Donnerstag, 25. August 2011

Habermann


Deutschland / Österreich / Tschechien 2010 - Regie: Juraj Herz - Darsteller: Mark Waschke, Hannah Herzsprung, Ben Becker, Franziska Weisz, Karel Roden, Wilson Gonzalez Ochsenknecht - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 104 min.

Die Vertreibung der Deutschen aus dem Sudetenland ist bis heute eine weitgehend unbefriedigend aufgearbeitete Fußnote der Nachkriegsgeschichte. Für die Vertriebenenverbände nach wie vor ein heißes Eisen, waren die teilweise sehr blutigen Vorkommnisse unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs auch eine nicht unerhebliche Belastung des deutsch-tschechischen Verhältnisses. 
In einer deutsch-tschechisch-österreichischen Gemeinschaftsproduktion versucht der tschechische Regisseur Juraj Herz mit seinem Film „Habermann“ eine an den historischen Fakten orientierte Rückbesinnung – und ist dabei bei den Kritikern kräftig ins Fettnäpfchen getreten.

Abrechnung
1945: Mit großer Brutalität werden in einer tschechischen Kleinstadt deutsche Familien zusammengetrieben, gedemütigt und misshandelt und sogar getötet. Männer pissen auf ein Hitler-Foto, andere treiben ihre ehemaligen Nachbarn in die Züge, mit denen die Deutschen deportiert werden sollen. Unnachsichtig rächen sich die Tschechen im kurz zuvor noch annektierten Sudentenland für die unter den Nazis erlittene Unbill.

1937: Der junge Unternehmer August Habermann (Mark Waschke), führt das Sägewerk und die Mühle seiner Familie bereits in der vierten Generation. In seinem kleinen Heimatstädtchen im Sudetenland bereitet der auch bei den Tschechen sehr beliebte Mann die Hochzeit mit der katholisch erzogenen Tschechin Jana (Hannah Herzsprung) vor. Mit dabei sind auch Jan Brezina (Karel Roden), Habermanns bester Freund und engster Mitarbeiter, und sein jüngerer Bruder Hans (Wilson Gonzalez Ochsenknecht), ein enthusiastischer Nazi. Während der Feierlichkeiten entdeckt der Bürgermeister in Janas Geburtsurkunde, dass die junge Frau Halbjüdin ist. Noch droht aber keine Gefahr, dennoch sind die politischen Weichen gestellt. Mit dem Münchner Abkommen 1938 konnten die britische und französische Regierung zwar verhindern, dass Hitler die tschechischen Randgebiete mit Waffengewalt an sich riss. Nichtsdestoweniger wurde im Oktober 1938 die Annexion des Sudetenlandes vollzogen. 3,63 Millionen Einwohner, die in diesem Gebiet lebten (davon etwa 2,9 Mio. deutsche und 0,7 Mio. Tschechen) wurden mit sofortiger Wirkung „heim ins Reich“ geholt. 1939 wurde der „Reichsgau Sudetenland“ mit der Hauptstadt Reichenberg geschaffen.

Auch in „Habermann“ dauert es nicht lange und die Nazis tauchen auf, verkörpert durch den SS-Offizier Koslowski (Ben Becker), der als das auftritt, was er repräsentiert: ein zynischer und sadistischer Okkupant, der die tschechische Bevölkerung als minderwertig behandelt und Habermanns Frau bei passender Gelegenheit sexuell bedrängt.

Floskelhaft-didaktisch und nicht frei von Klischees
Juraj Herz erzählt die Geschichte sehr elliptisch, fast jede Szene markiert einen konkreten Abschnitt der historischen Gesamtstrecke. Die Zeitsprünge sind oft groß, Überflüssiges wird weggelassen, nichts ist verschlüsselt – was Herz sagen will, verbirgt sich nicht hinter komplexen psychologischen Konstellationen, fast etwas schulfunkhaft repräsentieren seine Protagonisten die historischen Schnittstellen.

Ach ja, habe ich es mir hier zu leicht gemacht? Ich habe nämlich fast wortwörtlich die Beschreibung des erzählerischen Vorgehens von Herz aus meiner Kritik über Andrzej Wajdas „Das Massaker von Katyn“ (http://bigdocsfilmclub.blogspot.com/2010/05/das-massaker-von-katyn.html) übernommen. Es ist nämlich ganz interessant, narrative Parallelen in Filmen zu suchen, besonders dann, wenn sie ein Schlaglicht auf die Unterschiede werfen. 
Und die tun sich in „Habermann“ spürbar auf: während Wajdas Geschichtslektionen auf charismatische Figuren verzichten, um in strenger Reduktion und mit völligem Verzicht auf Pathos die Verzweifelung seiner Protagonisten und die Gnadenlosigkeit der historischen Ereignisse zur Sprache zu bringen, kann Herz diesen Verzicht nicht leisten. Seine Figuren sind pathetisch, emotional und letztlich auch Ausdruck einer dramaturgischen Stereotypie, die den Film zwar nicht zur Gänze verdirbt, aber ein durchgehend unbehagliches Gefühl zurücklässt.
August Habermann ist im Rahmen der fiktionalen Aufbereitung noch eine interessante Figur: ein moralisch aufrechter Mann, dem Ideologien und Hass fremd bleiben, ein um Ausgleich bemühter Unternehmer ohne Gutsherrenmentalität. Gerade seine politische Naivität lässt erzähltechnisch viel Raum, um zu zeigen, wie menschenverachtend die neuen Herrscher des Sudetenlandes auftreten.
Ben Beckers SS-Mann Koslowski entspricht auf den ersten Blick einer geläufigen und als politisch korrekt anzunehmenden Figurenzeichnung. Eher peinlich werden seine sexuellen Avancen gegenüber Habermanns Frau (besonders vor dem Hintergrund der demagogisch verzerrten Sexualisierung des „Jud Süss“ von Veit Harlan und der umstrittenen Kolportierung dieses klassischen Propagandathemas in Oskar Roehlers „Jud Süss – Film ohne Gewissen“), denn man ahnt hier das floskelhaft-didaktisch Motiv: der Nazi muss richtig fies sein, um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, man hätte das spätere Schicksal der Sudetendeutschen angesichts der historischen Schuld der Deutschen zu stark aufgewertet.

Stereotypien finden sich auch in anderen Figuren wieder: viele Tschechen sind opportunistisch, selbst der sich gründende Widerstand scheint charakterlich nicht ganz gefestigt zu sein, auch mit Verrat ist zu rechnen. Ein moralisches Äquivalent ist in diesem Plot Augusts tschechischer Freund Jan, der ein Musterbeispiel für einen integren Charakter abgibt. Man ahnt es: Juraj Herz hat alles getan, um eine dramaturgische Balance herzustellen, die verhindern soll, dass sein Filmende die falschen Kritiker auf den Plan ruft. Diese Zugeständnisse wirken jedoch leider sehr unfertig.

Der Pakt mit dem Teufel
Als sich wirtschaftliche und gesellschaftliche Druck auf die Habermanns verstärkt, gelingt es August Habermann nicht länger, seine Familie und seine Firma aus den Ereignissen herauszuhalten. Die SS veranstaltet plötzlich eine Razzia in seinem Betrieb, um dort nach Waffenlagern und heimlich gedruckten Flugblättern zu suchen. Koslowski erschießt Habermanns tschechischen Buchhalter.
Der entscheidende Plot Point in Herz’ Film wird jedoch erreicht, als zwei SSLeute auf einer Patrouille von einem seiner Mühlenarbeiter erschossen werden. Koslowski fordert blutige Vergeltung. „Ein Deutscher ist soviel wert wie zehn Tschechen“, stellt er fest und verlangt die sofortige Erschießung von zwanzig Dorfbewohnern. Habermann muss auswählen, welche es sein sollen – und weigert sich. Er beginnt damit den Familienschmuck einzusetzen, um die Leben seiner Nachbarn zu retten, denn Sturmbannführer Koslowski hat bereits die Zeichen der Zeit erkannt hat und mithilfe eines katholischen Geistlichen den Fluchtweg nach Argentinien organisiert. Doch ganz bestechen lässt sich der SS-Mann nicht: er zwingt Habermann mitsamt seiner Familie zur Anwesenheit bei der Exekution von zehn Tschechen und lässt anschließend Jana deportieren.
Habermann ist diskreditiert und wird nach Kriegsende von der aufgebrachten Bevölkerung gelyncht, während sein Frau und ihr Kind das KZ überlebt haben und Jana trotz ihres Judensterns 'als Deutsche' von den marodierenden tschechischen Milizen zusammengeschlagen und zusammen mit ihrer Tochter in den Deportationszug geworfen wird.

Wieder einmal helle Empörung
„Habermann“ hat einige Filmkritiker (wieder einmal) an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen: der Vermutung, dass in einem Film die politisch korrekte Darstellung des Nationalsozialismus (wieder einmal) nicht erfolgt ist und sich möglicherweise geschichtsrevisionistische Bilder durch die Hintertür in die Kinosäle einschleichen. Eigentlich sollte ein tschechischer Regisseur, der zudem die literarische Vorlage eines tschechischen Autors adaptiert hat, frei von diesem Verdacht sein. Aber tatsächlich scheint auch das nicht zu reichen.

Ich möchte dies an einem Beispiel zeigen, und zwar an der Kritik von Sonja M. Schultz, einer für das Thema übrigens wissenschaftlich sehr qualifizierten Filmwissenschaftlerin (ihre Dissertation „Der Nationalsozialismus im Film“ gelangt in wenigen Wochen in den Buchhandel). In Critic.de fasst sie zusammen:
„’Habermann’ überträgt zusätzlich Holocaust-Symbolik auf die an den Deutschen begangene Gewalt. Auf der Bildebene glaubt man zunächst, ein typisches Holocaust- Drama vor sich zu haben: Eine Gruppe von Menschen muss Spießruten laufen, sie werden blutig geschlagen, sie müssen über Glasscherben kriechen, ein Kopf knallt an die Mauer, dazu dröhnt dramatisch Musik...Die Bilder, die man so oder ähnlich schon oft gesehen zu haben glaubt, rasten sofort ein: Hier findet eine Judenverfolgung statt. Aber halt – die Zeichen sind umgedreht...‚Habermann’ schließt mit dieser Chiffre des Holocaust: dem abfahrenden Deportationszug.
Seit den 1990er Jahren gibt es eine Entwicklung, die als „neuer deutscher Opferdiskurs“ bekannt geworden ist. Bücher, Filme und Zeitschriftenreihen thematisieren verstärkt das Leiden der deutschen Bevölkerung durch den Zweiten Weltkrieg. Ärgerlich wird dieser Diskurs immer dann, wenn es ihm nicht allein um Trauer und persönliche Erinnerung geht, sondern um ein Aufrechnen von Kriegsschuld und um eine Gleichsetzung der deutschen Erfahrungen mit den jüdischen. Der beim bayerischen Filmpreis zweifach ausgezeichnete Habermann ist ein Paradebeispiel hierfür, das umso ekelhafter erscheint, je mehr die Produktion mit ihrer „wahrhaft historischen Bedeutung“ wirbt.“

Close but no cigar. 
Schultz läuft hier leider in die Falle der historischen Uneindeutigkeit, deren Ambivalenz sie zuvor ideologiekritisch aufzudecken glaubte. Zum einen sind die von Herz’ gewählten drakonischen Bilder historisch belegt: Bereits weit vor Kriegsende, nämlich 1943, erreichte der ehemalige tschechische Präsident Beneš von den Westalliierten die grundsätzliche Zustimmung zu seinen den der deutschen Bevölkerung des Sudetenlandes zugedachten Entrechtungs und Vertreibungsplänen.
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurde das Sudetenland wieder in die Tschechoslowakei eingegliedert. Und man begann sofort damit, die BenešDekrete in die Tat umzusetzen. Insgesamt wurden 3 Millionen der knapp über 3,2 Millionen Sudetendeutschen vertrieben. Bei spontanen Massakern kamen viele Deutsche um, genaue Zahlen sind nicht bekannt. Der Verleih von „Haberman“ gibt in seiner Pressemappe über 240.000 Tote sind an, während der Historiker Ferdinand Seibt auf etwa 30.000 Tote durch willkürliche Tötungen, Krankheit und Hunger verweist. Das Bundesarchiv (Quelle: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Abt. Präs. 9 – Medienservice: Sudetendeutsche und Tschechen, Austria, Reg.Nr. 89905I) gibt 60.000 – 70.000 Tote an. Dass Hass und Neid auf die wohlhabenden Deutschen, so wie es auch Herz zeigt, dabei eine Rolle gespielt haben, ist historisch bislang nicht angezweifelt worden.
Zum anderen und viel entscheidender als diese historischen Fakten, die ungeachtet konkreter Zahlen eine menschliche Tragödie widerspiegeln, ist der Kern der Kritik von Schultz: die vermutete Symbolkraft der Bilder und die vermutete Übertragung des Holocaust-Motivs auf die einleitenden und abschließenden Bilder des Films.
Abgesehen davon, dass diese Analogie vermutlich nur bei den sogenannten Unverbesserlichen greift, ist sie ein historischer Kurzschluss, der das zu Rettende, nämliche die Singularität des Holocaust gegen Geschichtslügen zu verteidigen, gleich wieder preisgibt: denn trotz der zahlreichen Toten unter den Sudetendeutschen haben die Tschechen eben keinen Holocaust akribisch und mit gnadenloser Vernichtungsabsicht zelebriert, sondern etwas der menschlichen Natur leider keineswegs Fremdes getan: sie haben sich an möglicherweise überwiegend Unschuldigen für die Barbarei gerächt, mit der die deutsche Herrenrasse ganz Europa überzog.
C’est la petite difference!

Unterm Strich ist „Habermann“ also kein neuer Skandalfilm. Juraj Herz ist kein großer Wurf gelungen, aber diese Kritik bezieht sich auf formale Kriterien: Schwächen bei der Figurenzeichnung, die leicht misslungene Verbindung eines elliptischen schulfunkhaften Erzählstils mit einer groß angelegten Charakterstudie, die Nutzung vermeidbarer Klischees. Aber der faktische Kern stimmt und es ist aus meiner Sicht unverdächtig, wenn sich ein Tscheche an dieses auch heute noch belastete Thema heranwagt. 
Ich zitiere gerne noch einmal Andrzej Wajda: „Solange es keine Filme und keine Literatur gibt, die die Fakten darstellt, existiert das Ereignis nicht im kollektiven Bewusstsein. Das sollten sie aber. Es gibt die Überzeugung, dass eine Gesellschaft ohne Intelligenz eine Gesellschaft ohne Erinnerung, ohne Gedächtnis ist. Ohne Gedächtnis sind wir aber nur ein Sammelsurium, das man jederzeit zerstören kann.“

Pressespiegel

Zoran Gojic in „Bayern 3“: „Das Ansinnen, den Opfern des Krieges und des Hasses – gleich welcher Nationalität – Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist grundanständig. Aber die Geschichte ist derart hölzern konstruiert, dass man es regelrecht knirschen hört...’Habermann’ ist eher ein gut gemeinter als ein wirklich guter Film. Die Absicht ist löblich, der Film handwerklich sauber produziert und die Schauspieler gut ausgesucht. Aber es bleibt der Nachgeschmack von belehrendem Schulkino ohne echte Haltung."

Bert Rebhandl in „Berliner Zeitung“: „'Habermann' gibt sich den Anschein kontroversen Geschichtskinos, ist aber intellektuell wie ästhetisch unter jedem dafür angebrachten Niveau.“

Rudolf Worschech in „epd Film“:Dieser Film will zu viel und er meint es zu gut, vor allem mit seinen Hauptfiguren Habermann und Jan, für deren Verhalten frühere Generationen gern das Adjektiv „anständig“ verwendeten. Mit jeder Drehbuchwendung wird die Ausgewogenheit dieses Films immer deutlicher zur Schau gestellt: der gute (Habermann) und der böse Deutsche (Koslowski, der als Figur ganz aus der Tiefe des Nazi-Bilder-Fundus gezerrt wurde), der aufrechte Tscheche und der Mob seiner Landsleute. Dass Habermanns Frau Halbjüdin ist und er damit erpressbar, gehört ja mittlerweile (siehe Jud Süss) zu den wenig subtilen Entlastungstricks der Drehbuchautoren von Filmen über die NS-Zeit.“

FBW (Deutsche Film- und Medienbewertung): „Die aufwühlende, europäische Koproduktion inszeniert die Zeit der Besetzung und der politischen Grauzone eindrucksvoll, ohne dabei eine Seite zu heroisieren oder zu verteufeln. HABERMANN bildet historische Wahrheiten und bewegende Schicksale ab, deren Folgen auch heute noch spürbar sind. Ein cineastisch selten aufbereitetes Stück Geschichte, als Koproduktion auf beste Weise zusammengefügt....Prädikat: besonders wertvoll.“

Noten: BigDoc = 3,5