Dienstag, 3. April 2007

Volver

Spanien 2006 - Originaltitel: Volver - Regie: Pedro Almodóvar - Darsteller: Penélope Cruz, Carmen Maura, Lola Dueñas, Blanca Portillo, Yohana Cobo, Chus Lampreave, Antonio De La Torre, Carlos Blanco, Isabel Díaz - FSK: ab 12

Männer spielen im Leben der Frauen keine Rolle mehr, sie sind in „Volver“ kaum noch zu sehen oder liegen auf dem Friedhof: da ist zwar der freundliche Restaurantbesitzer, der von Raimunda (Penelope Cruz) einst zurückgewiesen wurde, auch ein netter junger Mann aus einer Filmcrew wirft ein Auge auf die schöne Heldin, aber vergeblich. Dafür bestimmen (Ehe-)Männer die demütigende und traumatisierende Vergangenheit der Frauen: sie schänden und vergewaltigen ihre Töchter. Auch Raimundas Mann, dessen beschränkter Mikrokosmos eigentlich nur aus Dosenbier und Sportkanal besteht, ist ein Schwein, das mit einem Messer im Bauch endet und nun entsorgt werden muss.
Aus diesem Stoff kann man einen Thriller, ein dröges Sozialdrama oder eine feministische Moritat machen. Almodóvar dagegen hat eine charmante und intelligente Komödie vorgelegt, die vor Lebenslust und visueller Intelligenz nur so funkelt.


Im Mittelpunkt von Almodóvars Film stehen die Frauen – wieder einmal könnte man sagen, aber dazu müsste man die Filmvita des spanischen Regisseurs gründlicher aufrollen („Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“, „Alles über meine Mutter“, „Sprich mit ihr“). Raimunda und Sole, die beiden Schwestern, versuchen beide auf ihre eigene Weise das Leben zu meistern: Raimunda schuftet als Putzfrau, Sole (Lola Dueñas) betreibt einen illegalen Friseursalon. Beide leben in der Stadt, aber ihre Heimat ist La Mancha, der Heimatort Almodóvars und (wie symbolträchtig) die literarische Heimat Cervantes, in der er seinen komischen Helden Don Quichotte angesiedelt hat. Dort sind Eltern der Schwestern bei einem Brand ums Leben gekommen und dort lebt ihre etwas verwirrte Tante Paula und ihre Freundin Agustina.
Als Raimundas Mann seine Stieftochter Paula begrapscht, rammt diese ihm ein Küchenmesser in den Bauch. Vor Zorn bebend, aber auch sehr pragmatisch, lagert Raimunda den toten Ehemann in der Tiefkühltruhe eines kurzfristig geschlossenen Restaurants ein, auf das sie aufpassen soll. Als eine Filmcrew, die ganz in der Nähe arbeitet, bewirtet werden will, nimmt Raimunda ihr Schicksal in die Hand und öffnet das Etablissement in eigener Regie.
Sole, die zur Beerdigung der inzwischen verstorbenen Tante Paula reist, begegnet derweil in deren Haus ihrer toten Mutter und flüchtet in heller Panik. Doch das Gespenst ist listig: Irene (Carmen Maura) versteckt sich im Kofferraum der Tochter, was zu einer Reihe nicht sonderlich gespenstischer, dafür aber höchst komödiantischer Verwicklungen führt.

Natürlich hat Almodóvar keinen Mystery-Thriller gedreht, aber bevor sich alles aufklärt, müssen schon mehrere gordische Knoten durchschlagen werden, was Almodóvar mit leichter Hand löst: da macht Raimunda mit geschickter Improvisationskunst und der unerschöpflichen Solidarität ihrer Freundinnen aus dem Restaurant eine Goldgrube und entsorgt en passant die Leiche ihres Mannes zusammen mit der netten Hure von nebenan. Sole dagegen hat ein Gespenst am Hals, das sie vor ihren Kundinnen als russische Hilfskraft ausgibt, während Paula, die Tochter Raimundas, peu à peu hinter das Geheimnis ihrer Herkunft kommt – ihre Mutter ist nämlich auch ihre Schwester. Und schließlich zeigt es sich, dass es für ein altruistisches Gespenst, das keins ist, besser sein kann als Gespenst weiterzuleben.

„Volver“ ist im Gegensatz zu Almodóvars letzten Filmen stilistisch und inhaltlich weniger komplex, was hoffen lässt, dass sich der filmische Kosmos des Spaniers langsam auch einem breiteren Publikum erschließt. Einfach wird dies nicht, aber „Volver“ ist die denkbar beste Eintrittskarte, denn hier stimmt die tragikomische Balance einfach perfekt: allein die Szene, in der Raimunda mit chaotischer Intelligenz ihr erstes Essen für die Filmcrew zusammenstellt, besitzt eine herrliche Nonchalance. Und wenn sie vor ihren Gästen das herzzerreißende Lied „Volver“ singt, so bremst Almodóvar den sentimentalen Überschwang sofort wieder aus. Abgründe und Grausamkeiten werden dagegen mit unterkühlter Beiläufigkeit serviert, ohne dass ihr ernstes Gegengewicht gefährdet wird.
In einer der schönsten Szenen des Films wird dies besonders deutlich: Raimunda hat ihren Mann mitsamt der Kühltruhe an einem stillen Fluss begraben. In einer kurzen Nahaufnahme zeigt Almodóvar, wie Raimunda etwas in den Baumstamm ritzt. Wenn Raimunda später mit ihrer Mutter und ihrer Tochter an diesen Ort zurückkehren wird, zeigt eine erneute Einstellung, dass sie Geburts- und Todesjahr ihres Mannes im Stamm verewigt hat – er ist, und das wird schnell klar, an seinem Lieblingsplatz beerdigt worden.

So viel paradoxe Zärtlichkeit muss man erst einmal verdauen, aber Almodóvars Figuren tun sowieso selten das, was man von ihnen erwartet. Alle sind immer auf der Suche nach Liebe und Selbstachtung, aber dazu gehen sie mitunter seltsame Wege wie der Krankenpfleger Benigno, der eine komatöse Frau liebt („Sprich mit ihr“, 2002).Das gibt Almodóvars Figuren manchmal eine eigentümliche Freiheit jenseits der gesellschaftlichen Konventionen.

Liebe, Selbstachtung und Solidarität gibt es in „Volver“ allerdings nur noch zwischen Frauen, zwischen Großmüttern, Müttern und Töchtern, eine generationenübergreifende Gemeinschaft, die alle Wunden heilt. Dass Pedro Almodóvars Film für Männer schwer zugänglich ist, sie verstört und sogar tief sitzende Aversionen und Ängste freisetzt, ist kein Wunder.

Ein Wort noch über Penelope Cruz: ich habe sie lange nicht mehr so gut gesehen. Obwohl man es ihr erst nicht glauben will, spielt sie die Rolle einer „einfachen Frau“ mit so viel Energie und Chuzpe, dass man ihr die Vitalität, die natürliche Klugheit, aber auch den Zorn und die Entschlossenheit gegen jede Erfahrung jederzeit glaubt. „Volver“ (Rückkehr) ist somit auch darstellerisch eine Rückkehr zu den Wurzeln ihrer spanischen Karriere, die in Almodóvars „Alles über mein Mutter“ (1999) ihren bisherigen Höhepunkt fand. Darüber sollte man nicht vergessen, dass alle Frauenrollen in „Volver“ exzellent besetzt sind.

Ein Extra-Lob verdient auch Kameramann José Luis Alcaine, der mit einigen sehr schönen Tableaus die skurril-ekstatische Farbenwelt Almodóvars diesmal nur andeutet, aber einigen Einstellungen damit ein besonderes Gewicht verleiht.

„Volver“ erhielt den Europäischen Filmpreis 2006 in den Kategorien „Beste Regie“, „Beste Darstellerin“ (Penélope Cruz), „Beste Filmmusik“ und „Beste Kamera“. Er hat es verdient.

Noten: BigDoc und Klawer jeweils 1, Melonie 2 und Mr. Mendez 3,5. Damit ist „Volver“ trotz einer Abwertung mit einer Durchschnittsnote von 1,9 auf dem besten Weg unter die Top Ten der Jahresauswertung.