Mittwoch, 30. Januar 2013

Lincoln

O.: Lincoln, USA 2012, Regie: Steven Spielberg, Drehbuch: Tony Kushner, Länge: 145 Minuten, FSK: ab 12 Jahren, Darsteller: Daniel Day-Lewis, Tommy Lee Jones, Sally Field, David Strathairn, Joseph Gordon-Levitt.

Gleich zu Beginn von Steven Spielbergs Biopic über Abraham Lincoln ist Lincoln nahe bei seinen Soldaten. Oft wird das in Spielbergs Film nicht der Fall sein. Es ist Anfang 1865, vier Jahre nach dem Angriff der Konföderierten auf Fort Sumter. Der große Bürgerkrieg hat sich längst gewendet, der Sieg der Union ist absehbar. Zwei weiße Soldaten können glorreiche Lincoln-Reden auswendig vortragen, zwei junge schwarze Unionssoldaten sprechen über barbarische Kriegsakte, Lincoln hört geduldig zu. Der jüngere der beiden Schwarzen gerät in eine Mischung aus Rage und Enthusiasmus: er könne sich vorstellen, dass nach dem Sieg der Union bald auch Farbige höhere Ränge in der Armee bekleiden können, in hundert Jahren gäbe es dann womöglich auch einen schwarzen General. Der US-Präsident hört lächelnd zu, verspricht aber nichts, dann schickt er beide zu ihrer Kompanie. Die Szene endet mit einer Totale, der Präsident bleibt allein zurück. Man ahnt als Zuschauer nicht nur, sondern weiß, dass die Geschichte der Farbigen in den USA etwas anders verlaufen ist.

Dies ist bereits eine der besten Szenen des Films. Sie zeigt den Mythos, der Lincoln bereits umgibt und der später besonders in der schwarzen Bevölkerung bis heute gepflegt wird: Lincoln, der Sklavenbefreier. Spielberg deutet aber auch an, dass sein Lincoln weiß, dass Politik Grenzen hat. Und mit historischem Mehrwissen ausgestattet, dürfte sich bei einigen Zuschauern milde Skepsis breitmachen, denn von Spielbergs Lincoln zu Spike Lee führt eine direkte Verbindung: die manifesten Rassenunterschiede in den Vereinigten Staaten sind immer noch da, aber 150 Jahre nach Lincoln werden schwarze Regisseure zumindest ihre Geschichtsdeutung medial verarbeiten können, auch wenn der weiße Mann seine Deutungshoheit nicht ganz aufgeben will.

Manipulieren und Bestechen: Lobbyismus für die gute Sache

Steven Spielberg lässt Daniel Day-Lewis (Golden Globe 2013 als Bester Hauptdarsteller) die präsidiale Ikone spielen. Und der zweifache Oscar-Preisträger macht seine Sache ausgezeichnet: er pendelt die Rolle so aus, dass die historische Bedeutung der Figur erhalten bleibt und die privaten Momente des Mannes nicht im Soap landen. Vom nuancierten Mienenspiel, den endlosen Anekdoten, die Lincoln erzählt,  bis zu den berühmten Manierismen des großen Mannes gibt Day-Lewis beinahe alles, um mit der Figur so zu verschmelzen, dass man glaubt, den leibhaftigen Lincoln auf der Leinwand zu sehen. Eine perfekte Illusion, allerdings im positiven Sinne.

Gewagt hat es bislang kein Regisseur, ein Lincoln-Biopic groß anzulegen. Wohl wissend um die Komplexität der historischen Dimensionen hat sich Regie-Legende John Ford 1939 in „Young Mr. Lincoln“ auf eine frühe Episode aus dem Anwaltsleben des späteren Präsidenten konzentriert und Henry Fonda war weißgott kein schlechter Abraham Lincoln, aber auch danach gab es erstaunlicherweise keinen Lincoln-Film, der aufs Ganze ging.
Genau aber das will Spielberg: er will Lincoln auf dem Höhepunkt seines politischen Schaffens zeigen, nämlich beim Kampf um den 13. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung, mit dem die Sklaverei in den Vereinigten Staaten abgeschafft werden soll.
Da der große epische Historienfilm mitsamt seiner glanzvollen Pathetik filmhistorisch erledigt ist, ist allerdings Nuancierung angesagt. Und so zeigt Spielberg Lincolns politisches Ringen kurz vor dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs als diskretes Kammerspiel, als extrem dialogzentrierte Dauerdebatte, in der sich sein Lincoln bei der Beschaffung der erforderlichen Stimmen die Hände schmutzig machen. Die diskreten Angebote und keineswegs immateriellen Vergünstigungen, die er von gewieften Politprofis überbringen lässt, sind notwendig, um die letzten Stimmen zusammen zu bekommen. Dazu muss der Republikaner Lincoln allerdings bei den Demokraten wildern, den strikten Gegnern des Abolitionismus. Manipulieren, Bestechen, Überreden, Erpressen: Lobbyismus für die gute Sache. 150 Jahre später werden uns TV-Serien wie „The West Wing“ und „The Wire“ von der Alltäglichkeit diese politischen Kultur endgültig überzeugen.

Dieses Taktieren und Lavieren, das ständige Reden und Verhandeln, machen „Lincoln“ sehr theaterhaft und möglicherweise etwas dröge, zeigen aber auch die Ambivalenzen des demokratischen Diskurses auf, die offenkundig zeitlos sind. So wechselt der Film zwischen Weißem Haus und Repräsentantenhaus hin und her und landet immer wieder inmitten diffiziler Strategiegespräche, die alles andere als anspruchslos sind. Spielberg will historische Tiefe und lässt seinen Lincoln weitreichende staatspolitische Analysen vortragen, die sicher den einen oder anderen Zuschauer überrollen werden, etwa wenn Lincoln die verfassungs- und staatsrechtlichen Konsequenzen seiner Emanzipations-Proklamation haarklein analysiert, um zu verdeutlichen, dass er damit die Besitzrechte der Sklavenhalter als Teil des Kriegsrechts faktisch anerkannt, aber den zivilen Status der Schwarzen nach dem Kriegsende völlig offen gelassen hat.Das hört sich immer auch etwas nach Geschichtsstunde an.

Fomal überragend, inhaltlich gediegen

Dies alles wird von Spielberg bevorzugtem Kameramann Janusz Kamiński mit unaufdringlicher Eleganz in fast klassischen Bildern eingefangen, die dem Film jedweden Anflug stilistischer Auffälligkeit austreiben. Auch der Verzicht auf pathetische Musik überrascht in diesem konzentrierten Film. In „Lincoln“ verschwindet die Form hinter dem Inhalt und Spielbergs Film ist fast klassizistisch zu nennen, wenn man diesen Begriff zuallererst als Abgrenzung gegen vorherrschende Stilprinzipien versteht. Mit Michael Kahn ist zudem auch jener Cutter mit an Bord, der für Spielberg bereits in vielen anderen Filmen für eine angemessene Continuity sorgte.
Über weite Strecken wirkt „Lincoln“ deshalb wie Schulfunk auf extrem hohen formalen Level, ein Film, der sich filmhistorisch Rang und Geltung verschaffen will und dafür auch mit zwölf Oscar-Nominierungen belohnt wurde.
12 Jahre hat Steven Spielberg den mit einem Budget von 50 Millionen US-Dollar an Originalschauplätzen in Illinois und Virginia gedrehten Film vorbereitet. Zahlreiche Drehbuchentwürfe wurden verworfen, ehe Pulitzer-Preisträger Tony Kushner eine verwertbare Version vorlegen konnte, die auf der Lincoln-Biografie von Doris Kearns Goodwin „Team of Rival“ basiert und genaugenommen eine Sachbuchverfilmung ist. Unangreifbar wird der Film trotz dieser Akribie nicht.

Der Film leidet dabei weniger am irrlichternden Mythos der Lichtgestalt Abraham Lincoln, sondern am Konzept des Films: Spielberg und sein Drehbuchautor verengen den Fokus und beschränken sich darauf, lediglich die letzten vier Monate vor der Ermordung Lincolns zu erzählen, jene Monate, in denen Lincoln sich mit Nachdruck für die Zustimmung des Repräsentantenhauses zum 13. Zusatzartikel zur Verfassung (The Thirteenth Amendment) einsetzte, der zuvor bereits erfolgreich den Senat passiert hatte [1]. Wenn Steven Spielberg den Republikaner Lincoln und seinen Außenminister William H. Seward um die fehlenden Stimmen buhlen lässt (Lincoln benötigte zwanzig demokratische Stimmen aufgrund der unzureichenden Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus), zeigt Spielberg zwei Männer, die selbst in den eigenen Reihen damit Probleme bekommen, die Abschaffung der Sklaverei zu begründen. Wozu denn ist die Union eigentlich in den Krieg gezogen, fragt man sich am Anfang des Films verblüfft. 

Die thematische Engführung und die Beschränkung auf eine historische Episode sind aus dramaturgischen Gründen allerdings nachvollziehbar. Clint Eastwoods „J. Edgar“ hat sich ähnliche Beschränkungen auferlegt und ersparte dem Publikum den paranoiden FBI-Chef Hoover der Nachkriegsjahre. Daran kann man sich reiben, man muss es nicht.
Wie gesagt: „Lincoln“ beantwortet nicht alle Fragen, dies ist gelegentlich ärgerlich. Der enge historische Fokus des Films deutet zwar an, dass es möglicherweise andere Kriegsziele gegeben hat, etwa die harten ökonomischen Disonanzen zwischen und Nord und Süd, später die Verhinderung der Separation der Südstaaten, "Lincoln" kann oder will aber nicht das ohnehin sehr diffizile Motivgemenge aus ökonomischen und staatspolitischen Ursachen in den Film einbringen und streift die verfassungsrechtliche und historische Vorgeschichte nur am Rande. So wurde immerhin 1861 unter Präsident Buchanan mit dem Corwin-Amendment der erste, schnell vergessene, 13. Zusatzartikel verabschiedet, der definitiv ausschloss, dass es dem Kongress jemals gestattet sei, die Sklaverei abzuschaffen. Lincoln, ein Verfassungsbrecher?
Am Griff nach dem Geschichtsbuch führt nach diesem Film jedenfalls kein Weg vorbeit.

Letztlich eine Geschichte des Scheiterns

Den kompletten Lincoln bekommen wir also nicht zu sehen. Steven Spielberg hat seinem Sujet eine andere Wendung gegeben: er zeigt uns nur eine der moralischen Visionen des Mannes, der nicht zu den Hardlinern der Sklavenbefreiung gehörte und zu allerlei taktischen Manövern bereit war. Spielberg erspart uns auch einen Lincoln, der noch 1862 im berühmten Greeley-Brief kund tat: „Mein oberstes Ziel in diesem Krieg ist es, die Union zu retten; es ist nicht, die Sklaverei zu retten oder zu zerstören. Könnte ich die Union retten, ohne auch nur einen Sklaven zu befreien, so würde ich es tun; könnte ich sie retten, indem ich alle Sklaven befreite, so würde ich es tun; und könnte ich die Union retten, indem ich einige Sklaven befreite und andere nicht, so würde ich auch das tun. Alles, was ich in Bezug auf die Sklaverei und die Schwarzen tue, geschieht, weil ich glaube, dass es hilft, die Union zu retten.“
In Spielbergs Biopic ist Lincoln auf die Sklavenfrage so eingeschworen, dass er bereit ist, mögliche Friedensgespräche mit den Konföderierten zu verhindern, um das 13th Amendment durchzuboxen: ein zu schneller Friedenschluss hätte, so machen uns Spielberg/Kushner klar, die Aussetzung der Debatte um die Sklaverei bedeutet. Diese List zieht zusätzliche Kriegsmonate und noch mehr Tote nach sich und wenn Lincoln am Ende der Gewinner ist, dann ist es Spielberg immerhin gelungen, die Gratwanderung dieser letzten Monate überzeugend nachzuerzählen.

Privates findet nur selten den Weg in den Filmen. Lincoln muss sich zwar gelegentlich mit seiner scharfsinnigen Frau Mary (Sally Field) auseinandersetzen, auch das Bemühen, seinen patriotisch gestimmten Sohn Robert (Joseph Gordon-Levitt) aus dem Krieg herauszuhalten, zeigt eine weitere Facette der ambivalenten Gemütsverfassung Lincolns, aber am Ende bleiben diese Episoden eben das, was sie sind: Episoden.
In „Lincoln“ ist der Held eine historische Führerfigur in vollem Bewusstsein ihrer historischen Größe und der Zufälligkeit historischer Prozesse. Die Dauerdialoge werden zwar einige langweilen, aber das wird dem Film dann doch nicht gerecht. Spielberg hat einen insgesamt sehr durchdachten und auch durchaus spannenden Film vorgelegt, der besonders durch seinen sachlichen Grundton überzeugt und sich auch Zeit für Zwischentöne nimmt. 

So sorgt „Lincoln“ ausgerechnet mit einer Nebenfigur für eine erstaunliche Facette: Tommy Lee Jones spielt den radikalen Republikaner Thaddeus Stevens, der in der Rassenfrage nicht nur die Gleichheit der Farbigen vor dem Gesetz forderte, sondern in klarer Weitsicht erkannte, dass dies weitreichende Konsequenzen für die zivile Verfasstheit der USA haben wird: Wahlrecht, soziale Gleichstellung und Beseitigung des Bildungsdefizites standen auf Stevens Agenda genauso wie die Rechte der Indianer, Juden, Chinesen und auch der Frauen. Und so hat Stevens die deutlich radikaleren und möglicherweise konsequenteren Visionen. Als es dann im Repräsentantenhaus zur entscheidenden Abstimmung kommt, schwört Stevens seinen Ideen allerdings aus taktischen Gründen ab: 
Ich bin nicht für Gleichheit in allen Dingen, aber für Gleichheit vor dem Gesetz".

Hier wird klar, dass in „Lincoln“ nicht nur die Moral im Gewand des politischen Pragmatismus siegt, sondern auch die Vision einer politischen Elite, die nicht in der Lage war, die Nation in Gänze zu überzeugen. Das hat sich später gerächt. So kann man „Lincoln“ auch in letzter Konsequenz als eine Geschichte des relativen Scheiterns lesen. Dass zeitgleich mit dem Kinostart ein farbiger Präsident im Amt bestätigt wurde, galt denn auch einigen Kritiker gleich als Warnung und Appell an Barack Obama.
In seiner letzten Szene in „Lincoln“ nimmt sich dann Tommy Lee Jones die Perücke ab und legt sich zu seiner Geliebten ins Bett – es ist die farbige Witwe Lydia Hamilton Smith. Mitgebracht hat er das Originalskript des Amendments. Besser geht’s nicht und ganz ehrlich: der kauzige und bärbeißige Tommy Lee Jones ist der heimliche Held in „Lincoln“.

Noten: BigDoc, Klawer = 2

Postscriptum:
Die Kritik im nachfolgenden Pressespiegel, nämlich dass Lincoln" keine Farbigen zeigt, stimmt einerseits nicht (wovon man im Kino sich schnell überzeugen kann), andererseits sehe ich bei diesem Sujet auch in dramaturgischer Hinsicht wenig Spielraum für eine entsprechende Figurenentwicklung. „Lincoln" ist insofern auch recht konsequent: weiße Männer debattieren mit weißen Männern über das Schicksal der Schwarzen. Ich vermute, dass die Kritik eher zum obligatorischen Spielberg-Bashing gehört.
Vergleichbar wäre ein Gezetter, dass dem Film vorwirft, die Indianerpolitik Lincolns nicht zu kommentieren. DAS wäre allerdings wirklich ernst zu nehmen, zumal dieser Aspekt mit der Figur von Thaddeus Stevens verknüpft werden könnte. Ein Beispiel: 1862 unterzeichnete Lincoln den Homestead Act, der die Landnahme weißer Siedler auf eine besondere Rechtsgrundlage stellte und ihren Besitz vor Übernahme, u.a. durch Pfändungen, schützte. Dies ging zu Lasten der Indianer, besonders der nomadisierenden Stämme, denen das Land weggenommen werden konnte - es wurde ja nicht bewirtschaftet! Die Folge waren Aufstände, die genozidähnlich niedergeworfen wurden. In Lincolns Amtszeit fällt auch die größte Massen-Hinrichtung aller Zeiten, als 38 Indianer gehängt wurden. Dabei hatte Lincoln die Anzahl der Todesurteile (ursprünglich 200) bereits drastisch gesenkt, was ihm politisch geschadet hat.
Es ist das Verdienst einer Indepent Movie Production, der Smooth Feather Productions, mit ihrem Film "Dakota 38" diese Ereignisse aus Lincolns Amtszeit aus Sicht der Betroffenen nachgezeichnet zu haben: http://www.smoothfeather.org/index.php?pg=films.

Der Film steht als Free Download zur Verfügung.

Zum Teil ist die o.a. erwähnte Kritik für Filmwissenschaftler unter dem Aspekt der Diegese interessant. Ich will den Unterschied zwischen Mimesis und Diegesis hier nicht erörtern, möchte aber einen Aspekt besonders hervorheben, und zwar etwas, was bereits amerikanische Filmstudenten als Basics lernen:


The diegesis includes objects, events, spaces and the characters that inhabit them, including things, actions, and attitudes not explicitly presented in the film but inferred by the audience. That audience constructs a diegetic world from the material presented in a narrative film.

Interessant daran ist der Aspekt, dass die uns erzählte Filmhandlung eine Art von Erzählkosmos herstellt, in dem wir Dinge und Zusammenhänge schlussfolgern können, die nicht gezeigt werden. Ich habe mich immer für den rezeptionsästhetischen Aspekt interessiert und die Frage, ob die Rezeption sich nur auf das vom Film präsentierte Material beschränken muss oder ob der Prozess grundsätzlich offen ist. Man kann (vgl. meine Kritik zu "Life of Pi") dann von einem offenen Filmmodell sprechen, wenn in einer Filmerzählung die Weglassungen spannender sind als die Hinzufügungen. Damit ist keineswegs eine fehlerhafte Filmerzählung gemeint (z.B. wenn historische Zusammenhänge ausdrücklich gefälscht werden), sondern eher eine, die es ausgesprochen notwendig macht, aus der vermeintlich geschlossenen und faktisch 'wahren' Filmerzählung herauszutreten und, simpel formuliert, die Weglassungen selbst zu ergänzen, indem man schlicht und einfach etwas zu dem Thema liest. Im Übrigen ist es eine Aufgabe der Filmkritik, diese Aspekte auf verständliche Weise aufzuarbeiten.

Pressespiegel:


„Spielberg ergreift die Gelegenheit, die Langwierigkeit politischer Prozesse in klassischer Thrillermanier zu inszenieren: Unterschiedliche Konfrontationen treten parallel auf, Probleme entzerren sich in letzter Sekunde, und familiäre Randkonflikte entschleunigen die Rasanz der Haupthandlung. Etablierte Erzähltechniken bestimmen den Filmrhythmus und stellen gleichzeitig auch den Charakter des Protagonisten heraus, trennen Privates von Politischem, heben seine Stärken wie seine Makel hervor. Lincoln wird weder stupide personalisiert noch zur Ikone sakralisiert“ (Lukas Stern in: critic.de)

„In „Munich“, in „Amistad“, in „Die Farbe Lila“ und im „Reich der Sonne“ hat man gesehen, was mit Spielbergs Kino passiert, wenn es Geschichte, Realgeschichte schreiben will - es stolpert, hechelt, schwitzt, gerät aus dem Tritt. Umso größer ist die Überraschung von „Lincoln“. Keine Liebesgeschichte diesmal, kein Gral, kein Ufo, kein Hai. Stattdessen ein parlamentarisches Verfahren, so knochentrocken und zäh wie alle Dramen der Demokratie“ (Andreas Kilb in: faz.net). 

 „Spielberg zeigt die politischen Akteure in spannenden Debatten - aber alles bleibt doch immer ein Kammerspiel und wirkt wie verfilmtes Theater. Dazu trägt auch Daniel Day-Lewis seinen Teil bei… Wie ein Lincoln-Gespenst schlurft er durch den Film, endgültig zu jener Karikatur eines Method-Acting-Anhängers zusammengeschrumpft, die sich schon in seinen Rollen als Gangster "Butcher Bill" in "Gangs Of New York" und vor allem als seelenloser Kapitalist Daniel Plainview in "There Will Be Blood" andeutete … Quentin Tarantino's "Django Unchained", der fast zu gleichen Zeit spielt wie "Lincoln" wirkt als dessen Gegenentwurf und Mängelanzeige: Eine Anklage des Rassismus, wo Lincoln nur ein Lob des Guten ist. Und ein Film mit vielen schwarzen Darstellern. "Lincoln" dagegen handelt zwar von der Sklavenbefreiung, zeigt aber nur schlaue alte weiße Männer. Die wenigen schwarzen Figuren sind entweder stumme Diener, lächelnde Onkel Toms, hübsche Nannys, die auch mal mit ins Bett schlüpfen, um Opas Unterleib zu wärmen. Oder sie plappern gelehrig Worte der Weißen nach wie Lincolns "Gettysburg Adress" in einer der ersten Szenen. Aber nichts zeigt Spielberg von der Realität des versklavten Amerika“ (Rüdiger Suchsland in: heise.de). 

„Wo die klassischen Definitionen des Autorenfilms nicht greifen, braucht es vielleicht neue Kategorien. In seiner Gesamtheit steht Spielbergs Kino für den Glauben an die Macht der Geschichte, sei sie fiktional oder historisch inspiriert. Seine besten Filme, ganz gleich in welchem Genre, sind moralisch, ohne jedoch einfache Wahrheiten zu predigen, und sie fordern die emotionale und intellektuelle Anteilnahme des Publikums. Wunderkind und Jäger der Einspielrekorde, das waren Spielbergs Rollen in der Vergangenheit. Heute ist er schlicht einer der größten Erzähler, den das Kino hervorgebracht hat“ (David Kleingers in: DER SPIEGEL).

[1] Weder Sklaverei noch Zwangsarbeit, ausgenommen als Strafe für ein Verbrechen aufgrund eines rechtmäßigen Urteils, sollen in den Vereinigten Staaten von Amerika und allen Orten, die ihrer Rechtsprechung unterliegen, existieren."