Mittwoch, 18. September 2013

The Dead

Kinofilme erzählen nicht nur Geschichten, ihre Entstehung und Verwertung ist gelegentlich spannender als der Film selbst. „The Dead“ gehört in diese Kategorie: als Genrebeitrag ist er nie richtig in die Kinos gekommen, wurde auf Bluray und DVD im englischsprachigen Raum schnell zum Bestseller und kann mittlerweile sogar auf YouTube in HD-Qualität ganz legal angeschaut werden. So erzählt der Film von Howard J. und Jonathan Ford auch etwas über jene Filmdistribution, die fast gänzlich ohne Kino auskommt.

„The Dead“ ist ein Zombiefilm von Howard J. und Jonathan Ford – der erste, der auf dem afrikanischen Kontinent spielt. Gedreht wurde auf 35mm u.a. in Burkina Faso, Ghana und in der Sahara. Das Drehbuch schrieben die Ford Bros. gemeinsam, Howard übernahm die Regie, die Kamera führte sein Bruder Jonathan. Als Hauptdarsteller wurden der Kanadier Rob Freeman (Saving Private Ryan, TV: u.a. The X-Files, The Outer Limits) und der ‚Tom Cruise Westafrikas’, Prince David Osei, gewonnen. Für den bemerkenswerten Soundtrack sorgte Imran Ahmad („The directors wanted there to be a strong spiritual component to the film“).

Bekannt wurden die beiden britischen Filmemacher zuvor durch preisgekrönte Commercials für Nestle, Guiness, Unilever und Proctor & Gamble. Mit „The Dead“ erfüllten sich die beiden Werbespezialisten 2010 nun einen Jugendtraum: “We used to watch a lot of horror movies,” berichtet Howard J. Ford. “George Romeros Dawn of the Dead, Lucio Fulcis Zombie Flesh Eaters and Sam Raimis Evil Dead and they all became instant favorites. They had an incredible impact on us. We watched Dawn of the Dead in a little room above our local fish-and-chips shop and I remember that unnerving feeling on the way home afterwards.“ 

Klar, der eigene Film über Untote musste irgendwann mal her.


Minimalistischer Zombie-Film

Zwanzig Jahre später erzählen die Fords die Geschichte des US-Air Force Ingenieurs Brian Murphy (Rob Freeman), der als Einziger einen hektischen Evakuierungsflug überlebt: das Flugzeug stürzt an der westafrikanischen Küste ab und Murphy muss sich durch eine lebensfeindliche Landschaft voller Zombies kämpfen. Ringsherum sind die Dörfer bereits verwüstet, das Militär ist auf dem Rückzug. Murphy macht einen Pickup flott und versucht, eine weit entfernte Militärbasis zu erreichen. Während einer Autopanne wird er von dem afrikanischen Sgt. Daniel Dembele (Prince David Oseia) vor Zombies gerettet. Nach anfänglichem Misstrauen setzen die beiden Männer die Fahrt gemeinsam fort. Dembele ist desertiert und sucht seinen Sohn, der möglicherweise einen Zombieangriff auf sein Heimatdorf überlebt hat. Die Odyssee beginnt.

Das alles hört sich nach einem Romero-Plot an. Ist es auch, nur ein wenig schlichter, was sicher auch dem Budget geschuldet ist. Der Altmeister selbst hat mit seiner Major Production „Land of the Dead“ (2005) nur eingeschränkt gute Erfahrungen gemacht und dann etwas bescheidener mit „Diary of the Dead“ (2007) einen im positiven Sinne artifiziellen und medienkritischen Found-Footage-Film gedreht, ehe er sich mit „Survival of the Dead“ (2009) nicht mehr ganz auf der Höhe präsentierte und den bereits in „Day of the Dead“ verhandelten Diskurs ‚Können Untote’ assimiliert werden?’ erneut aufgriff und etwas ermüdend von seinen Figuren diskutieren ließ. 


Viel gesprochen wird in „The Dead“ nicht. Der Film fährt seine Geschichte auf ein Buddy- und Road-Movie herunter, in dem die Handlungselemente und Dialoge fast minimalistisch auf das Allernotwendigste beschränkt werden. Geschildert wird ein First-Time-Szenario: alles ist für die Figuren neu, niemand kennt die Ursachen der Seuche, es geht nur ums pure Überleben. Wenn Dembele seinen Weggefährten scharf wegen der dubiosen Rolle der Amerikaner in den Bürgerkriegswirren seines Landes attackiert, dann ist der reflexive Rahmen des Films bereits abgesteckt.

Natürlich werden in „The Dead“ zwischendurch immer wieder Untote erschossen oder mit einem Buschmesser enthauptet, aber was „The Dead“  auszeichnet, sind nicht die Splattereffekte oder die Old School-Zombies, die langsam durch Wüste und Savanne schlurfen, sondern das restlos entschleunigte Erzähltempo, das die Ford Bros. vorlegen. 

Das wird nicht jeden Gore-hungrigen Horrorfan befriedigen, aber „The Dead“ gelingt das Kunststück, mit seiner Langsamkeit eine sehr dichte Atmosphäre zu schaffen. Wenn Murphy am Anfang völlig allein durch die Wüste marschiert, muss man genauso lange wie in „There will be Blood“ darauf warten, bis das erste Wort gesprochen wird. Die Einstellungen sind lang, immer wieder verliert sich die Hauptfigur in Panorama-Totalen einer menschen-, aber nicht zombie-leeren Landschaft. Das Auftanken des Pickups wird genauso langsam in Szene gesetzt wie das Töten von Untoten, die überall zu sein scheinen. Nach nur einer Viertelstunde Laufzeit hat man das Gefühl, Murphy bereits stundenlang begleitet zu haben.


Der erste neo-realistische Zombiefilm

Gelegentlich ist man sich dabei nicht sicher, ob die detailverliebte Dramaturgie nicht etwas amateurhaft wirkt. Aber das Gefühl für die Zeit, das „The Dead“ erzeugt, hat mich spontan zu dem Schluss kommen lassen, dass die Ford Bros. den ersten neo-realistischen Zombiefilm gedreht haben. Ich will nun nicht diese italienische Filmepoche zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den 1950er Jahren rekapitulieren, aber zumindest daran erinnern, was der französische Philosoph Gilles Deleuze über sie geschrieben hat: neorealistisches Kino konstruiert in seiner Abwendung von konventioneller Konstruktion und Dramaturgie eine eigene Zeit, die der inneren Bewegung der Geschichte folgt. Im Mittelpunkt steht nicht der Plot, in dem Diskurse (häufig über Dialoge) geführt werden, in dem Bedeutungen angeboten oder Erwartungen des Zuschauers befriedigt werden sollen, sondern Begegnungen und Episoden bestimmen das Narrative. 

Hakan Tanriverdi beschreibt den Perspektivwechsel bei Deleuze als Wechsel der handlungsbestimmenden Instanz: die Ort und Landschaften, in denen eine Handlung spielt, sind nicht mehr Beiwerk, sie sind determinierend. Im gleichen Maße werden die Figuren, die sich in ihr wiederfinden, fast handlungsunfähig. 
Das, was Deleuze dabei im Sinn hatte, war die Auflösung der Filmerzählung in einer „reinen Zeit“, aber das ist sehr theoretisch und soll hier nicht vertieft werden. Aber wie es Deleuze beschreibt, bringt „The Dead“ besser auf den Punkt, als ich es vermag: „...die Figur wird selbst gewissermaßen zum Zuschauer. Sie bewegt sich vergebens, rennt vergebens und hetzt sich vergebens ab, insofern die Situation, in der sie sich befindet, in jeder Hinsicht ihre motorischen Fähigkeiten übersteigt und sie dasjenige sehen verstehen lässt, was nicht mehr von einer Antwort oder Handlung abhängt. Kaum zur Reaktion fähig, registriert sie nur noch. Kaum zum Eingriff in eine Handlung fähig, ist sie einer Vision ausgeliefert, wird von ihr verfolgt oder verfolgt sie selbst“.

Im Wesentlichen funktioniert „The Dead“ mit seiner fast kontemplativen Erzählweise genauso. Die Zombies, die sich durch die Landschaft schleppen, werden zum Teil dieses Schauplatzes. Sie sind überall. Die banalen täglichen Verrichtungen wie Essen, Trinken und Schlafen werden zu extremen Herausforderungen, weil der Tod überall ist. Die nächtlichen Fahrten durch die Savanne sind eine Geisterfahrt, die Bedrohungen entkernen langsam die Protagonisten, indem sie ihnen immer mehr die Handlungsoptionen rauben.
Murphy und sein Begleiter treffen zwar auf eine Kolonie von Überlebenden, aber deren Ressourcen sind limitiert und ihr Schicksal ist besiegelt. Später scheitern Kontakte zur Außenwelt per Funk und als sie endlich gelingen und Murphy eine US-Militärbasis in Nevada erreicht, erfährt er, dass alles vergebens war: die Vereinigten Staaten sind nicht besser dran als Afrika.
Am Ende erreicht Murphy zwar die Militärbasis (seine Vision) und er findet auch Dembeles Sohn, aber die Basis wird von Zombies überrannt. Die letzte Einstellung zeigt einen buchstäblich fast seelenruhig erstarrten Helden, der einfach nur noch zuschaut. Ein kleiner, feiner Genrefilm, den man beachten sollte.


Quellen:

Original-/Verleihtitel: The Dead, GB 2010; Regie/Drehbuch: Howard J. und Jonathan Ford; Laufzeit: 104 Minuten, Altersfreigabe: FSK 18; D.: Rob Freeman, Prince David Oseia, David Dontoh