Samstag, 22. August 2009

Zum Glück ist keiner bekloppt...

Neues aus der Anstalt
Da sich zumindest eine Leserin dieses eigentlich den schönen (Film-) künsten gewidmeten Blogs über meine Glosse amüsiert hat, die den seltsamen Technikentwicklungen geschuldet war, möchte ich hier einen erhellenden Briefwechsel mit dem NDR in leicht gekürzter Form darbieten. Fettes Lob an diese Anstalt, die sich erfreulich ernsthaft mit meiner Kritik beschäftigte, die nicht ganz frei von Frechheiten war. So schrieb ich:

"Schönen guten Morgen, gestern habe ich mit großem Erstaunen eine Wurfsendung in meinem Briefkasten gefunden, mit der Sie für Ihr digitales Bouquet werben. "Digital - aber richtig!" war schon erschreckend genug, aber als dann noch die Informationen über dynamische PMT-Umschaltung folgten, packte mich das Entsetzen.Wissen Sie eigentlich, an welche Zielgruppe Sie sich mit diesem Fachchinesisch richten? ….Viele, die eine Set-Top-Box besitzen, haben sich das Ganze von einem Techniker aufstellen lassen und wissen nicht wirklich, wie das alles funktioniert. Wenn mich Bekannte fragen, warum Sie mit ihrem digitalen SAT-Receiver die neuen HDTV-Kanäle der Öffentlich-Rechtlichen und damit die tollen Bilder von der Leichtathletik-WM nicht sehen können, dann spiegelt dies in etwa das technische Know-how Ihrer Zielgruppe wider. Da draußen leben Menschen, die Blurays in DVD-Player stopfen und daran verzweifeln. Glauben Sie nicht? Dann fragen Sie mal DVD-Ausleiher nach ihren täglichen Erfahrungen. …Genau diesen Menschen erklärt der NDR nun die reizvollen Vorzüge einer dynamischen PMT-Umschaltung und rät zu einem manuellen Sendersuchlauf (!), um sich das Programm Test-R zu Gemüte zu führen.Lieber NDR, das ist weltfremd und kundenfern. Sollten Sie nach dieser Aktion ein positives Feedback erhalten, können und dürfen Sie mich gerne informieren...."

Die Antwort des NDR (Norddeutscher Rundfunk/Sendertechnik, Abt. Technische Hörfunk- und Fernsehberatung) hier in leicht gekürzter Form:

"…Ich kann nur so viel zu diesem Thema anmerken, dass ich in meiner Tätigkeit als technischer Berater es immer wieder erlebe, dass Teilnehmer sich aus Unkenntnis die falschen Geräte kaufen und sich im Anschluss daran über eine vermeintlich schlechte Ausstrahlung des NDR-Fernsehens beschweren. Leider konnten wir bis dato auch nicht registrieren, dass sämtliche Standardfunktionen, die zum einwandfreien Empfang unserer Landesprogramme erforderlich wären, in vielen Empfangsgeräten nicht implementiert wurden. Von daher sahen wir uns genötigt, auf diese technischen Finessen hinzuweisen. Wir erwarten nicht, dass jeder Teilnehmer versteht, was es z.B. mit der dynamischen PMT-Umschaltung auf sich hat, aber als Kunde kann er mit diesem "Schlagwort" bei seinem Händler auflaufen und ein Gerät fordern, dass diese Funktion erfüllt. Mehr wollten wir im Prinzip nicht erreichen. Wie jede Mehrländeranstalt so steuern auch wir unsere digitalen Programmdatenströme mit Hilfe der so genannten dynamischen PMT-Umschaltung. Hierbei wird zu den Regionalzeiten(18:00-18:15 Uhr und 19:30-20:00 Uhr) von einem ständig durchlaufenden Hauptprogramm (bei uns Niedersachsen mit der Bez. NDR FS NDS) auf die temporären Sendeplätze der anderen NDR-Magazine hin- und zurückgeschaltet. Außerhalb der Regionalzeiten existieren diese Sendeplätze nicht und wir können dann für das gemeinsame Rahmenprogramm eine höhere Datenbitrate und somit eine gesteigerte Bildqualität anbieten. Da die Befehle zum Umschalten von den Empfangsgeräten erkannt und umgesetzt werden müssen, ist es erforderlich, dass der Empfangsdecoder den Datenstrom ständig untersucht. Erfolgt eine solche Analyse nur bei einem manuellen Programmwechsel, dann ist der Ärger vorprogrammiert. Ein Decoder, der z.B. auf NDR FS SH eingestellt ist und somit die Funktion der dynamischen PMT-Umschaltung nicht umsetzen kann, verbleibt beim Hauptprogramm Niedersachsen…"

Das war mal recht ordentlich – der NDR hatte sich nicht lumpen lassen und die Kundenbetreuung durfte als optimal bezeichnet werden. Trotzdem musste ich noch einmal nachlegen:

"...1) In Ihren Ausführungen gehen Sie nicht darauf ein, wie die DVB-C-Klientel eventuelle Probleme meistert. Das ist durchaus korrekt, weil Sie sich explizit an DVB-S-Kunden wenden. Schön wäre es dennoch gewesen, den durch Kabelbetreiber versorgten Personenkreis anzusprechen, denn wenn die Versorgung bei den Betreibern endlich einmal geklärt ist (analog, digital, HD), müssen sich viele Kunden möglicherweise eine (neue) Set-Top-Box kaufen. Und dann könnte es nicht schaden, wenn man wüsste, ob das PMT-Problem für sie relevant ist. So konnten alle DVB-C-Abnehmer die Wurfsendung gleich in den Papierkorb werfen. 2) Sie schildern den optionalen Zugriff auf ein 45min langes temporäres Paket. Warum beschreibt ein Faltblatt nicht verbraucherfreundlich an einem praxisnahen Beispiel, was der Zielgruppe für eine Sendung entgeht, wenn es mit der Umschaltung nicht klappt und was sie gewinnt, wenn Sie die Technik in Ihrem Sinne optimiert. Zum Beispiel: "Am (Datum) berichtete Landestudio (XYZ) über (Beispiel). Wer über PMT verfügte, konnte den Beitrag sehen, anderenfalls sah er (Beispiel)." Und überhaupt: wie funktioniert denn konkret das richtige Auseinanderschalten und warum genügt es nicht, NDS, HH, MV und SH in die Favoritenliste aufzunehmen und nach Wunsch manuell umzuschalten?...Viele ältere Menschen, die ich kenne, wollen ihr TV-Gerät einschalten und dort die Programmplätze mit dem Ziffernblock der Fernbedienung wählen. Dass eine Set-Top-Box eingeschaltet werden muss, an der man die Programme mit einer zweiten FB wählt, lässt sie verzweifeln. Vielleicht ist das nicht die Mehrheit, aber auch diese Menschen gehören zu ihrer Zielgruppe, die im vorliegenden Fall mit einem Jargon angesprochen wurde, das aus einer fremden Welt stammt. Noch einmal Danke und viel Erfolg bei Ihrer sicher nicht ganz einfachen Arbeit!"

Erneut antwortete der NDR postwendend und nun wurde es richtig spannend:

"Zu Frage 1: Sie haben das schon richtig eingeschätzt, dass wir uns in erster Linie um die Verbreitungswege kümmern, die auch in unserer Verantwortung liegen. Das Kabel gehört nicht dazu, obwohl wir den Gesellschaften natürlich unsere Programme in der gewünschten Form zur Verfügung stellen…
Das alles interessiert den "gemeinen" Teilnehmer überhaupt nicht, wenn die Programme nur gut empfangen werden. Empfangen wird jedoch nur dann, wenn auch die Einspeisemodalitäten geklärt sind und letztendlich auch viel Geld geflossen ist. Ich habe es z.B. sehr begrüßt, dass Kabel Deutschland in letzter Minute auf den Leichtathletik-HD-Zug gesprungen ist und seinen Teilnehmern die Bilder aus Berlin ebenfalls anbietet… Kabelteilnehmer, die noch analog schauen, müssen damit rechnen, dass dieser Verbreitungsweg nach dem Ende der laufenden Einspeisperiode Ende 2012 wegfällt. Ich schätze, dass es ab dann nur noch digitales Kabelfernsehen in Standardauflösung und HD gibt. Es wird nämlich noch einige Jahre dauern, bis alle Landesrundfunkanstalten in der Lage sein werden, ausschließlich in HD zu produzieren. Somit ist die HD-Ausstrahlung der ARD ein zierliches Pflänzchen, welches erst durch gute Pflege die Chance besitzt, erwachsen zu werden. Kabelteilnehmer könnten bei Interesse am Digitalfernsehen dann diverse Digitalpakete plus den erforderlichen Decoder bei ihrem Netzbetreiber ordern…
Diejenigen, denen unser öffentlich-rechtliches Digitalangebot, das unverschlüsselt ausgestrahlt wird und somit frei empfangbar ist, ausreicht, könnten sich auf dem Markt eine entsprechende Set-Top-Box bzw. ein TV-Gerät mit DVB-C-Tuner erwerben…
Wichtig ist jedoch, dass bei entsprechendem Interesse eine Box zum Einsatz kommt, die sowohl den bisherigen als auch den neuen HD-Standard verarbeiten bzw. anbieten kann. Unabhängig hiervon sollte aus unserer Sicht jede Kabelbox die Kriterien der dynamischen PMT-Umschaltung erfüllen. Hier gab es in der Vergangenheit jedoch so gut wie keine Klagen aus der Teilnehmerschaft, weil bereits "Urgesteine" wie Premiere diese Technik nutzten und die Kabelboxen somit schon frühzeitig fit waren…
Im konkreten Fall haben wir vornherein nur die Satellitenteilnehmer ansprechen wollen. Es soll angeblich in Niedersachsen noch sehr viele geben, die noch analoge Empfangsanlagen nutzen und somit über diesen Verbreitungsweg nur das Landesprogramm aus Mecklenburg-Vorpommern erhalten. Ich persönlich bin jedoch der Auffassung, dass diejenigen, die zu Analogzeiten die gute alte Antenne genutzt haben, um ihr Landesprogramm zu sehen, das Magazin nun über DVB-T erreichen, Erhebungen hierüber gibt es angeblich nicht. Trotzdem unterstütze ich diese Aktion, weil sich immer mehr Menschen einen Fernseher mit Flachbildschirm zulegen und dieser nur seine Stärken entfalten kann, wenn er direkt aus einer digitalen Quelle gespeist wird.
Zu Frage 2: die 45minütigen Pakete, welche den Teilnehmern möglicherweise entgehen, haben auch Namen. Es sind die Landesprogramme aus SH HH und MV, die nicht empfangen werden können, wenn der Decoder den senderseitigen Befehl zum Wegschalten vom Hauptprogramm Niedersachsen zu den temporären Sendeplätzen dieser Magazine nicht ausführt. Sie haben Recht, dass ein Beispiel aus der täglichen Praxis hier für mehr Klarheit gesorgt hätte und zum Verständnis dieser komplizierten Technik möglicherweise beigetragen hätte. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass sich die meisten Teilnehmer von großartigen Erklärungsversuchen überhaupt nicht angetan waren und sich lediglich das Stichwort "Dynamische PMT-Umschaltung" notiert haben. Mit dem Zettel in der Hand sind sie dann zum Händler ihres Vertrauens gegangen. In der Regel hat das dann auch funktioniert, weil die Händler inzwischen auch von uns sensibilisiert wurden…
Natürlich könnte sich man nun fragen, was die ganze Aktion in Sachen PMT soll, wenn Niedersachsen überhaupt nicht betroffen ist. Möglicherweise möchte man diese Faltblätter auch in SH, HH und MV verteilen, denn dort kommt man mit dem Problem viel eher in Berührung. Zunächst denke ich, sollen wohl die analogen Teilnehmer zum Umstieg auf den Digitalempfang animiert werden und da kann es auch nicht schaden, dass eine Empfangsbox ein wenig mehr kann als es im Grunde genommen erforderlich wäre. Es reicht nicht aus, einzelne Programme in die Favoritenliste zu übernehmen. Wenn die PMT-Umschaltung nicht funktioniert, dann wird der Decoder auf NDR FS NDS stehen bleiben, was ja die Teilnehmer zu Zeiten des Rahmenprogramms im Grunde genommen schauen, auch wenn Sie sich auf SH, HH oder MV eingewählt haben. Man könnte lediglich durch kurzes manuelles Vor- und Zurückschalten das gewünschte Programm erhalten. Jeder Decoder schaut beim manuellen Programmwechsel in die PMT. Hier könnte eine Favoritenliste von Vorteil sein. Ziel ist es jedoch, dass der Zuschauer automatisch sein Programm erhält und dass die Umschaltung innerhalb von Sekundenbruchteilen erfolgt. Die Digitalbox, die immer dann erforderlich wird, wenn Fernseher genutzt werden, die keine Empfangseinheit für den gewählten Verbreitungsweg besitzen, hat ja in absehbarer Zeit ausgedient. Es ist ja nur eine Frage der Zeit, bis die letzten analogen Fernseher ausgedient haben. Immer mehr TV-Geräte mit Tunern für DVB-T, DVB-C und DVB-S (auch als Kombination) kommen auf den Markt, die dann wie früher nur mit einer Fernbedienung zu bedienen sind. Mir ist vollkommen klar, dass gerade ältere Menschen hier…überfordert sind. Dieses Fernbedien-Problem hatte ich schon zu Analogzeiten kennen gelernt. Viele Hersteller sahen sich seinerzeit gezwungen, für ältere Teilnehmer so genannte "Rentner-Fernbedienungen" mit den wesentlichen Funktionen herauszubringen. Bei zwei Fernbedienungen wird es natürlich haarig. Ich habe vielen den Tipp gegeben, den AV-Kanal des Fernsehers auf den Programmplatz 1 zu legen. Dieser Programmplatz wird in der Regel nach dem Einschalten angewählt, da der Fernseher ohnehin nur Monitorfunktion besitzt, werden die weiteren Funktionen dann über die Fernbedienung der Digitalbox ausgeführt. So könnte man sich ein wenig behelfen. Soviel zu Ihren Fragen, die ich hoffe, ausführlich beantwortet zu haben. Ich danke Ihnen für Ihre konstruktive Kritik, die ich selbstverständlich an die verantwortliche Arbeitsgruppe weiterreichen werde."

Ich hoffe damit die technische Neugier aller befriedigt zu haben, die sich als Betroffene schon selbst einmal mit der Unbill technischer Innovationen herumgeschlagen haben. Vielleicht sollten wir nicht nur Rentner-Fernbedienungen auf den Markt bringen, sondern auch Rentner-TV-Geräte. Aber wenn die gute alte Set-Top-Box laut NDR bald ausstirbt, wird alles wieder so sein wie in den guten alten Zeiten. Etwas bekommen wie aber nie mehr: eine Taste, ein einziger Kanal, ein einziges Programm. Wollen wir auch nicht.