Mittwoch, 26. August 2009

Inglourious Basterds

USA / Deutschland 2009 - Regie: Quentin Tarantino - Darsteller: Brad Pitt, Diane Kruger, Eli Roth, Mélanie Laurent, Christoph Waltz, Daniel Brühl, Samm Levine, Eli Roth, B.J. Novak, Til Schweiger - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 16 - Länge: 154 min.

In Deutschland herrscht ein Zeichenverbot. Hakenkreuze dürfen nur im Kontext historischer Dokumente, wissenschaftlicher Arbeiten und in Werken, die der (Film-)Kunst zuzurechnen sind, gezeigt werden. Prophylaktisch wurden daher vom deutschen Verleih alle Hakenkreuze aus der Werbung für Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds“ entfernt, was uns ganz nebenbei mitteilt, dass dieser Film garantiert kein Kunstwerk ist.
Verbote haben den Zweck, entweder unbotmäßiges Verhalten oder Gefahren für den Einzelnen und die Gemeinschaft abzuwenden. Die ‚Schere im Kopf’ macht nur dann Sinn, wenn dem Abzuwendenden eine ernstzunehmende Bedrohlichkeit unterstellt werden kann. Dies muss auch – anders ist es nicht zu erklären – wohl auch im vorliegenden Fall so sein.
Man kann es nur schwer anders deuten: das bloße Zeigen nationalsozialistischer Symbole scheint so bedeutend bedrohlich zu sein, dass das nazistische Symbol so behandelt wird, als sei es ein Krankheitserreger, der rasch überspringen kann. Doch welche ‚Krankheit’ könnte es in einem Land, dessen Menschen sich nicht nur in den zwei Jahrzehnten nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges eher als Opfer-, denn als Tätervolk begriffen haben, auslösen? Was muss verdrängt und gebannt werden? Und zwar so lange, bis auf den ursprünglichen symbolischen Gehalt ein weiterer aufgepfropft wird, der uns nichts anderes als die Anstrengungen der Verdrängung zeigt und uns nahe legt, eine gewisse Distanz zu dem Verbotenen einzuhalten? [1]

Schallende Ohrfeigen – immer eine Frage des Stils
Welche Ängste auch immer berührt wurden: in Tarantinos Film tauchen die Hakenkreuze wieder auf. Überlebensgroß. Jenseits des Marketing gab es keine Berührungsängste. Als Produktionsstandort war sich Deutschland nicht zu schade, Tarantinos Film mit fast 8 Mio. € zu fördern, was vereinzelt heftige Kritik nach sich zog. Der größte Anteil stammt aus dem Deutschen Filmförderfonds; gedreht wurde in der Sächsischen Schweiz und im Studio Babelsberg – wenn es um Wirtschaftsförderung und Arbeitsplätze geht, ist man hierzulande beinhart und kann sich durchaus erfolgreich der traumatisch verschlüsselten Inhalte ‚böser’ Symbole entziehen. Vielleicht ist in diesem Fall das Primat des Ökonomischen ausnahmsweise der bessere Weg für uns gewesen, obwohl man sich nicht ganz sicher kann, dass der Film so hingebungsvoll gefördert worden wäre, wenn man geahnt hätte, welche schallenden Ohrfeigen uns Quentin Tarantino verpassen würde.

Da erzählt jemand, der als genre-fixierte Kino-Ikone rasch zum Meister des Trash umstilisiert wurde, eine Geschichte, in der 1944 im besetzten Frankreich jüdische Elite-Killer der US-Army genussvoll Wehrmachtssoldaten mit Baseball-Schlägern den Schädel zu Brei schlagen, tote Nazis skalpieren und den wenigen Überlebenden überdimensionale Hakenkreuze in die Stirn schneiden. Hier taucht es auf, das stigmatisierte Symbol, uns es soll gemäß der pädagogischen Absicht des Lt. Aldo Raine (Brad Pitt), der die Einheit hinter der Front kommandiert, für alle Zeiten zeigen, wes Geistes Kind der Gemarterte gewesen ist. Für die „Basterds“ gibt keinen Unterschied zwischen Wehrmacht und SS, auch keinen zwischen Tätern und Mitläufern: alle, die eine Nazi-Uniform getragen haben, sind Nazis. Sie werden entweder getötet oder sie müssen das Kains-Mal für immer auf der Stirn tragen.
Keine schlechte Idee: die Mitglieder einer Herrenrasse, die den zur Vernichtung preisgegebenen Juden zwar unterstellte, sie seien allein durch ihre Physiognomie als solche zu erkennen, die aber dennoch nicht darauf verzichten konnte und wollte, die zum Tode Verurteilten vorher durch den symbolischen Judenstern zu markieren, werden nun selbst gekennzeichnet. Fast muss man hämisch grinsen, wenn man Tarantino unterstellt, dass er in seinem Film listig das unterläuft, was in diesem Land als politisch korrekt gilt. Allerdings erscheint es mehr als zweifelhaft, ob dies Tarantinos Ambitionen im Kern erfasst.

Quentin Tarantino wird immer noch als verspieltes Kinokind wahrgenommen, ein nicht ganz ernst zu nehmendes Enfant terrible, das aus seiner Liebe zu Spaghetti-Western und fernöstlicher Kampfkunst einen trashigen Stil-Mix formt, zwar einen morbiden Humor besitzt, aber unfähig ist, seriöse Statements abzuliefern. Über Tarantinos Filme, die nach „Reservoir Dog“ (1992) und dem Masterpiece „Pulp Fiction“ (1994) entstanden, kann man sich streiten. Ich halte sie eher für zweitrangig. Mit „Inglorious Basterds“ ist Tarantino aber ein großer Wurf gelungen, für den mir der abgewetzte Begriff ‚Meisterwerk’ nicht zu schade wäre, wenn sich nach längerem Nachdenken und anfänglicher Begeisterung nicht erhebliche Zweifel einschleichen würden.

Der amerikanische Journalist Daniel Mendelsohn hat Tarantino in „Newsweek“ eine ungeheure Banalisierung und Verzerrung der historischen Ereignisse vorgeworfen. Mendelsohn beklagt sich über die Verdrehung der Rollen: in Wirklichkeit haben die Nazis die Juden gefoltert, in Tarantinos Film würden nun die Juden die Nazis foltern, um in einer cineastischen Gewaltorgie seine Rachephantasien auszuleben: „…the visceral pleasure of revenge… In Inglourious Basterds, Tarantino indulges this taste for vengeful violence by—well, by turning Jews into Nazis. In history, Jews were repeatedly herded into buildings and burned alive (a barbarism on which the plot of another recent film, The Reader, hangs); in Inglourious Basterds, it's the Jews who orchestrate this horror… Tarantino, the master of the obsessively paced revenge flick, invites his audiences to applaud this odd inversion—to take, as his films often invite them to take, a deep, emotional satisfaction in turning the tables on the bad guys. ("The Germans will be sickened by us," Raine tells his corps of Jewish savages early on.) But these bad guys were real, this history was real, and the feelings we have about them and what they did are real and have real-world consequences and implications. Do you really want audiences cheering for a revenge that turns Jews into carboncopies of Nazis, that makes Jews into "sickening" perpetrators?”
Andere Kritiker werfen Tarantino Obszönität und moralische Ekelhaftigkeit vor. Diese Vorwürfe sind nicht leicht von der Hand zu weisen, aber wer sich dieser Lesart anschließt, muss gleichzeitig die Frage beantworten, ob das ‚seriöse’ Kino mit seinem Bemühen, das Unmenschliche mit realistischen Plots und einer psychologisch motivierten Erzählweise abzubilden, nicht schon längst an Grenzen gestoßen ist.
Wer sich nach Hirschbiegels „Untergang“ gefragt hat, was das Ganze soll, und in Stephen Daldrys „Vorleser“ die fatale Unausweichlichkeit des Verstricktwerdens hineingelesen hat, die Mitläufern und Befehlsempfängern den Widerstand unmöglich gemacht hat, stößt aus meiner Sicht an Grenzen, die für die historische Deutung weitaus fataler sind: entweder wird er Opfer einer zweifellos nicht beabsichtigten Mythologisierung des „Dämons“ oder er fällt in das geistige Milieu der 50er und 60er Jahre zurück, die den Deutschen die Entlastung anbot, sie alle seien vom absolut und nicht zu deutenden „Bösen“ (verkörpert durch ein Handvoll Verbrecher) verführt und somit zu Opfern gemacht worden.
Ich wage hier einfach mal die These, dass dieser Mythos die realistische Erzählweise bis zu einem gewissen Grade kontaminiert und im sechsten Jahrzehnt nach dem Holocaust fast zur Sprachlosigkeit verurteilt hat. Aus dieser Misere kann (muss aber nicht) der Wille zur stilistischen Ohrfeige hinausführen. Filme wie „Operation Walküre“ schaffen das garantiert nicht, so sauber recherchiert, politisch korrekt und moralisch kompatibel sie auch sein mögen.

Exorzismus in fünf Kapiteln
Das Erstaunlichste an „Inglorious Basterds“ ist sein Verhältnis zur erzählten Zeit und der Beziehung zwischen Reden und Handeln. Das war schon immer so und wer nun einen actionreichen Film erwartet oder nach einem ‚Original-Tarantino’ verlangt (wie dies ein Kritiker tatsächlich formulierte), wird enttäuscht. Meistens wird geredet wie in „Reservoir Dogs“ oder zuletzt in „Death Proof“. In „Inglorious Basterds“ gelingen Tarantino mit diesem Stilmittel meisterhafte Szenen, die dann wieder von fürchterlich faszinierenden Verspieltheiten abgelöst werden, in denen Joseph Goebbels über das Kino und Landa über Strudel schwadronieren dürfen. Wohin führt uns dies?

„Kapitel 1: Es war einmal... In einem von Nazis besetzten Frankreich“
Quasi der Prolog: Tarantino benötigt fast eine halbe Stunde, um den Besuch des SS-Standartenführers Hans Landa (Christoph Waltz) bei einem Milchbauern als Dialogszene zu inszenieren, mit der er meisterhaft demonstriert, wie sich Sprache in ein Instrument des Terrors verwandelt. Landa präsentiert sich als perfekt französisch sprechender und angenehm kultivierter Bürokrat, der höflich die Vorzüge der dargebotenen Milch preist, dann ins Deutsche wechselt und seine Rolle als „Judenjäger“ mit einer beiläufigen Nonchalance beschreibt, die nicht nur dem Bauern den Angstschweiß ins Gesicht treibt.
Waltz spielt das Ganze entsetzlich gut. Er schnürt den Bauern LaPadite mit seiner Bonhommie („Bitte verzeihen Sie mir mein rüdes Eindringen in Ihren Alltag“) so ein, dass sich der sadistische Kern umso gnadenloser enthüllt. Wer von der Frage gequält wurde, warum die humanistische Bildungsgeschichte vieler Nazis mühelos mit einer barbarischen Vernichtungsideologie unter einen Hut gebracht werden konnte, erhält hier zwar keine Antwort, aber Anschauungsunterricht. Tarantino zeigt in der endlos zerdehnten Szene, dass die verfeinerten Umgangsformen Landas lediglich eine Steigerung des Genusses sind, die der pathologische Sadist formvollendet ausleben will. Neben dem Pathologischen gibt es kein Geheimnis, keinen Mythos – wir sehen das, was Seeßlen „praktische sadistische Herrschaftspraxis“ nennt. Nichts an der Szene ist trashig. Im Gegenteil: Tarantino zelebriert in der fast klassisch geschnittenen Szene eine fast theaterhafte, auf Darsteller und Dialog konzentrierte Dramaturgie, die durch ihr banales Vorspiel einen absurden Touch erhält.
Stilistisch erinnert die Szene entfernt an die Ermordung der Farmerfamilie McBain durch Henry Fonda in „Once upon a time in the west“, und zwar durch den Score, der in einer Mischung aus bekannten Morricone-Tracks und einigen Takten Beethoven besteht. Ansonsten beherrscht sich Tarantino: Es gibt keine SS-Männer in wallenden Staubmänteln, keinen Spaghetti-Western-Look, nur eine (ähnlich wie bei Leone) sich am Ende der Szene eruptiv entladende Brutalität, als Landa die unter dem Boden versteckte jüdische Familie Dreyfus von seinem Kommando durch die Dielen hindurch erschießen lässt. Nur ein Mädchen kann entkommen, Shosanna. Auf sie legt Landa persönlich an, lässt sie aber lächelnd entkommen (die Szene, in der Landa diese Entscheidung seinem Fahrer erklärt, ist in der deutschen Kinofassung nicht enthalten).
Im Prolog ist Tarantino in Höchstform. Die Szene ist ein Meisterstück, das den Zuschauer das Gefühl gibt, der Essenz des Terrors nahe gekommen zu sein.

„Kapitel 2: Inglourious Basterds“
„Es ist eine Rachephantasie, die sich um die historische Realität nicht kümmert, weil für Tarantino sowieso schon immer das Kino die bessere Wirklichkeit war…Diese Unverschämtheit, die Geschichte einfach zu ignorieren, hat bislang noch kein Film gehabt. Das Kino rächt sich nicht nur an jenen Personen, die, bevor sie selber sterben mussten, der Welt so viel Unheil und Tod brachten. Das Kino rächt sich an der ungerechten Wirklichkeit selber“ (Georg Seeßlen).
Lt. Aldo Raine (Brad Pitt) stellt nach der Landung der Alliierten eine Einheit aus jüdischen Soldaten zusammen, die zusammen mit ihm hinter den feindlichen Linien Nazis töten sollen: „Nazis ain’t got no humanity“ – es ist sinnlos, sie zu umzuerziehen. Jeder seiner „Basterds“ soll dem indianisch-stämmigen Raine mindestens hundert deutsche Skalps bringen.
In Berlin verliert Hitler (Martin Wuttke) die Fassung, weil die Basterds wie beabsichtigt Angst und Schrecken verbreiten – besonders durch den „Bear Jew“, der seinen Gegner reihenweise mit dem Baseballschläger den Schädel zertrümmert. Hitler lässt sich vom Gefreiten Rutz eine Begegnung mit den Basterds schildern, die er um den Preis eines in die Stirn geschnittenen Hakenkreuzes überlebt hat. Tarantino zeigt in dieser Szene im ausführlichen Splatter-Stil das Skalpieren und dann ein Gespräch Raines mit dem deutschen Feldwebel Rachtman, der den Standort einer Einheit der Wehrmacht verraten soll. Rachtman weigert sich und beleidigt die Juden in Raines Einheit, bevor ihm der „Bear Jew“ den Schädel einschlägt.
Die wütende Kritik an dem Film dürfte vornehmlich durch Kapitel 2 ausgelöst worden sein. Daniel Mendelsohn beschreibt seinen Ekel so: „In history, the Nazis and their local collaborators made sport of human suffering; here, it's the Jews who take whacks at Nazi skulls with baseball bats, complete with mock sports-announcer commentary, turning murder into a parodic "game." And in history, Nazis carved Stars of David into the chests of rabbis before killing them; here, the "basterds" carve swastikas into the foreheads of those victims whom they leave alive.”
In der ZEIT hat Jens Jessen die Kritik noch weiter getrieben und Tarantino letztlich Geschichtspornographie vorgeworfen: „Der Film setzt sich in die politisch-moralische Botschaft seines Plots nur wie in ein wärmendes Nest, in dem er nun, gegen alle Einwände geschützt, beliebig herumsauen und -metzeln kann. Oder anders formuliert: Der Gewaltexzess, um den es hier in Wahrheit allein geht, setzt die Maske der Political Correctness auf. Wer wollte sagen, irgendetwas ginge zu weit, wenn es gegen die Nazis geht? Die historische Situierung des Stoffes ist in Wahrheit nur wie die Rahmenhandlung in einem Porno: ein Vorwand, um zur Sache zu kommen. Und das ist das eigentlich Obszöne: dass die Empathie für die jüdischen Opfer und der ohnmächtige Wunsch, die Geschichte möge anders verlaufen sein, nur zum Anknüpfungspunkt einer taumelnden Orgie bluttriefender Gewalt dienen.”

Was ist mit 'Maske der Political Correctness' wohl gemeint? Und was geschieht tatsächlich? Tarantino setzt eine archaische, fast infantil zu nennende Rachephantasie in Kinobilder um. Der wütende Aufschrei der Kritiker trifft nicht zu Unrecht den Kern der Szene, die (wie Mendelsohn dies andeutet) den Opfern ihre Integrität als Opfer raubt, weil sie jüdische Soldaten als blutrünstige Monster zeigt. Doch Tarantino ist weit davon entfernt, die Bedürfnisse eines an realistischen Plots ausgerichteten Publikums zu befriedigen, das im Kino gelernt hat, nur der faktisch weitgehend korrekten Nachstellung der NS-Zeit zu trauen. Diese Verbrechen werden in „Inglorious Basterds“ jedoch nicht gezeigt – sie sind in einem vagen Erinnerungs-Traumland per se vorhanden und so vielen Umdeutungen unterzogen worden, dass man an der Ohnmacht des politisch korrekten Films ebenso verzweifeln muss wie an den möglicherweise gescheiterten Versuchen, in den deutschen Nachkriegsgenerationen einen reflektierten Umgang mit dem Faschismus herzustellen (was später in dieser Kritik zu zeigen ist).
„Inglorious Basterds“ ist weder politisch korrekt noch will er es sein: Mit ungerührter und empathiefreier Chuzpe befördert Tarantino jene lustvollen Phantasien ans Tageslicht, die die meisten Zuschauer auf die eine oder andere Weise möglicherweise in ihrer privaten Phantasiearbeit schon längst durchgearbeitet haben, aber nicht zugeben können. Anders formuliert: Tarantino gestattet es seiner fiktiven Figur Landa nicht, den Sadismus folgenlos auszuleben, ohne sich in der folgenden Szene nicht weniger lustvoll dafür zu rächen. Nazis, so lautet das Tabu, dürfen lustvoll böse sein – die Opfer allerdings nicht. Dieses Tabu wird zerstört.
„Wenn die deutsche Popmaschinerie Kitsch produziert, und das tut sie in besorgniserregender Quantität, dann ist davon immer noch ein Gutteil von der Art, die Goebbels prächtig gefallen hätte. Dass sie im Kino weiterlebten als Monster und faszinierende Unholde, gegenüber von leidenden, schwachen und chancenlosen Opfern, das wäre nach dem “Endsieg” die zweitliebste Phantasie der Nazis“ (Georg Seeßlen).

Danach entfernt sich Tarantino von den Basterds. In „Kapitel 3: Eine deutsche Nacht in Paris“ begegnen wir 1944 erneut Shosanna, die nach ihrer Flucht überlebt hat und in Paris ein Kino betreibt. Dort lernt sie den cinephilen Wehrmachtsoldaten Frederick Zoller kennen, der als Scharfschütze von einem Turm aus 250 feindliche Soldaten erschossen hat. Diese Tat wurde als Propagandafilm "Stolz der Nation" mit Zoller in der Hauptrolle verfilmt. Die Uraufführung soll in Paris stattfinden. Durch Zoller lernt Shosanna auch Joseph Goebbels kennen, der von Zoller überredet wird, die Aufführung in Shosannas Kino stattfinden zu lassen. Dort sollen auch hochrangige Nazis anwesend sein. Shosanna hat schon längst beschlossen, die Nazis im Kino mit hochentzündlichen Nitro-Filmen zu verbrennen, als sie Hans Landa begegnet, der als Chef der Sicherheit fungiert. Während eines gemeinsamen Strudel-Essens demonstriert Landa erneut seine lebensgefährlichen Verhörtechniken, erkennt aber das Mädchen nicht wieder. Man erfährt, dass Hitler und andere NS-Größen bei der Premiere anwesend sein werden.
In „Kapitel 4: Operation Kino“ treffen sich die Basterds mit der deutschen Doppelagentin und Schauspielerin Bridget von Hammersmark, um gemeinsam einen Plan auszuarbeiten, wie man das Premierenkino mitsamt der Nazigrößen in die Luft sprengen kann. Tarantino nutzt die Szene, um das Treffen in einer französischen Taverne als eine rhetorische Tour de Force zu inszenieren, in der sich einige der Basterds ein Rededuell mit dem SS-Obersturmbannführer Hellstrom (August Diehl) liefern, in dessen Verlauf sie enttarnt werden. Den anschließenden Schusswechsel überlebt außer der Doppelagentin niemand.
In „Kapitel 5: Die Rache des Riesengesichts“ begeben sich die überlebenden Basterds, angeführt von Aldo Raine, als italienische Filmcrew getarnt auf die Premierenfeier. Der ebenfalls anwesende Landa nimmt die Basterds fest, aber nur, um mit ihnen einen Deal auszuhandeln, der sein Überleben und seinen finanziellen Status nach dem Attentat und dem Zusammenbruch des Dritten Reiches garantieren soll. Landa genießt seine Rolle als Strippenzieher, der den Zweiten Weltkrieg beenden kann.
Gleichzeitig hat die Premiere von der „Der Stolz der Nation“ begonnen“. Hitler und seine Chargen genießen den (von „Hostel“-Regisseur und „Bear-Jew“-Darsteller Eli Roth für Tarantino produzierten) Metzelfilm sichtlich, bis eine Großaufnahme von Shosanna auf der Leinwand erscheint: „My Name ist Shosanna Dreyfus and this is the face of jewish vengeance! Marcel, burn it down!“
Während das Kino in Flammen aufgeht, wird Hitler von zwei Basterds mit Maschinenpistolen erschossen. Nach einigen Zwischenschnitten schneidet Tarantino offensichtlich lustvoll zurück auf Hitlers entstellte Leiche, die unter den Garben konvulsivisch zuckt. Unterdessen erreichen Raine und Landa die Front. Raine hält sich an die Vereinbarung, schneidet dem SS-Mann aber in der letzten Einstellung besonders qualvoll ein Hakenkreuz auf die Stirn: „I think this just might be my masterpiece!“.
Der im Kino zelebrierte Exorzismus ist beendet und das Kino ist zu einer Traumlandschaft geworden, in der das Unerhörte seinen Verdrängungen entkommen ist. Wirklich?

Wie die Fakten der Fiktion begegnen
Eine zentrale Frage bleibt für mich, ob Quentin Tarantinos Film, der für positiv geneigte Cineasten mit Sicherheit ein diebisches Vergnügen ist, sich in medienpädagogischer Hinsicht rasch in einen fatalen Rohrkrepierer verwandeln kann. Ich fürchte, dass Letzteres der Fall sein wird.
Zum Hintergrund dieser Hypothese: Die Frage, was Kinder und Jugendliche über den Nationalsozialismus wissen, befördert eine Reihe von erschreckenden Tatsachen ans Licht, die skeptisch stimmen müssen. Vor neun Jahren konnte man in der Frankfurter Allgemeine Zeitung nachlesen, dass 60% der ostdeutschen Jugendlichen fremdenfeindliche Übergriffe "für eigentlich nicht so schlimm halten" und mehr als 40% der Auffassung sind, dass die "Deutschen anderen Völkern überlegen seien". Dies mag nur indirekt mit der eingangs formulierten Frage zu tun haben, aber nur wenig später führte eine Untersuchung der Volkswagenstiftung zu einer nicht minder erschreckenden Erkenntnis. In der Studie "Tradierung von Geschichtsbewusstsein" wurde der Frage nachgegangen, was "ganz normale West- und Ostdeutsche aus der NS-Vergangenheit erinnern", wie sie darüber sprechen, und was sie davon auf dem Weg kommunikativer Tradierung an die Kinder- und Enkelgenerationen weitergeben.
Der Sozialwissenschaftler Helmut Welzer fasste das Ergebnis mit dem Begriff „Kumulative Heroisierung“ zusammen: die Kinder und Enkel der Weltkriegs-Generation neigen zu einer historischen Umbewertung, obwohl sie im Übrigen durchweg ‚politisch korrekte’ Grundannahmen vertreten. Die Umdeutung der familiär tradierten Episoden verlief nach einem oft wiederholten Schema: „Nicht wenige davon verändern sich auf ihrem Weg von Generation zu Generation so, dass aus Antisemiten Judenbeschützer und aus Gestapobeamten Widerstandskämpfer werden. Bemerkenswerterweise nämlich nutzen besonders die Enkel jeden auch noch so entlegenen Hinweis ihrer älteren Verwandten, um Versionen der Vergangenheit zu erfinden, in denen diese stets als integre, gute Menschen auftreten… Vor diesem Hintergrund mutet es zynisch an, wenn gewalttätigen Jugendlichen zu Aufklärungszwecken NS-Gedenkstättenbesuche verordnet werden, die sie selbst als Anschauungsunterricht ganz eigener Art verstehen. Zum Beispiel, wenn sie im Vollbesitz ihres Geschichtswissens überlebende Zeitzeugen fragen, ob sie denn die Gaskammern wirklich mit eigenen Augen gesehen haben.“
Wie gesagt: hier geht es nicht um Menschen, die den Nationalsozialismus mit unverhohlener Sympathie betrachten, sondern um Mitglieder einer Generation, die sich rational den um Aufklärung bemühten Lesarten der Historiker und auch jenen der eigenen Lehrer angeschlossen hat, tief im Inneren aber andere emotionale Gewissheiten tradiert.
Dies ist ein Dilemma, ein deutsches Dilemma. Ich habe es selbst in meinem Freundeskreis nacherleben können, als die Rolle der Hanna in der Schlick-Verfilmung „Der Vorleser“ als Beweis dafür verortet wurde, wie schwer der Widerstand gegen die NS-Verbrechen gewesen sei und wie schuldlos man sich in ihnen verstricken konnte. Man kann dem entgegenhalten, dass der von der Kritischen Theorie beschriebene ‚autoritäre Charakter’ gerade in dieser Figur sichtbar wird und das ganze Elend deutscher Geschichtsverarbeitung in der klammheimlichen Tradierung dieser Eigenschaften besteht, es ändert aber wenig daran, dass in "Der Vorleser" der Zusammenhang zwischen Schuld und Verantwortung durch die ‚einfühlenden’ Betrachtungen einiger Zuschauer in einem Grade banalisiert wird, der eine weitere Debatte fast sinnlos erscheinen lässt.

2001 legte Julius Schoeps, der Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam Zahlen vor, die sogar von einer nachhaltigen Zunahme anti-semitischer Tendenzen in Deutschland ausgehen, besonders dann, wenn das Thema NS-Zeit wieder einmal zum Gegenstand einer Mediendebatte wird: "Es gibt 15 Prozent offene Antisemiten in allen Altersstufen. Dazu kommen noch einmal 30 Prozent latente Antisemiten. Die flippen immer erst aus, wenn so etwas ist wie jetzt gerade. Immer, wenn in diesem Land solche Debatten waren, Historikerstreit, Goldhagen oder auch, als der Film Holocaust im Fernsehen gezeigt wurde, steigen die Übergriffe an. Dann haben wir eben 17 Grabschändungen pro Woche. Normal ist in Deutschland ein geschändeter jüdischer Grabstein in der Woche."

Vielleicht hat Welzer Recht mit seiner Feststellung, dass die Aufklärung eine kritische Grenze erreicht hat und weitere Anstrengungen eher kontraproduktiv sind. Dies wäre eine verzweifelte Konsequenz angesichts der Ergebnisse einer Untersuchung der Universität Leipzig aus dem Jahre 2002, die sich mit der Zunahme rechtsradikaler Überzeugungen auseinandersetzte: „Hier macht sich im Vergleich zu den Befragungen von 1994 und 1998 ein erschreckender Anstieg deutlich: 'Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß’ fanden 1994 im Osten nur 7%, im Westen 17%. 1998 waren im Osten 12% und im Westen 14% dieser Ansicht. Heute dagegen sind es im Osten 14% und im Westen 31% der Befragten, eine ‚dramatische Veränderung in Westdeutschland’ wie die Studie deutlich betont. Der Aussage ‚Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns’ stimmen in Ostdeutschland 8%, in Westdeutschland dagegen 22% voll zu“ (http://www.antisemetismus.net/).

Sozialwissenschaften und Filmkritik zu verzahnen, kann nicht Aufgabe dieser Besprechung sein. Warum eigentlich nicht? Etwa weil relevante Statistiken fehlen, mit denen man möglichst exakt wirkungsgeschichtliche Beziehungen zwischen einem Film und seinem Nachhall im öffentlichen Bewusstsein herstellen könnte? Dies allerdings als Frage zu formulieren, unterstellt, dass Tarantinos ausgedehnte Rachephantasie die bereits bestehenden Probleme verschlimmert. Wenn deutsche Jugendliche bereits vermuten, dass die Palästinenser-Politik der Juden mit dem Holocaust verglichen werden kann, dann ist man schlecht beraten, dies nur als Problem bildungsferner Schichten auszudeuten. Wir wissen nicht wirklich, was Bilderwelten in Köpfen anrichten können, die bereits jetzt wieder bedenklich kontaminiert sind.

Die intellektuelle Debatte über "Inglorious Basterds" hätte dann einen Skandal zum Gegenstand, wenn wir uns sicher fühlen könnten. Sicher, was die Alternativen betrifft. Leider können wir nicht sicher sein.
Möglicherweise wird bald wieder über die Katharsis in der Kunst verhandelt, vielleicht angereichert mit einem Schuss Psychoanalyse. Und möglicherweise können die "Besterds" und ihr Wechselbad aus meisterhaft eindringlichen Szenen und selbst-referentiellen, fast kindlich-naiven Exkursen über das Kino, angereichert durch mitunter schwer zu ertragende Brutalitäten, tatsächlich eine Entkrampfung herbeiführen. Dann hätte Tarantino den Weg vom Grand-Guignol zum anti-faschistischen Splatterfilm erfolgreich beschritten. Zweifel daran bleiben bestehen.
Charles Nonon, der letzte Inhaber des legendären Théâtre du Grand Guignol hat einiges ziemlich treffend auf den Punkt gebracht: „Mit Buchenwald konnten wir nie gleichziehen. Vor dem Krieg wusste jeder, dass die Geschehnisse auf der Bühne unglaublich sind. Heute wissen wir, dass solche Dinge - und noch schlimmere - wahr sein können.“
Nonon hat bald darauf sein Theater dicht gemacht. Wie immer bleiben mehr Fragen zurück als Antworten.

[1] Die verbotenen und erlaubten Inhalte kann man auf http://www.schnittberichte.com/news.php?ID=1383 betrachten. Eine Veröffentlichung in diesem Blog hätte vermutlich nicht nur urheberrechtliche Konsequenzen.

Noten: BigDoc = 2, Klawer = 2, Melonie = 3, Mr. Mendez = 5