Dienstag, 27. August 2013

More than Honey

Dokumentarfilm Schweiz, Deutschland, Österreich 2012, Regie: Markus Imhoof, Länge: 90 Minuten, FSK: 0

Fünf Jahre hat der Schweizer Regisseur Markus Imhoof an seinem Film gearbeitet und ihn ziemlich genau vor einem Jahr in die Kinos gebracht. Das Thema alarmiert: weltweit sterben die Bienenvölker aus. Warum, das weiß keiner so genau. Aber die üblichen Verdächtigen stehen bereits Schlange: steigender Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft, Befall durch Parasiten und vieles andere mehr. Imhoofs Dokumentarfilm „More than Honey“ schaut genauer hin und überzeugt nicht durch spektakuläre Bilder, sondern auch durch eine unter die Haut gehende Spannungsdramaturgie: Unsere liebe „Biene Maja“ wird gekillt und nur wenige schauen hin.

Colony Collapse Disorder (CCD) nennt man das unheimliche Geschehen. Auf gut Deutsch heißt dies Völkerkollapsstörung und gemeint ist Folgendes: binnen weniger Tage verschwinden gesunde Bienenvölker spurlos. Und wenn der Imker nachschaut, dann findet er im Stock nur noch die Königin, ein paar Arbeiterinnen, häufig krank, die Brut und einige übrig gebliebene Nahrungsvorräte. Das Bienenvolk aber bleibt verschwunden.


CCD: Den Begriff gibt es seit 2007, als das Phänomen zum ersten Mal in gehäufter Form in den USA auftrat. Dort waren urplötzlich über den Winter 2006/2007 fast 80% der Bienenvölker betroffen. Dabei sind Bienen sind hart, wenn es um Arterhalt und ihre Ressourcen geht: sie töten nicht nur im Winter die Drohnen, sondern entledigen sich auch ihrer kranken Artgenossen. Aber was geschieht, wenn ein ganzes Volk erkrankt? Verschwinden die Bienen, um irgendwo zu sterben? „Kahlfliegen“ nennt man dies, aber mysteriös bleibt es dennoch.

 

Biene Maja wird versklavt

Markus Imhoofs Film geht diesen Fragen nach, aber noch mehr interessiert ihn die Entwicklung von der fast an Liebhaberei grenzenden Privat-Imkerei zur industriellen Massentierhaltung.

Massentierhaltung? Bei Bienen?
Man will es zunächst nicht glauben, aber der 72-jährige Imhoof (u.a. bekannt geworden durch seinen Spielfilm „Das Boot ist voll“, 1980), der zunächst einen traditionellen und vermeintlich harmlosen Imker im Berner Oberland besucht, zeigt schon an seiner nächsten Station, wie das im Großen funktioniert. In den USA werden Jahr für Jahr Tausende von Bienenvölkern zu den großen Mandelbaum-Plantagen gekarrt, um in den riesigen Monokulturen als Zwangsbestäuber eingesetzt zu werden. Am Ende werden sie dann zum Dank mit Pestiziden besprüht, was zumindest ihre Brut eingehen lässt. Das ist sogar den Verantwortlichen zuwider, aber so funktioniere halt der Kapitalismus.

Dann werden die unter industriellen Bedingungen gezüchteten Bienenvölker in Trucks quer durch die USA zu anderen Einsatzorten verfrachtet. Reisestress killt aber viele Völker. Hinzu kommt die abnehmende Resistenz gegen Erreger, die sich in der globalen Bienenindustrie rasch verbreitet. 
Warum? Weil Bienen, so demonstriert Imhoof, durch selektive Zucht die Aggressivität ‚abtrainiert’ wird und die nun handzahm gewordenen Arbeitstiere offenbar anfälliger sind als die wilden Naturvölker. Und so zeigt Imhoof mit sehr drastischen Bildern, dass die erzwungene Sanftheit der Westlichen Honigbiene möglicherweise auch dazu führt, dass sie sich kaum noch gegen Parasiten wie die heimtückische Varroa-Milbe zur Wehr setzen kann.
Der nächste Drehort zeigt die Konsequenzen. In einigen Regionen Chinas sind die Bienen bereits ausgestorben und das Geschäft des Bestäubens wird nun von Menschen ausgeführt, die von Blüte zu Blüte wandern und den Job der fleißigen Bienen in mühsamer Kleinarbeit übernehmen. Absurde, fast niederdrückende Bilder eines aus den Gleisen geratenen Systems.

Ob nun die Rettung der Bienen durch die intensive Forschungsarbeit eines australischen Wissenschaftlerteams möglich wird oder bei der Afrikanisierten Honigbiene (der sog. „Killerbiene“), einem Hybrid aus afrikanischen Bienenköniginnen und europäischen Bienen, zu finden ist, wird nur angedeutet. Sicher scheint, dass die von Imkern wegen ihrer Produktivität geschätzten „Killerbienen“, deren frei lebende Völker sich rasant ausbreiten, der industriellen Sklavenbiene überlegen sind. 

Aber immer wieder kehrt „More than Honey“ zurück ins Berner Oberland, zurück zu dem traditionellen Imker, dessen Familie über Generationen einen Imkerbetrieb geführt hat.
Alles naturbelassen? Idylle pur?
Mitnichten. Der Schweizer Imker zerquetscht vor laufender Kamera eine Königin, die das Ergebnis einer Paarung mit Drohnen aus dem Nachbartal gewesen ist. Das geht so nicht. Er will ‚seine’ Bienenvölker rasserein halten. Und was mit unnatürlicher Inzucht unter Bienen beginnt, setzt sich fort bei zwei Österreicherinnen, die produktionsoptimierte Bienenköniginnen züchten und per Post in die Ganze Welt schicken. Wir lernen: auch dort, wo alles noch ganz nach freundlicher Natur aussieht, hat der Mensch bereits Hand angelegt. 


Viel Lärm um nichts?

Vielleicht wird der Eine oder Andere mit den Achseln zucken: Bienen? Was soll’s. Wenn man Markus Imhoofs Film gesehen, wird man diese Nonchalance schnell verlieren. Dabei ist „More than Honey“ keine zynische Anklage, Imhoof polemisiert auch nicht. Sein preisgekrönter Film (Bayerischer Filmpreis 2013, Deutscher Filmpreis 2013 in der Kategorie „Dokumentarfilm“) kommt ruhig daher, beobachtet scheinbar unparteiisch, lässt Imker in ihrer Ratlosigkeit zu Wort kommen und setzt dann fast beiläufig das unheimliche Puzzle zusammen. 
Am Ende wissen wir etwas mehr über die treuen Honigspender und ihren plötzlichen Tod, der sich vermutlich aus der Summe der kleinen und großen Eingriffe zusammensetzt, die beim traditionellen Imker begonnen haben und sich in der industriellen Massentierhaltung fortgesetzt haben.
In Deutschland soll das große Bienensterben noch nicht stattfinden, aber dennoch gilt, dass die Westliche Honigbiene ohne Antibiotika und sonstige Zugaben schon heute nicht mehr überlebensfähig ist. In den USA ist mittlerweile ein Viertel der über zwei Millionen Bienenvölker gestorben. Mehr als ein Drittel unserer Nahrungsmittel würde es ohne die natürliche Bestäubung der lieben Maja allerdings nicht geben. Das ist kaum weniger beunruhigend als die Finanzkrise, die wir alle wesentlich ernster nehmen.

Quo vadis, liebe Biene? Eins steht fest: Die Zeiten beschaulicher Naturfilme, die man gebannt im Kreise der Familie bewundern kann, sind vorbei. Heute kann man die aktuellen Vertreter dieses Genres keinem Kind mehr zeigen, denn die Kleinen würden anfangen zu weinen. Wohl zu Recht, denn die Eingriffe der mächtigsten Spezies auf diesem Planeten entpuppen sich immer mehr als Vabanque-Spiel mit der Natur. Da hilft auch die Trickfilmbiene Maja nicht weiter.
Und so fragt Imhoof – nicht ganz frei von Mystizismus –, ob die Bienenvölker möglicherweise ein „Super-Organismus“ sind, der imstande ist, intelligente Entscheidungen zu treffen, während wir Industriesklaven aus ihnen machen. Intelligenz ist, so wurde uns eingeredet, ein menschliches Alleinstellungsmerkmal. Zweifel sind allerdings berechtigt, denn die Spezies Mensch scheint dazu nur in der Lage zu sein, wenn die Katastrophe ante portas ist. Allerdings, und das sollte nicht verschwiegen werden, sind wir dazu sehr wohl in der Lage, wie die mittlerweile heiß gelaufenen weltweiten Forschungsinitiativen in Sachen Bienensterben zeigen. Nur passiert eben alles immer „Fünf Minuten vor Zwölf“.

Ob unsere handzahm gezüchteten Bienen zum Tode verurteilt sind, steht also längst noch nicht fest. Am Ende des Films fragt sich Imhoof dennoch, warum denn die Bienen
sich das alles gefallen lassen" und antwortet mit TV-Einspielern von Überfällen der Killerbienen auf Menschen. Zum Glück vertieft er dies nicht weiter, aber man denkt schon ein wenig an Hitchcocks „Die Vögel“. Dort wurde angedeutet, dass unsere fragile Spezies gegen einen konzertierten Angriff der Vögel keine Chance hätte. Die Rache der Bienen würde vermutlich fürchterlicher ausfallen. Sie würden uns ausrotten. Zum Glück passiert so etwas nur im Kino. Oder?

Postscriptum: Im Filmclub gab es für „More than Honey“ 3x die Note Eins. Das ist selten vorgekommen, erst recht bei einem Dokumentarfilm.



Noten: Melonie, BigDoc, Mr. Mendez = 1

Wer sich mit einer kritischen Darstellung des Phänomens auseinandersetzen möchte, kann in DIE ZEIT nachlesen: http://www.zeit.de/2007/22/Bienen/komplettansicht.