Mittwoch, 30. Dezember 2009

Best of 2009


Wie in jedem Jahr ist die Rangliste der besten Filme neben ihrer wichtigsten Aufgabe, nämlich zu informieren, zusätzlich auch ein Grab, in dem zahlreiche Filme versenkt wurden. Entweder, weil sie nicht von mindestens drei Mitgliedern gesehen wurden (erst dann gibt’s eine Note) oder ganz einfach, weil sie mit schlechten Noten abgeschossen worden sind. Die besten Filmleichen stelle ich am Ende vor.
Während im Vorjahr mit „No Country for Old Men“ eine Mischung aus Blockbuster und Kultfilm den Wettbewerb gewann, sehen wir in diesem Jahr einen Film auf Platz 1, dem das erste Attribut abhanden fehlt: “The Fall” von Tarsem Singh floppte in den Kinos, gewann aber bei uns überlegen, was durchaus ein kalkulierter Zufall war, denn der opulente Bilderreigen wurde als vorletzter Film des Jahres auf Bluray präsentiert. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Singhs Film auf DVD nicht diesen überwältigenden Eindruck hinterlassen hätte. So viel zur Technik der Post-Kino-Auswertung, die den Mythos von der der Unvergleichlichkeit der Leinwand zunehmend in Frage stellt.
Platz 2 belegt ein Film, der sowohl in stilistischer als auch künstlerischer Hinsicht diese Auszeichnung verdient: „Waltz with Bashir“ zeigt, dass ein Animationsfilm durch innovative Technik überraschen kann, letztlich aber das Sujet und die Ehrlichkeit und die moralische Kraft des Filmemachers darüber entscheiden, ob der Stil wichtiger ist als der Inhalt.
Platz 3 ging an den sehr umstrittenen Film „Der Vorleser“, der zu den wenigen Filmen gehört, die im „Filmclub“ nicht besprochen wurden. Es ist keineswegs so, dass ich mich gescheut habe, den Film zu rezensieren, aber die filmhistorischen Dimensionen hätten gewaltige Arbeit nach sich gezogen. Für mich blieb bis zuletzt eine der wichtigsten Fragen, warum der deutsche Film seit 1945 kaum relevante Beiträge zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust vorgelegt hat. Recherchiert man tiefer, so findet man heraus, dass das deutsche Kino sehr wohl an der Bewältigung des Dritten Reiches in der Nachkriegsgesellschaft interessiert war, dass es aber häufig ausländische Produzenten und Regisseure waren, die den Finger auf die eigentlichen Wunden legten. Das hätte man für eine Kritik sorgfältig aufarbeiten müssen.
Hinzu kam als weitere Schreibblockade der Umstand, dass man sich in diesem Fall auch der literarischen Vorlage stellen muss. Und die konnte ich Ende des Jahres lesen, während gleichzeitig der Film mit größerer Distanz immer weniger Nachhall in mir fand. Während ich ihn zunächst heftig gegen die wütende Kritik einiger Historiker und Kritiker verteidigte, wurde mir spätestens nach der Lektüre von Schlinks Buch klar, dass der Film auch als Adaption nicht gelungen war und Buch und Film mit dem ziemlich atypischen Kernplot einer Nazi-Analphabetin vom Thema eher ablenkten. Heute halte ich weder das Buch noch den Film für gelungen, ohne dass sich der Daumen völlig senkt. Bestenfalls kann man Buch und Film anrechnen, dass er deutlich macht, wie absurd es ist, sich als Unschuldiger oder gar als Opfer damit auseinanderzusetzen, wie die Täter wirklichen ticken. Letzteres dürfte aber nicht den Intentionen von Schlink und Daldry entsprechen. Die eigentliche Frage bleibt, inwieweit die sozio-kulturelle Konditionierung zum ‚autoritären Charakter’ die moralische Willensfreiheit im Sinne Kants aufhebt. „Der Vorleser“ kann diese Frage nicht beantworten. Das Drama ist zu intim.
Auf Platz 4-5 landeten zwei Filme, die unterschiedliche Resonanz erzeugten: während „The Wrestler“ durchgehend für gute Noten sorgte, konnte „Das weiße Band“ nur durch zwei Einsen für die Charts ‚gerettet’ werden. Hanekes Film, der einige Wochen später bei der Vergabe der Europäischen Filmpreises alle Hauptkategorien gewann, löste dafür im Gegensatz zum Comeback von Mickey Rourke innerhalb des Clubs heftige Diskussionen aus, was für mich per se schon der Nachweis außergewöhnlicher Qualität ist.
Kaum anders ging es auf den Plätzen 6-8 zu, auf denen zwei ‚Historienfilme’ einliefen: keineswegs mit Mantel und Degen, aber mit dem rhetorischen Florett wurde die bürgerliche Tristesse in „Zeiten des Aufruhrs“ bekämpft. Am Ende vergeblich. Bereits 2006 war Clint Eastwood mit zwei Filmen in den Top Twenty, nun schaffte er es erneut mit dem Thriller „The Changeling“ und „Gran Torino“ (13-14.). „The Changeling“ führte nicht nur einen authetischen Fall mit brillant fotografierten Bildern vor, sondern schilderte auch bohrend die barbarischen Zustände in der US-Psychiatrie Anfang der vergangenen Jahrhunderts. Interessanter Beitrag des Film-Machos zur Gender-Problematik.
Ebenfalls auf Platz 6-8 landeten die „Watchmen“ von Zack Snyder, der mit „300“ einen unreflektierten und peinlichen Film abgeliefert hatte, aber mit der mittlerweile kultigen Comic-Verfilmung einen epochalen Film abgeliefert hatte, der die Superhelden-Mythen völlig entzauberte und zudem einen tollen neo-noir-Look ablieferte, der wesentlich glaubwürdiger erscheint als der in „Sin City“. Auch hier schieden sich die Geister im Club, aber insgesamt kann man als Fan des Films mit den Noten durchaus zufrieden sein.
Auf 9-10 landete mit „Der Junge im gestreiften Pyjama“ ein weiterer Holocaust-Film; auch dieser Film ist eine ausländische Produktion und auch hier gab es hierzulande streckenweise boshafte und infame Kritiker-Attacken. Merke: Die deutschen Kritiker sind bei dem Thema in einer Art permanenter Schockstarre, finden aber trotzdem immer schnell heraus, wie man’s nicht macht. Marks Hermanns Film teilte sich den Platz mit „Chiko“, der angesichts der hingebungsvollen Begeisterung im Club vielleicht zu wenig Punkte gemacht hat.
Soweit die Top Ten. Auf den Plätzen 11-20 gab’s den einen oder anderen Außenseiter, aber insgesamt mussten die Filme heuer einen weitaus besseren Notenschnitt als 2008 erzielen, um in die Top Twenty zu gelangen.

In der Kategorie „Close but no cigar“ fuhren die Clubmitglieder mit der Note 3 einen der spektakulärsten Film vor die Wand, die das Filmjahr 2008 zu bieten hatte: Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds“ zerriss das Tuch zwischen den feindlichen Lagern auf dramatische Weise. In gewisser Weise erinnerte mich dies an das aufsehenerregende Scheitern von „There will be blood“ im Vorjahr. Ich hoffe, dass die dafür verantwortlichen Juroren in einigen Jahren kräftig Asche auf ihr Haupt streuen.
In der Kategorie „Außenseiter“ wurden die Filme leider nur von zwei Mitgliedern gesehen. Schade, die andere Hälfte konnte Filme wie „Wall-E“, „Frost/Nixon“, „Australia“, „District 9“ und „The International“ nicht würdigen. Vielleicht haben diese Filme als DVD- oder Bluray-Release in 2010 noch eine Chance. Ach ja, Bluray. Insgesamt vier von 20 Filmen wurden in 2009 auf diesem Medium vorgestellt. Das ist nicht viel, aber schon ein gewaltiger Schritt in Richtung „High Definition“.

Und die Flops? Völlig zerrissen wurden Filme wie „Terminator – Die Erlösung“ oder „Operation Walküre“, aber auch überraschend „Happy-go-lucky“ von Mike Leigh. Den anderen Murks will ich erst gar nicht erwähnen. Bis auf einen: „Chaser“ war mit der Note 5,5 der mieseste Film des Jahres 2009. Möge er in Frieden ruhen.

2010 wird ein spannendes Jahr. James Cameron hat mit „Avatar“ ein 3-D-Spektakel auf die Leinwand gebracht, über das zu reden und zu schreiben sein wird. Gleichzeitig wird man auch beobachten müssen, ob die gute alte DVD endgültig den Bach runtergeht und von der Bluray abgelöst wird. Es wäre zu wünschen, denn zum einen bekommt man dadurch DVDs wesentlich billiger, zum anderen ist angesichts der HDTV-Misere in Deutschland die Bluray momentan das einzige Medium, das wirklich einen scharfen Filmgenuss verspricht und auch sein Wort hält. In diesem Sinne wünsche ich allen ein scharfes 2010.