Montag, 10. August 2015

Unbroken

Angelina Jolies zweite Regiearbeit galt lange Zeit als Oscar-Kandidat. Die Geschichte des Olympiateilnehmers Louis Zamperini, der während des Zweiten Weltkriegs in der US-Air Force diente, in japanische Gefangenschaft geriet und dort „ungebrochen“ systematischer Folter widerstand, ist purer Kinostoff. Dennoch wurde aus „Unbroken“, besonders in Deutschland, ein handfester Skandalfilm.

Dezember 2014: „Unbroken“ ist der dritterfolgreichste Film an den amerikanischen Kinokassen. Die Macher gehören zum Who is Who des US-Kinos. Das Drehbuch haben u.a. Joel und Ethan Coen geschrieben, die erlesenen Bilder bringen Kamera-Genie Roger Deakins (u.a. „The Shawshank Redemption“, „Fargo“, „No Country for Old Men“, „Skyfall“) eine Nominierung für die Academy Awards ein. Und den Soundtrack besorgte der mehrfach preisgekrönte französische Komponist Alexandre Desplat („The Grand Budapest Hotel“, „The Imitation Game“). Was kann da schon schief gehen? Eine Menge. Zumindest für einige Kritiker. „Unbroken“ hat einen Teil der Prügel einstecken müssen, die eigentlich „American Sniper“ verdient hat.


Die Kamera ist der Held

1943: Mit einem Cold Open springt „Unbroken“ in einen Bombenangriff der Air Force auf die von den Japanern gehaltene Insel Nauru. Mit an Bord ist der Bombenschütze Louis Zamperini (Jack O’Connell), der nach dem Abwurf in schwindelnder Höhe verzweifelt versucht, die defekten Bombenklappen zu schließen. Das Flugzeug wird von der Flak mehrfach getroffen, die Landung auf der Basis ist ein kleines Wunder.
 Der zweite Einsatz der Crew, eine Rettungsmission, wird endgültig zum Desaster. Das schon vor Start bruchreife Flugzeug muss nach dem Ausfall mehrerer Motoren mitten auf dem Pazifik notwassern. Nur drei Crewmen überleben den Crash: Zamperini, der Crewman Mac (Finn Wittrock) und der Pilot Phil (Domhnall Gleeson, „Ex Machina“). 47 Tage lang treiben die Drei in Schlauchbooten auf dem Meer. Und bald kommen auch die Haie.

In „Unbroken“ ist zu Beginn die Kamera der eigentliche Held. Roger Deakins gelingen nicht nur dramatische, sondern auch präzise und stimmungsadäquate Bilder. Dies gilt erst recht für die Flashbacks, in denen Angelina Jolie im ersten Filmdrittel die Backstory Zamperinis erzählt. Der junge Louis (von C.J. Valleroy großartig gespielt) ist das Kind einer gutbürgerlichen italienischen Familie, aber im Gegensatz zu seinem Bruder Pete (Alex Russell) ist er ein Streuner, der klaut und raucht und wegen seiner italienischen Wurzeln auch mal Prügel von anderen Straßenkindern bezieht. Erst als ihn Pete an den Langlauf heranführt, entwickelt Louis zum ersten Mal Ehrgeiz und Disziplin.

Deakins Kamera fängt dies stilistisch überragend mit souveräner Kadrierung und eleganten Perspektiven ein, die mehr als nur ein wenig an die großen Kinofilme der 1960er Jahre erinnern. Es sind aber eher intime als monumentale Bilder, wenn Zamperini bei den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin beim 5000 m-Lauf zwar nur Achter wird, aber die letzte Runde als Erster unter 60 Sekunden läuft. Angelina Jolie wollte einen klassischen Film machen – das ist ihr gelungen.

Den älteren Louis Zamperini spielt Jack O’Connell als Anti-Helden. Und das gelingt Jack O’Connell, der
als Rookie mit „Unbroken“ wohl den Durchbruch geschafft hat, überzeugend. Während er mit seinen Kameraden im Pazifik treibt, übernimmt er eher zurückhaltend die Rolle des Anführers. Als Mac heimlich die gemeinsamen Vorräte isst, reagiert er eher unschlüssig – ein Held sieht anders aus.
Angelina Jolie nimmt sich in diesen Sequenzen sehr viel Zeit. Der Film beginnt sein Erzähltempo auffällig zu drosseln. Das erbärmliche Dahinvegetieren in den Schlauchbooten wird mit akribischer Detailversessenheit und beinahe dokumentarisch geschildert: Fische werden gefangen, die Männer müssen das rohe Fleisch zunächst aber auskotzen, Regen wird mit Planen aufgefangen, Zamperini erzählt Geschichten, damit sich keine Agonie breit macht. Aber dann stirbt Mac an Entkräftung, nachdem die Drei den Angriff eines japanischen Tieffliegers zuvor noch knapp überlebt haben. „Unbroken“ wendet sich im Mittelteil trotz dieser Einlagen vom Timing vertrauter Actionmuster ab und nimmt eine konsequent naturalistische und beinahe schon zwanghaft penible Perspektive ein. Nicht jeder wird das spannend finden.

Als Louis und Phil nach 47 Tagen von einem japanischen Kriegsschiff aufgelesen werden, beginnt für Zamperini die Höllentour durch verschiedene Kriegsgefangenenlager. War der Film bereits zuvor schon langsam, so steigert sich der Inszenierungsstil von Angelina Jolie nun zu einem beinahe monotonen Bildfluss, der auf dramaturgische Spannungsmomente verzichtet. Nebenfiguren wie Phil verlieren sich in der Geschichte, neue Figuren werden weder ausgebaut noch erhalten sie eine Bedeutung, die über kurze One-Liner hinausgeht.
Im Fokus steht nun die Beziehung zwischen Zamperini und dem sadistischen Korporal Mutsuhiro „The Bird“ Watanabe (gespielt von dem japanischen Rock- und Hip-Hop-Musiker Takamasa Ishihara, Künstername: „Miyavi“). Trotz seines niederen Rangs ist Watanabe der Kommandant des Lagers und der berühmte Langläufer Zamperini wird zu seinem Lieblingsfeind. Es setzt Schläge und als der Amerikaner es ablehnt, für einen Radiosender in Tokio Propagandatexte zu sprechen, lässt ihn Watanabe von den Mitinsassen der Reihe nach mit der Faust ins Gesicht schlagen. Es sind mehr als 200 Männer im Lager.


"If I can take it, I can make it"

Also auf keinen Fall „Die Brücke am Kwai“. Eher ein dokumentarisch protokolliertes Dahinsiechen. Unterbrochen von sadistischen Einfällen Watanabes. Am Ende arbeiten die Gefangenen dem Tode nah auf Kohleschiffen und sind davon überzeigt, bei Kriegsende hingerichtet zu werden.
Zugegeben: „Unbroken“ ist ein dramaturgisches Rätsel. Der Film zerfällt in zwei Teile und nicht immer ist klar, wohin Angelina Jolies Reise führen soll. Nach einer klassisch anmutenden ersten Stunde, die großes Kino bietet, folgt eine naturalistische und detailverliebte Studie des barbarischen Lagerlebens, frei von psychologischen und dramaturgischen Elementen. „Unbroken“ bietet allen Konventionen zum Trotz nicht einmal einen finalen Showdown zwischen dem Helden und dem Schurken. Den hat es tatsächlich auch nicht gegeben.

Angelina Jolies „Unbroken“ folgt dabei über weite Strecken der Biografie „Unbroken. A World War II Story of Survival, Resilience, and Redemption“ (dts. „Unbeugsam. Eine wahre Geschichte von Widerstandskraft und Überlebenskampf“) von Laura Hillenbrand, ein Buch, das zum internationalen Bestseller wurde. Bereits mit ihrem Buch über das Wunderpferd Seabiscuit („Seabiscuit: An American Legend“, 2001, dts. „Seabiscuit. Mit dem Willen zum Erfolg“) hatte die am Chronischen Erschöpfungssymptom leidende Autorin offenbar ihr Thema gefunden.
Nach dem willenstarken Pferd nun also der willenstarke amerikanische Held? 

In einer Buchkritik der Süddeutschen Zeitung wurde die Autorin zwar als historisch präzise Chronistin bezeichnet, aber die Rezensentin konnte sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: „Ohnehin besteht Hillenbrands Therapie offenbar darin, vom Krankenbett aus regelmäßig über notorische Abenteurer zu publizieren. Sie telefoniert, recherchiert, archiviert, kann ihre Kronzeugen aber nie treffen.“ Kolportage für tough guys?

„Unbroken“ wurde also bereits als Buch zum Politikum. Wahrgenommen wird nun der Film von Teilen der Kritik erst recht als heroische Verklärungsorgie, die – obwohl historisch weitgehend authentisch – einen moralisch überlegenen Ami vorführt, der von einem sadistischen Aufseher fast zu Tode gequält wird und dennoch immer wieder aufsteht, nicht nachgibt und seinen Widersacher durch pute Physis und Charakterstärke beinahe in einen Nervenzusammenbruch treibt. 

Die Schlüsselszene sieht man auf einigen Filmplakaten: Jack O’Connell stemmt als Louis Zamperini (für einige Kritiker in Jesus-Pose) einen tonnenschweren Balken hoch über seinen Kopf – lässt er ihn fallen, wird er auf der Stelle erschossen. Natürlich lässt er ihn nicht fallen, wird aber dennoch brutal von dem emotional bewegten Watanabe zusammengeschlagen.
"If I can take it, I can make it." 


Ein Film im falschen politischen Milieu

Ein amerikanischer Soldat, der von einem Asiaten gefoltert wird? Das geht natürlich nicht nach Abu Ghuraib und erst recht nicht nach der Veröffentlichung des CIA-Folterreports durch den US-Geheimdienstausschuss kurz vor der Premiere von „Unbroken“. Und so folgert die TAZ in ihrer Filmkritik: „Dass kein namhafter Kritiker die offensichtliche Problematik von „Unbroken“ thematisierte, ist eine Bankrotterklärung der US-amerikanischen Filmkritik“ (1).

Herber Tobak. Ganz abwegig ist das allerdings nicht. Filme sind auch unabhängig von den Intentionen ihrer Macher ideologische Vehikel. Die Geschichten über Kriegsgefangenen sind ein Topos, der nicht nur Historisches nacherzählt, sondern auch verborgene und ambivalente Wünsche der Zuschauer ausdrückt. 
Ein Beispiel: 1959 erzählte Fritz Umgelters Straßenfeger „Soweit die Füße tragen“ nicht durchgehend authentisch die Geschichte eines deutschen Kriegsgefangenen, dem die Flucht aus einem sibirischen Lager gelang. Mehrere Folgen lang sah man, wie sich der deutsche Landser Clemens Forell (Heinz Weiss) überwiegend zu Fuß von Ostsibirien in den Iran durchschlug. Halb Deutschland saß vor dem Fernseher. „Soweit die Füße tragen“ war eine prägende mediale Erfahrung, erzählte sie doch auch von einem deutschen Soldaten, der ganz offensichtlich kein Nazi war. Es war die Zeit, in der deutsche Staatsanwälte eher zögerlich gegen deutsche Kriegsverbrecher zu ermitteln begannen. Umgelters Film wurde daher wohl  als sauberes Geschichtsbild rezipiert. Angelina Jolies Film wird nun ebenfalls so etwas wie Geschichtsrevisionismus untergeschoben. Man sieht also, dass die Subtexte und das politisches Klima für die Deutung von Filmen oft entscheidender sind als die historischen Fakten.

Amerikanische Veteranenverbände liefen gegen diese Lesart Sturm und beharrten darauf, dass trotz Nagisa Oshimas „Merry Christmas, Mr. Lawrence“ (1983) die hohe Sterberate und die permanenten Misshandlungen amerikanischer Soldaten in japanischen Gefangenenlagern weiterhin einer Aufarbeitung bedürften.
Delikat werden derartige Referenzen, wenn man weiß, dass in Oshimas Film sowohl Homosexualität als auch interkulturelle Dissonanzen eine bedeutende Rolle spielen. Und in Jolies Film, dem wie Oshimas brutalem Film ästhetische Erlesenheit im Bildaufbau bescheinigt wurde, spielen ähnliche Motive eine diskrete Rolle, ganz zu schweigen davon, dass auch in „Merry Christmas, Mr. Lawrence“ zwei Musik-Ikonen (David Bowie und Ryuichi Sakamoto) in den Hauptrollen zu sehen waren. In „Unbroken“ erkennen Kritiker in dem ätherischen Miyavi nun etwas Vergleichbares, aber in das Aussehen des Darstellers wurde nun eine versteckte Homophobie der Regisseurin hineingedeutet.
Die Darstellung Watanabes in „Unbroken“ gibt dies aber nicht so recht her. Das mag auch daran liegen, dass im Film die Figur des sadistischen Japaners (der in Wirklichkeit bulliger aussah und sich als einer der meistgesuchten Kriegsverbrecher jahrelang in Japan verstecken musste) in ihrer Hassliebe psychologisch etwas indifferent und eindimensional bleibt. Das macht offen für beliebige Deutungen.

Summa summarum ist „Unbroken“ kein großer, aber ein beachtlicher Film geworden. Während ich „American Sniper“ als unerträglichen Propagandafilm wahrgenommen habe, ist Angelina Jolies Film ein brillant gefilmtes und inhaltlich erträgliches Biopic über einen durchweg interessanten Menschen – eine historische Episode, die sehenswert ist. 
Schaut man genau hin, dann ist das vermeintliche Heldenepos nicht zu entdecken. Jack O’Connells Version von Louis Zamperini ist eher die eines Mannes, der trotz seiner physischen Robustheit ein Mensch voller Zweifel bleibt. „Er hielt mich immer für besser als ich es bin“, erinnert sich der Olympionike in einer Schlüsselszene des Films an seinen Bruder.

Was darüber hinaus in „Unbroken“ so alles erkannt wird, ist weniger Ideologiekritik als vielmehr selbst Ideologie. Da kommt es schon zu reichlich verstiegenen Kritikerideen. Dabei wurde Angelina Jolie, deren Vita als Schauspielerin und aktive Menschenrechtsaktivistin solche Verdachtsmomente eigentlich ad absurdum führen sollte, angelastet, dass sie neben dem „reaktionären Heldenkitsch“ (Andreas Borcholte, SPIEGEL) dem Zuschauer auch noch verschwiegen hat, dass sich der Agnostiker Louis Zamperini nach Kriegsende einer fundamentalchristlichen Bewegung anschloss. Klar, das reicht. Erstaunlich, dass so oft mit Schaum vor dem Mund geschrieben wird.
Möglicherweise könnte alles noch spannend werden. Auch für die Kritiker. Unbestätigten Quellen zufolge hat Universal den ursprünglichen Cut des Films völlig umgeschnitten, um aus der dunkleren und deutlich differenzierteren Arthouse-Version der Regisseurin einen kassentauglichen Film (2) zu machen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Director’s Cut für eine Überraschung sorgt.

Unbroken - USA 2014 - Regie: Angelina Jolie. Buch: Joel und Ethan Coen, Richard LaGravanese, William Nicholson (nach dem Buch „Unbroken. A World War II Story of Survival, Resilience, and Redemption“ von Laura Hillenbrand). Kamera: Roger Deakins. Musik: Alexandre Desplat. D.: Jack O'Connell, Domnhall Gleason, Takamasa Ishihara. Laufzeit: 137 Minuten. FSK: ab 12 Jahren.


(1) http://www.taz.de/!5023804/
(2) http://pagesix.com/2014/11/29/jolies-unbroken-directors-cut-too-arthouse-for-universal/

Noten: BigDoc = 2,5