Sonntag, 16. August 2009

Sind die alle bekloppt?

Je komplizierter die technischen Zeitläufte werden, desto sinnfreier werden die gebetmühlenartig wiederholten Beteuerungen, dass alles einfacher und benutzerfreundlicher wird. Dies gilt laut Microsoft angeblich nicht nur für VISTA, sondern nach Aussage der Unterhaltungsindustrie auch für das in die Ferne sehen (abgekürzt: TV) oder auch für die Benutzung einer elektrischen Zahnbürste, die schon in naher Zukunft vermutlich LAN-fähig ist und morgens beim Zähneputzen die aktuellen You Tube-Hits auf ein kleines, garantiert benutzerfreundliches hochauflösendes Display knallt.

Man sollte es einfach mal ehrlich aussprechen: All dies ist eine Lüge.
Nichts ist einfach und eigentlich gar nichts ist benutzerfreundlich. Das Wort ‚benutzerfreundlich’ ist nur erfunden worden, um die Idioten, die mit ihrer Unterhaltungselektronik nichts gebacken bekommen, ihr ganzes Elend noch intensiver erleben zu lassen. Man muss nur einmal selbst einige Komponenten zusammengesteckt haben, um den ganzen Wahnsinn in voller Blüte zu erleben. Nur am Rande: Um die folgenden Attacken auf unser Nervensystem zu begreifen, muss man wissen, dass die meisten unserer Zeitgenossen immer noch nicht wissen, dass man eine Bluray nicht mit dem heimischen DVD-Player abspielen kann und dass die selben Zeitgenossen angststarr vom Stuhl fallen, wenn man sie nach dem Unterschied zwischen DVB-S und DVB-C fragt – und dass, obwohl die entsprechenden Strippen aus ihrer Wand kommen und in irgendwelchen Geräten verschwinden.

Wie gesagt: Alles Lügen. In Wirklichkeit wird alles komplizierter und das Fernsehen von morgen, um bei einem alltäglichen und an sich trivialen Phänomen zu bleiben, wird den so genannten Usern mindestens ein zweitägiges Block-Seminar abverlangen, damit man wenigstens ab und zu die Tagesschau sehen kann. Und wer in seinem sozialen Umfeld die Leiden eines lieb gewonnenen Freundes teilen muss, der es nach drei Tagen ‚irgendwie’ hinbekommen hat, seinen nagelneuen Festplattenrecorder an seinen Kühlschrank anzuschließen, der weiß, wovon die Rede ist.

70% aller Haushalte sind nun digital, behauptete die ARD im März dieses Jahres. Und in 13 Millionen Haushalten stehen „HD-ready-Screens“, fügt die Presseerklärung des Senders hinzu. Ich weiß wirklich nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat, denn erstens dürften die meisten Leidensgenossen hierzulande nicht wissen, was ein „HD-ready-Screen“ ist - nämlich ein LCD-TV-Gerät, das HDTV nur eingeschränkt und ohne Zusatzgerät sowieso nicht zeigen kann, es sei denn, das DVB-Modul ist eingebaut. Und zweitens ist das, was wir nach wie vor sehen, halt das so genannte SDTV, was Standard Definition bedeutet und im Techniker-Chinesisch eben 768 × 576 Pixel bei 50 Hertz Bildfrequenz bedeutet. Und die kann man wahlweise analog oder digital empfangen. Diese matschigen SD-Signale sind eine Qual, vor allen Dingen für all jene, die frohen Herzens einen brandneuen Fernseher gekauft haben, der in den Ausstellungsräumen des Händlers prachtvolle Bilder gezeigt hat, aber daheim kollabiert und nur noch ein verwaschenes Nichts präsentiert. Dieses Nichts kann man eigentlich nur dann erträglich wahrnehmen, wenn man es digital empfängt und dann vorzugsweise eben nicht auf einen HD-ready-Screen, sondern auf einen alten, aber guten Röhrenfernseher weiterleitet. Die sind nämlich genau dafür gebaut worden und können das dann auch ziemlich gut.
Die Wahrheit ist grausam, aber - nomen est omen - halt wahr: LCD-Geräte sind nur dann zum in die Ferne sehen geeignet, wenn man HDTV empfangen kann und ansonsten sollte man sie zum Abspielen von Blurays benutzen. Genau die sieht der gequälte Konsument in der Ausstellung seines Händlers - prachtvoll sind die Farben und Kontraste, natürlich extra hochgemotzt mit den so genannten Händlerleinstellungen. Alles andere ist – ich wiederhole mich gerne - eine Lüge. Folglich hat man tolle Geräte in 13 Mio. Haushalte verkauft, die für die tägliche Praxis nicht geeignet sind, um erst gar nicht von den Full-HD-Displays zu sprechen, die die SD-Signale erst recht ungenießbar machen, besonders dann, wenn sie größer als 42 Zoll sind und das SD-Signal so aufblasen, dass man alle Pixel einzeln sehen kann. Dafür sind sie alle schön flach.

Mit der Leichtathletik-WM haben ARD und ZDF nun über Nacht HDTV-Kanäle aus dem Boden gestampft, um dem Volke zu zeigen, wo technisch der Hammer hängt. Klasse, leider hat mit den 13 Mio. HD-ready-Screens nur den halben Spaß, weil sie von FULL-HD doch – gelinde gesagt – etwas weit entfernt sind. Aber selbst diesen halben Spaß kriegt man erst dann auf den Bildschirm, wenn man den guten alten digitalen SAT-Receiver, den sich 70% aller Haushalte auf Anraten der Experten gekauft haben, um zukunftssicher zu sein, umgehend einmottet und sich flugs einen HD-Receiver kauft. Wenn man dann Glück hat und beim ersten Suchlauf die neuen Kanäle findet, bekommt man zwar ein spürbar besseres Bild, ahnt aber, dass man am falschen Ende gespart hat. „Hab ich doch gewusst“, sagt Papa zur Mama. „Hätten wir mal gleich Full-HD gekauft, aber Du fandest ja die Farbe dieser Gurke so chic!“ Tja, Papa hat irgendwo gelesen, dass "HB-ready" als Qualitätssiegel mehr mit der Kompatibilität zu einem bestimmten Kopierschutzverfahren zu tun hat, denn mit der Qualität der Bilder.
Die Gurke steht nun mitten im Wohnzimmer und gehört zu jenen Investitionen, die über Nacht zum Technik-Zombie mutiert sind.

Meine Lokalzeitung jammerte auf ihre Weise: „ARD und ZDF setzen auf HDTV – aber keiner kann es sehen!“ Ja, was erwarten sie denn? Etwa, dass die Öffentlich-Rechtlichen die gute alte Röhre HD-fähig machen? Das kriegt nicht mal Harry Potter hin und ins Haus werden sie uns, den 'digitalen Haushalten', die erforderlichen HD-Receiver auch nicht tragen. Man muss halt (wieder einmal) kaufen. Und das in diesen Zeiten.

Ach ja: Kaufen. Auch so ein Thema. Erst haben sie uns den Krieg zwischen HD-DVD und Bluray zugemutet und alle verarscht, die auf das falsche Pferd gesetzt haben und nun wollen sie, dass wir wieder eine Entscheidung treffen, obwohl die Privaten schon längst angekündigt haben, dass sie auf ein gaaaanz anderes HDTV setzen – egal, ob das nun HDplus oder HDsuper heißt, mit den Geräten, die wir noch nicht einmal gekauft haben, wird das garantiert nicht zu sehen sein.
Und am Ende der Ochsentour, wenn 70% alles Haushalte wirklich und echt und tatsächlich alles Notwendige angeschafft haben, wird uns die Holographic Versatile Disc (HVD) angekündigt, die auf Laser-TV (die Japaner basteln gerade daran) in punkto Schärfe und Farbenpracht den HD-Müll von heute eben als solchen outet. Wir kaufen dann einfach die neuen Geräte, denn auf eine TeraDisc (die gibt’s ab 2010) passen ja über 140 Filme in Bluray-Qualität. Muss man haben.

Den Irrsinn auf die Spitze trieb nun ausgerechnet der biedere NDR, der familienfreundlich ‚Das Beste am Norden’ bewirbt. In einer Postwurfsendung wurden alle niedersächsischen Haushalte darüber informiert, dass auch das Dritte hierzulande nur digital über Satellit einfach super aussieht. Tief durchatmen, wir haben ja zum Glück einen digitalen SAT-Receiver…Doch halt, was ist das? „Digital, aber richtig!“ schreibt der NDR in seiner blauen Wurfsendung. Denn um den NDR störungsfrei zu empfangen, müsse es schon ein Receiver mit dynamischer PMT-Umschaltung sein. In Gottes Namen, was ist daaaas?
Zum Glück gibt es die Wikipedia!

„Die Program Map Table (PMT) enthält Informationen über die Programme. Für jedes Programm gibt es eine PMT, assoziiert mit seiner PID. Die PMTs beschreiben, welche PIDs Daten für das Programm enthalten. PMTs stellen ebenso Metadaten für die Streams und ihre einzelnen PIDs bereit. Zum Beispiel sind bei einem Programm, bestehend aus einem MPEG-2-Videostrom, die PID des Videostreams und zusätzlich die Art der Daten, also in diesem Fall MPEG-2, enthalten. Die PMT kann außerdem zusätzliche Deskriptoren zur Beschreibung der einzelnen Ströme enthalten.“

Als mich gegen Mittag mein 84-jähriger Vater anrief und verzweifelt fragte, ob er denn jetzt nicht mehr seine Heimatsendung sehen könne, sagte ich, er könne sich beruhigen. Er solle einfach mal manuell auf dem Transponder 51 mit horizontaler Polarisation auf der Frequenz 10.7438 nachschauen. Dort sei des Programm Test-R (so heißt das wirklich), dort könne er sehen, ob er PMT-tauglich sei, was bedeute, dass sich die Bouquets bei Auseinanderschalten der Regionalprogramme so aufteilen, dass er weiterhin „Neues aus Niedersachsen“ und nicht „Kühe melken in Schleswig-Holstein“ sehen könne. Dass dies vermutlich auch dann geht, wenn man schlicht und simpel NDR FS NDS manuell in seine Favoritenliste aufnimmt, habe ich verschwiegen.

Vor zwei Jahren haben die Öffentlich-Rechtlichen mit grausamer Klarheit das Ergebnis einer Studie wahrnehmen müssen, die das Durchschnittsalter ihrer Zuschauer bei 58 Jahren festlegt: http://www3.ndr.de/sendungen/zapp/archiv/film_fernsehen/zapp2054.html. Aufwärts wohlgemerkt! Die Zuschauer vergreisen und die Mehrheit besteht aus Menschen, die ein Antennenkabel in eine Gerät stecken wollen, um danach sofort loslegen zu können. Die Mysterien eines automatischen Sender-Suchlaufs bleiben ihnen ebenso verschlossen wie das Konzept einer graphischen Benutzeroberfläche, die beim Tuning verschiedene Menüs und Untermenüs auffaltet. Genau diesen Menschen erklärt der NDR nun die reizvollen Vorzüge einer dynamischen PMT-Umschaltung - eine Aktion, die nur ein weltfremder und kirre gewordener Praktikant hat lostreten können, denn bei klarem Verstand hätte man den braven Zuschauern besser erklären sollen, dass ihnen demnächst der analoge Saft abgedreht wird.
Ja, wir sind alle mitten drin im Wahnsinn und es gibt kein Entkommen. Spätestens, wenn im nächsten Jahr das analoge Lowband auf ASTRA leergefegt wird, werden Millionen Rentner auf eine schwarze Mattscheibe starren und danach auf die Straße gehen und Molotow-Cocktails werfen. Egal wohin.

Noch eins. Ich habe natürlich ein Full-HD-TV-Gerät, das auch den 24p-Cinema-Modus kann. Das ist toll. Ich gucke überwiegend Blurays auf einem 24p-fähigen Zuspieler, der beim Upscaling so gut ist, dass meine alten DVDs aussehen, als seien sie frisch gepresst. HDTV ist auch toll. Den entsprechenden Receiver habe ich für weniger als € 100,- gekauft und er funktioniert auch, nachdem ich mir die aktuelleste Firmware heruntergeladen hatte. Nach einem Monat hatte ich alle anderen Geräte endlich so gut kalibriert, dass es jetzt richtig Spaß macht. Das entsprechende Feintuning musste ich mir selbst beibringen, da der Hersteller meines In-die-Ferne-Gucken-Gerätes seine technischen Geheimnisse für sich behält, so dass die Mitarbeiterin der technischen Hotline auf die Frage nach einer bestimmten Technik antwortete: "Das ist dafür, dass Sie beim Fussball sehen können, dass der Ball im Tor ist". Das konnte ich doch vorher auch schon, oder!? Egal!
Dass meine per HDMI 1.3. verkabelten Geräte miteinander Krieg führten und nicht gleichzeitig eingeschaltet werden dürfen - geschenkt. Wenigstens lernte ich so den Mitarbeiter einer Hotline kennen, der mich anschnauzte, ich solle mich nicht bei ihm, sondern bei dem Hersteller des Endgerätes XYZ beschweren. Geschenkt!
Ich habe auch fröhlich geschmunzelt, als ich eine Bluray einlegte und folgender Bildschirmtext erschien: "Diese Bluray kann möglichwerweise auf ihrem Player nicht abgespielt werden. Bitte wenden Sie sich wegen der aktuellen Firmware an den Hersteller!". Dass man ständig die allerneueste Firmware über Netzwerkkabel und Router downloaden muss, daran habe ich mich längst gewöhnt – auch geschenkt.
Ich bin für die nächsten 6 Monaten absolut zukunftsfest aufgestellt und ich freue mich ab 2011 auch auf die neuen HDTV-Kanäle der Öffentlich-Rechtlichen, obwohl laut ARD die Umstellung noch Jahre dauern wird und ich natives HD sehen kann, wenn im Rentenalter bin. Ich freue mich auch auf die neue HVD, weil ich dann meine 500 DVDs auf eine streichholzschachtelgroße Scheibe kopieren kann.

Brauche ich das? Nein, aber es gut, so was zu haben. Man weiß ja nie…

P.S.: Würg!