Samstag, 29. August 2009

Zeiten des Aufruhrs

USA / Großbritannien 2008 - Originaltitel: Revolutionary Road - Regie: Sam Mendes - Darsteller: Leonardo DiCaprio, Kate Winslet, Michael Shannon, Kathryn Hahn, David Harbour, Kathy Bates - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 119 min.

Connecticut in den Mittfünfzigern: Frank (Leonardo DiCaprio) und April Wheeler (Kate Winslet) sind Mitte 30 und leben in einem eigenen Haus in der Revolutionary Road. Frank ist ein mittelmäßiger Angestellter, der früh seine Ambitionen verloren hat, April hat eine Schauspielschule besucht, wird aber durch den mäßigen Erfolg in einem Amateurtheater ernüchtert. Beiden ist der Aufstieg in den gesicherten Mittelstand gelungen, die Banalität und Tristesse ihres sozialen Milieus ödet sie aber an. Die Ehe bröckelt. April sucht einen Ausweg und versucht Frank davon zu überzeugen, nach Paris zu ziehen, wo sie für den Lebensunterhalt sorgen will, damit Frank herausfinden soll, was er aus seinem Leben machen kann. Zunächst lässt sich Frank überzeugen, doch als ihm ein Sprung auf der Karriereleiter angeboten wird, distanziert er sich zunehmend. Aprils erneute Schwangerschaft lässt den Traum endgültig platzen, Frank beginnt eine Affäre mit einer Schreibkraft, auch April geht fremd. Als die Ehe zerrüttet ist, beginnt ein Rosenkrieg, auf dessen Höhepunkt April eine suizidale Entscheidung trifft.

Fesselnder Film, der aber nicht restlos überzeugt
„Zeiten des Aufruhrs“ basiert auf dem 1961 erschienenen Roman Revolutionary Road von Richard Yates. Auch in zahlreichen Kurzgeschichten arbeitete sich Yates an seinem Hauptthema ab, der präzisen Schilderung der Mittelmäßigkeit und des Scheiterns seiner Mittelstands-Figuren. Eine Steilvorlage für Sam Mendes, der bereits mit American Beauty (1999) eine brillante Vivisektion des American of Life vorlegte.
„Zeiten des Aufruhrs“ reicht nicht ganz an Mendes’ Meisterwerk heran, ist aber stilistisch und inhaltlich kohärent genug, um zu fesseln. Der aus meiner Sicht typische Mendes-Touch besteht darin, mit dezent eingesetzten Mitteln des Melodrams seine tragischen Figuren heroisch zu überhöhen, ohne dabei die Balance zu verlieren. Gelingt dies, begibt man sich als Zuschauer in eine stilistisch konsistente Kunstwelt, die ihre Bezüge zur sozialen Realität aber nicht einbüßt. Mendes ist daher weniger Realist, eher ein subtiler Vertreter des amerikanischen Melodrams. Persönlich favorisiere ich bei der Darstellung von Mittelstandskrisen eher den phantastischen Realismus Ang Lees („Der Eissturm“, 1997).
Mendes gelingen in „Zeiten des Aufruhrs“ schöne Szenen, zum Beispiel, wenn er die Fassungslosigkeit, den Neid und die Missgunst im Freundeskreis des jungen Paares skizziert. Auch die Eskalation der Ehekrise ist fein gezeichnet, etwa wenn Frank seiner Frau mit dem Psychiater droht (eine extreme Bedrohung, wenn man weiß, wie die amerikanische Psychiatrie in den 40er und 50er Jahren mit renitenten Ehefrauen umgegangen ist).
Etwas aus der Balance gerät der Film in stilistischer Hinsicht, wenn die Kamera April nach ihrem Abtreibungsversuch in einer ästhetisch geschmackvollen Aufnahme sinnierend am Fenster zeigt, während ihr das Blut an den Schenkeln entlang läuft. Da ist er, der Mendes-Touch, der Anflug von Heroisierung. Das hat ein Geschmäckle, nicht nur weil Mendes alles für seine brillant spielende Frau Kate Winslet zurechtrückt, sondern weil man durchaus auch die Lanze für Frank ergreifen kann, der von der Kritik überwiegend als feiger Biedermann skizziert wurde. Ich habe Leonardo DiCaprio anfangs die Rolle nicht zugetraut, besonders wegen seiner bekannten Manierismen, aber man kann (wenn man will) auch sehen, dass Frank lediglich das Opfer eines utopischen Lebensentwurfes ist, dem sich April selbst nicht stellen will. Ist die versprochene Freiheit als Bohemien in Paris wirklich so begehrenswert, wenn man zu ahnen beginnt, dass diese Grenzenlosigkeit angesichts der zu erfahrenden Durchschnittlichkeit möglicherweise zum Fiasko gerät?

Aussetzer im dramatischen Konzept
Ein wenig schwankt die Balance auch hier, aber wirklich ärgerlich ist dies nicht. Wesentlich übler sind die einzigen Schwächen des Scripts: man sieht die Kinder von April und Frank nicht, sie sind in dem dramatischen Konzept schlicht verloren gegangen – Randfiguren, die nicht ins Geschehen eingreifen; auch mit der Nebenfigur des John Givings (Michael Shannon) konnte ich nicht glücklich werden. Der Charakter wird als psychotischer Hofnarr, der unerbittlich die Wahrheit sagt, in ein gut geöltes Ensemble eingeführt, das auch ohne diese Deutungsversuche sehr triftig zeigt, worum es in diesem Film geht. Michael Shannon spielt zwar grandios, sprengt aber die Intimität des Plots.
Gelungen ist Mendes’ Film dort, wo er emotional berührt und Fragen stellt, die jeder narrativen Kunstform zu Eigen sind: Ist mein Leben auch so? Was würde ich tun? Mit welcher Figur kann ich mich identifizieren? Dies sind die elementarsten Reaktionen auf Lebensnähe in Literatur, Kino und Theater und sie finden vor jeder Reflexion über Form und Stil statt.
Kinodramen über zerrüttete Ehen legen daher, wen wundert es, den Finger auf die Wunden der Zuschauer. Mal mit zerstörerischer Aggressivität wie in der Selbstzerfleischung von Liz Taylor und Richard in „Wer hat Angst vor Virginia Wolff?“ oder in den schwer erträglichen „Szenen einer Ehe“ von Ingmar Bergman, dessen Mixtur aus Psychoanalyse und existenzialistischer Schärfe man sich nur ungern aussetzt, weil sie ins Fleisch schneidet.
Sam Mendes verlagert das Drama in wohltuender Distanz in die 50er Jahre, in einen schützenden Raum, der nur an der Peripherie soziologisch ausgeleuchtet wird, aber so weit von uns entfernt ist, dass die vorsichtige Aufgabe dieser Distanz nicht wirklich weh tut. Die warmen Farben, die sorgfältig gewählten Interieurs und die sensible Kameraarbeit muten uns das Seelendrama lediglich in homöopathischer Dosierung zu.

Wie zu erwarten war, hatte der Film großen Nachhall und katapultierte sich mit einem exzellenten Notenschnitt gleich auf Platz 2 der Topfilme 2009. Dass ich mich persönlich nicht zu einer besseren Note durchringen konnte, liegt daran, dass einige Soaps (man möchte es nicht glauben) mit einem sehr direkten Realismus und einem Schuss Ironie das Thema aus meiner Sicht authentischer abhandeln. Man schaue sich nur einmal die Ehekrise des Dr. Greene in den beiden ersten Staffeln von von Michael Crichtons ER (Emergency Room) an. Wer die frühen Folgen der Serie kennt, weiß, was ich meine...

Noten: Klawer = 1, Melonie, BigDoc = 2, Mr. Mendez = 2,5

Pressespiegel:
„Handlungsarmut bei wenig ausdrucksstarker Filmsprache ist … eines der zentralen Probleme der Sam Mendes-Adaption des Romans »Revolutionary Road«, dessen Kernkonflikt zudem fatal nah an Mendes’ großem Erfolg American Beauty zu verorten ist.. Dennoch ist die Dramatik der Beziehung nach dieser Zeit echter Begegnung bei aller Vorhersehbarkeit schockierend: Nach deutlich zu langen ersten zwei Dritteln schöpft der Film sein Potential aus und lässt im Endspurt sogar fast logische Ungereimtheiten und aufdringliche Filmmusik vergessen“ (Kyra Scheurer in: SCHNITT).
„Das Kolorit vergangener Zeiten wird durch Milieu sowie Kulisse, Requisite und Kleidung kenntlich gemacht, doch in dem hedonistischen Lebensstil der Figuren, ihrer Ichbezogenheit, ihr Angewiesensein auf ein Dasein im behaglichen Wohlstand, der Lust, sich der Zerstreuung hinzugeben und dem fehlenden Idealismus schimmert ein moderner Zeitgeist durch“ (Arwen Haase in CRITIC.DE).
„Ein Beziehungs-Drama, das an die Nieren geht“ (Walli Müller in BR-ONLINE).
„’Zeiten des Aufruhrs’ (ist) vor allem eine überaus hellsichtige und berührende, mitunter auch bittere Betrachtung über Entfremdung, Hoffnungslosigkeit und Angst vor der Freiheit. …Es ist der Mann Frank, der diese Feigheit repräsentiert, … Es ist auch die Frau, die, wieder einmal, am Ende dafür bestraft wird. … Nicht die Träume sind schuld am Unglück, sondern dass wir aufgeben“ (Rüdiger Suchsland im FILM-DIENST).