Samstag, 14. Juni 2025

Evil – Die Horrorserie ist so kultig wie Akte X

Ein katholischer Priester jagt Dämonen, und das zusammen mit einer Agnostikerin und einem genial nerdigen Wissenschaftler, der natürlich auch nichts mit Religion anfangen kann. An sich war für mich klar: vier bis fünf Episoden anschauen, dann aussteigen. 

„Supernatural“, „Buffy – Im Bann der Dämonen“, „Lucifer“ oder „Shadowhunters“ sollten eigentlich reichen, um die Lust am teuflisch Bösen zu befriedigen. Weit gefehlt. „Evil“ entpuppte sich als intelligente, schlagfertige und extrem witzige Serie, die auch stilistisch neue Wege beschritt. Drei Wochen später hatte ich alle vier Staffeln gesehen.

Das Grauen schleicht sich nur langsam ein

Im Mittelpunkt von „Evil“ (das Böse, das Teuflische) steht ein Trio, das durch einen Zufall zusammengeführt wird. In New York erhält David Acosta (Mike Colter, „Luke Cage“, „The Good Wife“), der sich in der Ausbildung zum Priester befindet, von der Diözese einen Auftrag: Er soll übernatürliche Phänomen aufklären. Es geht um vermeintlich von Dämonen besessene Menschen und die ohnehin ziemlich gestresste katholische Kirche will ohne wissenschaftliche Prüfungen keinen Exorzismus durchführen. Und so sollen die forensische Psychologin Dr. Kristin Bouchard (Katja Herbers, „Westworld“), die gerade ihren Job als Gerichtsexpertin verloren hat, und der wissenschaftliche Tausendsassa Ben Shakir (Aasif Mandvi, „Spider-Man 2“, 188 Episoden der Talk- und Comedyshow „The Daily Show“) David dabei helfen, psychiatrische Krankheiten von dämonischer Besessenheit zu unterscheiden. Dass die zwei Experten mit Religion nichts am Hut haben, ist gewollt.

Ist „Evil“ das neue „Akte X“ (X-Files)? Ein bisschen schon, aber trotzdem ganz anders. So glaubt in den X-Files David Duchovny als Fox Mulder an die Existenz von Monstern und Dämonen. Aber noch mehr an eine globale Verschwörung von Menschen und Aliens. Dagegen leugnet seine Partnerin Dana Scully (Gillian Anderson), eine forensische Medizinerin und FBI-Agentin, generell das Übernatürliche und die Existenz von Aliens selbst dann noch, wenn diese im Dutzendpack an ihr vorbeilaufen. David Acosta und Kristin Bouchard entsprechen diesem Schema, während Ben die Rolle der „Lone Gunmen“ übernimmt. Aber „Akte X“ war Horror-Science-Fiction mit einem großen Schuss Paranoia Movie. „Evil“ hat dagegen die Beziehung zwischen Wissenschaft und Religion im Fokus, deren Grenzen bei der Wahrheitssuche zunehmend verschwimmen.

Das Grauen schleicht sich nur langsam in die Geschichten ein. In „177 Minuten“ (S1 E02) lässt sich das Thema „Auferstehung von den Toten“ noch wissenschaftlich aufklären. Es ist nicht die Seele eines jungen Mädchen, die ihren Körper in der Leichenhalle verlässt. Dies suggeriert ein Video. Das Team deckt dagegen eine kriminaltechnische Ungenauigkeit auf, deren Ursache der implizite Rassismus der beteiligten Mediziner war. 
Und der 9-jährige Eric, der in „Realität?!“ (S1 E4) immer wieder versucht, seine Familie zu töten, leidet eher an einer sadistischen Psychose und wird nicht von einem Dämon beherrscht. Oder doch? Am Ende versucht Eric, seine kleine Schwester zu ertränken. Und verschwindet kurz darauf. David und sein Team ahnen, dass die Eltern ihren gefährlichen Sohn getötet und entsorgt haben. Aber sie können es nicht beweisen.

Wie in „Realität?!“ enden viele Episoden abrupt und ohne weitere Erklärung. Andere Handlungsfäden bleiben lose liegen, tauchen aber in späteren Episoden wieder auf. Etwa die Geschichte der Chinesin Crace Ling (Li Jun Li, „Quantico“), die prophetische Fähigkeiten besitzt und die Zukunft vorhersagen kann. Unter anderem den Untergang der katholischen Kirche. Sie wird von chinesischen Agenten entführt und landet in einem Umerziehungslager, wird aber vom Vatikan befreit und taucht sporadisch in den ersten drei Staffeln der Serie auf, ohne zu einer zentralen Figur zu werden. Eine verschenkte Figur.
Mit disruptiven Episoden und gekappten Handlungselementen muss man in „Evil“ immer wieder rechnen. An sich der Knock-out für eine Serie. Aber man sieht dies einigermaßen gelassen, denn die Serie punktet dafür mit anderen Qualitäten. Es sind die Hauptfiguren, die enorme Bindungskräfte freisetzen.

Spannende und garantiert klischeefreie Figuren

Entwickelt wurde „Evil“ von Robert und Michelle King, die durch „The Good Wife“ (2009-2016) und das Spin-Off „The Good Fight“ (2017-2022) bekannt wurden. Die Qualität der Episoden - trotz einiger Macken - verdanken die beiden Showrunner einem exzellenten Writer’s Room, zu dem mehrfach preisgekrönte Erfolgsautoren wie Rockne S. O’Bannon gehörten. Auch Robert und Michelle King steuerten einige gute Drehbücher bei.

Wie in anderen dämonischen Horrorfilmen hatten die Maskenbildner viel zu tun. Während es in ersten Staffel noch Zweifel an der Existenz von Dämonen gab, siegt immer häufiger der Horror des Bösen über die wissenschaftlichen Erklärungsversuche. Dämonen tauchen in fast jeder Episode auf, nur kann sie niemand sehen. Nur eine widerspenstige Nonne und natürlich die Zuschauer erkennen die wahre Gestalt des Bösen, die wabbligen, sabbernden und vieläugigen Schreckensgestalten mit ihren imposanten Hörnern. Für allen anderen sehen die Dämonen aus wie normale Menschen. 

Im Mittelpunkt der Serien stehen aber nicht die Handlanger des Teufels oder der sich in der letzten Staffel ankündigende Antichrist, sondern die Figuren, die sehr subtil entwickelt wurden. Oberflächliche Klischees gibt es nicht und Helden sind David, Kristin und Ben auch nicht. Mike Colter spielt den tiefgläubigen Priester mit viel Charisma, in sich ruhend und aufmerksam. Der ehemalige Kriegsreporter ist keineswegs orthodox, sondern offen für alternative Deutungen. Um Gott zu erfahren, nimmt er allerdings halluzinogene Drogen und später erscheint ihm mehrmals die Gottesmutter. Wie alle anderen Mitglieder seines Teams wird er von einem Dämon gequält, den nur er sehen kann. David wird von einem Succubus sexuell verführt, der sich in Gestalt seiner Kollegin Kristin in seinem Zimmer einnistet. Danach ist es klar, dass David und die echte Kristin mehr verbindet als eine kollegiale Freundschaft.

Die dunklen Seiten der agnostischen Forensikerin und Mutter von vier Töchtern werden von der holländischen Schauspielerin Katja Herbers brillant gespielt. Die ständig unter Strom stehende Kristin wird während der allnächtlichen Schlafparalyse (der Körper wird für kurze Zeit bewegungsunfähig) von dem sarkastischen Dämon „George“ bedrängt. Ansonsten ist sie etwas überdreht, kann aber knallhart sein. In der ersten Staffel tötet sie den Massenmörder LeRoux (Darren Pettie) mit einem Eispickel, weil der Killer ihre Familie bedroht. Danach verbrennt sie sich ihre Hand, als sie ein Kruzifix anfasst. Offenbar ist nun in ihr etwas Böses, das die Serie wie vieles andere leider aus den Augen verliert. 

Ben Shakir, der fast schon zu Kristins Familie gehört, ist islamisch sozialisiert worden, wurde später aber Atheist. Auch Ben lernt schneller als ihn lieb ist, dass man nicht Dämonen jagen kann, ohne selbst von ihnen bedroht zu werden. Der atheistische Skeptiker, der sich mit Physikern mühelos über die Quantenphysik unterhalten kann, wird nachts von einem gefährlichen Dämon gequält. Und in der letzten Staffel trägt Ben sogar einen Aluhut, um sich gegen die teuflischen Mächte zu schützen. Für einen Wissenschaftler ein Offenbarungseid, aber wenigstens hilft die Kopfbedeckung. Schlechtere Autoren hätten aus Ben einen Stichwortgeber für billige Witze gemacht. In „Evil“ hat Aasif Mandvi so gute Texte, dass er seine Kollegen nicht nur einmal an die Wand spielt.

Auch die Nebenrollen haben eine spannende Backstory und sorgen für clevere Nebenplots. Dazu gehören Kristins Töchter Lynn (Brooklyn Shuck), Lila (Skylar Gray), Lexis (Maddy Crocco) und Laura (Dalya Knapp). Wenn sie aufgeregt sind, plappern die Mädchen alle gleichzeitig, was zum Running Gag der Serie wird. Aber Kristins Töchter sind hochintelligent und offen für alles Verbotene. Und das finden sie (zu) oft im Internet, das in „Evil“ der Hort des Bösen zu sein scheint. Da ihr Vater Andy (Patrick Brammall), ein professioneller Bergsteiger, so gut wie nie zuhause ist, wachsen die vier Kinder ohne Vater auf. So haben sie Zeit genug, um sich heimlich mit VR-Brillen in eine alternative und gefährliche Realität zu begeben, die sie nicht mehr abschütteln können. Zumindest Lexis steht eine dunkle Zukunft bevor, aber wie viele andere Handlungselemente wird dies leider nicht konsequent zu Ende erzählt. 

Der heimliche Star ist „Schwester Andrea“ (Andrea Martin, „My Big Fat Greek Wedding“ 1-3), die den Priestern der Gemeinde als gemeine Putzfrau dient und von keinem wahrgenommen wird. Tatsächlich weiß die mutige Nonne auf ungeklärte Weise mehr über das Böse als die männlichen Exorzisten. Cool, abgeklärt und ziemlich gewalttätig legt sich die kleine und zierliche „Schwester Andrea“ immer wieder mit den übelsten Dämonen an und wird in den Staffeln 2-4 zu einer Schlüsselfigur. 
Eine weitere weibliche Figur mit Gewaltpotential ist ausgerechnet Kristins Mutter Sheryl (Christine Lahti, „The Blacklist“), die mit ihrer Tochter im Clinch liegt, sich dann den Satanisten anschließt, weil ihr die ewige Jugend versprochen wird. Die von Kristins Töchtern innig geliebte Oma ist eine hochintelligente Intrigantin, die in der Hierarchie der Satanisten eine erfolgreiche Karriere hinlegt, sich aber dann mit dem Oberschurken der Serie anlegt: Michael Emerson spielt den psychopathischen Dr. Leland Townsend („Lost“, „Person of Interest“), einen forensischen Psychologen, als grotesk höflichen und zugleich zynischen Sendboten des Bösen, der zum inneren Zirkel der Satanisten gehört und Sheryl manipulieren will, um deren Familie zu zerstören.

Abgesehen von einigen misslungenen Nebenfiguren ((den albernen Psychiater Dr. Kurt Boggs (Kurt Fuller) hätte man sich ersparen können)) ist die Ambivalenz der Hauptfiguren die Triebfeder der Serie. Die Amour fou zwischen Kristin und David ist trotz ihres zerstörerischen Potentials zutiefst menschlich. Die Chemie in Team der Dämonenjäger widersteht aber allen Gegensätzen und Gewissenskonflikten, weil sie werteorientiert und damit konservativ erzählt wird: auf Loyalität und Freundschaft ist im Team immer Verlass. Zweifel und Misstrauen werden leicht beiseitegeschoben, Klischees werden klug umschifft. Dafür sorgen allein die Dialoge, mit denen Robert und Michelle King bereits in „The Good Wife“ und „The Good Fight“ die Zuschauer fesseln konnten. Die Wortgefechte sind voller schwarzem Humor, schlagfertig und witzig, dann wieder realistisch und psychologisch plausibel. Aber nie klaumaukig. Dies macht 50 Episoden lang einfach nur Spaß.

„Du lässt uns schamrot werden!“

„Evil“ lief zunächst bei CBS, dann übernahm Paramount+ die Serie. Und setzte sie 2024 nach der vierten Staffel ab. Ich nenne dies den „Bosch“-Effekt, denn unlängst killte AMAZON die beliebte Krimiserie „Bosch: Legacy“. Und das, obwohl Titus Welliver als Cop in „Bosch“ und im Sequel als Privatdetektiv Harry Bosch für stabile Quoten gesorgt hatte. „Evil“ überlebte auch nicht, und dies trotz einer Quote von 83/100 bei METACRITIC. Man konnte nur den Kopf schütteln. 

Aber damit war man in guter Gesellschaft, denn Horrorpapst Stephen King gab der Serie seinen ultimativen Segen. „Witzig und klug und sehr, sehr scharfsinnig“, konstatierte King. „You're making us blush“ (Du lässt uns schamrot werden) antwortete Paramount auf X. „Mehr Evil“, legte King nach und der Großmeister des Schreckens scheint mittlerweile auch an der Kampagne #SaveEvil beteiligt zu sein, die seit Monaten durch die Social Media rauscht und eine weitere Staffel verlangt. Mindestens.

Ob das reicht? Aber wenn die Serie dem neuen König im White House nicht gefällt, dann wird man lange auf die 5. Staffel warten müssen. Vor Donald T. sind schon andere Konzerne eingeknickt. Und da in einigen republikanisch regierten Bundesstaaten fundamentalistische Christen erfolgreich auf die Bücherjagd gehen und Werke der Weltliteratur aus den Bibliotheken verdammen, dürften katholische Satansjäger nur bedingt auf der Wunschliste ihrer Agenda stehen. Vielleicht stecken ja auch die „60“ hinter der Absetzung, jene fiktiven satanischen Familien, die in „Evil“ als „Deep State“ seit Generationen einem Satanskult frönen. Am Ende der 4. Staffel erkennen sie, dass man die Menschen nicht mit altmodischen Methoden ins Böse führen muss. Man hat doch das Internet. Dort verführt man die Menschen effektiver und vor allen Dingen schneller.

Mit derartigen pfeilgenauen Spitzen und teuflischen Anspielungen muss man in „Evil“ ständig rechnen. Auch Donald T., jener finstere Herrscher, dessen Namen man nicht aussprechen darf, kriegt sein Fett weg. Ebenso die katholische Kirche, deren pädophile Fehltritte immer wieder genannt werden, wenn sich die Priester in „Evil“ in einer Glaubenskrise befinden. In den letzten beiden Staffeln taucht sogar die „Entity“ auf, eine Geheimorganisation des Vatikans, die jenseits der Legalität mit fragwürdigen Mitteln Häretiker und Satanisten verfolgt und möglicherweise sogar jene unauffällig beseitigt, die zu viel über ihre Geheimnisse erfahren haben. Das Gute und das Böse verschwimmen mitunter in „Evil“, unbedingter Glaube fordert dagegen einen hohen Preis.

Stilistische Überraschungen

Stilistisch bietet „Evil“ unerwartete Pointen und innovative stilistische Mittel irgendwo zwischen Sarkasmus, Ironie und Boshaftigkeit. So tauchen in der Progressive-Complete-Serie (Mix aus Procedurals und Meta-Plot) die Opening Credits in der Regel erst nach einer Viertelstunde auf. Wer dabei genau hinschaut, entdeckt als Kleingedrucktes die teuflische Warnung „Skip Intro and You Will Be Haunted.“ Ich habe es trotzdem getan, obwohl diese Option streckenweise blockiert war.

Als zusätzlicher Main Title wird ab der zweiten Staffel ein „Pop-up Book of Terrifying Things” aufgeschlagen, das den Episodentitel präsentiert. Der enthüllt das Thema: „Z Is for Zombies“, „U Is for U.F.O“, „The Demon of Death“, „The Demon of Sex“ und „The Demon of Algorithms“ (S3 E9) , eine witzige Story, die wie „How to Build a ChatBot“ (S4 E9) demonstriert, was dämliche Apps und die clevere KI eines fiktiven Konkurrenten von TikTok so alles mit ihren Usern anstellen können. Ab Staffel 4 erscheinen „How to…“-Titel im Stile einer Gebrauchsanweisung, etwa „How to Slaughter a Pig.“
Stil und Inhalte werden auf diese Weise verknüpft. Meistens ironisch. Überhaupt sieht „Evil“ nicht wie eine Genreserie aus, die Realismus vortäuscht, um krampfig als finsteres Drama wahrgenommen zu werden. 

Die Showrunner Robert und Michelle King scheinen eher daran interessiert gewesen zu sein, an den aktuellen Zeitgeist und damit an die Absurditäten unseres realen Lebens zu erinnern. Erzählt wird von Misogynie, die (auch in Satanisten-Kreisen) die beruflichen Karrieren von Frauen blockiert. Auch üble Incels tauchen in der Serie auf. Man erfährt, wie Racial Profiling funktioniert und wie Tech-Konzerne mit gezielter Desinformation ihre Kunden manipulieren. Alles Dinge, die auch ohne Dämonen schlimm genug sind.

Ach ja, die Dämonen. Die sehen zwar gruselig aus, sind aber überwiegend dämlich, boshaft oder zuckersüchtig. Der „Devil Therapist“ bietet sogar eine professionelle Psychotherapie für zweifelnde Satanisten an. Oder sie lieben wie der „Manager Demon“ Kekse. Dieser Unernst passt zu einer Serie, in der man sich mehr vor den Menschen fürchten muss als vor den Sendboten der Hölle.

Note: BigDoc = 2

Evil – USA 2019-2024 – Episoden: 50 - Network: CBS, Streaming: Paramount+ (ab 2021) – Showrunner: Robert und Michelle King – Drehbuch: Rockne S. O’Bannon, Robert und Michelle King, Aurin Squire, Davita Scarlett, Dewayne Darian Jones u.a. – D.: Katja Herbers, Mike Colter, Aasif Mandvi, Andrea Martin, Michael Emerson, Brooklyn Shuck, Skylar Gray, Maddy Crocco, Dalya Knapp, Christine Lahti u.a.