Samstag, 2. Januar 2010

HDTV - der große Bluff?

Scharfe Krippenspiele
Pünktlich zum Jahreswechsel rührten die Öffentlich-Rechtlichen mit HD-Showcases kräftig die Werbetrommel für HDTV, das hochauflösende Fernsehen der Zukunft. Gleichzeitig stimmen die Sender Sat 1 HD, Pro Sieben HD und Kabel Eins HD seit dem 1.1.2010 mit einer unverschlüsselten Trailerschleife auf den regulären Sendestart am 31. Januar ein. Sehen kann man beides gleichzeitig nicht, es sei denn, man besitzt einen HDplus-fähigen Sat-Receiver. Die Privaten haben nämlich ganz fix ein nagelneu verschlüsseltes HD erfunden. Wer einen normalen HDTV-Receiver sein eigen nennt, kann dies nicht sehen darf sich nun ein Zweitgerät zulegen, falls er überhaupt Wert auf das Angebot von Sat 1 & Co. legt - und falls er eins bekommt. HDplus-Receiver kommen nämlich gerade erst auf den Markt. Möglicherweise für ein Produkt, das keiner will, denn immerhin soll das scharfe Programm der Privaten nach einer einjährigen Proberunde € 50,- pro Jahr kosten.

Es ist typisch für die verquere Versorgungssituation in diesem Lande, dass man den Kunden von morgen, die kaum vom 'normalen' HDTV Kenntnis genommen haben und erst noch den Sprung vom analogen zum digitalen TV machen müssen, eine ultra-neue Norm samt krytischer Verschlüsselungstechnologie auf's Auge drücken will, ohne dass der Vorgänger, nämlich normales HDTV, in relevanter Form vom Markt aufgenommen worden ist. Es ist das Gleiche, als würde ein Autohändler einen modernen Neuwagen verkaufen, aber nach Vertragsabschluss den Schlüssel wegwerfen und dem Kunden erklären, dass die Zukunft begonnen hat.

Es wurden Autos verkauft. Leider gab es kein Benzin.
Viel interessanter ist es, sich einmal das Angebot der Öffentlich-Rechtlichen anzuschauen, die 'normales' HD über die Festtage angeboten haben. Garantiert unverschlüsselt. Hielt das ausgestrahlte Angebot wirklich, was die Sender versprachen?
Für die meisten Technik-Freaks in den unterschiedlichen HDTV-Foren stand nach dem Jahreswechsel ziemlich sicher fest, dass man einiges gesehen hatte, aber in den meisten Fällen halt kein HD. Ja, was denn nun?
Nur der Ketzer bringt Licht ins Dunkel. Rütteln wir also kräftig den Pforten des Himmelreichs, damit uns Einlass gewährt wird ins Reich der scharfen Bilder, allerdings ohne dass wir der Heilsbotschaft Glauben schenken. Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit, dazu These 1: Jahrelang wurde dem Verbraucher der Kauf von Flachbildschirmen angeraten, ohne dass es im Regelbetrieb der Fernsehanstalten, egal ob privat oder öffentlich, eine adäquate Versorgung gab. Und das, obwohl in Deutschland seit 1979 an HDTV gearbeitet wird. Wer entschlossen kaufte und dann zuhause seinen mega-großen Flatscreen aufbaute, musste feststellen, dass die 576 PAL-Zeilen auf einem Meter Bildschirmdiagonale gruselig aussahen, während die alte 'Röhre' das Ganze ziemlich gut darstellte. Kein Wunder: Dazu war sie ja gebaut worden.


Oben rechts sieht man das 576 x 720 PAL-4:3-Bild, das blaue Rechteck zeigt die typische HD-Auflösung 1080 x 1920. ARD und ZDF haben sich für 720 Zeilen (Vollbild) entschieden. Bläst man eine geringe Auflösung auf, so nennt man dies Up-Scaling.

Während die Industrie die schicken Flachen in den Markt drückte, pushten die ASTRA-Betreiber den Umstieg vom analogen auf den digitalen Bildempfang, wodurch die Qualität tatsächlich auch etwas besser wurde. Analog soll nun ganz verschwinden, digitales SD (Standard Definition) und digitales HD sollen die Norm der Zukunft sein.
Trotzdem These 2: die meisten Flat-Screen-Käufer dürften dies alles nicht bemerkt haben. Sie waren stolze Besitzer eines Gerätes, das saumäßig groß und flach zu sein hatte, was wohl insgesamt zu einer umfassenden Betriebsblindheit führte. Und die wohl zu einer umfassenden Verdrängung, denn SD sah auf diesen Teilen häufig so aus, als würden die Sendungen von VHS zugespielt. Nicht durchgehend, denn viele Private zeigen mittlerweile besonders bei neuen Serien erstaunlich gute SD-Signale. Trotzdem war das Bild meist grottig und trotzdem gingen die Konsumenten nicht auf die Barrikaden.
Der Grund? Viele Flat-Besitzer dürften bis heute nicht mitbekommen haben, was ihr Gerät zu leisten imstande ist. Was umgehend zu These 3 führt: Alle, die zügig einen Bluray-Player kauften, konnten zum ersten Mal staunend erleben, was ein Full-HD Flatscreen leistet, wenn er endlich 1080 Zeilen vertikal im Vollbild-Modus darstellen darf. Jene Privilegierten begriffen nach dieser einschneidenden Erfahrung, dass die großen Flachen für alles Mögliche geeignet sind, halt nur nicht zum TV-Gucken.

Waren ARD und TDF wirklich scharf?
Das soll im TV nun besser werden, allerdings muss der Kunde bei den Privaten wieder den Geldbeutel öffnen, kaum dass er sich einen digitalen SAT-Receiver mit oder ohne HD gekauft hat.
Bleiben wir lieber bei den Öffentlichen: hier gibt's TV auch nicht gratis (es ist sogar umgerechnet teurer als der Nachschlag der Privaten für HDplus), aber wir müssen sowieso GEZ bezahlen und zum Glück kosten HDTV-Receiver nicht mehr die Welt. Alle ASTRA-Nutzer, die nun gut versorgt auf die weihnachtlichen Showcases von ARD und ZDF warteten, durften ein wenig grinsen, als bekannt wurde, dass KABEL Deutschland seinen Kunden ein besonderes Geschenk machte: man drehte ihnen das HD-Bild einfach ab, weil der Betreiber (übrigens nicht zum ersten Mal) zusätzlich Geld dafür kassieren wollte, dass ihnen ARD und ZDF kostenfrei ein schärferes Bild liefern will. Das ist in etwa so, als würde ein Hausbesitzer seinen Mietern neben der Miete auch Strom und Gas doppelt in Rechnung stellen, nur weil er beim Hausbau entsprechende Versorgungsleitungen und -systeme berücksichtig hat.
Wer dagegen via Satellit HDTV ins Haus bekam, bekam viel zu sehen, musste aber mit einiger Verblüffung feststellen, dass nur wenige der ausgestrahlten Beiträge natives (also echtes) HD zeigten. Ein Beispiel: Besonders übel stieß den zukunftsfesten Technikfreaks in den einschlägigen Foren auf, dass der Spielfilm "Cast away" so übel hoch-skaliert war, dass man sich das Ganze nicht mehr anschauen wollte.
Nun ist Up-Scaling ist kein Werk des Teufels, jeder DVD-Player muss zum Beispiel ein 4:3-Bild mit 720 x 576 in eine andere Auflösung umrechnen. Besser wird das Bild dadurch nicht. Auch unsere GEZ-finanzierten Sendeanstalten schienen nur wenig echtes HD auf Lager zu haben, auf vielen Beiträgen lag das feine Bildrauschen, das besonders Nahaufnahmen wie mit Sandpapier bearbeitet aussehen ließ: Up-Scaling! Trotzdem sah "Cast away" gar nicht sooo übel aus. Aber warum zeigten ARD und ZDF in einem Zeitfenster, dass gewiss auch der Werbung dienen sollte, so häufig 'getürktes' HD'?
Hier muss ich passen. Ich weiß schlicht und einfach nicht, ob dies mit Senderechten zu tun hat oder mit technischen Einschränkungen. Klar ist, dass Bildqualität nicht allein von der Auflösung abhängt, sondern auch von der Kompression und anderen technischen Parametern. Dazu passt die Nachricht, dass sich in Großbrittanien über Neujahr ein Zuschauerprotest formierte, der sich gegen die von der BBC im August vorgenommene Reduzierung der Datenrate von 18Mbit/s auf 9Mbit/s richtete. Zum Vergleich: in Deutschland liegt die Norm bei 12 Mbit/s. Werden die wegen ihrer irren Qualität hochgelobten Briten plötzlich wieder unscharf? Noch spannender ist die Frage, ob man sich vorstellen kann, dass in Deutschland Tausende wütend vor den Funkhäusern aufmarschieren, weil ARD und ZDF plötzlich 1080 interlaced statt wie bislang 720p zeigen?!

Bleiben wir auf dem Teppich: einiges ist noch nicht in trockenen Tüchern und egal, ob hoch-skaliert oder natives HD - was ARD HD, ZDF HD und EinsFestival HD über die Feiertage zeigten, war allemal besser als das herkömmliche SD-Signal. Wer den sonntäglichen Tatort Woche für Woche in VHS-ähnlicher Qualität konsumiert, dürfte erst mal durchgeatmet haben. Aber: es war in fast allen Fällen auch deutlich schlechter als eine Top-Bluray. Leider.

Viel Gedöns um nichts
Für mich ist eine andere Überlegung entscheidend. Der Hype um HDTV ist gut und schön, aber ich finde es mittlerweile lästig, dass uns hochauflösendes Fernsehen als Zukunfts-Technologie angedient wird, während wir eigentlich nur den anderen hinterherhinken. Das führt mich zu These 4: HDTV muss normaler Standard in der Grundversorgung werden, ohne Gedöns und ohne Zusatzkosten.
Deutschland liegt europaweit in punkto TV-Versorgung auf dem vorletzten Platz und soweit ich mich an die letzte Statistik erinnere, ist nur Slowenien schlechter dran. Alle anderen haben mehr zu bieten: die Schweizer, die Österreicher, die Briten sowieso, die Franzosen und die Belgier. Nur in Deutschland wird ein ein TV-Bild, das so aussieht, wie es sein sollte, nämlich detailreich und augenfreundlich, als dernier cri gefeiert. Wer sich trotzdem hierzulande verwöhnt fühlt, sollte einen Urlaub in Albanien vermeiden. Dort gibt mittlerweile acht HDTV-Kanäle.

Es schaut sowieso keiner zu
Es wird es noch etwas länger dauern, bis wir im TV täglich scharfe Bilder sehen. Zur Überbrückung gibt es ab und zu Vollwertkost und dazwischen Mogelpackungen. Das wird auch so bleiben, wenn ARD und ZDF in wenigen Wochen den HD-Regelbetrieb aufnehmen.
Den meisten wird's egal sein: aus einer im Dezember veröffentlichten Statistik der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) geht hervor, dass zum ersten Mal seit Beginn der Messung im April 2001 die Zahl der Digitalhaushalte geschrumpft ist. Waren es Anfang November noch 14,11 Millionen Haushalte, gibt die AGF mit Stichtag 1. Dezember 2009 nur noch 13,56 Millionen an. Bei einer gleich gebliebenen Gesamtzahl an Haushalten macht dies einen Rückgang der Digitalhaushalte von 40 auf 38,4 Prozent aus. Wahrscheinlich sind einige Hunderttausend wieder auf analog umgestiegen :-)
Spaß beiseite: digital hat nur mittelbar etwas mit HD zu tun. Werfen wir einen Blick auf die nicht immer (!) HD-fähige Flat-Screens: davon stehen 15 Millionen in deutschen Haushalten, das entspricht 40 Prozent Abdeckung. Und immerhin 30 Prozent der Haushalte haben auch ein HD-fähiges Modell.
Ernüchternd sind die Zahlen der verkauften HDTV-Receiver: laut ASTRA Deutschland (Stand: März 2009) wurden seit Einführung von HDTV insgesamt 530.000 HD-Empfangsteile verkauft, 75% davon sind Sat-Receiver. Das ist zu wenig, um wirklich von einem nachhaltigen Verbraucherinteresse auszugehen. So bleiben jene, die sich um die Qualität von HDTV streiten, wohl doch anspruchsvolle Querulanten, die mit der bundesdeutschen TV-Realität bei gleichzeitigem Verlust der Bodenhaftung nur wenig am Hut haben.

Diese HD-Süchtigen sind im Moment nur eine sektenähnlicher Verbrauchergemeinschaft mit echtem Randgruppengehabe. Ich gehöre dazu. Mein Tipp an das verstreute Häuflein: wer ein überwiegend natives HD-Vollprogramm sehen will, sollte das unverschlüsselte österreichische SERVUS-TV in seine Favoritenliste aufnehmen. Auch ARTE HD und EinsFestival HD bieten vor allen Dingen bei kulturellen Themen exzellente Qualität. Alles in allem fällt das Fazit aber ernüchternd aus. Wer monatelang die brillanten HD-Trailer auf ARD HD und Co. sehen durfte, konnte von der überwiegenden Qualität der Showcases nur enttäuscht sein. Aber: Man hatte statt des versprochenen Cordon Bleu immerhin eine leckere Bratwurst bekommen, die das übliche Gammelfleisch um Längen schlug. Und wem dies nicht reicht, der muss halt Blurays schauen - da ist die Welt sogar bei betagten Klassiker wie "Vom Winde verweht" so prächtig bunt und scharf, dass einem die Augen weh tun - aber erst, wenn man wieder auf TV umgeschaltet hat!

Ach ja - bei uns im Filmclub ist HD immer noch die Ausnahme. Gesichtet werden DVDs. Aber wir arbeiten an dem Problem. Prost Neujahr!