Mittwoch, 12. März 2014

American Hustle

David O. Russell ist ein Pechvogel. Für „The Fighter“ gab es zwei Oscars, die hinreißende Tragikomödie „Silver Linings Playbook“ gewann immerhin einen, aber bei den Academy Awards 2014 ging der mehrfach nominierte „American Hustle“ leer aus. Eine Überraschung? Eher nicht, denn „American Hustle“ fehlt einiges, um ein wirklich guter Film zu sein: eine kompakte Story, Rhythmus und Timing. Ein Flop ist der Film aber nicht.

Eigentlich bietet „American Hustle“ genug Stoff für eine packende Kinogeschichte. David O. Russell erzählt eine charmante Gaunerkomödie, wechselt später zu einem Krimi mit Anleihen beim Mafiathriller à la Scorsese und landet schließlich in einem moralischen Drama über die Legitimität von ‚guter’ Korruption zum Wohle des Volkes. Und last but not least basiert der Film sogar auf einem spektakulären Vorbild, dem sogenannten Abscam-Skandal, der Ende der 1970er Jahre zu einer Reihe von Verurteilungen bekannter US-Politiker führte und bei dem das FBI zuvor ein ganzes Arsenal filmreifer Ermittlungsmethoden eingesetzt hatte – fasche Scheichs, kostümierte Undercover-Agenten und professionelle Gauner, die andere, nicht weniger professionelle Betrüger, raffiniert aufs Kreuz legten. Da kann eigentlich nicht viel schief gehen.


Gekonnte Ouvertüre


„American Hustle“ erzählt zudem einen amerikanischen Traumplot: es geht darum, von ganz unten nach ganz oben zu kommen, um Schein und Sein, um Rollen, an die man sich halten muss, um das Bedürfnis, mitten in all den Täuschungen und Betrügereien irgendwie ‚echt’ zu bleiben und sich dabei auch noch einen Teil des American Dream zu gönnen. Auch wenn es dabei alles andere als legal zugeht.
‚Echt’ bleiben wollen die beiden Betrüger Irving Rosenfeld (Christian Bale) und Sydney Prosser (Amy Adams) – zumindest in ihrer Liebesgeschichte, deren Beginn der Film in einem Flashback sehr witzig erzählt: Noch nie zuvor hat Irving eine so kluge und charmante Frau kennengelernt und zum ersten Mal erlebt er große Gefühle. Alles andere sind Rollen, die gespielt werden müssen. Diese Dissonanz erzählt Russell furios.

Irving Rosenfeld lernen wir gleich zu Beginn als Mann kennen, der sich für seine Rollen eine Perücke aufsetzt und seinen Schmerbauch in einigermaßen eleganten Klamotten versteckt. Der Gauner stammt aus kleinen Verhältnissen und philosophiert im Off ziemlich oft über das Überleben, dem Struggle for Life, der viel abfordert. Sein Geld verdient er legal mit einigen Wäschereien und illegal mit gefakten Kreditversprechungen und gefälschten Kunstwerken. Programmatisch für den Film ist seine Bewunderung für die großen Kunstfälscher, deren meisterliche Technik beinahe das Original verblassen lässt. Das hat Scharfblick. Und irgendwie mag man bald diesen Profigauner, der zwischen Selbstbewusstsein und Kauzigkeit, zwischen genialem Masterplan und gewagten Improvisationen changiert.
Auch Sydney Prosser will nach oben: die Ex-Stripperin spielt als Sidekick des Gauners brillant eine englische Lady mit angeblich exzellenten Bankverbindungen. Zusammen nehmen sie gekonnt die Verlierer aus, die hohe Vermittlungsgebühren für Kredite bezahlen, die es dann natürlich nie gibt. Alles bleibt allerdings im kleinen Rahmen, denn Rosenfeld ist ein Perfektionist, der bei seinen Beutezügen die Kontrolle über das feine Netzwerk der Täuschungen und des Rollenspiels nicht verlieren will. Und etwas haben die beiden gelernt: Je häufiger sie Nein zu ihren Opfern sagen, desto hartnäckiger setzen diese
ihnen zu. Die Menschen wollen betrogen werden, erzählt uns Rosenfeld, und nie sehen sie das worauf es ankommt.
 

Als Irving und Sydney auffliegen, nutzt der FBI-Agent Richard „Richie“ DiMaso (Bradley Cooper) das Potential der beiden, um an die großen Fische heranzukommen. Zum Beispiel Carmine Polito (Jeremy Renner), einen Bürgermeister, der das heruntergekommene Atlantic City wieder zum Zentrum des legalen Glücksspiels machen will. Natürlich, um die wirtschaftliche Wiedergeburt der Stadt einzuleiten.
Di Maso und seine neuen Assistenten präsentieren ihrem Opfer einen schwerreichen Scheich, der einen dreistelligen Millionenbetrag investieren will, wobei zuvor natürlich etliche Politiker geschmiert werden müssen, um kleinere und größere Probleme aus dem Weg zu räumen. Die Bestechungsversuche inszeniert der ehrgeizige FBI-Agent mit seinen beiden Profigaunern in noblen Hotelsuiten, um alles mit versteckter Kamera aufzunehmen.
Natürlich führt dies zu einer irrwitzigen  Eskalation der Ereignisse, als die Mafia in Gestalt des eiskalten Mobster Victor Tellegio (Robert De Niro) die faulen Geschäfte nach ihren Vorstellungen inszenieren will. 
Aber zum eigentlichen Problem werden schließlich Irvings Gefühle: er erkennt in Polito tatsächlich eine ehrliche Haut, einen bodenständigen Mann, der alles für seine Stadt tun will, um die Menschen in Lohn und Brot zu bringen, der ein Herz für die Armen hat und den Gauner wie einen guten Freund behandelt, dem man vertrauen kann. Alles wohl zu viel für einen Betrüger, dessen Metier die Vortäuschung von Gefühlen ist.


Vieles wirkt unrund, es fehlt der Rhythmus


Hustle bedeutet „sich abhetzen“ und „Geld auftreiben“, aber auch Menschen zu schnellen Entscheidungen anzutreiben. Das gilt spätestens nach der ersten halben Stunde auch für Russells Film. Er wirkt gehetzt.
Ist es bereits schon recht kompliziert, die legalen von den illegalen Geschäften zu unterscheiden und den rechtlich irrelevanten Bestechungsversuch von einem, der vor Gericht Bestand hat, so tragen die zahlreichen Sub- und Nebenplots, die Russell (der auch am Script mitgewirkt hat) ausbreitet, leider nicht zu einer konsistenten Handlung bei.

Dabei hat der Regisseur von „Silver Linings Playbook“ ein großartiges Ensemble um sich versammelt. Christian Bale, der sich viele Kilos für den Film angefuttert hat, legt eine Glanzvorstellung zwischen Coolness und sentimentaler Hingabe hin, ein Mann, der zwei Frauen liebt, die ihn wiederum täuschen und manipulieren, um ihn  dann doch zu lieben. Bradley Cooper („Silver Lining Playbook“) spielt rasant den überdrehten FBI-Aufsteiger, der daheim Lockenwickler trägt und bei seiner Mutter wohnt, aber im Büro zum einem neuen Eliot Ness mutiert, der unbestechlich sein will, aber kaum weniger gerissen ist als die Vorgesetzten, Politiker und Gangster, die er bei seinen Deals über den Tisch zieht. Amy Adams („The Fighter“) glänzt als Irvings Freundin, eine Frau, die ‚echt’ sein will inmitten all der Doppel- und Dreifachrollen und doch mysteriös genug bleibt, um den Zuschauer hinters Licht zu führen, wenn sie Irving fallen lässt, um raffiniert (oder doch ‚echt’) mit DiMaso zu flirten. Und Robert De Niro („Silver Lining Playbook“) macht, was er am besten kann: die Fähigkeit, Szenen zu dominieren. Als ehemaliger Killer des legendären Meyer-Lansky verströmt De Niro in den wenigen Minuten, die ihm der Film zugesteht, eine Eiseskälte, die so schnell kein anderer Darsteller hinbekommt. Und wirklich angsteinflößend wird De Niro, wenn er den mexikanischen FBI-Agenten, der den arabischen Scheich spielt, plötzlich in fließendem Arabisch anspricht.

Leider fehlt dem Film aber das Timing. Gepflegte Langeweile schleicht sich ein. Möglicherweise wollte David O. Russell möglichst viele reale Vorbilder aus dem Abscam-Skandal und seinen vielen Haupt- und Nebendarstellern einbauen. Und so taucht in „American Hustle“ auch Irvings tumb-dreiste Ehefrau Rosalyn (Jennifer Lawrence, ebenfalls „Silver Lining Playbook“) auf, die es schafft, eine Mikrowelle innerhalb weniger Sekunden in Schrott zu verwandeln und auch sonst für eine Reihe lebensgefährlicher Katastrophen sorgt.
Wenn Rosalyn in der Küche eine Putzorgie veranstaltet und dabei anzüglich „Live and Let Die“ singt, gelingt O. Russell eine große komödiantische Szene. Aber immer häufiger verzettelt sich der Film in Szenen, die überlang wirken und manchmal auch so, als sei bei den Dreharbeiten improvisiert worden (was wohl auch der Fall war). Nicht nur das Timing und der Rhythmus wirken unrund, auch das Auftauchen und Verschwinden von Rollen mit viel Potential ist ärgerlich: De Niro als Mobster wirkt beinahe verheizt und Jeremy Renner (mit gewagter Frisur) hätte mehr Präsenz verdient.
Und so schwankt der Film hin und her: eine Komödie, bei der es wenig zu lachen gibt, ein Krimi, der zu ungeschickt ist, um Spannung aufzubauen, eine politische Satire, die weder den brutalen Zynismus von „House of Cards“ besitzt noch das kritische Potential, das trotz etlicher Schwächen Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street“ ablieferte.
Besonders das Ende des Films schleicht sich auf fragwürdige Weise davon, wenn im zugegeben sehr überraschenden finalen Plot-Twist die endgültige Täuschung der Täuscher zu einem moralischen Plädoyer gerät. Rosenfeld gelingt es tatsächlich, einen Deal für seinen Freund Polito auszuhandeln, bei dem allerdings einer der Täuscher völlig auf der Strecke bleibt. Aber die große Verteidigungsrede des genialen Gauners, der am Ende alle hinters Licht geführt hat, mitsamt der Kritik an den Ermittlungen des FBI gerät leider zu einer nicht sonderlich reflektierten Suada über die ‚guten Korrupten’. Das ist naiv, das hat ein Geschmäckle, zumal das reale Vorbild der Polito-Figur keineswegs so edel war, wie es der Film vermuten lässt.
„American Hustle“ ist zerstreuter, unstimmiger „Zeitgeist“-Film über die 1970er Jahre, mit schönen Settings und als Ensemble-Film überzeugend, als Genre-Mix in Maßen unterhaltsam, aber leider ohne Fokus und mit Überlänge. David O. Russell kann kompakte Geschichten gut erzählen, vielleicht besinnt er sich wieder auf das, was er kann.


Pressespiegel

„Auf den ersten Blick ist American Hustle eine überdrehte Gangsterkomödie in treffsicher ausgesuchten Siebziger-Jahre-Kostümen. Auf den zweiten Blick handelt dieser bemerkenswert witzige und zugleich anrührende Film von Liebe, Freundschaft, Vertrauen und Betrug – und dem manchmal schmerzhaften Zusammenhang zwischen ihnen“ (Jörg Lau, DIE ZEIT).

„Das, worauf die Leute achten, ist selten das, worauf es wirklich ankommt. Und so entwickelt sich hier eine unübersichtliche Geschichte, die aber vor wunderbaren Details nur so strotzt und nebenbei einige der besten betretenen Mienen zeigt, die es im Kino seit langem zu sehen gab“ (Bert Rebhandl, FAZ).

„Nicht, dass man ihm betrügerische Absicht unterstellen könnte – oder wollte: Doch für einen Film, der so enthusiastische Lobeshymnen bei der Kritik erntete und heuer (wie es „Der Clou“ 1974 tat) bei den Oscars abräumen könnte, ist „American Hustle“ enttäuschend unterdurchschnittlich“ (Christoph Huber, Die Presse).

„Faszi­nie­rend ist dabei weniger der schil­lernde Zeit­ko­lorit der auslau­fenden 70er, den Russel vor allem über modische Acces­soires, Innen­ein­rich­tungen und eine an Helmut Newton erin­nernde foto­gra­fi­sche Ästhetik souverän in Szene setzt, sondern wie er Zeit­ko­lorit und Geschichte mit über­ra­schenden Bonmots anrei­chert und einer schau­spie­le­ri­schen Tour de Force unterlegt, die zum Teil so über­bor­dend furios dahinrast, dass einem das eigent­liche (Schau-) Spiel schon genügt, um glücklich zu sein“ (Axel Timo Purr, artechock.de).

„Dank eines großartigen Soundtracks lässt der detaillierte Ausstattungsfilm nicht nur die Zeit wiederauferstehen, sondern entwickelt mit cleveren Verwicklungen, maliziösen Dialogen und perfekt getimten Plansequenzen eine mitreißende Dynamik. Während der Balanceakt der glänzend besetzten Gauner, Agenten, Politiker und Mobster von Eitelkeiten, Habgier und Eifersucht vorangetrieben wird, schlummert unter dem überdrehten „Hustle“ immer auch der Wunsch nach Selbstoptimierung und Liebe“ (FILMDIENST).

„…die positiven Momente (können) nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem Film der nötige Schwung fehlt, so dass sich mit zunehmendem Verlauf Langeweile einstellt. Die beständigen Betrügereien wiederholen sich, aber die Spirale zieht nicht genug an, auch suggerieren die Bilder oftmals mehr Tempo als der Film letztlich hat. Ihm fehlen die Leichtigkeit von "Silver Linings" und die Authentizität von "The Fighter", stattdessen ist "American Hustle" ein Film, der vor allem seinen Schauspielern die Gelegenheit gibt, ihr Können zu zeigen und darüber seinen Plot vernachlässigt“ (Spielfilm.de).


Noten: Melonie = 4, BigDoc = 3,5
(tendenziell waren die Noten sogar schlechter, aber letztlich wurden die Darsteller-Leistungen honoriert)