Freitag, 3. Mai 2019

Die wandernde Erde – Sci-Fi-Katastrophenfilm exklusiv auf Netflix

Die Verfilmung von Cixin Lius Storysammlung „Die wandernde Erde“ ist mit einem Einspielergebnis von fast 700 Mio. US-Dollar im Moment der dritterfolgreichste Film an den chinesischen Kinokassen – hinter den Marvel-Filmen „Avengers: Endgame“ und „Captain Marvel“. Regisseur Frant Gwo zeigt einige spektakuläre Bilder – Story und Figurenentwicklung hinken mühsam hinterher.

Wieder einmal muss die Erde gerettet werden. Diesmal aber nicht vor einer ökologischen Katastrophe, sondern vor der guten alten Sonne, die sich langsam, aber tödlich zu einem Roten Riesen aufbläht. Gerade mal sieben Minuten dauert die Pre-Titel-Sequence, dann ist bereits eine der Hauptfiguren eingeführt und die gesamte Vorgeschichte erzählt.




Echte Helden sind gefragt

Gerettet werden kann die Erde nicht, die Sonne würde sie verschlingen. Also soll sie in ein Mehrgenerationen-Schiff verwandelt werden und mit mächtigen Antriebssystemen in das etwas mehr als vier Lichtjahre entfernte Sternsystem Alpha Centauri befördert werden. 3,5 Mrd. Menschen treten die Reise an und sollen in gigantischen Städten, die unterirdisch gebaut wurden, sie Reise überleben. Was mit dem Rest der Menschheit geschehen ist, die bei der Auslosung der freien Plätze Pech gehabt haben, erfährt man nicht.
Als sich das Raumschiff Erde sich zusätzlichen Beschleunigungsschub am Jupiter holen will, kommt es zur Katastrophe: die Antriebssysteme fallen aus und die Gravitation des Planeten ist zu stark. Der Zusammenstoß mit dem gigantischen Jupiter ist unvermeidlich. Als die Weltregierung beschließt, den Heimatplaneten der Menschheit aufzugeben und die Rettungsmission nur noch mithilfe der begleitenden Raumstation und einigen wenige Menschen sowie 100.000 DNA-Proben und diversen Gen-Pools durchzuführen, sind echte Helden gefragt.


Netflix zeigt „Die wandernde Erde“ in der Originalfassung, also in Mandarin. Die wenigen Zuschauer, die dieser Sprache nicht mächtig sind, müssen sich durchwursteln und in den Sprachoptionen die nicht lippengetreu synchronisierte englische Fassung mit deutschen Subs wählen. So erfährt man immerhin, dass einige handfeste Flüche aus den Subs im Off manierlicher anzuhören sind.



Alles für die Familie

Im Mittelpunkt des ehrgeizigen Plots steht eine chinesische Familie: der Astronaut Liu Peiqiang (Wu Jing) begleitet die Mission auf der riesigen Raumstation, die für die Navigation zuständig ist, sein rebellisch gezeichneter Sohn Liu Qi (Qu Chuxiao) hat sich zusammen mit seiner jüngeren Adoptivschwester Han Duoduo (Zhao Jinmai) illegal an die Erdoberfläche begeben und befindet sich plötzlich mitten in einer verzweifelten Rettungsaktion. Mit von der Partie ist auch Großvater Gan (Ng Man-Tat). Keine schlechte Idee, denn wenn Kinder oder Jugendliche in Sci-Fi-Filme zu Helden werden, kann dies durchaus spannend sein – besonders dann, wenn ein erfahrener Opa ihnen zur Seite steht.

So vielversprechend sich die Geschichte anhört, so schnell verpufft auch ihr Reiz. Die narrativen Logiklöcher habe ich irgendwann nicht mehr mitgezählt, ansonsten funktioniert der Film nach der bewährten Formel: Zeige, dass du CGI kannst und reduziere die Figuren auf klischeehafte Abziehbilder. Immerhin bekommt man dank dieser Erfolgsmischung mittelklassiger Blockbuster auch in Frant Gwos Film mit, dass die Wertschätzung der Familie in der chinesischen Familie enorm wichtig ist, dann kommt die Nation und schließlich auch Menschheit. Und: Man muss sich immer für ein höheres Ziel opfern - und so sterben halt viele in Frant Gwos Film für ihre Familie oder die Mission.
„Death is normal", kommt einem dieser Helden über die Lippen, bevor er tot zusammenbricht. Das ist aber kein Privileg einer immer noch konfuzianisch geprägten Kultur. Auch Bruce Willis hat sich in „Armageddon“ für die Rettung der Menschheit geopfert.

Viele Bilder in dem chinesischen Blockbuster sind beeindruckend, andere haben einen erkennbaren Computerlook, was aber nicht sonderlich stört. So ist die Visualisierung noch das Beste an dem Film. Ansonsten hat man durchgehend einige Probleme mit dem chinesischen Humor, der weniger von Ironie als von Zuspitzung geprägt wird. Zu diesem doch sehr speziellen Storytelling gehört auch das Pathos, das den Film förmlich durchtränkt. Aber das geht sicher auch auf das Konto des Cultural Gap, jener Lücke zwischen unterschiedlichen Kulturen, die fast zwangsläufig zu Missverständnissen führt.

Summa summarum ist „Die wandernde Erde“ aufgrund seiner floskelhaften Geschichte und einer unbefriedigenden Figurenentwicklung eher ein schlechter Film. Wer es richtig böse meint, kommt vielleicht sogar zu dem Schluss, dass Roland Emmerich im Vergleich dazu der neue Godard ist. Sci-Fi-Fans werden aber auf ihre Kosten kommen, denn „Die wandernde Erde“ geizt nicht mit spektakulären Bildern. Und ähnlich wie in der Trisolaris-Trilogie von Cixin Liu können die Dimensionen des Plots nicht groß und dramatisch genug sein.

2500 Jahre soll die Reise der Planeten in Sternensystem Alpha Centauri dauern - es wäre phantasievoll gewesen, in einem ganz anderen Film zu zeigen, wie während dieser langen Zeit das kulturelle und technische Niveau auf einem Generationenschiff aufrechterhalten wird - oder nicht. Dafür braucht man aber Visionen und gute Autoren.


Noten: BigDoc = 4


Die wandernde Erde (The Wandering Earth) - China, 2019 - Vertrieb: Netflix - Regie: Frant Gwo - nach der gleichnamigen Storysammlung von Cixin Liu - Darsteller: Qu Chuxiao, Li Guangije, Ng Man-tat, Zhao Jinmai, Mike Sui - Länge: 125 Min.