Mittwoch, 12. August 2009

Twilight - Biss zum Morgengrauen

USA 2008 - Originaltitel: Twilight - Regie: Catherine Hardwicke - Darsteller: Kristen Stewart, Robert Pattinson, Billy Burke, Ashley Greene, Nikki Reed, Jackson Rathbone, Kellan Lutz, Peter Facinelli, Cam Gigadet - FSK: ab 12 - Länge: 122 min.

Da der Verfasser leider nicht die Geschichte einer verbotenen Liebe in ihrem literarischen Gewande gelesen hat, scheint die Verfilmung von Stephenie Meyers Bestseller "Bis(s) zum Morgengrauen" doch nicht so recht in sein Fach zu fallen. Da er aber noch am Abend der Erstbesehung dem Verdacht nachgeben musste, dass Catherine Hardwickes Verfilmung geschickt die Bedrängungen durch den Eros, wie sie möglicherweise in der Zielgruppe erlebt werden, geschickt gegen diese ausspielt, bemühte sich der treue Rezensent um ein Interview mit einer Koryphäe auf diesem Gebiet: Prof. Siegmund Freud, Nervenarzt in Wien.

Für alle, die den Film und das Buch nicht kennen, ein kurzer Abriss der Handlung:
Als ihre Mutter erneut heiratet, zieht die 17-jährige Bella Swan (Kristen Stewart) zu ihrem Vater nach Forks, einer langweiligen und ungewöhnlich verregneten Kleinstadt im Staate Washington. In der Schule begegnet sie dem geheimnisvollen, bleichen, aber dennoch sehr attraktiven Edward (Robert Pattinson), der sie zweimal mithilfe unerklärlicher Fähigkeiten in gefährlichen Situationen rettet. Bella findet heraus, dass Edward ein Vampir ist, jedoch sind er und seine Familie ‚vegetarische’ Blutsauger, die sich von Tieren ernähren. Dennoch hat Edward keine geringen Probleme damit, sein Verlangen nach Bellas Blut zu unterdrücken, was ihm beim ersten zarten Kuss jedoch gelingt. Gefährlich wird es für beide, als böse Vampire Bella inmitten der friedlichen Vampirfamilie entdecken. Der sadistische James beginnt Bella zu jagen, bis das Mädchen bereit ist, sich zu opfern, damit ihrer von James gefangen genommenen Mutter nichts zustößt. Am Ende kann Edward seinen Widersacher bezwingen, muss aber feststellen, dass Bella durch einen Biss infiziert wurde und sich langsam in einen Vampir verwandelt. Doch Edward kann Bella gegen deren Willen retten und verspricht ihr ein Leben an seiner Seite, zwar nicht als Vampir, so doch als glücklicher Mensch.

BigDoc: Lieber Professor Freud, es würde wenig Sinn machen, über Mädchenphantasien zu debattieren, wenn sie weder das Buch gelesen noch den Film „Twilight“ gesehen haben. Haben Sie denn?
Freud: Ich finde, dass unter allen Ausdrucksformen der Kultur dem Kino der Vorrang gebührt, weil es vortrefflich geeignet ist, uns die verborgenen Kräfte des psychischen Apparates vors Auge zu stellen.
BigDoc: Nun geht es aber doch in dem Film nicht explizit um Sexualität, sondern um Freundschaft. Dagegen haben Sie doch Libido und Todestrieb als die mächtigsten Kräfte der menschlichen Psyche beschrieben.
Freud: Über den Todestrieb will ich nur soweit Auskunft geben, als von Edward, dem jungen Vampir, der ja in Wirklichkeit über hundert Jahre alt ist, eine dunkle Kraft auszugehen scheint, die einerseits seine innere Erschöpfung nach all den vielen Jahren widerspiegelt, andererseits jedoch von dem Wissen beherrscht zu sein scheint, dass alles, auch seine Liebe zu Bella, der Auflösung entgegenstrebt. Der Rest der Geschichte ist jedoch purer Eros, allerdings vortrefflich verhüllt, so dass sein Wirken nicht direkt erkennbar ist, aber doch machtvoll an die Pforten unserer Gefühle klopft.
BigDoc: Verhüllt? Welchen Sinn hat das?
Freud: Vieles erscheint dem Ich, dessen Strategie es ist, der Unlust auszuweichen, nicht in direkter Form. Früher dachte ich, es würde uns symbolisch im Traum begegnen. Heute geschieht dies jedoch weit wirkungsvoller im kinematographischen Raum, allerdings (lacht) weniger zur Reinigung der Seele als vielmehr dem Gelderwerbe nützend, was aber nur dann erfolgreich sein kann, wenn man den Eros als mächtiges Instrument ins Feld führt.
BigDoc: Das werden sie aber wohl kaum den Millionen Fans der Geschichte weismachen können! In dem ganzen Film gibt’s gerade mal ein zartes Küsschen!
Freud: Weismachen? Sie sollten nicht vergessen, an welche Gruppe sich das kinematographische Geschehen in diesem Falle richtet: es sind die Mädchen, und zwar in jener Lebensphase zwischen Pubertät und Erwachsenwerden, die in ihnen eine gewaltige Phantasiearbeit mit vielerlei Träumen, auch jenen im wachen Zustande, evoziert. Eine Kraft, eine Phantasiewelt, die gewaltiger ist als die der Knaben! Der muss zwar, wie ich in meinem „Abriss der Psychoanalyse“ hinreichend erläutert habe, einen ödipalen Konflikt durchleben, hat aber in der von mir beschriebenen phallischen Phase einen unbestreitbaren Vorteil, nämlich zu erkennen, über einen solchen zu verfügen! Obwohl, das muss ich hinzufügen, ihm gleichzeitig die Penislosigkeit des weiblichen Geschlechts eine höllische Kastrationsangst einjagt.
Dagegen erlebt das Mädchen ihren Penismangel oder besser gesagt ihre Klitorisminderwertigkeit als herbe Enttäuschung. Bedenken Sie die Folgen: Dies ist, wie von mir ausgeführt, ein Trauma, das sie in ihrer Charakterentwicklung enorm zurückwirft und zu einer ersten Abwendung vom Sexualleben führt, obwohl ihr tiefes Sehnen nach Erfüllung dürstet. Ein gewaltiges Ringen, das bewältigt werden muss.
BigDoc: Schön und gut. Aber, lieber Herr Professor, erstens ist die von ihnen unterstellte Dominanz des Phallischen weißgott nicht unumstritten und Ihnen als Ignoranz gegenüber dem Weiblichen ausgelegt worden, zum anderen ist nicht einsichtig, was dies mit dem - wie sagten Sie so schön - ‚kinematograhischen Geschehen’ zu tun haben soll!
Freud: In meinen jungen Jahren hatte keine Kunstform die Kraft, jene nicht unmittelbar bewussten inneren Kräfte so zu Schau zu stellen, dass sie immensen Lustgewinn beim Betrachten des Fabulierten abwerfen. Der Kinematograph stellt uns nun alles so lebensecht vors Auge, dass man fast schon den Unterschied zwischen den flimmernden Bildern und der Realität vergessen möchte.
In unserem Falle funktioniert dies so: Indem nämlich einerseits die Erfüllung der Triebansprüche zurückgedrängt wird, weil sie als Bedrohung erfahren wird, wächst doch aus eben dieser Bedrohung das Verlangen nach Erfüllung – und sei es in sublimierter Form. Indem die jungen Mädchen im dunklen Raum des Kinematographen ihre eigenen Ängste auf Bella und ihr Verlangen auf Edward zu projizieren vermögen, können sie in ihrer Phantasie dem Eintritt in die reife genitale Phase noch eine zeitlang entgehen und lustvoll sublimierend einer Geschichte beiwohnen, in der der lang ersehnte Kuss zwischen Bella und Edward das Höchstmaß der Bedrängnis verkörpert und nichts anderes als eine symbolische Ausdrucksform des Koitus ist.
BigDoc: Oupps, jetzt wird’s aber haarig. Wir reden hier von Vampiren, die nicht mal richtig essen können. Und bei Edward kann man nun wirklich nicht von erotischer Erregung sprechen.
Freud: Wollen oder können sie nicht sehen, was dort geschieht? Edward küsst Bella nicht, um seine Lust zu befriedigen – das könnte nur im hemmungslosen Aussaugen des Mädchens geschehen. Jener Impuls wohnt ihm inne, wie er gesteht. Indem er aber sich beweist, dass er ihn kontrollieren kann, folgt er nicht nur dem Gesetz seiner Sippe, nämlich sich auf keinen Fall von Menschen zu ernähren, sondern er zeigt auch, dass Triebverleugnung eine zivilisatorische Leistung ist, aus der Gutes erwachsen kann.
BigDoc: …während die bösen Vampire, besonders der sadistische James, vermutlich zeigen sollen, wie destruktiv ungezügeltes Triebleben ist?
Freud: Es scheint, als könnten Sie mir folgen!
BigDoc: Und wenn Bella am Ende gebissen und fast in einen Vampir verwandelt wird, versagt sich Edward diesen Wunsch, obwohl sich Bella eigentlich nichts sehnlicher wünscht als diese Verwandlung. Warum?
Freud: Weil Edward das frei phantasierte Ergebnis pubertärer weiblicher Anatagonismen ist, die szenisch einfühlsam nachgestellt werden, um die Spannung am Fortgange der Geschichte zu erhalten. Denn nichts wäre bedrohlicher als der Eintritt der Helden in die reife genitale Phase. Sie würde jäh die mitfiebernden Zuschauer mit ihrer eigenen Realität konfrontieren, was nicht geeignet wäre, die ökonomischen Interessen der Künstler persistierend zu befriedigen.
BigDoc: Das Ökonomische hat in Ihren Schriften doch selten eine Rolle gespielt?
Freud: Ich habe, guter Freund, einiges über die Natur des Menschen lernen müssen, was mir früher verschlossen blieb. Trotzdem hat die Beherrschung des Menschen durch den Eros nicht an Bedeutung eingebüsst. Lassen Sie mich deshalb noch sagen, dass es eine weitere mächtige Triebfeder gibt, die uns unter ihre Kontrolle bringen will. Denn wie schon mehrfach von mir ausgeführt, geht der Eintritt in die reife genitale Phase, die in der Pubertät vollzogen werden soll, nicht reibungslos vonstatten. Frühere Libidobesetzungen werden dabei unterdrückt oder verdrängt und erfahren dabei im Ich eine andere Verwendung, welche die Herausbildung unterschiedlicher Charakterzüge fördert, aber auch Sublimierungen mit Zielverschiebungen nach sich zieht.
BigDoc: Reden Sie da von psychischen Sollbruchstellen?
Freud: Dem Begriffe kann ich nichts abgewinnen. Es ist vielmehr so, dass es Fixierungen der Libido an frühere Phasen gibt, die ich als Störung bezeichnet habe und dies tue ich noch immer.
BigDoc: Hört sich kompliziert an.
Freud: Ich stimme Ihnen erneut zu. Zum Problem wird es, wenn sich der Eintritt in die reife Phase nur teilweise vollziehen lässt, weil einige Neigungen noch an prä-genitalen Fixierungen hängen, die in uns den Wunsch hervorrufen, eben zu diesen lustvollen Orten zurückzukehren. Ich nannte dies vielfach die so genannte Regression.
BigDoc: Zurück zum Film, lieber Professor!
Freud: Lassen Sie uns einen Moment innehalten: Indem Bella am Ende der Geschichte die endgültige lustvolle Vereinigung versagt wird und der männliche Held Edward uns völlige Kontrolle über den starken Impuls erfolgreich vorlebt, wird die ungeheure Spannung, die daraus erwächst, auf den weiblichen Teil des Publikums zurückgeworfen. Diese Mädchen erleben in einer Art Stellvertreterschaft lustvoll die Kontrolle über die bedrohliche und schwer einzuschätzende phallische Kraft und können sich andererseits in eine Phase zurückträumen, in der ihnen diese Kraft nicht entgegentritt. In diesem keineswegs edlen, sondern unreifen Traum, ist alles rein und doch tief durchsetzt von Symbolen des Bedrohlichen.
BigDoc: Der ganze Fun im Film besteht also darin, die männliche Enthaltsamkeit als Kontrolle und vielleicht sogar als Unterwerfung zu erleben?
Freud: Ihr Sprachschatz scheint doch sehr reduziert zu sein. Ich denke, dass hier der Begriff des ‚diebischen Vergnügens’ viel eher am Platze ist.


Soweit unser Gespräch mit Prof. Siegmund Freud. Es enthält zwar keine wörtlichen Zitate aus dem "Abriss der Psychoanalyse", fasst aber zentrale Sachverhalte dieser Schrift in der zeittypischen Sprache zusammen, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass die Ausführungen Freuds über das Kino frei erfunden sind und nicht die geringsten Ähnlichkeit mit der Realität aufweisen.
Bleibt anzumerken, dass der mit einem Budget von 37 Mio. Dollar produzierte Film bis zum März 2009 bereits 379 Mio. Dollar eingespielt hat und hinreichend die Macht des Kinematographen unter Beweis gestellt hat.
Klawer danke ich für die kritische Durchsicht dieses Beitrages. Er bewahrte mich vor tragischen Fehlern.

Noten: BigDoc = 3, Melonie = 3, Klawer = 3, Mr.Mendez = 3,5