Samstag, 27. April 2013

"Oh Boy" sahnt beim Deutschen Filmpreis ab

Dem ZDF war es nicht einmal eine Live-Übertragung wert: während man bereits online die Preisträger abrufen konnte, versendete die öffentlich-rechtliche Anstalt einen fast zweistündigen Zusammenschnitt, der gestern kurz nach Mitternacht endete. Nur 1,19 Mio. Zuschauer wollten das Spetakel sehen - damit hat der "Deutsche Filmpreis" seine Quote in den letzten sechs Jahren mehr als halbiert.

Nach den unerfreulichen Diskussionen um das Deutsche an der internationalen Co-Produktion "Cloud Atlas", an der mit dem deutschen Regisseur Tom Tykwer maßgeblich einer der besten einheimischen Filmemacher beteiligt gewesen ist, fand die Jury einen kaum überraschenden Kompromiß: "Cloud Atlas" durfte in einigen Nebenkategorien wie "Beste Kamera" oder "Bester Schnitt" gewinnen, wurde aber von den Hauptkategorien ferngehalten. Bei den Darstellerpreisen nachvollziehbar: ein Deutscher Filmpreis für Tom Hanks wäre doch wohl etwas zu viel gewesen.
Großer Gewinner des Abends war Jan Ole Gersters "Oh Boy", der die Lolas für den "Besten Spielfilm", für das "Beste Drehbuch" und die "Beste Regie" erhielt und auch in den Kategorien "Männliche Hauptrolle", "Männliche Nebenrolle" und "Beste Filmmusik" ausgezeichnet wurde.


Wie deutsch muss ein Film sein - und was ist das überhaupt?

Am Tag der Verleihung hatte Hanns-Georg Rodek noch einmal kräftig in "DIE WELT" nachgelegt und hämisch nachgefragt, warum denn Tom Hanks und Halle Berry "nicht in der ersten Reihe des Friedrichstadtpalast" sitzen werden. Rodek hatte sich bereits zuvor über das Deutsche am Deutschen Filmpreis Gedanken gemacht und befürchtet, dass die butterweichen Kriterien für die Nominierung aus dem deutschen Kulturpreis eine "Internationale Industrietrophäe" machen würden. Entscheidend seien, so Rodek, vielmehr "Sprache, Thematik und die kulturelle Prägung der Hauptbeteiligten". Und wohl wissend, dass dies nicht mehr möglich ist, empfahl er den Produzenten von "Cloud Atlas", sich doch für den OSCAR zu bewerben.
Der Begriff "Prägung" im Zusammenhang mit Kultur will mir nicht einleuchten, kenne ich ihn doch bevorzugt aus der Verhaltensbiologie und dort geht es um Lernen in seiner fürchterlichsten Form: das Ergebnis ist nicht mehr rückgängig zu machen. Einmal geprägt, watschelt das junge Entlein immer dem hinterher, den es in seinem jungen Leben
zuerst gesehen hat. Gewiss schwebte dies dem WELT-Kritiker nicht vor, obwohl die Idee durchaus nachdenklich machen könnte, aber auf jeden Fall zog Rodek in der Rubrik "Leserkommentare" eine Vielzahl von Schreibern an, die gleich wussten, dass der Steuerzahler dem guten Hanks den neuen Swimmingpool finanziert haben.
Aber vergessen wir die Prägung. Viel spannender dürfte es sein, wie Rodek den Umstand kommentieren wird, dass mit "Lore" ein Film die bronzene Lola erhielt, der eine australisch-britisch-deutsche Co-Produktion ist, deren australische Regisseurin auch das Drehbuch verfasste. Nun gut, immerhin wurde der Film in Deutschland mit deutschen Darstellern gedreht.
Immerhin hat die Filmakademie den Spagat zwischen Blockbuster und Autorenkino einigermaßen hinbekommen. Mit "Oh Boy" wurde eine respektable Auswahl getroffen, auch auf Margarethe von Trottas "Hannah Arendt" darf man gespannt sein. Für die weibliche Hauptrolle in diesem Film wurde gestern eine Ikone des deutschen Schauspiels ausgezeichnet: Barbara Sukowa. Bei so viel geballter Qualität muss man allerdings schüchtern nachfragen dürfen: Wo kann man diese Filme denn eigentlich sehen? Und wann?


Wer interessiert sich für deutsche Filme?

Die Öffentlich-Rechtlichen Anstalten werden die preisgekrönten Filme sicher zur besten Sendezeit ausstrahlen und nicht etwa in den digitalen Spartenkanälen kurz nach Mitternacht veröden lassen. Halt, wir sind nicht nicht in der Märchenstunde. Vermutlich werden die gepriesenen Film nicht einmal dort landen, wo TV unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Das hat seine Gründe. Schauen wir uns mal an, was der Deutsche sich am liebsten ansieht und in wie vielen Kinos er dazu die Gelegenheit erhält.

2013 rangieren (Quelle: insidekino.com) folgende Filme in den Charts ganz oben (absolute Zuschauerzahlen / Abspielstätten):
1. Django Unchained (4,3 Mio. / 708)
2. Kokowääh 2 (2,6 Mio. / 716)
3. Schlussmacher (2,4 Mio. / 618)

  • Zwei deutsche Filme auf den ersten Plätzen, aber kein Deutscher Filmpreis für Til Schweiger, dafür wurde Matthias Schweighöfers Komödie "Schlussmacher" gestern mit dem Publikumspreis nach Hause geschickt - ein Film, über den Quotenmeter.de schrieb, dass der Film "der Fremdscham eine neue Dimension" verpasst: infantiler Humor, Fäkalwitze, Klamauk auf niedrigstem Niveau.
22. Hannah Arendt (415.503 / 123)
  • Damit zog von Trotta Film immerhin mehr als doppelt so viele Zuschauer ins Kino als "Zero Dark Thirty", aber angesichts der limitierten Anzahl an Kinos, die diesen Filmen zeigen oder gezeigt haben, dürfte der Film die deutsche Kinoprovinz kaum erreicht haben.
Nach den anderen Siegern des Deutschen Filmpreises sucht man am besten im Ranking für 2012:
21. Cloud Atlas (1,1 Mio. / 554)

  • "Oh Boy" wird nicht einmal unter den Top 100 geführt: lediglich 230.000 Zuschauer (o.A. der Abspielstätten) wollten den Film sehen, von "Lore" wird erst gar nicht berichtet.
Mit anderen Worten: die Deutsche Filmakademie hat die deutschen Publikumsrenner weitgehend links liegen gelassen und Filme prämiiert, die den deutschen Kinogänger entweder kalt gelassen haben oder die lediglich in wenigen handverlesenen Kinos an den Start gehen durften, zumindest aber große Teile der Filmkritik überzeugten. Das ist ein mutiges Plädoyer für Qualität.
Wo kann man sie also sehen, die Repräsentanten der deutschen Filmkultur?
"Lore" liegt ab Mai auf DVD / Bluray vor, dies gilt auch
für "Oh Boy" und ab Oktober für "Hannah Arendt", wobei die angekündigten Preise eines großen E-Tailers deutlich über den üblichen Marktpreisen liegen - fast alle genannten Filme sind fast doppelt so teuer wie "Cloud Atlas", lediglich die DVD von "Oh Boy" ist zu einem verträglichen Preis zu erwerben. Ob dies zu einer erfolgreichen Breitensteuerung beiträgt, muss bezweifelt werden.

Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass all die Nickligkeiten im Vorfeld des Deutschen Filmpreises aus verständlichen Gründen stattgefunden haben: hier geht es auch angesichts der hohen Dotierung des Deutschen Filmpreises darum, deutschen Filmen zumindest einige Brosamen vom großen Kuchen zukommen zu lassen. Insofern ist Rodeks Kritik im Ansatz nachzuvollziehen, obwohl die Beweisführung polemisch und widersprüchlich war. Und so hat (was ich persönlich bedauere) die Akademie der Versuchung widerstanden, sich mit "Cloud Atlas" ein Stück Weltkino zu gönnen. Das ist legitim.
Bleibt das Problem, dass der Zusammenhang zwischen filmischer Qualität und Breitenwirkung bei den Preisträgern in den Nobelkategorien leider nicht nachzuweisen ist. Und damit auch die Frage, ob hier das Fernsehen stärker in die Pflicht genommen werden muss, denn fehlende Breitenwirkung ist keineswegs nur den Filmen anzulasten. Über die ökonomische Zukunft der deutschen Filmkunst und -kultur entscheidet letztlich der Zuschauer an der Kasse. Über das, was er am liebsten sieht, allerdings auch. Und da sieht es nicht gut aus für die deutsche Filmkunst. Dass die deutschen Sendeanstalten dies sorgfältig beobachten werden, dürfte klar sein. Wenn aber die Öffentlich-Rechtlichen TV-Anstalten ihrem Bildungs- und Kulturauftrag lediglich mehr schlecht als recht nachkommen, darf man sich nicht wundern, wenn sich für den Deutschen Filmpreis und die preisgekrönten Filme draußen im Lande kaum eine Sau interessiert.


Postscriptum: Ich habe in meinen Beiträgen keinen Hehl daraus gemacht, dass ich "Cloud Atlas" gerne als Sieger in einer Hauptkategorie gesehen hätte. Dies wäre übrigens keine Entscheidung für einen Blockbuster gewesen, sondern für ein mutiges Stück Autorenkino und eine verdammt gute Literaturverfilmung. Als Blockbuster hat "Cloud Atlas" nämlich nicht funktioniert - trotz seiner imposanten Produktionskosten. Zuschauerzahlen und weltweite Einspielergebnisse singen ein Lied davon. Das hing auch mit der enorm hohen Anzahl illegaler Downloads zusammen. Aber das ist ein anderes Thema.