Dienstag, 21. Mai 2019

Game of Thrones ist fertig – aber wie…!

Wer nach dem Ende einer der epochalsten Serien der jüngeren Seriengeschichte die von HBO geplanten Prequels sehen will, muss etwas nicht richtig verstanden haben. Denn wer sich nach der 8. Staffel anschauen will, was vor tausend Jahren in Westeros geschah, wird dabei das Ende der Mutterserie garantiert nicht aus dem Kopf bekommen. Ein Kommentar



Keine Figur ist ohne Schuld

Mittlerweile haben die Dreharbeiten bereits begonnen. „Bloodmoon“ heißt der Arbeitstitel des GoT-Prequels, für das u.a. Naomi Watts gecastet wurde. Erzählt wird vom Nachtkönig, dem Ursprung der Weißen Wanderer, den Kinder des Waldes und anderen düsteren Geheimnissen der Geschichte von Westeros – einer 5000 Jahre zurückliegenden Ära, die als „Die lange Nacht“ bekannt ist. An der Stoffentwicklung war George R.R. Martin beteiligt, was die Wartezeit auf seinen neuen Roman nicht verkürzt haben dürfte.

Ob HBO sich mittlerweile ganz andere Gedanken über weitere Prequels macht, dürfte sicher sein. Schon während die 8. und letzte Season lief, wurde ein kolossaler Shitstorm im Netz entfacht. Verfeindet und unversöhnlich standen sich wie in Westeros die Feindeslager gegenüber und beanspruchten die Deutungshoheit über das, was geschehen ist und was ihre Ansicht nach hätte geschehen sollen. Kurz vor dem Finale wurde sogar eine Petition auf change.org organisiert und bevor die allerletzte Episode on air ging, hatten mehr als eine Million wütender Fans gefordert, dass HBO die achte Staffel neu drehen müsse – mit kompetenteren Regisseuren. Und wäre ich dies schreibe, sind es fast 1,4 Mio. geworden. Freunde, das wird nichts, die Millionen sind ausgegeben.
Mit dieser Protestwelle wurde Mediengeschichte geschrieben, aber auch ein anderes Buch aufgeschlagen. In dem wurde eine weitere Geschichte geschrieben, und auch die kann man unterschiedlich interpretieren. Zum einen erzählt sie vom Wunsch der Fans nach Partizipation (gut), zum anderen verkündet sie die Botschaft, dass die großen Geschichtenerzähler keinen Respekt mehr verdienen (schlecht). Sie sollen nur Dienstleister sein, die nur die Mehrheitsbedürfnisse zu befriedigen haben (noch schlechter). Auch das wird nicht klappen, auch wenn einige Kritikpunkte nicht von der Hand zu weisen sind.

Als dann die Showrunner David Benioff und D.B. Weiss ein inhaltlich brillantes, aber tempomäßig zu hektisches Finale ablieferten, das über 19 Mio. Zuschauer sehen wollten, hatte sich endgültig gezeigt, dass es Sinn gemacht hätte, erst das Ende zu sehen, bevor man urteilt. Denn alle Erzählfäden wurden plausibel zusammengeführt und eine Botschaft hatte das große Finale auch. Trotzdem wettern die Hater weiterhin gegen alles und jeden – und sie werden mit jeder Sekunde mehr. 



„Du weißt gar nichts, Jon Schnee!“

Blicken wir einfach mal zurück. Das Epos von George R.R. Martin wollte und sollte niemals von romantischen Gefühlen und strahlenden Helden erzählen. Martins Westeros war eine grausame Welt, in der keine Figur ohne Schuld ist. Das kann man in voller Wucht nur erfahren, wenn man sich alle Folgen noch einmal anschaut, ohne dass ein Jahr Zwangspause zwischen den Staffeln liegt. 

Ich habe dies getan, ein schmerzhafter Selbstversuch, denn danach konnte ich mir einiges nicht mehr schönreden. Weder die nette Drachenkönigin noch die Ehr- und Tugendhaftigkeit eines Jon Schnee, der in vielen Momenten entscheidungsschwach blieb und viel zu spät erkannte, dass er sein Herz einem wunderschön lächelnden Monster geschenkt hatte, dessen erbarmungslose Verwandlung leider auch auf sein Konto geht. Wäre er doch bei Ygritt geblieben. Die hatte es gewusst: „Du weiß gar nichts, Jon Schnee!“

Nein, Westeros war kein Ort für moralische Menschen. Alle Königslande, die George R.R. Martin erschaffen hatte, waren ein brutaler Gegenentwurf zu Tolkiens netter Fantasy. „Der Herr der Ringe“ erzählt davon, dass das Gute siegt und die Hobbits wieder Hobbits sein können. Schön anzusehen, begeisternd verfilmt, aber halt purer Eskapismus.
Martins Diegese war stattdessen vollgepackt mit pathologischen Sadisten, Vergewaltigern, korrupten Kriechern und Betrügern, an denen der Marquis de Sade und Machiavelli ihre Freude gehabt hätten. Das musste er sich nicht ausdenken. George R.R. Martin hatte zuvor die menschliche Geschichte gründlich studiert, nicht nur die Rosenkriege und den Hundertjährigen Krieg und andere Grausamkeiten, sondern auch die neuzeitliche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts mit ihrer modernen Kriegsführung, die Millionen auf den Schlachtfeldern verheizte. Zudem hat er sicher viel Shakespeare gelesen. „King Lear“ und „Macbeth“ sollten reichen, um etwas deutlich zu machen: George R.R. Martin ist kein Fantasy-Autor.

Und George R.R. Martin kannte auch sehr gut die großen Verführer der Geschichte, die antraten, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Stattdessen schickten sie Millionen in den Tod – erst recht jene, die es wagten, eine andere Idee von Freiheit und Zukunft zu denken.
Am schlimmsten waren jene, die einen ‚neuen Menschen‘ erschaffen wollten, befreit vom Joch der Unterdrückung und bereit für eine Zukunft, in der jeder gleich ist. Millionen starben dabei.
 Nach Hitler und Stalin glaubten viele, dass der Rest des 20. Jahrhunderts nun besser werden müsse und besser werden wird. Dann kamen Pol Pot, Idi Amin, der IS und eine Handvoll lokaler Warlords und Despoten.
Da konnte Daenerys Targaryen noch so schön lächeln und viele Fans noch so sehr wegschauen – die Drachenkönigin passte am Ende sehr gut in die Reihe der Schlächter und ihr Tod durch die Hand von Jon Schnee verhinderte Schlimmeres. Und wer’s nicht fassen kann und will, der schaue sich die schleichende Veränderung dieser Frau an, ihre Entscheidungen in Meereeen und in der Sklavenbucht, ihre Trennung von Darioo Naharis, die sie einfühlsam inszenierte, um anschließend Tyrion zu gestehen, dass sie nichts dabei gefühlt habe. Dann ihre Hinrichtungen:
Dracarys!
Nein, von dieser Frau war keine bessere Welt zu erwarten. Die eigentliche Tragödie ist jedoch, dass sie bis zum Ende an ihre Vision glaubt und dass sie nicht allein daran schuld war, dass aus ihr das wurde, was sie am Ende war. Genau das wollten die Showrunner erzählen. Sie zwangen den Zuschauer zu genauem Hinschauen. Wer stattdessen dem schönen Schein glaubte, lief mit gesenktem Kopf vor die Wand.

Es lohnt sich, vor diesem Hintergrund noch einmal zum Abschied einen etwas anderen Blick auf die wichtigsten Figuren zu werfen.



Samwell Tarly

Vielleicht sollte die Entscheidung darüber, was gut für alle ist, auch von allen getroffen werden.

John Bradley spielte den fetten und kaum wehrhaften Nerd über die Jahre außergewöhnlich gut. Samwell lebt in einem Erzählkosmos, in dem bestenfalls die Gilde der Maester einen Rest von Kultur besitzt. Er ist aber nicht der Einzige, der in den alten Büchern liest (Shireen Baratheon tut dies auch, wird aber verbrannt). Aber Samwell tut es mit hohem Anspruch, wird dabei etwas lebensfremd und überlebt trotzdem wie durch ein Wunder alle Schwerter, die Untoten und die Weißen Wanderern. Als Erster tötet er einen Weißen Wanderer. Samwell will die Welt verstehen, in der lebt, auch wenn Goldy (Hannah Murray) völlig fassungslos ist, als sie erlebt, dass man so viel aus den merkwürdigen Zeichen herausholen kann, die so viele Seiten füllen. Natürlich überlebt Sam die Geschichte, weil er kein Held sein wollte, aber immer das Richtige und Notwendige tat, auch wenn er sich dabei in die Hose gemacht hat. Ganz am Ende, als der neue König ausgeguckt werden soll, rät er zur Demokratie – das Volk soll wählen. Das Ergebnis: Gelächter. Soweit will man dann doch nicht gehen, stattdessen wird eine moderat konservative Lösung gewählt: der Adel wählt den König. Einziger Fehlgriff von Sam: er will sich an Daenerys dafür rächen, dass sie seine Familie verbrannt hat. So verrät er Jon Schnee dessen wahre Identität. Das ist der Auslöser der finalen Katastrophe und Samwells einziger Fehler, gleichwohl ein nachvollziehbarer. Wie Samwell acht Episoden lang zu einer entscheidenden Hauptfigur aufgebaut wurde, war ganz große Erzählkunst.



Tyrion Lennister

Nichts auf der Welt ist mächtiger als eine gute Geschichte. Nichts kann sie aufhalten, kein Feind vermag sie zu besiegen. 
 
Auch Tyrion ist sehr belesen. Den sex- und trinksüchtigen Gnom musste man allein schon wegen seiner brillanten und in der Regel zynischen Analysen der gesellschaftlichen Verderbtheit lieben. An der wirkte er tatkräftig mit, landete aber nie bei den Anonymen Alkoholikern. Allerdings ist er weniger der wissenschaftliche Typ. Lesen ist Wissen und für Tyrion ist Wissen Macht. Kleinfinger weiß das auch, bekommt aber von Cersie eine Lektion über das Wissen erteilt: „Macht ist Macht!“ Aber Kleinfinger ist kein Intellektueller wie Tyrion, und auch der liest nur so viel, weil Wissen für ihn eine der Waffen ist, mit denen er überleben kann. Zwischendurch setzt er auf die Drachenkönigin, aber er ist klug genug, aus einem Genozid die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Am Ende wird er die Hand des neuen Königs – und der heißt „Bran der Gebrochene“ – und Bran betrachtet diese Jonvergabe eher als Strafe denn als Belohnung. Stimmt, denn nun muss sich der Gnom Gedanken über den Wiederaufbau von Königsmund machen, und das zusammen mit Bronn (Jerome Flynn), der auch im Kleinen Rat sitzt und als „Meister der Münze“ am liebsten Bordelle finanzieren möchte. Ja, dass nach den großen Siegen die banale Politik mitsamt der langweiligen Verwaltungsarbeit auf die Gewinner wartet, wollte
George R.R. Martin schon immer erzählen. Und ja, Tyrion war zweifellos der Held der Geschichte, das war er von Anfang an. Und Peter Dinklage hat die Rolle seines Lebens gespielt – Extraklasse!


Daenerys Targaryen

Wenn du das nächste Mal die Hand gegen mich erhebst, wird es das letzte Mal sein, dass du Hände hast. 
 
Viele reden über fiktive Figuren so, als seien es reale Menschen. So funktioniert Geschichtenerzählen und auf Knopfdruck lässt sich das nicht abstellen. Manchmal sollte man sich aber auch daran erinnern, dass sie erfunden wurden, um uns etwas zu lehren. Daenerys Ende durch die Klinge von Jon Schnee ist sicher entsetzlich, aber es konnte ja auch nicht auf ewig so weitergehen mit ihr, die auszog, um eine dynastische Männergesellschaft zu zerschlagen. Für den Traum einer neuen, gerechteren Gesellschaft hätten noch viel sterben müssen. Macht ist eben nicht Macht, sondern der Anfang vom Ende. Soweit die Botschaft von „Game of Thrones“. Jedenfalls die von David Benioff und D.B. Weiss. 
Vielleicht ist das etwas banal, aber die beiden Showrunner wollten eine echte Tragödie à la Shakespeare präsentieren und der „Rise and Fall“ der Drachenkönigin wurde jahrelang konsequent durchexzerziert.


Tragisch an der Drachenkönigin ist, dass es ausgerechnet Männer waren, die sie aus unterschiedlichen, aber letztlich fatalen Gründen verraten und verkauft haben. Angefangen bei ihrem skrupellosen Bruder, der sie an Khal Drogo (Jason Momoa) verhökerte. Auch der treu schauende Ser Jorah Mormont (Iain Glen) verriet sie – ausgerechnet an Lord Varys. Später wurde er in Gnaden wieder aufgenommen und kämpfte bis zum bitteren Ende für seine Königin. Auch Lord Varys (Conieth Hill) schwor der Mutter der Drachen heilige Eide der Treue,
später werkelte dann aber heimlich am Sturz der Königin in spe. Viele von Danys Beratern hatte er auch eine ganze eigene Vision der Zukunft.

Mitleid mit Daenerys ist also angebracht. Am Anfang war sie ein junges, naives Mädchen ohne Schuld. Naiv ist sie geblieben. Ohne jegliche Bildung wollte sie herrschen und hatte bei den Dothraki leider gelernt, dass das Töten der Feinde der ultimative Weg ist. Ihre Verhärtung, aber auch die Lust an der Macht nahmen zu. Nach der Eroberung der Sklavenbucht, blutig genug von ihr inszeniert, wollte sie gerecht sein, aber wie geht das, wenn ein Ziegenhirt ihr die verkohlten Reste seiner dreijährigen Tochter zu Füßen legt, die grade von einem der drei Drachen gegrillt wurde?

Daenerys Ende war vorgezeichnet, als sie der zwar mutige und charakterstarke Jon Schnee, der sicher nicht die hellste Kerze am Weihnachtsbaum war, an das Messer lieferte, das er ihr am Ende höchstpersönlich ins Herz rammte. Hätte Jon einfach die Klappe gehalten, wie ihn Daenerys anflehte, hätte es die Einäscherung von Königsmund vielleicht nicht gegeben. Vielleicht hätte man dann auch der jungen Königin schonend beibringen können, dass strahlende Utopien einer besseren Welt in der Regel daran scheitern, weil auch die Armen und die Unterdrückten selten so edel sind, wie das Utopia, in dem sie leben sollen. Und so wurde es die eigentliche Tragödie der Serie, dass eine Frau mit viel Potential unglaublich viel Pech mit Männern hatte – von Khal Drogo mal abgesehen. Emilia Clarke hat das acht Staffeln lang sehr gut gespielt – Chapeau!


Jon Schnee

Wenn genug Menschen falsche Versprechungen machen, verliert unser Wort seinen Wert. Dann gibt es keine Antworten mehr, nur bessere und bessere Lügen. 
 
Wer hat den treuherzigen „Bastard“ nicht von Anfang an ins Herz geschlossen? Zum Helden war er nicht geboren, am Ende rettete er den Norden. Aber er wird auch zum dritten Königsmörder der Staffel und zur Strafe an die Mauer geschickt. Warum ihn der „Graue Wurm“ für den Mord an der Drachenkönigin nicht auf der Stelle getötet hat, bleibt allerdings ein Rätsel und wohl das Geheimnis der beiden Showrunner.
Jons Dilemma: er war der Wahrheit und er Ehrlichkeit so ergeben, dass er bis zum Ende die Regeln einer verdorbenen Gesellschaft nicht richtig verstanden hat. Trotzdem waren diese Charaktereigenschaften gut genug, um Lordkommandant der Nachtwache und später auch „König des Nordens“ zu werden. Dann versagte er: Einmal an der richtigen Stelle lügen und alles wäre gut geworden. Konnte er nicht, am Ende sind die beiden Frauen, die er von Herzen liebte, tot und Jon reitet mit den Wildlingen als gebrochener Mann und neuer Anführer des freien Volks in die dunklen Wälder. Dass er dort hingehört, hatte ihm Thormund bereits in der vierten Staffel gesagt.
Mal ehrlich: das wäre ein toller Stoff für ein Sequel, denn auf Dauer kann das nicht gut gehen. Vielleicht warten im kalten Norden weitere Gefahren, die die Wildlinge wieder nach Süden treiben? Ganz ehrlich: Kit Harington spielt das toll, auch weil sein zerfurchtes Gesicht am Ende verriet, dass ihm alles geistig über den Kopf gewachsen war. Wenigstens sein Schattenwolf und Thormund halten am Ende zu ihm.



Kann man eine Serie ‚vernünftig‘ beenden?

„Chaos ist kein Abgrund. Chaos ist eine Leiter. Viele, die versuchen sie zu erklimmen, scheitern und dürfen es nie wieder versuchen. Sie zerbrechen an ihrem Sturz. Und manchen wird die Gelegenheit geboten sie zu erklimmen, doch sie weigern sich. Sie klammern sich an's Reich, oder an die Götter, oder an Liebe. Illusionen. Nur die Leiter ist echt. Der Aufstieg ist alles“ (Petyr Baelish, S 4/07).

Ein vernünftiges Ende? Klares Nein! Geht nicht.
Erstens weiß man nicht, wie vernünftig erzählt wird, sonst gäbe es nicht so viele Geschichten. Und angesichts der vielen Millionen Fans muss man ohnehin davon ausgehen, dass es eine Menge Liebe und Hass für einzelne Figuren gibt und die vielen Millionen eben nicht die gleichen Figuren lieben und hassen können und wollen. Die Reaktionen der Fans müssen fast zwangsläufig bipolar ausfallen. Oder multi-polar.

Dieses Dilemma kennen auch die Geschichtenerzähler. Die Fans sollten es auch kennen und toleranter sein, tun sie aber nicht. Nicht immer können sie kohärent argumentieren, sorry. Deshalb wird viel von Logiklöchern und Starbuck-Bechern gesprochen, Nebensächlichkeiten werden skandalisiert. Das liegt auch daran, dass niemand Petyr Baelish verstanden hat, der zwar immer recht machiavellistisch klng, sich aber auch recht einfach übersetzen lässt: Das Zuschauen ist alles oder: Der Weg ist das Ziel. Also: Das Ende einer Serie kann nicht die vorangegangenen sieben Jahre voller Spaß und intelligenter Unterhaltung formatieren.

Zweitens ist es wesentlich einfacher, mit einer Geschichte gut zu beginnen, aber deutlich schwerer, sie gut zu beenden. Besonders dann, wenn man a) nicht so enden will wie LOST und b) das Publikum nicht vergraulen möchte, denn das millionenschwere Franchise ist ja auch aus ökonomischen Gründen längst nicht auserzählt. 

Unabhängig davon ist es auch erzähltechnisch immer eine Herausforderung gewesen, angesichts der vielen bereits erzählten Geschichten nun die von „Game of Thrones“ mit einem originellen Ende auszustatten. Hollywood ist jahrzehntelang gut damit gefahren, den Kinomassen immer wieder ein schablonenhafte Filmende zu servieren. Offenbar der richtige Weg im Big Business (o.K., das ist jetzt etwas zynisch), obwohl man eigentlich dachte, dass dies im modernen Serienkosmos nicht mehr nötig sei. Jon und
Daenerys auf dem Eisernen Thron? Vielleicht hätte dies die Kritiker zum Schweigen gebracht, aber ehrlich wäre es nicht gewesen. Und Arya? Wurde dieses Figur tatsächlich vor die Wand gefahren? Nein, dass sie nach Westen segeln wolle, hatte sie schon in der der sechsten Staffel angekündigt. Und dass sie zuvor etwas Entscheidendes vom Bluthund lernt, gehörte zu den stärksten Momenten der letzten Episode. So sieht selbstbestimmtes Handeln aus.
Die nun aber ausgebrochene Hysterie wird die Serienmacher nur eins lehren: weniger Risiko, denn die da draußen werden jedes Ende bemäkeln, auch wenn sie es noch nicht gesehen haben. Und auch hinterdrein ist sowieso alles schlecht. Vielleicht ist das alles ja auch nur ein Ausdruck der Abschiedsschmerzen.


Drittens – und das ist vielleicht das wichtigste Argument – erkennen wir auch im 21. Jh. die Vernunft nicht einmal, wenn sie direkt vor uns steht und wir nur ihre Hand ergreifen müssen, stattdessen aber sehenden Auges in die Katastrophe marschieren. Ja, auch wir haben unser Problem mit „Eis und Feuer“ – erkennt man übrigens ganz gut an den schmelzenden Eisbergen. Warum sollen die Fans bei einer so emotionalen Sache wie „Game of Thrones, die so viel richtig gemacht hat, auf Wut, Hass, Hysterie und konfuse Argumente verzichten? Geht gar nicht. Ein vernünftiges Ende kann es also nicht geben.
Und dann sind da noch die medialen Rattenfänger, denen es so schön gelingt, sich dem aktuellen Hype des Meckern anzupassen und genau das zu schreiben, was sich die Mehrheit der Fans
scheinbar wünscht. Und die auch Hypes erfinden – zum Beispiel über Kaffeebecher und Wasserflaschen. Mal im Ernst: ist das wirklich ein Skandal? Komischerweise hätte ich das nie gesehen, wenn es nicht weltweit die Runde gemacht hätte. Womit wir beim nächsten Punkt angekommen sind.


Wer ist schuld?

„Das Heldenhafteste, das wir tun können, ist, der Wahrheit in's Gesicht zu sehen“ (Sansa Stark, S 8/03).

Ganz klar: das Internet ist schuld an der ganzen Aufregung.
Himmel, wie schön war es, als wir älteren Semester noch „Magnum“ oder „Rockford“ schauten. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, die Showrunner auf Twitter, Facebook und anderen Social Media zu teeren und zu federn, nur weil eine Episode uns nicht gefallen hat? Warum? Weil es Twitter, Reddit und Facebook nicht gab und auch nicht das streckenweise strunzdumme und zusammenhanglose Gefasel im globalen Netz.
Muss man nicht resignieren, wenn jemand schreibt, dass jede Folge von GoT purer Mist war und er glücklicherweise keine gesehen hat? 

Zum Glück ist im Internet nicht jeder strunzdumm oder ein unbegabter Troll. Und erst recht sind nicht die Fans gemeint, die ein Recht auf eine eigene Meinung haben. Gemeint sind die Profis, die tagtäglich über Serien schreiben und es dabei hinkriegen müssen, dass sie ordentliche Kicks einfahren. Zur Not auch mithilfe von Kaffeebechern. Aber auch mit anderen Mitteln. Mittlerweile sind wir so weit, dass selbst etablierte Medien in ihren Artikeln angeblich meinungsstarke Memes von Fans so präsentieren, als seien es belastbare Quellen.

Noch schlimmer: der Spoiler. Überall beklagt, besonders in den Foren seriöser Printmedien, die den Fehler begangen haben, ein Leserforum einzurichten. Dort geht es Kritikern an den Kragen, weil sie den Inhalt zusammenfassen und eigene Schlüsse ziehen. Sofort zieht ein Shitstorm auf: Spoiler! Ansonsten werden Spoiler gierig aufgesogen, der Autor muss nur in großen Buchstaben und in Fettdruck vor ihnen warnen, dann ist alles gut.
Als aber der STERN es wagte, 24 Stunden bevor die 5. Episode von GoT on air war, den gesamten Inhalt von „The Bells“ online zu spoilern, schwiegen im Netz alle einträchtig. Dabei war das Clickbaiting des STERN eine der ekelerregendsten Aktionen, seit der Kabarettist Wolfgang Neuss im Berliner „Der Abend“ verriet, wer der Halstuch-Mörder ist.

So what. Einige Zeitgenossen wissen ohnehin nicht, was ein Spoiler ist. Und die Rattenfänger wissen, dass ihre Leser das nicht wissen. Deshalb sind die Online-Magazine und Fan-Seiten so läufig geworden sind, dass sie sabbernd Tipps, Vermutungen oder Theorien als „Spoiler“ etikettieren und vor ihren eigenen Texten warnen. Immerhin garantiert das, dass sie nun erst recht gelesen werden. Offenbar haben wir wohl genau das verdient, was wird bekommen: zynische Desinformation und klickgeile Strategien, um noch mehr Werbung verkaufen zu können. Warum haben wir das verdient? Wir lesen wir den Dreck. Ich manchmal auch.



„Game of Thrones“ bleibt ein Teil von uns

„Sie ist jetzt jetzt unser aller Königin“ (Jon Schnee)

„Versuch' das mal Sansa zu erklären!“ (Arya)

Nun ist es vorbei. Die Geschichte ist erzählt. Das ist hart, denn über acht Jahre lang hat „Game of Thrones“ mir ein höllisches Vergnügen bereitet. Richtig schön war es, die Serie nicht allein zu schauen. Hinterher konnte man endlos streiten. Richtig schön waren nicht die großen Schlachten, sondern die vielen kleinen Szenen, in denen einem die Figuren näherkamen. Und schön war auch das Heer der vielen Nebenfiguren, die so sorgfältig ausgearbeitet wurden, auch wenn sie nur selten zu sehen waren. Stichwort: Hot Pie (Ben Hawkey), der anfänglich ein Arschloch war, dann aber so wunderbare Pasteten machen konnte. Oder Briennes und Podricks Philosophieren über Sinn und Zweck eines Knappen. Ganz ehrlich: Ich kann und will es nicht glauben, dass es im nächsten Jahr nicht weitergeht. Es gibt doch noch so viel zu erzählen.

Ein schwerer Kloß bleibt einem also im Halse stecken – und in einem Punkt haben die Fans absolut Recht. Die Showrunner David Benioff und D.B. Weiss haben viel von dem verschuldet, was in die Hose gegangen ist. Das sich überschlagende Erzähltempo, die nicht erzählten Sidelines. (Was wird aus den Dothraki? Warum wurde die Figur des Bran am Ende so flach erzählt, dass von Bran nur noch banale Oneliner zu hören waren?).

Nein, Benioff und Weiss waren einfach fertig und wollten nicht mehr. HBO war bereit, Staffeln mit zehn Folgen zu bezahlen und auch weitere Staffeln zu finanzieren. Auch George R.R. Martin wollte dies. Die beiden Showrunner aber nicht, wie sie freimütig „Entertainment Weekly“ gestanden.
Dies mit einem „Schade“ abzutun, ist zu wenig. Klar, eine Serie von diesem Umfang kann das Leben ihrer Macher auffressen, aber in solchen Fällen reicht man den Stab einfach weiter. David Benioff und D.B. Weiss konnten das nicht. Als heimliche Herren von Winteros wollten sie ‚ihre‘ Geschichte selbst beenden.

Aber es war nicht mehr ihre Geschichte. „Game of Thrones“ gehört mittlerweile zu den wirkmächtigsten Epen der jüngeren TV-Geschichte. Man muss sich dem stellen und weitermachen – oder man lässt es andere tun. In der allerletzten Episode fachsimpeln Jon und Tyrion über Pflicht und Liebe. Gemeint ist die Drachenlady, aber der Dialog hat es in sich. „Liebe ist der Tod der Pflicht“, sinniert Jon, während Tyrion erwidert: „Manchmal ist die Pflicht der Tod der Liebe.“
Beide kommen nicht auf die naheliegende Schlussfolgerung, dass man gar nicht dialektisch argumentieren muss, um das aufzubröseln. Wesentlich einfacher ist die Erkenntnis, dass beides zusammengehört. 


Note: BigDoc = 2