(O.: Vanishing on 7th
Street, USA: 2010, R.: Brad Anderson, D.: Anthony Jaswinski, D.: Hayden
Christensen, Thandie Newton, John Leguizamo)
Brad Anderson hat ein Faible für abseitige Storys, in denen Verdrängtes zwar psychoanalytisch durchdekliniert werden kann, letztlich aber in mythisch überhöhter Weise zurückkehrt und seinen Tribut fordert (El Maqquinista, D.: Der Maschinist, USA 2004) oder in denen die Geschichten ihr geheimnisvolles Rätsel nicht ganz auflösen wollen (Transsiberian, USA 2008).
In der zweiten Hälfte der
1990er Jahre wurde der amerikanische Regisseur und Autor als neue große
Hoffnung der Independents gefeiert, arbeitete in der Folge aber auch sehr
häufig als Regisseur für das Fernsehen (u.a. in Vorzeigeserien wie The Wire
und The Shield). Mit Vanishing on 7th Street versuchte
Anderson nun einen Ausflug ins B-Picture-Geschäft, floppte aber mit dem für 10
Mio. US-Dollar produzierten Low-Budget-Gruselfilm an der Kasse – nur in einem
Kino aufgeführt, spielte Die Herrschaft
der Schatten (dts. Verleihtitel) lediglich 22.000 US-Dollar ein. Das
Independent Movie hat einen schweren Stand.
Das Böse ist die Nicht-Existenz
Dabei fängt alles
vielversprechend an. Anderson erzählt am Anfang so straight, wie es einem
B-Movie gebührt: Paul (sehr routiniert: John Leguizamo, u.a. Die Hard 2, Land of the Dead, Assault on
Precinct 13 – Remake, The Happening) ist Filmvorführer.
Zwischen zwei Rollen macht er etwas Smalltalk mit einer Kollegin und nach einigen
abschätzigen Bemerkungen über US-Blockbuster (!) mit Adam Sandler geht die Welt bereits nach fünf Filmminuten
unter. Das Licht geht aus und
dort, wo einmal Menschen saßen und gingen, liegt nur noch ihre Kleidung. Leere
Hüllen ihrer Existenz. Telefone funktionieren nicht mehr, die Kommunikation ist
mit dem Zusammenbruch der Energieversorgung weitgehend zum Erliegen gekommen,
während sich mächtige Schatten an den Wänden aufwerfen und sich Paul bedrohlich
nähern.
Der Gedanke, dass das Böse im
eigentlichen Sinne die Nicht-Existenz des Menschen ist, habe ihn erschreckt,
berichtete Drehbuchautor Anthony Jaswinski. Und es dauert einige Zeit, bis
weniger als eine Handvoll Überlebender herausgefunden hat, dass lediglich
funktionierende Lichtquellen sie davor bewahren, von den Schatten, die
offensichtlich weltweit die Herrschaft übernommen haben, annihiliert zu werden.
Das Böse gibt raunende, mal kreischende Töne von sich, es erzeugt
verführerische Halluzinationen, erscheint mal als menschlicher Umriss an der
Wand, dann wieder als amorphe Gestalt, aber immer steht am Ende die schnelle
geräuschlose Auflösung, der Tod als kommentarloses Verschwinden.
Vier Menschen haben den
leisen Tod überlebt: der Fernsehreporter Luke (Hayden Christensen, Jumper, 2008), die Physiotherapeutin
Rosemary (Thandie Newton, British Academy
Film Award als Beste Nebendarstellerin in L.A. Crash, 2005), der Elfjährige James (Jacob Latimore) und Paul
(der erstaunlicherweise die erste Attacke der Schatten überlebt hat) sitzen in
einer Bar fest und sinnieren, was geschehen ist und wie sich retten können.
Rationale Erklärungen
scheinen in diesem post-apokalytischen Film nicht mehr zu greifen, nur Paul
weiß zu berichten, dass Ende des 16. Jh. alle Einwohner von Roanoke Island, der
ersten englischen Kolonie in Nordamerika, spurlos verschwunden sind (eine reale
und bis heute weitgehend ungeklärte historische Episode) – das damals in einen
Baumstamm geritzte Wort Croatoan (der Name einer Insel) wird auch in Andersons
Film ganz am Ende als Inschrift auf einer Brücke auftauchen, ohne aber Licht in
die Schatten zu bringen.
Schöne Bilder, wenig Logik, völlig deutungsoffen
Aber genau dies hätte diesem
Genrefilm gut getan. Nämlich ein wenig mehr Logik statt eines Patchworks
düsterer Anspielungen und esoterischer Vermutungen. Die Herrschaft der Schatten variiert zwar die bekannten Genretopoi narrativ
auf routinierte Weise (eine Gruppe
von Menschen mit antagonistischen Interessen muss sich gemeinsam gegen eine
übermächtige Bedrohung wehren), aber man wird nie das Gefühl los, dass man dies
in den bekannten Vorbildern wie z.B. in den auch in ihrer räumlichen
Sparsamkeit ähnlich gestrickten Night of
the Living Dead, aber auch in Assault
on Precinct 13 oder in jüngeren Vertretern des Postapokalyse-Genres wie I am Legend deutlich besser gesehen hat.
Besonders deshalb, weil dort sowohl die dramatischen Konflikte als auch die
Themen erkennbar waren und eine nachvollziehbare Plausibilität besaßen. Anthony
Jaswinskis Drehbuch hingegen bringt keinen rechten Schwung in die
Figurenentwicklung, was nicht nur in weitgehend spannungsarmen Dialogen und der
Vorhersehbarkeit der Plotentwicklung seinen Ausdruck findet, sondern auch auf
dem Irrtum basiert, dass das Unheimliche keiner Erklärung bedarf. Selbst Night
M. Shyamalans esoterisch angehauchter Missgriff The Happening verweigerte sich nicht völlig den logischen
Bedürfnissen, die man in einem Genrefilm durchaus zu Recht befriedigt sehen
möchte.
Die Stärken des Films findet
man in seiner Visualisierung. Brad Anderson gelingt es, aus wenig viel zu
machen: die rationelle und zweifellos preiswerte Idee, konventionelle Monster
durch ätherische Schatten zu ersetzen führt dann auch zu einer Reihe
expressiver Bilder, die in den gelungensten Momenten ein wenig an Jacques
Tourneurs Cat People (1942) erinnern,
ohne aber die beängstigende Qualität dieses Klassikers zu erreichen.
Dass unentschlossene Filme
wie Die Herrschaft der Schatten sich
beliebig anmutenden Projektionen öffnen, ist ihr eigentliches Dilemma. So
packte eine ehrenwerte Kritikerkollegin dann auch fast zwangsläufig ihren aus
subtilen Kenntnissen der Freudschen Triebtheorie zusammengesetzten Bildungsfundus aus und erklärte die
Schatten als archetypische „Verkörperung der abgelehnten unterdrückten
Persönlichkeitsanteile“.
Dass nun in Andersons Film
möglicherweise das verdrängte Es seinen Siegeszug antritt, ist zwar eine nette
Mutmaßung, aber ich habe im Laufe der Jahre mein Zutrauen in derartige
Deutungskrücken fast restlos eingebüßt. Nicht etwa, weil man zu Recht vermuten
darf, dass die überwiegende Zahl der Zuschauer nicht über die Bildung verfügt, um
eine in diesem Sinne plausibel erscheinende filmische Decodierung vornehmen zu
können (rezipieren sie den Film nun eigentlich falsch?), sondern weil ich einfach zu oft in den gelungenen
Beiträgen dieses Genres gesehen haben, dass die Allegorien und Analogien des
Genrefilms durchaus eine gewisse Schlüssigkeit besitzen können, die sich dadurch
einem breiten Diskurs öffnet, ohne dass man das Gefühl hat, dass alles
gewaltsam in den Film hineingelesen worden ist. Und so überrascht es nicht,
dass die ehrenwerte Kollegin unterschlägt, dass am Ende (Achtung: Spoiler!)
lediglich zwei Kinder überleben – und das nur, weil sie in einer Kirche unter
einem riesigen Kreuz nächtigen, an dem Christus seine Arme schützend über sie
ausbreitet. Vielleicht bedeutet dies ja, dass nur der Glaube uns vor den
Zumutungen des Verdrängten bewahrt.
Noten: BigDoc = 4