Freitag, 28. August 2009

Watchmen - Die Wächter

Großbritannien / USA 2009 - Originaltitel: Watchmen - Regie: Zack Snyder - Darsteller: Jackie Earle Haley, Malin Akerman, Billy Crudup, Matthew Goode, Carla Gugino, Jeffrey Dean Morgan, Patrick Wilson - FSK: ab 16 - Länge: 163 min

Am Ende entfernt sich ein Gott, der keiner sein möchte, gelangweilt aus unserem Sonnensystem, um in einer anderen Galaxis Leben zu erschaffen. Die Erde ist zu einer weltweiten Hippie-Kommune geworden, in der sich alle Weltenbürger friedlich und respektvoll begegnen. Für dieses Utopia mussten allerdings 15 Mio. Menschen ins Gras beißen. Ein größenwahnsinniger Superheld hat die Visionen Alexander des Großen wahr werden ließ und sich gleich das dazu passende Denkmal gebaut. Soziopathen sind die einzigen ernst zu nehmenden Moralisten in einer Gesellschaft, in der Nixon nach wie vor US-Präsident ist, während die Welt vor dem nuklearen Finale steht. Durchgeknallt? Nein, nur ein wenig, insgesamt aber eher nicht, aber dazu muss man fast drei Stunden bereit sein, sich auf eine recht extreme Erfahrung einzulassen.
Das wird vielleicht nicht auf Anhieb gelingen. Immerhin ist anzunehmen, dass nach „The Dark Knight“ der eine oder andere glaubte, dass Comicverfilmungen in stilistischer und visueller Hinsicht ihren Zenit erreicht haben. So etwas rächt sich meistens, denn das Kino lässt sich nicht aufhalten. Und so betritt in „Watchmen“ der Zuschauer ein dunkles Universum, das stilistisch und visuell fast mühelos mit Nolans Visionen mithalten kann und zu den beeindruckendsten Filmen der letzten Jahre gehört. Noch wichtiger ist, zumindest aus meiner Sicht, dass "The Dark Knight" und "Watchmen" jenseits ihrer singulären visuellen Originalität das Erzählen entdeckt haben. Und zwar ein Erzählen, das seine Figuren ernst nimmt.

Gott ist ein Amerikaner
Die „Watchmen“ von Alan Moore (Text) und Dave Gibbons (Zeichnungen) wurden 2005 als einziger Comic vom Magazin "Time" unter die 100 besten englischen Romane (!) seit 1923 gewählt. Auch sonst wurde mit Preisen nicht gespart und lange Zeit galt das Ganze als unverfilmbar. Ob Zack Snyder (Dawn of the Dead, 300) eine konsequente Umsetzung der berühmtesten Graphic Novel der 80er Jahre gelungen ist, mögen die Comic-Nerds beurteilen. Der Streit ist nicht unbeträchtlich und reicht von ‚minuziös’ bis ‚stark gerafft’. Der Umstand, dass die Schöpfer der „Watchmen“ dem Filmprojekt jegliche Unterstützung entzogen, soll als Petitesse am Rande vermerkt sein.

Begegnet man dem Film ohne jegliche Vorkenntnisse, könnte einiges daneben gehen. Den Kernplot und die wichtigsten Hauptfiguren sollte man schon vorher googeln, sonst rauscht der Prolog mit den Credits vorbei, ohne dass man auch nur ansatzweise versteht, dass hier das „Watchmen“-Universum in einer bildgewaltigen Tour de Force vorgestellt wird: von dem Auftauchen der ‚Minutemen’, eine Vigilantentruppe, die sich in Latexkostüme zwängt, aber über keine Superkräfte verfügt, bis hin zum Verbot der Superhelden durch die Nixon-Regierung – ein Verbot, das nur umgangen werden kann, wenn die tough guys von einst zu einer Zusammenarbeit mit den Behörden bereit sind. Anderenfalls drohen der Frühruhestand oder die Psychiatrie.

„Watchmen“ katapultiert uns in ein alternatives Universum im Jahre 1985: die Superhelden der 30er Jahre sind in Rente gegangen, ihrer technisch aufgerüsteten Nachfolger-Generation wurde wegen exzessiver Selbstjustiz dank des Keene-Acts in den 70zigern die Rote Karte gezeigt. Nur der nach einem Strahlenunfall zum gottähnlichen Wesen mutierte Physiker Jon Osterman (Dr. Manhattan) und Adrian Veidt (Ozymandias, der „klügste Mensch der Welt“) sind der Öffentlichkeit seither bekannt. Den Vietnam-Krieg hat Dr. Manhattan (nomen est omen) im Alleingang gewonnen und die Herren Bernstein und Woodward sind wegen ähnlicher Interventionen auch nicht zum Zuge gekommen. Richard Nixon strebt also seine fünfte Amtszeit ungefährdet an, allerdings steht der Kalte Krieg unmittelbar vor der Tür. Alle Hoffnungen ruhen auf Dr. Manhattan, der Teleportation und Telekinese beherrscht und Zeit und Raum nur noch Marginalien registriert. Als ein vermummter Killer auftaucht und einen alten Mitstreiter, den zynischen „Comedian“, aus dem Fenster eines Wolkenkratzers wirft, werden die „Watchmen“ nachdenklich. Der letzte illegal aktive Vigilant „Rorschach“ (Jackie Earle Haley, u.a. „Little Children“) deutet den Vorfall als Komplott gegen die Gruppe und versucht dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Nur zögerlich schließen sich der unsichere und labile Dan Dreiberg (Night Owl II) sowie die traumatisierte Laurie Juspeczyk (Silk Spectre II) dem extrem gewalttätigen Streetfighter Rorschach an.
Schon in Christopher Nolans „The Dark Night“ war die moralische Integrität des Helden arg gefährdet. Batmans Kampf gegen den „Joker“ schilderte Nolan als langsame Verwandlung des dunklen Ritters in einen prä-faschistischen Big Brother, dessen Ambivalenz nur durch die zerstörende Gewalttätigkeit eines anti-zivilisatorischen Gegenspielers gerechtfertigt werden konnte. Die meisten „Watchmen“ haben dagegen auch ohne derartig omnipotente Bösewichter die Grenzen eines zivilen Moralcodex überschritten: Rorschach verwandelte sich nach der brutalen Hinrichtung eines pädophilen Mörders in einen sadistischen Racheengel, der das Gespür eines Phillip Marlowe mit den Psychosen eines Travis Bickle wirkungsvoll ergänzt; der von den Medien gefeierte Dr. Manhattan („Gott ist echt, und er ist Amerikaner!“) kann sich zwar mühelos an mehreren Orten aufhalten, verliert aber immer mehr seine Emotionen und seine Empathie. Am Ende deutet er wie ein kirre gewordener Dr. Spock den Massenmord an Millionen Menschen mit einer pastoral-verschwurbelten Rhetorik als logisches Problem, lässt den entlarvten Strippenzieher am Leben und pulverisiert sogar einen renitenten Zeugen, bevor er sich angewidert in eine ferne Galaxis teleportiert.

Snyder setzt nicht nur ästhetisch neue Maßstäbe
Dass dies alles nicht als grelles Panoptikum daherkommt, liegt an zwei Eigenschaften des Films. Beide kommen unerwartet. „Watchmen“ ist zum einen Erzählkino in seiner uneigentlichen Bedeutung, es wird geredet und philosophiert, die Figuren erkunden ihre Beziehungen, rücken sie gerade, Vergangenes wird erinnert und Verdrängtes ans Tageslicht befördert.
Das Drehbuch von David Hayter (X-Men 1+2) und Alex Tse nimmt sich Raum und Zeit für unschiedlichen Facetten der Figuren und man wundert sich zunehmend, dass die komplexe Struktur der unterschiedlichen Handlungszweige und Flashbacks so gut funktioniert und langsam, wirklich ganz langsam, eine ungeheure Spannung erzeugt. Aber das ausgebremste Tempo macht Sinn, denn irgendwann sind alle Binnenperspektiven offen gelegt und es wird klar, warum es die eher schwächeren und labilen Watchmen und -women sind, die sich ihre menschlichen Instinkte bewahrt haben, während sich die Hauptfiguren als Psychopathen outen. Wer Action im Minutentakt erwartet hat, muss diese Hürde in dem immerhin 162 min langen Film nehmen. Und er sollte dabei genau hinschauen.

Das dieses Spektakel gelingt, liegt daran, dass Zack Snyder die eher morbide Ästhetik seiner vorherigen Arbeiten straff organisiert hat und in den Dienst der Story stellt. Und das wiederum ist Erzählkino in seiner eigentlichen Bedeutung. Die Sets und auch die digitalen Effekte überzeugen nicht nur durch eine opulente Detailfreude und raffinierte Überraschungen, sondern stellen eine dichte Atmosphäre her, die das Innere der Figuren im Äußeren widerspiegelt, zum Beispiel dann, wenn Dr. Manhattan seine Ex Laurie auf den Mars teleportiert und in einem gigantomanischen gläsernen Raumschiff empfängt, das nicht mehr von dieser Welt ist. Ein Konstrukt irgendwo zwischen Jules Verne und Spielbergs „Close Encounter“-Starships: fragil und immer von der Zerstörung bedroht. Die schmuddelig-verregneten Szenen, in denen der düstere Rorschach dem Übeltäter nachspürt, spiegeln sich in einer stimmigen noir-Ästhetik, während die Szenen, in denen Nixon und Kissinger über den Weltuntergang sinnieren, im „Strangelove“-Look eines Stanley Kubrick gehalten sind, ohne dass dies zu einem augenzwinkernden Zitat missrät.

Überhaupt gibt es eine Reihe von Anspielungen und nicht nur die für Snyder so typischen Slow-Motions erinnern gelegentlich an die Maxtrix-Ästhetik. Man hat aber nie das Gefühl, dass hier à la Tarantino mit einem Stil-Mix aus dem post-modernen Fundus jongliert wird, denn in „Watchmen“ ist der Stil zu eng mit dem Inhalt verzahnt: Jeder der Watchmen hält eine singuläre Deutung der Welt bereit und immer sorgen die Bilder für eine verblüffende Umsetzung dieser unterschiedlichen Lesarten. Wenn der wie Shakespeares Hamlet ständig unsicher grübelnde Night Owl II und die von einem Vergewaltiger gezeugte Silk Spectre II ihre Kostüme anlegen und aus Trainingsgründen eine Streetgang windelweich prügeln, um danach mit dem zynisch-verzweifelten Rorschach ins letzte Gefecht zu ziehen, ist dies kein Auftritt von Superhelden, sondern die Revolte der Durchschnittlichen und Kaputten gegen die Hybris der Übermenschen. Menschlich ist der, der selbst gelitten hat, und auch dies wird in einem der letzten Bilder fast en passent versteckt. Man muss nur genau hinschauen. Fazit: Snyders Verfilmung des "Watchmen"-Kosmos ist auch inhaltlich absolut stringent und all dies kann man auch ohne zitatensichere Kinobildung (die allerdings auch nicht schaden kann) unmittelbar spüren und erleben.

Freigegeben ab 16
Allerdings ist „Watchmen“ nichts für feingeistige Kinofreunde. Die exploitations-freudige Darstellung von Gewalt und Sex dürfte dem einen oder anderen auf den Magen schlagen. Sex unter Superhelden, o.K., aber berstende Knochen, die durch die Haut getrieben werden, das ausgiebige Spalten eines Kopfes mit einem Schlachterbeil, das Abtrennen von Armen mit einem Flex-Schneider, Hunde, die sich an einer Kinderleiche verköstigen und andere Ruppigkeiten lassen einen über die hierzulande ab 16 Jahren erteilte Altersfreigabe staunen.
Snyders Begründung sind flau, und das ist noch geschmeichelt: „Nichts ist schlimmer als diese alltägliche, ab 13 Jahren freigegebene Gewalt in Actionfilmen, in denen niemand wirklich verletzt wird oder niemand stirbt. Das finde ich gefährlich, besonders für die Kids. Ich aber will den Punkt beim Zuschauer erreichen, an dem er sich selbst beim Genuss der schrecklichsten Szenen ertappt und sich fragt, ob etwas mit ihm nicht stimmt. Dann wird es wirklich interessant, dann denkt er vielleicht auch über die ganze andere Gewalt nach, die er in anderen Filmen einfach so als Unterhaltung konsumiert.“
Das reflexive Potential von Gewaltdarstellungen hat schon vor über achtzig Jahren der deutsche Filmtheoretiker Siegfried Kracauer verteidigt. Der Theoriepapst vertrat die Ansicht, dass die Bilder des Grauens "den Zuschauer befähigen (sollen), ... das Grauen zu köpfen, das sie spiegeln". Genauso gut kann man behaupten, dass sie den Zuschauer lediglich auf neue Schocks vorbereiten und zu seiner Abhärtung beitragen.
Das Subversive, das Snyder in seinen grellen Schockszenen behauptet, gehört meiner Meinung nach zum geläufigen Business As Usual. Regeln, die auch die Kritikergilde gut kennt, aber unterschiedlich auslegt.
Man muss über die Lobeshymnen für „Watchmen“ nicht staunen, sie sind gerechtfertigt. Aber bitteschön nicht vergessen, dass Zack Snyder nach dem auch aus meiner Sicht unsäglichen „300“ mit dem Stigma leben musste, die faschistische Führerkultur in gewalthuldigende Bilder gegossen zu haben. Mittlerweile hat Filmkritik mur noch wenige Adressaten, aber wenn man liest, was Nerds in ihren Forumsgruppen über Snyders letzten Film angesichts dessen Opulenz schrieben, entsteht schnell der Eindruck, dass derartig Feinsinniges an ihnen abgeperlt ist – so wurde von ihnen Ästhetik als Inhalt gefeiert, während der Inhalt nicht so dechiffriert wurde wie gewünscht. Auch in „Watchmen“ kann man allerlei hineininterpretieren, was nicht genehm ist, und der Hinweis eines Zunftkollegen, dass das Comic-Opus einige Zuschauer ohne explizite Kinobildung emotional überfordern könne, ist verräterisch und legt die Stirn des Verfassers in Sorgenfalten.
Hop oder Top?
Schieben wir das Akademische beiseite. "Watchmen" hat eine ungeheure Präsenz, eine Wucht, die man nur selten im Kino erlebt. Ungeachtet meiner klitzekleinen Bedenken wird es wohl dazu kommen, dass man in ein bis Jahrzehnten „The Dark Knight“ und „Watchmen“ als Meilensteine der Kinogeschichte feiern wird. Zu Recht.

Noten: BigDoc = 1, Klawer = 1,5

"Watchmen" wurde im Filmclub auf Bluray vorgestellt. Etwas anderes kommt nicht in Frage. Nur am Rande: erst kürzlich habe ich mir noch einmal den Klassiker "Der Dieb von Bagdad" angeschaut, der mit Douglas Fairbanks sen. in der Hauptrolle der erste Film war, der die Millionen-Dollar-Grenze überschritt. Ob das Kino einen Kampf zwischen Realismus und den Spektakeln der Jahrmarktsbude austrägt, will ich nicht diskutieren. 85 Jahre nach dem "Dieb von Bagdad" haben die Schauwerte vielleicht die Nase vorn, aber sie haben ihre Naivität eingebüßt. Die burlesken Comic-Verfilmungen der 80er Jahre wollte ich mir nicht antun - mittlerweile sind die Comics aber erwachsen geworden und trotzdem haben sie den Charme der Jahrmarktsbude mit ihren verbotenen Sensationen nicht eingebüßt. Man sieht es mit weit aufgerissenen Augen, aber nach ein paarTausend Filmen auf dem Buckel freut man sich, dass es immer wieder etwas zum Staunen gibt.