch gut zu den beinahe farblosen, grauen Bildern von Kameramann Bradford Young („A Most Violent Year“, „Pawn Sacrifice“) passt. Die sind trotz ihrer Tristesse sehr schön, wenn Nebel gezeigt wird, der wie weißes Wasser über die Bergkämme fließt und die schwarzen Zigarren einhüllt. Etwas strange, aber es ist unser Planet, nur hat er plötzlich Besuch bekommen.


Was wir Menschen tun, wenn es soweit ist? Das Kino erzählt es uns. Herumballern! Sci-Fi aus den 1950zigern ließ den Zuschauer vor extraterrestrischen Monstern schaudern. Jahrzehnte später erzählen auch die „X-Files“ von einer dämonischen Welteroberung durch kleine graue Aliens. Reden wir erst gar nicht vom nicht tot zu kriegenden „Independence Day“. 
In der Welt von George Lucas gibt es böse Stormtrooper, aber auch edle Ritter mit Lichtschwertern und dem richtigen Bewusstsein. Sie wollen uns lehren, dass Mystizismus mehr ist als sprachlich konfuses Herumschwafeln. „Star Trek Beyond“ hat sich unter J. J. Abrams künstlerischer Leitung dagegen endgültig von der Philosophie Gene Roddenberrys verabschiedet und zeigt uns epische Raumschlachten mit einer Schwarmintelligenz. Zwar darf sich Mr. Sulo als schwul outen, aber der von Idris Elba gespielte echsenartige Bösewicht Krall hat das Intelligenzniveau eines verhaltensgestörten Zehnjährigen, der alles und jeden im Kosmos umbringen will. 

Offenbar hat das Kino eine universelle Sprache gefunden: glanzvolle Bilder, triviale Geschichten. Und alle fühlen sich angesprochen, sonst würden sie als Zuschauer nicht weltweit Milliarden Dollar berappen. Kaum zu glauben, dass Denis Villeneuve angesichts der Deutungshoheit dieser Bilder Geld für seinen actionfreien Film „Arrival“ zusammenbekommen hat. Hat er aber.


Abbott und Costello treffen ratlose Menschen

Jene, die in den Zigarren stecken und nie ihre Schiffe verlassen, kommen woanders her. Ob sie dort Wolken haben, erfährt man nicht. Im Inneren ihres Raumschiffes sind sie allerdings in eine wolkige Atmosphäre gehüllt, und wenn sie aus dem nebligen Etwas auftauchen, trennt sie so etwas wie eine gläserne Trennwand von den Menschen, die in dicke Schutzanzüge gehüllt vor der Wand stehen. Da alles einen Namen braucht, damit man darüber sprechen kann, nennt man die riesigen Tintenfische einfach Heptapoden (Siebenfüßler). 

Die College-Dozentin Louise Banks geht einen Schritt weiter und tauft die zwei hinter der Wand schwebenden Gastgeber ganz einfach Abbott und Costello. Das waren zwei berühmte Comedians, die Filme wie „Abbott and Costello Meet Frankenstein“ gemacht haben, eher nicht für ihre Intelligenz bekannt waren und jahrelang die Amerikaner im Kino zum Lachen brachten. Privat waren sie eher traurige Gestalten, gesundheitlich angeschlagen, auch spielsüchtig. Es gibt halt keine Clowns, die privat etwas zu lachen haben.
Amy Adams spielt in „Arrival“ keinen Clown, sondern eine Linguistin. Louise Banks ist allerdings auch eine ziemlich traurige Frau. Jody Foster traut man in „Contact“ Mumm und Heldenhaftigkeit von Beginn an zu. Von Amy Adams („Big Eyes“, Batman v Superman: Dawn of Justice“) erwartet man höchstens, dass sie beim ersten Anblick der Heptapoden vor Schreck tot umfällt. Und beinahe kommt es auch dazu.
Ganz am Anfang steht Banks in ihrer Vorlesung über die Ursprünge des Portugiesischen vor nicht einmal einem halben Dutzend Studenten – und die wollen lieber die Breaking News sehen und fummeln gleichzeitig an ihren Smartphones herum. Louise macht den riesigen Flatscreen an und starrt fassungslos auf den Bildschirm. Was sie sieht, sehen wir nicht. Wir sehen nur ihr sprachloses Gesicht.

Regisseur Denis Villeneuve („Prisoners“, „Sicario“) skizziert die Wissenschaftlerin als Spezies der ganz anderen Art: Single, etwas misstrauisch gegenüber Technik. Trotzdem macht sie daheim ihren Fernseher an, aber die Bilder von der Anarchie auf den Straßen, vom weltweit plündernder Mob und von den Massenselbstmorden der irre gewordenen Sekten setzen ihr offensichtlich zu. Gequält wird sie auch von inneren Bildern ihrer sterbenden Tochter Hannah, deren Kopf kahlgeschoren ist und die an einer ganz fiesen Art von Krebs gelitten hat und nun tot ist. Sie sieht aber auch Bilder aus besseren Tagen, etwa wenn Hannah ein merkwürdiges Bild malt und erklärt, was es bedeutet:
Papa und Mama sprechen mit Tieren“. Villeneuve und seinem Kameramann gelingen dabei suggestive Sequenzen, die so aussehen, als sei man in einem Film von Terrence Malick. Sind dies Erinnerungen, oder was sonst?

Dann taucht Forest Whitaker bei Louise auf. Der ist in „Arrival“ wie auch alle anderen gegen sein Rollenimage gecastet worden. Whitaker kann man sich gut als Grübler vorstellen, nun spielt er den US-Colonel GT Weber und muss überwiegend tough sein muss. Whitaker („Ghost Dog“, „Panic Room“) ist meistens aber auf ganz andere Weise tough, als man erwartet. Er kriegt dies auch diesmal gut hin, denn natürlich kommt er pausenlos ins Grübeln: Sein Wissenschaftler-Team muss so schnell wie möglich einen Kontakt zu den fremden Besuchern herstellen. 
Louise Banks, die Weber erst im zweiten Anlauf rekrutieren kann, trifft im Basislager in Montana auf eine Heerschar kompetenter Spezialisten, darunter auch den theoretischen Physiker Ian Donnelly, der von Jeremy Renner („Mission: Impossible – Rogue Nation“, „The First Avenger: Civil War“) gespielt wird. Auch Renner kriegt seine Rolle fabelhaft hin, auch er spielt gegen sein Rollenfach an.

Wie spricht man mit Wesen, von denen man nicht einmal weiß, ob sie überhaupt eine Sprache haben? Immerhin versuchen diese Frage auch andere Nationen zu beantworten, rund um den Globus verteilte Expertenteams. In China, in Australien, im Sudan und anderswo. Noch sind die Staaten miteinander per Video verschaltet, noch tauscht man sich aus. Und regelmäßig öffnen die Heptapoden eine Tür und laden die Besucher zu einem Meeting ein, das im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos macht, denn im Inneren des Raumschiffs funktioniert die Gravitation anders: man fährt in einem Lift nach oben, springt ab und die senkrechte Wand ist plötzlich der Fußboden. Das ist - gelinde gesagt – schon etwas gewöhnungsbedürftig.


Sprechen, ohne zu reden

„Arrival“ basiert auf der Kurzgeschichte „Story of Your Life“ von Ted Chiang. Der 49-jährige amerikanische Autor hat bislang etliche Preise für seine Short Storys eingeheimst, unter anderem den Nebula Award für die Erzählung „Story of Your Life“, die nun 16 Jahre später verfilmt wurde. Unumstritten sind die radikalen Visionen Chiangs nicht, aber so ist es mitunter: der eine schreibt mehr über Science, ein anderer hat Fiction im Sinn. In Chiangs Story geht es darum, dass die Heptapoden zwar eine Lautsprache haben, die Schriftsprache aber wichtiger ist. Sie ist non-linear ist und lässt den, der sie versteht, durch die Zeit wandern. Chiang hat dies mit nicht einfach zu lesenden Tempusüberlappungen geschrieben, ein unkonventioneller Stilist ist er also auch.

Natürlich ist das nicht einfach zu verstehen. Denn die Vorstellung, dass Sprache einen Zugang zur physikalischen Welt bereithält, sogar die Zeit beeinflussen kann, ist spekulativ, befindet sich aber philosophisch betrachtet in prominenter Gesellschaft.
Denis Villeneuve, der sich bislang als Filmemacher dafür interessiert hat, wie seine Figuren in neuen, fremdartigen Situationen Emotionen, Moral und Informationen unter einen Hut bringen, scheint in „Arrival“ davon fasziniert gewesen zu sein, dass Sprache zuallererst bedeutet, dass man denjenigen, der eine andere Sprache spricht, grundsätzlich erst mal nicht versteht. 
Nicht nur für das SF-Genre ein grundsätzliches Problem, denn sollte es tatsächlich dem Seti-Projekt gelingen, ein Alien-Signal in den Tiefen des Alls zu entdecken, so ist an eine flotte Konversation wohl nicht zu denken. Man kann froh sein, wenn man das ganz Andere irgendwie und irgendwann dechiffrieren kann.

Ted Chiang ist weiß Gott nicht der erste Sci-Fi-Autor, der sich mit Sprache beschäftigt hat. Für den polnischen Schriftsteller und Philosophen Stanislaw Lem war dieses Thema von fulminanter Bedeutung – Linguistik und Zeichentheorie sind ein roter Faden in seinen Romanen und wissenschaftlichen Abhandlungen. Erst recht, wenn in seinen Geschichten die ratlosen Menschen versuchen, mit fremden Intelligenzen zu kommunizieren.
In „Solaris“ führt dies den Helden in eine sprachlose Einsamkeit und in Lems 1968 erschienenem Roman „Die Stimme des Herrn“ wissen die Protagonisten am Ende nicht einmal, ob sie gescheitert sind oder doch etwas Unfassbares entdecken konnten. Lems Roman ist eigentlich keiner, sondern ein Vorwand, um mit außergewöhnlicher Schärfentiefe sprachwissenschaftliche und erkenntnistheoretische Fragen auf den Prüfstand zu stellen. Ohne entsprechendes Know-how ist
„Die Stimme des Herrn“ kaum lesbar und daher wohl schon vergessen.

Es gehört also schon reichlich viel Chuzpe dazu, um in unseren Zeiten einen Film zu machen, der ebenfalls randvoll überkonnotiert ist. Dennoch gelingt es Villeneuve in „Arrival“, die Beilagen zum Hauptgericht gut versteckt auf den Teller zu legen und dies alles auch in eine emotional gut funktionierende und durchgehend spannende Geschichte zu packen. Auch wenn sich Villeneuves Film deutlich von üblichen SF-Genrebeiträgen abgrenzt, bleibt alles überschaubar und nachvollziehbar.

Louise Banks darf dann auch ganz konventionell die Welt retten, als alle anderen kurz davor sind, ein paar Atombomben auf die Heptapoden zu werfen. In Montana hat es zuvor bereits einen militärischen Amoklauf gegeben, bei dem eine Bombe in das Raumschiff geschmuggelt wurde. Die Explosion tötet Abbott, Costello kann aber wenigstens das Leben von Louise und Ian retten. Louise erfährt danach von dem eher pazifistisch gesinnten Heptapoden, dass die Siebenfüßler gekommen sind, um der Menschheit ein Geschenk zu machen – ihre Sprache: Heptapodisch. Dafür sollen die Menschen in 3000 Jahren den Heptapoden helfen. Wobei? Louise erfährt es nicht. Sie erkennt aber, dass sie mit Heptapodisch offenbar die Grenzen von Zeit und Raum überschreiten kann: Heptapoden sehen in die Zukunft, sie hat es auch getan, obwohl sie es nicht richtig verstanden hat. Louise begreift nun, dass ihre inneren Bilder als andere als Erinnerungen gewesen sind.
Aber die Ereignisse eskalieren. Als
Louise eine merkwürdige Botschaft der Besucher nicht eindeutig übersetzen kann und die Begriffe „Waffe“ oder „Werkzeug“ denkbar sind, verschärft dies die Situation weiter. Die Chinesen klinken sich aus der Online-Konferenz aus, alles anderen folgen rasch. Man stellt sich auf Krieg ein, denn nur ein toter Heptapode ist ein guter Heptapode. Rettung ist nur möglich, wenn Louise die Alien-Sprache einsetzt, um sich eine Handynummer aus der Zukunft zu besorgen.

„Arrival“ spielt in einem strengem Kosmos nach strengen Regeln

„Arrival“ steht in der Tradition von Filmen wie „Contact“, erinnert auch ein wenig an „Inception“ und „Interstellar“. Filme, die völlig unterschiedlich sind, aber alle eine philosophische oder religiöse Grundierung besitzen. Auch Denis Villeneuves Film ist keine leichte Kost und vermutlich werden einige Zuschauer wütend das Kino verlassen. Keine Action, keine „Stars Wars“-Überwältigungsmaschine. 

„Arrival“ ist so ziemlich das genaue Gegenteil von „Battle of Los Angeles“. Ein spekulativer Film, wissenschaftlich betrachtet sogar eine Provokation. Denn ähnlich wie in Ted Chiangs literarischer Vorlage funktioniert die Geschichte in Villeneuves Film nur dann, wenn man bereit ist, einen vollständig deterministischen Kosmos zu akzeptieren. Und dies ist ein Kosmos, in dem die Kausalität ein rücksichtsloses Regiment führt: alle Ereignisse sind von Beginn an festgelegt.


Geistesgeschichtlich begegnen sich seit dem 17.Jh. in der Debatte über den Determinismus traditionell die Philosophie und die Religion, später warf auch die Theoretische Physik ihren Hut in den Ring. Die Religion hat mit der Lehre von der Prädestination eine denkbar irritierende Interpretation geliefert, die auf Augustinus zurückgeht: Gott hat das Schicksal aller Menschen vor Beginn aller Zeiten festgelegt, ihr gutes oder schlechtes Handeln kann selbstverständlich nichts daran ändern, ob sie der Verdammnis verfallen oder nicht. Nur indirekt, so glaubten zumindest einige Calvinisten, könne man erfahren, ob Gott einem wohlgesonnen ist – ist man im Leben erfolgreich, sei dies möglicherweise ein Zeichen der göttlichen Gnade.
Der Physik erlaubt das deterministische Konzept etwas anderes, nämlich eine formale Stringenz, ohne die eine Beschreibung der Naturgesetze nicht möglich erscheint und die Entwicklung kohärenter Modelle nicht denkbar ist. Dass man alle denkbaren und zukünftigen Zustände berechnen kann, wenn man die Naturgesetze restlos kennt, führte Anfang des 19. Jh. zum Laplaceschen Dämon, einem Gedankenexperiment, in dem ein allwissender Dämon vollständig weiß, was in der Zukunft geschehen wird.
Louise Banks kommt am Ende in „Arrival“ diesem Dämon verdammt nahe und wer am Ende etwas irritiert aus dem Kino geht, weil nun all die Dinge geschehen, an die sich Louise erinnert hat, muss die Kröte schlucken, dass Denis Villeneuve uns listig erzählt hat, wie man sich mit Heptapodisch an die Zukunft „erinnert“. Und dann wird auch (vielleicht nicht jedem) klar, warum in „Arrival“ eine Linguistin die Hauptrolle spielt. Wer neugierig ist, der suche einfach bei Google nach der Sapir-Whorf-Hypothese.

Wer aber humorlos und stur darauf besteht, dass Sprache nun wirklich nicht imstande ist, physikalische Tatsachen zu beeinflussen, geschweige denn auf interaktive Weise mit der Zukunft in Kontakt zu treten, verdirbt sich den Spaß an einem scharfsinnigen Kinoexperiment. Und wenn wir ehrlich sind und unserer Phantasie etwas mehr Freiraum geben, dann werden wir einräumen, dass all die Wortgebäude, die wir brauchen, um unsere Welt zu interpretieren, durchaus dank unsichtbarer Fäden mit der Zukunft verbunden sind. Alles, was wir uns ausdenken, austüfteln und erfinden, wird in Begriffe gefasst und diese führen zu Handlungen. Handlungen haben Konsequenzen. Werkzeug oder Waffe?
„Arrival“ ist intelligentes Kino, ein witziges Gedankenexperiment, das allerdings verschweigt, wie das alles denn tatsächlich funktionieren soll. Was als Beilage allerdings gut schmeckt, ist ein nett verpackter bildsprachlicher Plot Twist. Wenn wir die Erinnerungen von Louise sehen, ist es unvermeidlich, dass wir diese Bilder erst einmal so deuten, wie sie üblicherweise gemeint sind. Ein Flashback ist ein Flashback und kein Flashforward. Kino besitzt seine eigene formale Sprache. Eine Folge von Zeichen, eine Syntax und eine Semantik. Bedeutungen werden im Regelfall auf gewohnte Weise erzeugt, aber wenn sie durchkreuzt werden, spürt man staunend, warum dies mit Kinobildern so verblüffend gut funktioniert.

Das führt garantiert zu langen Grübeleien, wenn man aus dem Kino kommt. „Arrival“ ist aber – auch das sei garantiert – keine pessimistische Reflexion über die Unfähigkeit der menschlichen Spezies beim First Contact. Anders als bei Stanislaw Lem haben sich in
„Arrival“ am Ende alle eine Menge zu erzählen. Auch nachdem die Zigarren wieder im All verschwunden sind. Immerhin haben die Menschen jetzt 3000 Jahre Zeit, um ihre Erinnerungen zu sortieren.



Noten: BigDoc, Klawer = 1,5
 

Arrival · USA 2016 · Laufzeit: 116 Minuten · FSK: ab 12 Jahren · Regie: Denis Villeneuve · Drehbuch: Ted Chiang, Eric Heissere · Kamera: Bradford Young · D: Amy Adams, Jeremy Renner, Forest Whitaker, Michael Stuhlbarg, Mark O'Brien, Tzi Ma, Julian Casey